Jörg Münchenberg: Heute kommt der Rat der Europäischen Zentralbank erneut zu seiner Zinssitzung zusammen. Und die verspricht, alles andere als langweilig zu werden. Klemens Kindermann aus unserer Wirtschaftsredaktion, was ist da zu erwarten?
Klemens Kindermann: Da ist das letzte große Feuerwerk des Mario Draghi zu erwarten, des scheidenden Präsidenten der EZB. Wir haben ja häufig EZB-Sitzungen, wo irgendwas nur angekündigt oder eingeschätzt wird: heute aber dürfte es Entscheidungen geben.
Ziemlich wahrscheinlich wird der sogenannte Einlagenzinssatz - das ist der Zins, den die Banken bei der EZB für das Parken von Geldanlagen bezahlen müssen, noch einmal abgesenkt: derzeit liegt er bei minus 0,4 Prozent. Das wäre eine große Belastung für die Banken: im Euroraum könnte die auf fast zehn Milliarden Euro steigen - im Jahr. Christian Sewing, Chef der Deutschen Bank, im Vorfeld der heutigen EZB-Entscheidung:
"Langfristig ruinieren diese Niedrigzinsen das Finanzystem."
Aus Sicht der EZB ist das Ziel ihrer Aktion, dass die Banken das Geld eben nicht mehr bei ihr parken, sondern als Kredite ausgeben und so die Wirtschaft ankurbeln.
Münchenberg: Werden die Banken die steigende Belastung durch die Negativ-Zinsen an die Verbraucher weitergeben?
Kindermann: Ja, das tun sie zum Teil schon: Unternehmen, große Investoren oder auch sehr vermögende Privatkunden werden - von Haus zu Haus unterschiedlich - jetzt schon zur Kasse gebeten. Kleinsparer werden im Moment - noch - verschont.
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder hat bereits eine Bundesratsinitiative angekündigt mit dem Ziel, Beträge bis 100.000 Euro grundsätzlich von Strafzinsen auszunehmen. Das Bundesfinanzministerium prüft allerdings jetzt, ob das überhaupt rechtlich geht.
Münchenberg: Welche weiteren Maßnahmen könnte die EZB heute noch beschließen?
Kindermann: Sie könnte die Strafzinsen für die Banken staffeln, um ihnen etwas Luft zu verschaffen. Das heißt: bestimmte Freibeträge wären dann von den Strafzinsen ausgeschlossen. So etwas gibt es schon in der Schweiz.
"Die EZB wird wohl keine Rücksicht auf die Anlagenöte deutscher Sparer nehmen"
Münchenberg: Und noch wichtiger: sie könnte wieder mit neuen Anleihekäufen beginnen. Das ist hoch umstritten, weil die EZB ja schon so viele Anleihen gekauft hat: bis Ende letzten Jahres für unvorstellbare 2,6 Billionen Euro.
Und weil es da gar nicht mehr so viele Anleihen gibt, die die EZB noch kaufen kann, glauben manche, dass die EZB irgendwann auch nicht mehr vor dem Kauf von Aktien wie in Japan zurückschreckt.
Stefan Bielmeier, Chefvolkswirt der DZ Bank:
"Die Bank of Japan, die japanische Notenbank, hat es ja auch schon vorgemacht, dass man auch Aktien kaufen kann, dass man wirklich alles kaufen kann. Ob es dann was nützt, das glaube ich nicht. Aber man wird es wahrscheinlich versuchen."
Münchenberg: Warum, wenn es heute so kommt, macht die EZB das alles?
Kindermann: Weil sie ihr oberste Ziel, Preisstabilität bei einer Inflationsrate von knapp unter 2,0 Prozent, nach wie vor deutlich verfehlt. Und weil die Konjunktur sich im Euroraum abkühlt. Für Deutschland erwarten Wirtschaftsforscher nach dem zweiten Quartal jetzt auch im dritten bis Ende dieses Monats ein schrumpfendes Wachstum. Das ist technisch eine Rezession.
Und es ist zu erwarten, dass Draghis Nachfolgerin Christine Lagarde diese Politik des billigen Geldes weiterfährt, wenn sie im November an die Spitze der EZB rückt. Jetzt gerade bei ihrer Anhörung im Europäischen Parlament war sie da ganz locker:
Es gebe Kreditgeber und -nehmer, stark verschuldete und weniger verschuldete Staaten - so ist das nun mal. Das hört sich nicht so an, als ob die EZB irgendwann Rücksicht auf die Anlagenöte deutscher Sparer nehmen will.