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EZB-Finanzpolitik
"Die Wirtschaft ist nicht so schwach"

Die Entscheidung der EZB, das Programm zum Ankauf von Staatsanleihen zu verlängern, stößt auf große Kritik. Auch Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank, hält die Geldpolitik der EZB für falsch. Er sei "ein Gegner dieser Politik des lockeren Geldes", sagte er im DLF.

Jörg Krämer im Gespräch mit Peter Kapern |
    EZB-Präsident Mario Draghi.
    EZB-Präsident Mario Draghi. (AFP / Daniel Roland)
    Peter Kapern: Am Telefon ist Jörg Krämer, der Chefvolkswirt der Commerzbank. Guten Abend, Herr Cremer.
    Jörg Krämer: Guten Abend.
    "Hier hat sich Mario Draghi verrechnet"
    Kapern: Die Puristen einer strikten Geldpolitik kritisieren EZB-Chef Mario Draghi nach der heutigen Entscheidung genauso wie die Finanzmärkte, die mit sinkenden Kursen reagierten. Da könnte man Draghi ja attestieren, dass er im Stile eines gekonnten Vermittlers genau den richtigen Mittelweg gefunden hat, wenn die Protagonisten der Extreme gleichermaßen enttäuscht sind. Trifft es das?
    Krämer: Das trifft es überhaupt nicht. Das ist eine falsche Interpretation nach meiner Meinung. Es war ja Mario Draghi gewesen, der vor zwei Wochen hier in Frankfurt auf dem European Banking Congress die Erwartung auf einen sehr großen Schritt der EZB am heutigen Donnerstag geschürt hat. Darauf haben die Märkte reagiert. Und das ist die übliche Vorgehensweise von Draghi: Er schürt Erwartungen, die Märkte reagieren darauf, dann geht er in die Sitzung mit seinen Kollegen und sagt, wenn ihr mir heute nicht folgt, dann reagieren die Märkte negativ, die haben sich ja schon eingestellt auf das, was ich faktisch in Aussicht gestellt habe. Nein, hier hat sich Mario Draghi verrechnet. Er hat sich verrechnet damit, dass doch mehr Widerstand ist im EZB-Rat gegen seine extrem lockere Geldpolitik. Das ist die richtige Story.
    "Draghi ist nicht angeschossen"
    Kapern: Und wie muss man das interpretieren? Ist er damit ein waidwund geschossener EZB-Präsident, jemand, der eigentlich gar nicht mehr über die Macht verfügt, die einem solchen Amt eigentlich zukommt?
    Krämer: So weit würde ich nicht gehen. Mario Draghi ist bisher ein sehr, sehr starker EZB-Präsident gewesen, der den Rest des Rates sehr stark vor sich hergetrieben hat, und er hat heute zum ersten Mal seit Langem mal Widerstand erhalten. Das ist, denke ich, auch richtig und notwendig. Aber das heißt nicht, dass er jetzt irgendwie angeschossen ist.
    "Die Wirtschaft ist nicht so schwach"
    Kapern: Und warum hat er ausgerechnet dann heute diesen Widerstand erfahren?
    Krämer: Na ja. Die Wirtschaftszahlen in letzter Zeit waren gar nicht so schlecht. Wir haben ein Wirtschaftswachstum von 1,5 Prozent im Euroraum. Die Inflation ist nur wegen des gefallenen Ölpreises niedrig. Rechnet man den raus, ist die Inflation bei knapp ein Prozent. Also es ist kein Krisenszenario mehr im Euroraum. Und warum muss die EZB dann die monatlichen Anleihekäufe, die ja schon riesige 60 Milliarden Euro im Monat betragen, warum muss die EZB das noch aufstocken? Dieses, was Draghi in Aussicht gestellt hatte, passt eigentlich nicht mehr in die Umwelt. Die Wirtschaft ist nicht so schwach und das haben offensichtlich auch andere Leute im EZB-Rat gesehen und sich Draghi nicht gefolgt diesmal.
    Kapern: Allerdings: Die Zielmarke bei der Inflation liegt ja bei zwei Prozent und nicht bei einem Prozent. Warum sollte dann Draghi jetzt locker lassen?
    Krämer: Draghi wird auch nicht locker lassen. Aber ein Wort vielleicht zu dieser Inflationsmarke. Es ist richtig: Die EZB hat das Ziel, dass die Inflation mittelfristig zwei Prozent beträgt. Aber dass nach dem Platzen einer Schuldenblase wie im Jahre 2007 sich die Wirtschaft nur langsam erholt und auch die Inflation relativ niedrig ist, auch für mehrere Jahre, das ist unvermeidlich.
    Draghi akzeptiert aber das Unvermeidliche einer niedrigen Inflation nicht, sondern interpretiert das Zwei-Prozent-Ziel der EZB mechanistisch und eng und will einfach Gas geben, obwohl er wissen muss, dass er damit der Realwirtschaft wenig hilft, aber vor allem die Preise an den Finanzmärkten anfacht und zum Beispiel auch die Häuserpreise in den großen Städten. Aber am Ende hilft er damit nicht der Realwirtschaft, aber er hilft natürlich den Finanzministern der hoch verschuldeten Ländern. Wie kann es sonst sein, dass Italien mit seinem riesigen Schuldenberg, ein Schuldenberg, der mehr als doppelt so hoch ist, wie der Maastricht-Vertrag maximal zulässt, dass Italien trotz dieses Schuldenberges für zehnjährige Anleihen nur 1,5 Prozent zahlt? Das liegt an der Null-Zins-Politik von Draghi und denen hilft er am Ende.
    Kapern: Wäre denn die Welt besser, wäre die Lage der Italiener, der Menschen in Italien denn besser, wenn Italien für diesen gigantischen Schuldenberg, sagen wir mal, drei, vier oder fünf Prozent Zinsen zahlen müsste im Moment?
    Krämer: Ich will es mal anders herum formulieren. Wenn der italienische Finanzminister einen normalen Zins zahlen müsste und nicht einen heruntersubventionierten, dann würden die italienischen Politiker sicherlich besser haushalten und dann wäre die Verschuldung gar nicht mehr so hoch. Momentan ist es ja so, dass der italienische Ministerpräsident sogar davon träumt, auf Pump finanzierte Konjunkturprogramme aufzulegen, und das ist kontraproduktiv.
    Die niedrigen Zinsen entlasten zwar auf der einen Seite, aber sie führen natürlich dazu, dass die Politiker in den hoch verschuldeten Ländern keinen Anreiz mehr haben, die notwendigen Reformen, das notwendige Sparen auch durchzuführen.
    "Die EZB hat ein zu optimistisches Konjunkturbild"
    Kapern: Was heißt denn die Tatsache, dass Mario Draghi heute nun, sagen wir mal vorsichtig, leichte Fesseln angelegt wurden für seinen Kurs der lockeren Geldpolitik? Was heißt das für die nächste und die übernächste EZB-Entscheidung in dieser Sache? Wie mögen die ausfallen?
    Krämer: Die EZB hat immer noch ein relativ optimistisches Konjunkturbild, ein zu optimistisches nach meiner Meinung, und Enttäuschungen sind dort eigentlich programmiert. Und diese Enttäuschungen beim Wachstum wird natürlich Draghi und auch viele andere Mitglieder des EZB-Rates verwenden als Argument, ihre Geldpolitik noch einmal zu lockern. Ich gehe schon davon aus, dass wir im kommenden Jahr noch mal eine kleine Zinssenkung beim Einlagensatz sehen von jetzt minus 0,3 Prozent auf vielleicht minus 0,4 Prozent.
    Aber der große Schritt, der große Knaller, eine Aufstockung der ohnehin schon hohen monatlichen Anleihekäufe von 60 Milliarden, dazu wird es nicht mehr kommen. Also noch homöopathische Dosen der geldpolitischen Lockerung, aber nicht mehr der große Schlag, die ganz große Lockerung der Geldpolitik, wie es eine Minderheit im EZB-Rat offensichtlich noch immer will.
    Kapern: Und das beruhigt Sie?
    Krämer: Das beruhigt mich sehr, weil ich glaube, dass die Nachteile dieser zementierten Null-Zins-Politik, dass diese Nachteile die Vorteile überwiegen. Denn diese niedrigen Zinsen führen dazu, dass die Vermögenspreise, die Aktien, die Anleihekurse, die Renditen sich in nicht nachhaltiger Richtung entwickeln. Deshalb bin ich ein Gegner dieser Politik des lockeren Geldes.
    Kapern: ... sagt Jörg Krämer, der Chefvolkswirt der Commerzbank. Das Gespräch haben wir vor der Sendung aufgezeichnet.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.