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EZB-Zinsentscheidung
"Die EZB kauft der Politik Zeit"

Die EZB wolle mit der erneuten Zinssenkung die Menschen zu mehr Konsum anregen und den Banken mehr  Spielraum bei der Kreditvergabe an Unternehmen geben, sagte Alexander Kritikos vom Deutschen Institut für Wirtschaft (DIW). In Deutschland gebe es dadurch Gewinner und Verlierer.

Alexander Kritikos im Gespräch mit Daniel Heinrich |
    Zahlreiche Euro-Banknoten und Euromünzen, aufgenommen am 03.01.2014 in Frankfurt am Main (Hessen).
    Durch die Zinsentscheidung soll auch die Inflation auf einem bestimmten Niveau gehalten werden. (picture-alliance / dpa / Daniel Reinhardt)
    Daniel Heinrich: Am Telefon bin ich jetzt verbunden mit Alexander Kritikos vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. Herr Kritikos, die EZB hat ja schon in der Vergangenheit die Zinsen gesenkt gehabt. Einen Ansprung der Wirtschaft hat das nicht nach sich gezogen. Warum soll das ausgerechnet jetzt funktionieren?
    Alexander Kritikos: Man verbindet sicherlich mit dieser neuerlichen Entscheidung in der EZB die Hoffnung, dass zwei Effekte nun doch vielleicht ausgelöst werden. Man hofft zum einen, dass durch diese weitere Zinssenkung Menschen veranlasst werden, mehr zu konsumieren. Und man hofft natürlich noch sehr viel mehr, dass die Banken noch mehr bereit sind, Kredite zu vergeben an Unternehmen, die investieren wollen.
    Aber Sie haben völlig Recht: Die vorherigen Ergebnisse lassen gewisse Zweifel erzeugen, inwieweit ein solch allgemeiner Schritt wirklich in die einzelnen Länder mit ihren ganz unterschiedlichen Problemen sich wirklich positiv auswirkt.
    Heinrich: Das ist ein überraschender Schritt gewesen, oder?
    Kritikos: Es ist sicherlich ein überraschender Schritt gewesen, aber er ist trotzdem in sich schlüssig. Denn Draghi und die EZB haben ja ein klares Ziel ausgegeben. Sie wollen zwei Prozent Inflation erreichen. Derzeit sehen wir ja eher eine Tendenz nach unten. Man befürchtet nicht nur, dass es eine Null-Prozent Inflation gibt, sondern sogar eine negative Inflation, und das möchte man bei allen Möglichkeiten versuchen zu vermeiden.
    Heinrich: Die EZB hat ihre Kernaufgabe, Sicherung des Schutzes der Preisstabilität, noch nicht verloren?
    Kritikos: EZB kauft der Politik Zeit
    Kritikos: Nein, das hat sie nicht verloren. Sie kann sicherlich weiterhin versuchen, Politik in diese Richtung zu machen, die Märkte zu schwemmen. Aber es ist auch eins immer völlig klar: Die EZB kauft eigentlich nur der Politik Zeit. Und es ist auch klar, dass nach wie vor, gerade wenn wir an die südeuropäischen Länder denken, die zum einen noch tief in der Krise stecken, zum anderen unter Umständen wieder in die nächste Krise schlittern, wenn wir an Spanien und Portugal denken, dass dort auch reale Schritte passieren müssen, um diesen EZB-Entscheidungen tatsächlich auf Länderebene echtes Gewicht geben zu können.
    Heinrich: Kommen solche Krisenländer - Sie haben die gerade angesprochen - jetzt nicht in Versuchung, sich zu entschulden, ohne Reformen durchzuführen, und geht die EZB damit nicht das Risiko ein, dass die Eurokrise wieder aufflammt?
    Kritikos: Das ist in der Tat eine Gratwanderung. Mit diesen Schritten versucht man insbesondere natürlich, gerade wenn wir an Griechenland denken, Inflation einzuleiten. Und man versucht, auf diese Weise die reale Staatsschuld in Griechenland ein bisschen zu entwerten. Gleiches gilt für Spanien und Portugal. Man hat damit auch gleichzeitig die Hoffnung, dass die Staatsschuld in diesen Ländern tragfähig wird. Aber inwieweit das gelingt, ist noch völlig offen. Es ist auch klar, dass die EZB irgendwann anfangen muss, glaubwürdige Signale in die Politik zu senden, wenn die Politik nicht sozusagen die notwendigen Schritte macht, um in diesen Ländern wieder Wirtschaftswachstum auszulösen, dass dann die EZB eine andere Politik irgendwann einschneiden muss. Es ist völlig klar, dass in den Ländern Griechenland, Spanien, Portugal die Reformprozesse fortgesetzt werden müssen, diese sklerotischen Ökonomien gerade nicht anfangen, zu wachsen, nur weil die EZB Geld in den Markt pumpt, sondern es wird in diesen Ländern erst dann funktionieren, wenn sie ihren Teil dazu beitragen.
    Heinrich: Wir waren gerade schon bei den Geldschwemmen. Die zweite große Ankündigung heute war die Ausweitung der Anleihekäufer. 80 Milliarden Euro pro Monat lesen wir da. Sind es nicht gerade solche Geldschwemmen, sind die nicht gerade fatal für die Sparer in Deutschland?
    Kritikos: Wir sehen in Deutschland Gewinner und Verlierer
    Kritikos: In der Tat ist es so, dass für die Sparer in Deutschland derzeit das Problem besteht, dass sie nicht wissen, wo sie ihr Geld, wenn sie es sicher anlegen wollen, anlegen können. Hier sieht man auch entsprechende Reaktionen. Die Banken drohen ja auch schon mit Negativzinsen. Man sieht, dass Menschen anfangen, sich schlichtweg Schließfächer zu besorgen, um ihr Geld dort zu bunkern, damit sie nicht negativen Zinsen sich ausgesetzt sehen. Aber in der Tat ist es auch so, dass man genau die deutsche Sparer auch dazu veranlassen möchte, mehr zu konsumieren und weniger zu sparen. Das ist letztendlich das ganze Ziel, was dahinter steckt. Und wir sehen in Deutschland Gewinner und Verlierer. Gewinner sind die, die bisher teure Kredite genommen haben und nun billige Kredite bekommen - man denke insbesondere an den deutschen Staat -, und der Sparer ist der Verlierer in diesem gesamten Prozess.
    Heinrich: Wir haben die großen Risiken für die deutschen Sparer angesprochen. Hat Mario Draghi die Altersvorsorge der Deutschen durch diese Politik auf seinen Karteikarten durchgestrichen?
    Kritikos: Soweit würde ich nicht gehen. In seiner Logik erwartet ja Draghi und die EZB, dass irgendwann tatsächlich Inflation in Europa entstehen wird von ein bis zwei Prozent und die Wirtschaft wieder irgendwann anspringt. Wenn das passiert, wird man auch sehen, dass die EZB dann entsprechend wieder ihre Zinsen anfängt, anzuheben, was dann eben auch für deutsche Sparer und für die deutschen Rentenanlagen sich entsprechend wieder positiv auswirken wird. Man muss derzeit in der Tat sagen, man muss Zeit mitbringen und diese Phase der sehr niedrigen Zinspolitik ausstehen und aushalten, bis sie vorbei ist.
    Heinrich: Herr Kritikos, zum Schluss lassen Sie uns mal einen Schritt auf die Metaebene gehen. Die EZB steuert mit ihrer Politik gegen die Politik der US-Notenbank. Die hatten die Zinsen im vergangenen Jahr angehoben. Steuern wir da auf einen Währungskrieg zu?
    Kritikos: Ich würde nicht so weit gehen und sagen, dass wir hier auf einen Währungskrieg zusteuern. Aber in der Tat haben wir es mit zwei Ökonomien zu tun, die derzeit sich unterschiedlich entwickeln, wenn wir Gesamteuropa sehen und Gesamt-USA. Und wir werden sicherlich noch eine Übergangsphase beobachten, in der die Europäische Zentralbank eine andere Politik macht als die amerikanische Zentralbank. Noch mal muss man da einfach aber auch sagen, dass die Europäische Zentralbank da nur Zeit kauft und das in erster Linie von der europäischen Politik in der nahen Zukunft besser genutzt werden muss als im letzten Jahr. Ich glaube, hier liegt die eigentliche zentrale Herausforderung, dass die Kongruenz zwischen der EZB-Politik und der Realpolitik in Europa besser hergestellt wird als im letzten Jahr.
    Heinrich: Alexander Kritikos, Forschungsdirektor beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. Herr Kritikos, haben Sie vielen Dank für das Gespräch.
    Kritikos: Vielen Dank Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.