Revolutionen haben es an sich, dass die, die mitten darin stecken, meist erst hinterher merken, was gerade zu Bruch geht und was gewaltsam neu geschaffen wird. So war es bei den großen politischen Revolutionen, meistens floss Blut. Und auch die ersten industriellen Revolutionen haben jedes Mal Berufsbilder und damit ganze Lebensentwürfe zerstört: durch den Einsatz von Dampfkraft, von Elektrizität und von Computern. Aber das war nichts im Vergleich zu dem, was jetzt kommt, glaubt Klaus Schwab.
"Ich bin wirklich sehr besorgt. Denn hier kommen so viele Herausforderungen auf einmal zusammen. Wir haben nicht nur eine Sorge, da kommt vieles gleichzeitig auf uns zu, um das wir uns sorgen müssen."
Roboter, 3-D-Drucker, das Internet der Dinge und künstliche Intelligenz: Maschinen übernähmen mehr und mehr Macht – und für die Menschheit ändere sich alles. Aber obwohl Schwab sich ersichtlich darum bemüht, Zuversicht zu verbreiten, dass in dieser Revolution viele Chancen stecken, stehen bei ihm längst alle Alarmsignale auf Rot.
"Weil diesmal alles so schnell geht. Schauen Sie sich nur Uber an, oder AirBnB. Ich könnte sicher noch eine Menge anderer Beispiele aufzählen. Das wird Banken passieren, das wird Versicherungen passieren, das wird in jedem Sektor passieren. Und wir müssen uns darauf vorbereiten."
Es ist quasi eine Revolution ohne Revolutionäre. Denn Roboter arbeiten nonstop und streiken auch nicht. Könnte gut sein, dass die Maschinen uns irgendwann beherrschen. So gut wie sicher aber ist, dass sie eine Menge menschliche Arbeitskraft überflüssig machen; und diesmal vermutlich auch viele der Akademikerjobs, die bislang relativ sicher waren. Die Revolution frisst ihre Kinder.
"Ich bin sehr besorgt, denn wenn wir uns die Vierte Industrielle Revolution ansehen, dann hat sie eine Tendenz, die Ungleichheit zu vergrößern und die soziale Ausgrenzung zu verstärken. Denn die Gewinne fallen denen zu, die die Talente haben, den Erfindern, den Unternehmern, denen, die das Kapital haben, und nicht unbedingt denen, die die Arbeit machen. "
Die Umformung der Wirtschaft bringt auch die Politik aus dem Konzept: Was wir heute an Zulauf für rechte Parteien und Extremisten sehen, könnte, so Schwab, nur ein sanfter Vorgeschmack sein.
"Zunehmende soziale Ausgrenzung, die Schwierigkeit, in der modernen Welt verlässliche Quellen für Sinnhaftigkeit zu finden, und die Ernüchterung über – vermeintliche oder reale - Eliten und Strukturen haben extremistischen Bewegungen Auftrieb gegeben und es ihnen ermöglicht, Unterstützer für einen gewaltsamen Kampf gegen bestehende Systeme zu rekrutieren. Hypervernetzung geht nicht automatisch einher mit mehr Toleranz oder Anpassungsfähigkeit. Die Vierte Industrielle Revolution eröffnet dem Einzelnen immer mehr Möglichkeiten, anderen massiv zu schaden. "
Hier ist nicht nur von Cyberwar die Rede. Ein weiterer Gefechtsraum der Zukunft könnte der Körper sein, wenn nicht nur Wissenschaftler, sondern auch Privatleute Gene mit Gentechnik aus dem Kellerlabor manipulieren. Schwab sorgt sich zudem, dass Waffen aus dem 3D-Drucker Instrumente der Zerstörung breiter verfügbar machen könnten.
"Aktuelle Trends lassen vermuten, dass sich die Fähigkeit, auf sehr breiter Front Schaden zuzufügen – die früher Regierungen und sehr hoch entwickelten Organisationen vorbehalten war -, rasch und stark demokratisiert."
Vierte industrielle Revolution nicht zu stoppen
Mal abgesehen davon, dass die anderen industriellen Revolutionen doch viel einschneidender waren, als Schwab das hier zeichnet, und dass die "Vierte Industrielle Revolution" schon seit den 40er-Jahren proklamiert wird; bei seiner Skizze der Gefahren kann man Schwab gut folgen. Und als Ingenieur und Organisator des Weltwirtschaftsforums ist Schwab durchaus auch mehr als geneigt, die "Vierte Industrielle Revolution" als große Chance zu sehen: der Zugang zu Wissen, technisches Wissen, medizinischer Fortschritt. Wir sollten die Revolution gar nicht stoppen, aber wir könnten es auch gar nicht mehr, argumentiert er. Also ist nur die Frage, wie wir sie managen:
"Wir können die Vierte Industrielle Revolution meistern, wenn wir sie verstehen. Wir wollen, dass die Entscheidungsträger verstehen, was auf dem Spiel steht. Wir sind alle von Krisenmanagement völlig in Anspruch genommen, wir schauen auf alle die Krisenherde auf der Welt, aber wer bereitet uns auf Morgen vor? "
Es ist Schwabs großer Verdienst, dass er internationale Bühnen wie das Weltwirtschaftsforum in Davos nutzt, um Politiker und Führungskräfte aus der Wirtschaft mit dem Kopf darauf zu stoßen, dass die Vierte Industrielle Revolution dringend politisch eingehegt werden muss.
"Staatliche Institutionen wurden nie so dringend benötigt wie in der Vierten Industriellen Revolution."
Dann aber wird es vage: Die Antwort der Politik auf Kontrollverlust in nahezu allen wichtigen Fragen müsse, findet Schwab, "agile Politikgestaltung" sein. Also flexibles Regieren, allerdings mit mehr Bedenkzeit als heute. Hört sich interessant an, aber Konkretes bleibt Schwab schuldig.
Das reicht als Weckruf für ein Weltwirtschaftsforum, als kurze Einflugschneise ins Thema. Aber für ein größeres Publikum ist der Input doch zu dünn. Längst arbeiten eine Menge Forschungsinstitute und Think Tanks an Lösungsansätzen. Die zumindest anzureißen, wäre spannender gewesen, als die Bestandsaufnahme auf knapp 170 Seiten aufzublasen. Und ein paar weniger von ihm geforderte Paradigmenwechsel und andere sterile Wortungeheuer hätten den Lesegenuss enorm gesteigert.
Buchinfos:
Klaus Schwab: "Die Vierte Industrielle Revolution", aus dem Englischen übersetzt von Petra Pyka und Thorsten Schmidt, Pantheon, 208 Seiten, Preis: 14,99 Euro
Klaus Schwab: "Die Vierte Industrielle Revolution", aus dem Englischen übersetzt von Petra Pyka und Thorsten Schmidt, Pantheon, 208 Seiten, Preis: 14,99 Euro