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"Fachkräfte, wo immer auf der Welt, sind willkommen"

Hans-Peter Friedrich hat den Vorwurf zurückgewiesen, in der Debatte um Zuwanderung würden Pauschalurteile gefällt. Fachkräfte seien willkommen, egal wo sie herkämen. Allerdings müsse man zunächst das Potenzial in Deutschland und Europa ausnutzen.

Hans-Peter Friedrich im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann |
    Dirk-Oliver Heckmann: Das Christentum gehört zweifelsfrei zu Deutschland, das Judentum gehört zweifelsfrei zu Deutschland, aber der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland. Mit diesen drei Sätzen hatte Bundespräsident Christian Wulff die Debatte um die Rolle des Islam und der hier lebenden Moslems neu entfacht. Als schärfster Kritiker entpuppte sich dabei der bayerische Ministerpräsident, CSU-Chef Horst Seehofer. Multikulti sei tot, tönte er am Wochenende, nachdem er sich bereits in einem Zeitungsinterview gegen eine zusätzliche Zuwanderung aus anderen Kulturkreisen ausgesprochen hatte. Begründung: es sei doch klar, dass sich Zuwanderer etwa aus der Türkei oder arabischen Ländern bei der Integration schwerer täten.

    Gestern sprach erstmals ein deutsches Staatsoberhaupt vor dem türkischen Parlament in Ankara und leitete seinen Auftritt mit deutlichen Worten gegenüber der türkischen "Hürriyet" ein. – Am Telefon ist jetzt Hans-Peter Friedrich, er ist Vorsitzender der CSU-Landesgruppe. Guten Morgen, Herr Friedrich.

    Hans-Peter Friedrich: Guten Morgen!

    Heckmann: Herr Friedrich, Christian Wulff hat gegenüber der "Hürriyet" gesagt, ich wende mich gegen jedes Pauschalurteil. Fühlen Sie sich angesprochen?

    Friedrich: Nein! Aber es ist natürlich völlig richtig zu sagen, es darf keine Pauschalurteile geben. Ich glaube, das macht auch niemand in Deutschland, auch in der Debatte, die sehr konsequent geführt wird. Aber Pauschalurteile sind immer falsch.

    Heckmann: Aber ist es nicht pauschal zu sagen, dass sich Zuwanderer aus der Türkei oder arabischen Ländern bei der Integration besonders schwer tun?

    Friedrich: Ich glaube, dass es ganz normal ist, zu sagen, wenn jemand aus einem anderen Kulturkreis kommt, andere Sprache, vielleicht völlig andere Sprache, völlig anderer auch Hintergrund, was das alltägliche Leben angeht, dann tut er sich schwerer. Das ist keine diskriminierende Bewertung, sondern einfach eine Tatsachenfeststellung. Ich glaube, da kann man auch nicht drüber diskutieren.

    Heckmann: Aber Seehofer hat ja damit verknüpft auch die Folgerung, dass wir keine Zuwanderung aus diesen Kulturkreisen bräuchten?

    Friedrich: Nein! Ich glaube, da ist er völlig falsch verstanden worden. Das hat er so weder gesagt, noch gemeint, sondern selbstverständlich brauchen wir diejenigen, die wir hier brauchen im Lande, auch für die wirtschaftlichen Prozesse, auch zur Erarbeitung unseres Wohlstands, den wir gemeinsam alle genießen wollen, die uns da nützen und das Land ist dafür auch offen.

    Heckmann: Das heißt, die CSU korrigiert an dieser Stelle die Position, denn er hat ja ausdrücklich gesagt, daraus ziehe ich den Schluss, dass wir keine zusätzliche Zuwanderung aus diesem Kulturkreis brauchen.

    Friedrich: Nein, die CSU korrigiert gar nichts, sondern ich sage, dass Horst Seehofer in der Frage falsch verstanden worden ist. Er hat allerdings darauf hingewiesen, dass wir – und da hat er völlig recht – zunächst mal das Potenzial an Arbeitskräften, das wir in Deutschland haben, in Europa haben, nützen müssen. Ich halte das ebenfalls für eine Selbstverständlichkeit. Auch darüber ist Aufregung entstanden, die keiner so richtig verstehen kann.

    Heckmann: Ich schlage mal vor, Herr Friedrich, wir hören uns kurz mal an, was die Arbeitsministerin, Ursula von der Leyen, auf die Frage gesagt hat, ob Fachkräfte aus arabischen Ländern willkommen sind.

    Ursula von der Leyen: "Sie können aus allen Ländern kommen, wenn sie Sprache beherrschen, wenn sie bereit sind, auch hier das Land voranzubringen, wenn sie die Berufe haben, den Bildungsstand haben, den wir hier brauchen. Und wir sollten auch wissen einfach als Land: überall auf der Welt werden die Hochqualifizierten und die Fachkräfte umworben."

    Heckmann: So weit also Ursula von der Leyen. – Ich verstehe Sie richtig, Herr Friedrich, dass Sie diese Position teilen, Fachkräfte aus der Türkei und aus arabischen Ländern sind willkommen in Deutschland?

    Friedrich: Also Fachkräfte, wo immer auf der Welt, sind willkommen, können nach Deutschland kommen. Wir haben dazu ein Regelwerk in Deutschland für hoch Qualifizierte, für weniger Qualifizierte, die aber gebraucht werden, für Leute, die hier studiert haben. Also wir haben alle Regelungen! Und Horst Seehofer hat gesagt, über die Regelungen hinaus, die wir haben, brauchen wir keine neuen, und da hat er recht.

    Heckmann: Kann es sein, dass Horst Seehofer mit dieser Formulierung versucht hat, die Stammtische anzusprechen?

    Friedrich: Ich weiß gar nicht, was Sie gegen Stammtische haben. Das sind ehrenwerte Menschen, die sich auch über Politik und die Situation in Deutschland Gedanken machen, und wir müssen selbstverständlich alle Bürger in diesem Lande erreichen.

    Heckmann: Dann kommen wir mal zu der Diskussion, die jetzt auch in den letzten Tagen fortgesetzt wurde, nämlich wie regeln wir in Zukunft auch die Zuwanderung. Annette Schavan, die Bildungsministerin, hat erstmals Sympathie für ein Punktesystem geäußert, auch Michael Fuchs, der Wirtschaftsvertreter im Bundestag. Brauchen wir ein Punktesystem wie in Kanada beispielsweise?

    Friedrich: Nein. Ich glaube, dass das Punktesystem sehr grob ist, nicht auf das reagiert, was wir wirklich brauchen, nämlich eine bedarfsorientierte Zuwanderung, so wie wir sie jetzt haben. Jedes Unternehmen, das sagt, ich habe da einen Ingenieur aus wo immer aus der Welt, den brauche ich, weil ich niemanden bekomme adäquat in meiner Region, der kann heute beim Arbeitsamt den Antrag stellen und dann wird geprüft, ob es wirklich so ist. Innerhalb von vier Wochen kann er den nach Deutschland holen. Das ist geltendes Recht, wir brauchen das nicht ausweiten.

    Heckmann: Aber das System scheint ja nicht zu funktionieren. Wir sind ein Netto-Auswanderungsland.

    Friedrich: Das mag sein, dass wir da an der einen oder anderen Stelle Probleme haben. Das liegt aber natürlich daran, dass die Fachkräfte anders als viele glauben machen wollen nicht weltweit irgendwo auf der Straße liegen, sondern es gibt weltweit einen Mangel an Fachkräften, an Leuten, die man dringend brauchen kann. Die englischsprachigen Länder haben natürlich einen strukturellen Vorteil, weil sie Englisch sozusagen als Sprache, als Weltsprache mitliefern und dadurch attraktiv sind. Das müssen wir vielleicht ausgleichen mit ein bisschen besserer Bezahlung. Wir haben alle Möglichkeiten, qualifizierte junge Leute nach Deutschland zu holen.

    Das Punktesystem wie in Kanada ist dort im Übrigen sehr umstritten. Die Kanadier haben eine Arbeitslosigkeit von acht Prozent, also höher als wir inzwischen, und es wird sehr diskutiert in Kanada, ob das Punktesystem der richtige Weg ist, auch weil es sehr bürokratisch ist, und vor allem, weil es nicht bedarfsorientiert ist, sondern Leute holt, sie auf den Arbeitsmarkt wirft und sie möglicherweise gar keine Anstellung finden.

    Heckmann: Die Tatsache, Herr Friedrich, dass viele Facharbeiter nach England gehen, oder in die USA, liegt das an der Sprache oder an der schlechteren Bezahlung im Vergleich zu Deutschland, oder liegt das nicht auch daran, dass hier keine Willkommenskultur herrscht?

    Friedrich: Natürlich sind die USA ein klassisches Einwanderungsland, keine Frage. Die ganze Geschichte der USA baut darauf auf, Menschen aus allen Bereichen in das Land zu holen, in einen Kontinent, der erst entwickelt und besiedelt werden musste, eine völlig andere Situation als in Deutschland, in einem hoch differenzierten Sozialsystem. Deswegen muss man, glaube ich, beides sehr auseinanderhalten.

    Aber keine Frage: Die USA sind natürlich ein Land, in dem sich in puncto Forschung und Entwicklung vieles tut. Aber sehen Sie, wenn diese Theorien, die Sie genannt haben, alle richtig wären, dann müssten ja die Amerikaner vor Kraft strotzen, auch ökonomisch, und Deutschland am Boden liegen. Das Gegenteil ist der Fall! Wir sind, glaube ich, mit unserem differenzierten System, wo Gesellschaft und Sozialsystem stimmig ineinander greifen, bisher sehr gut gefahren und wir müssen auf diesem Weg weiter gehen.

    Heckmann: Herr Friedrich, ich möchte ein Thema noch kurz ansprechen, und zwar hat CSU-Chef Horst Seehofer die Rente mit 67 infrage gestellt. Macht die CSU jetzt gemeinsame Sache mit SPD, Grünen und Linken?

    Friedrich: Ich weiß nicht, was Horst Seehofer da gesagt hat. Die Rente mit 67 steht nicht zur Disposition. Wir haben das ja auch deswegen gemacht, um das Rentensystem zu sichern für die Zukunft. Das machen wir nicht, um irgendjemand einen Gefallen zu tun, sondern um den Menschen, die ihr Leben lang gearbeitet haben, auch in der Zukunft diese Rente garantieren zu können, und dann muss man aus mathematischen Gründen sagen, wenn immer mehr Menschen immer älter werden und immer weniger Menschen Beiträge bezahlen, dann ist es einfach notwendig, dass wir das Eintrittsalter für die Rente erhöhen. Wir machen das stufenweise auf 67, das steht nicht zur Disposition.

    Heckmann: Aber er hat gesagt, wenn die Wirtschaft über 50-Jährige nicht einstellt, dann würde er seine Zustimmung entziehen.

    Friedrich: Richtig ist natürlich der Hinweis, dass wir auch die Beschäftigung von über 50-, über 60-Jährigen weiter steigern müssen. Das findet übrigens statt. Der Prozentsatz derjenigen über 50-Jährigen, über 60-Jährigen, die einen Arbeitsplatz finden, steigt ständig. Auch das ist ein wichtiger Gesichtspunkt im Zusammenhang mit der Einwanderungsdebatte, den muss man sehen. Aber ich sage noch mal: Die Rente mit 67 steht nicht zur Disposition.

    Heckmann: Hans-Peter Friedrich war das, Vorsitzender der CSU-Landesgruppe. Herr Friedrich, danke Ihnen für das Gespräch!

    Friedrich: Gerne!