Michael Böddeker: Eben haben wir die eine Seite gehört, im Streit um den Zugriff auf wissenschaftliche Fachzeitschriften. Auf der anderen Seite am Verhandlungstisch sitzen die Hochschulen, vertreten durch die Hochschulrektorenkonferenz, die HRK und außerdem noch weitere deutsche Wissenschaftsorganisationen. Die Gruppe hat den Namen des Ziels, das sie anstrebt, nämlich: Projekt DEAL - so heißt sie.
Sprecherin der Gruppe ist Antje Kellersohn. Sie ist außerdem die Direktorin der Uni-Bibliothek in Freiburg. Sie hat uns gesagt, dass es intensive Verhandlungen mit den Wissenschaftsverlagen Springer Nature und Wiley gebe. Mit Elsevier allerdings gebe es aktuell eine Verhandlungsunterbrechung. Und sie hat uns geschildert, was für sie die Punkte sind, bei denen es noch keine Einigkeit gibt.
Antje Kellersohn: Für uns sind die Kosten, die Elsevier verlangt, die wir bisher nur grob abschätzen können, weil es keine klare Berechnung gibt, als inakzeptabel anzusehen, weil sich die Kosten für die deutschen Wissenschaftseinrichtungen noch mal um einen ganz erheblichen Faktor erhöhen würden im Vergleich zu dem, was wir bisher bezahlt haben.
Des Weiteren ist es so, dass die Papiere, die uns Elsevier übermittelt haben, klar signalisieren, dass eine Verrechnung der Kosten, die wir fürs Publishing zu bezahlen hätten, für die Open-Access-Freischaltung komplett additiv zu den Subskriptionskosten zu zahlen wären. Das ist für uns inakzeptabel. Ein sehr schwerwiegender Kritikpunkt, weiterer Kritikpunkt ist, dass wir eine komplett andere, separate Bepreisung vorgefunden haben in den Papieren von Elsevier für einen Teil der Einrichtungen im DEAL-Konsortium. Das halten wir ebenfalls nicht für akzeptabel, denn wir haben von Anfang an gefordert, wir wollen einen homogenen Konsortialvertrag haben.
"Starkes Signal der Teilnehmereinrichtungen gegenüber Elsevier"
Böddeker: Das heißt, da gibt es noch einiges, worüber zu diskutieren ist, auch aus Ihrer Sicht. Jetzt könnte ja zum Jahreswechsel ein Problem auf die Hochschulen zukommen, und vor allem auf die Wissenschaftler und auf die Studierenden. Die haben dann mitunter keinen Zugriff mehr auf wichtige aktuelle Fachpublikationen, denn viele haben ja angekündigt, dass sie ihren Vertrag mit Elsevier auslaufen lassen wollen. Haben Sie noch die Übersicht, wie viele Bibliotheken und Einrichtungen das inzwischen angekündigt haben bundesweit?
Kellersohn: Ja, die haben wir. Wir werden uns inzwischen der Zahl von etwa 200 Einrichtungen nähern. Es werden immer mehr. Auch die baden-württembergischen Universitäten und Hochschulen haben ihren Vertrag gekündigt zum Ende dieses Jahres. Insofern ist auch meine Universität, die Universität Freiburg, von dieser Aktion betroffen. Das heißt, wir müssen uns darauf einrichten, dass wir ab Anfang nächsten Jahres in den vertragslosen und womöglich auch in den versorgungslosen Zustand hineinlaufen, wenn wie bis dahin auch mit Elsevier nicht handelseinig geworden sind.
Böddeker: Und ist das aus Ihrer Sicht ein großes Problem, das da auf die Universitätsbibliotheken zukommt?
Kellersohn: Ich sage zunächst mal, es ist ein starkes Signal der Teilnehmereinrichtungen, die damit sehr deutlich gegenüber Elsevier zum Ausdruck bringen wollen, dass sie hinter den Verhandlungszielen der Projektgruppe und der Verhandlungsgruppe stehen, dass sie einen solchen bundesweiten DEAL-Vertrag ausdrücklich, nachdrücklich wünschen mit Elsevier, um eine nachhaltige Versorgung in der Wissenschaftskommunikation mit Blick auf diesen Verlag auch in Zukunft aufrechterhalten zu können, sicherstellen zu können.
Wir haben ja schon den Zustand bei einer ganzen Reihe von Einrichtungen seit Ende letzten Jahres, dass die Verträge ausgelaufen respektive aktiv gekündigt worden sind. Das waren 60 bis 70 Einrichtungen. Dort sind die Verträge dann ausgelaufen mit letztem Dezember 2016. Elsevier hat einen Teil der Einrichtungen, was die Zugänge anbelangt, dann seinerseits und unaufgefordert von uns freigeschaltet, aber nicht alle.
Böddeker: Aber die Allermeisten, oder?
Kellersohn: Einen Teil. Wir haben im Vorfeld bereits ein Notversorgungskonzept natürlich aufgesetzt für die Einrichtungen, damit die Restriktionen für die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, auch für die Studierenden, möglichst gering sind. Die Notversorgung setzt auf Dokumentlieferdienste, auf Pay-per-View-Dienste, und die Erfahrungen in den Einrichtungen sind bis dato sehr gut. Das hat natürlich auch die Basis dafür geschaffen, dass so viele weitere Einrichtungen sich dazu entschieden haben, zum Ende diesen Jahres aus den Verträgen auszusteigen.
Böddeker: Aber auch so eine Notversorgung ist mitunter etwas komplizierter oder zeitaufwendiger als das System, so wie es bisher war. Deswegen meine Frage: Lässt sich so ein Boykott wirklich durchziehen, auch längerfristig? Denn jetzt mal weiter in die Zukunft gedacht, irgendwann laufen ja überall die Lizenzverträge aus, und dann gibt es vielleicht irgendwann keine Einrichtungen mehr, von denen man sich die Fachartikel per Fernleihe holen könnte. Könnte das nicht auch passieren?
Ziel: tragfähriger Kompromiss, gute Versorgung
Kellersohn: Das haben wir schon im Blick gehabt, Herr Böddeker, das ist selbstverständlich. Ich sage aber nochmals: Unser Ziel ist es natürlich, zu einem tragfähigen Kompromiss zu kommen, einen Vertrag abschließen zu können, sodass wir wieder eine gute Versorgung haben, dass wir eine möglichst bessere Versorgung haben, als wir sie in den Jahren davor hatten. Das ist unser vorrangiges Ziel.
Es ist nicht das Ziel, auf Dauer in einen vertragslosen Zustand zu gehen, sondern hierbei handelt es sich um eine Aktion, mit der wir zum Ausdruck bringen wollen, dass wir diesen Abschluss wünschen. Wir haben ja leider nicht die Möglichkeit, zu einem anderen Anbieter zu gehen. Es gibt keinen freien Markt. Wir sind auf diesen Lieferanten, so möchte ich ihn mal nennen. Wir können nur dort kaufen, lizenzieren.
Böddeker: Soweit Antje Kellersohn vom Projekt DEAL, das mit den Wissenschaftsverlagen über die Konditionen verhandelt, außerdem ist sie Direktorin der Uni-Bibliothek in Freiburg. Und wenn Sie ganz genau zugehört haben, dann ist Ihnen vielleicht ein kleiner Widerspruch aufgefallen: Im Interview mit Elsevier hieß es vorhin noch, dass inzwischen alle Einrichtungen wieder den Zugang freigeschaltet bekommen haben, nachdem er Anfang des Jahres vorübergehend weg war.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.