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Fachpublikum in Mainz diskutiert Zukunft der Musikpädagogik

Die Ganztagsschulen sind mit ihrem Nachmittagsunterricht eine Herausforderung für deutsche Musikschulen. Die Politik will, dass die Musikpädagogen aus der Musikschule raus in die Klassenräume der Ganztagsschulen gehen, um dort Unterricht zu geben. Die Musikschulen fürchten aber, damit mehr und mehr zum "Dienstleister" zu werden.

Von Ludger Fittkau | 23.05.2011
    "Ich weiß nicht, was soll ich bedeuten, das ich so traurig bin"

    Während der Chor siebenjähriger Musikschüler drinnen im Saal des Mainzer Konferenzzentrums den Musikschulkongress eröffnet, trifft Matthias Fronhöfer draußen vor der Halle die letzten Absprachen mit den Bläsern eines Gymnasiums aus St. Goarshausen am Mittelrhein. Matthias Fronhöfer ist Anfang 20, er wartet auf einen Studienplatz an einer Musikhochschule. Um ein bisschen Geld zu verdienen, leitet der Ludwigshafener das Schulorchester am Mittelrhein. Matthias Fronhöfer, der heute auf Schlagzeug und Vibrafon spezialisiert ist, hat seit zwölf Jahren eine regelrechte "Musikschulkarriere" hinter sich.

    "Ich kann jetzt nur für die Musikschule in Ludwigshafen sprechen, ich finde, da läuft es sehr positiv, weil das Angebot sehr, sehr breit ist. Also sowohl Popular- und Jazzmusik als auch im klassischen Bereich. Ich wurde da sehr gefeatured, kann man sagen und habe da viel gelernt."

    In der rheinland-pfälzischen Arbeiterstadt Ludwigshafen ist es allerdings für viele Eltern nicht einfach, über Jahre hinweg das Jahresentgelt von bis zu 300 Euro und die monatlichen Gebühren von bis zu 30 Euro pro Fach zu zahlen, die für den Musikschulunterricht am Nachmittag aufgebracht werden müssen. Matthias Fronhöfer kennt das Problem – auch aus seiner eigenen Familie:

    "Es ist schon nicht billig, auf jeden Fall. Wobei in Ludwigshafen ist es ganz interessant, da gibt es auch die Möglichkeit, das nennt sich Begabtenförderung. ( ... ) Und das habe ich halt in Anspruch genommen, insofern kann ich mich da echt nicht beklagen."

    Klage wird jedoch inzwischen drinnen im Kongresssaal geführt, in den Reden, die auf die Musikdarbietungen folgen. Die Musikschulen befürchten, mehr und mehr zu "Dienstleistern" für die Ganztagsschule degradiert zu werden, weil die Politik die Musikschulen dazu anhält, Angebote für den Ganztagsschulbetrieb zu machen. Erinnerungen werden wachgerufen an die Nachkriegszeit in Deutschland, als die Musikschulen keine eigenen Gebäude hatten und an den Nachmittagen an den normalen Schulen zwischen hochgestellten Stühlen mit den Putzfrauen darum kämpfen mussten, im Klassenraum wirklich ein Instrument auspacken zu dürfen. Felicitas Hoffmann, Fachbereichsleiterin für Bläser an der Musikschule Gelsenkirchen:

    "Selbstverständlich brauchen wir die Ganztagsschule, ich sehe dass auch so, das wir Familien unterstützen müssen in ihrem Erziehungsbemühen. Aber wir müssen auch gleichzeitig sehen, dass Schule nicht alles leisten kann und auch Schüler eine andere Lebenswelt, andere Werte, andere Entwürfe erleben sollen. Noch Mal abgegrenzt zur Zielerreichung, Zielabfragung bei Klausuren und all dem. Ich weiß es selber aus meinen eigenen familiären Hintergrund, ich weiß es als Lehrerin, dass das ganz, ganz existenziell wichtig ist."

    Als Vorbild für eine pralle Musikschullandschaft wurde das österreichische Bundesland Oberösterreich herausgestellt, das seine Musikschulen in besonders repräsentativen Gebäuden unterbringt. Professor Reinhart von Gutzeit, Rektor der Universität Mozarteum Salzburg schilderte als einer der Hauptredner in Mainz dieses "Musikschulparadies Oberösterreich"

    "In jedem Ort, in den sie kommen, ist die Musikschule das schönste Haus am Platz. Warum? Weil man den Gemeinden Geld aus dem Denkmalpflegetopf gibt, wenn sie ihr Schloss oder ihr schönes altes Bürgerhaus in eine Musikschule umwandeln. Und sonst eben nicht. Die Bedeutung, die dieses Schulwesen dort hat, ist mit dem, was man in Deutschland hat, kaum zu vergleichen. Es ist wirklich ein Mittelpunkt des Lebens. Ein früherer Regierungschef hat auf die Frage, was für ihn das Wichtigste sei, im Rückblick auf seine Amtszeit gesagt: Das war die Errichtung des Musikschulsystems. Wer würde das in Deutschland sagen?"

    Wohl tatsächlich niemand, obwohl auch niemand die Musikschulen als Ganzes in Frage stellt. Dass sich die Musikpädagogen dennoch gerade im Zuge des Ausbaus der Ganztagschulen wieder in die Regelschulen begeben müssen, dürfte bei Bildungspolitikern aber eben auch Konsens sein. Da hilft keine Sehnsucht nach der oberösterreichischen Idylle. Fazit:
    In der "Mainzer Erklärung" des Kongresses fordern die Musikpädagogen zu Recht eine finanzielle Absicherung ihrer Musikschularbeit auch in Zeiten knapper Kassen der Kommunen. Damit sie die bekommen, müssen die deutschen Musikschulen müssen tatsächlich auch "Dienstleister" für den Ganztagsschulbetrieb werden. Etwas anderes wäre zu elitär.