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Fäkalienuntersuchung
Tübinger erforschen Darmbakterien

Wir alle sind Wirte vieler Billionen Bakterien. Vor allem mit dem Bakterienmix im Darm steht und fällt die Gesundheit. Aber welche Zusammensetzung als normale Darmflora bezeichnet werden kann, ist bislang weitgehend ungeklärt. Tübinger Forscher machen Inventur im Darm.

Von Hellmuth Nordwig |
    Darmbakterien Escherichia coli unter dem Elektronenmikroskop, grün eingefärbte Aufnahme
    Dieser Bakterienkollege kommt häufig im Darmtrakt vor: Escherichia coli. Das weiß man. Woraus eine "normale" Darmflora besteht, weiß man allerdings bislang kaum. (Imago / Dennis Kunkel)
    In einem Labor des Universitätsklinikums Tübingen holt Barisch Bader ein Plastikröhrchen aus dem Kühlschrank. Der Inhalt: eine erbsengroße Probe einer braunen Masse. Menschlicher Stuhl.
    "Es ist nicht das angenehmste Thema. Aber für mich ist es Arbeit. Ich mache mich von dem Stuhl los. Ich denke, der Darm ist ein unterschätztes Organ, das nicht genügend Beachtung gefunden hat."
    Das will der Technische Assistent Barisch Bader ändern und mehr über die Bakterien im Stuhl herausfinden. Mit einer speziellen Flüssigkeit bringt er zunächst deren Zellwände zum Platzen und setzt so das Erbgut frei. Dann kommt das Röhrchen auf einen Rüttler, der, erklärt Bader, "die ganze Probe mischt, um dann eine möglichst homogene Flüssigkeit zu bekommen".
    Fast 100 Gigabyte Erbgut-Daten pro Stuhlprobe
    Anschließend werden Fasern und alles Unverdaute abzentrifugiert. Zurück bleibt die Flüssigkeit mit dem Bakterien-Erbgut. Sie kommt in ein Hightech-Analysegerät, so groß wie ein Mikrowellenofen. Dieser sogenannte Sequenzierer bestimmt die Reihenfolge der Erbgutbausteine - von allen Bakterien, die in der Stuhlprobe enthalten sind.
    "29 Stunden pro Durchgang. Pro Run sind das fast 100 Gigabyte Daten, die da produziert werden. Die werden dann auf unseren Servern mit verschiedenen Verfahren zusammengesetzt, sodass man nachher die jeweiligen DNA-Stränge analysieren kann."
    Bis zu hundert Proben können die Wissenschaftler parallel bearbeiten. So wollen sie einen Überblick über das Mikrobiom des Darms bekommen, das gesamte Spektrum der Einzeller. Die helfen einerseits bei der Verdauung. Andererseits bringen Forscher sie auch mit einer Reihe von Krankheiten in Zusammenhang: Übergewicht, Diabetes, möglicherweise sogar Autismus.
    Forschungsfrage: Was ist eine normale Darmflora?
    Doch hier ist noch vieles unklar. Vor allem, weil eine zentrale Frage noch nicht beantwortet ist: Welche Bakterienzusammensetzung ist normal? Und wie stark variiert sie bei gesunden Menschen? Bei 10.000 Probanden wollen die Forscher um Matthias Willmann deshalb Inventur im Darm machen. Der Arzt ist Professor am Tübinger Institut für Medizinische Mikrobiologie.
    "Das Ziel ist, dass man an Hand einer sehr großen Fallzahl erkennen kann: Welche Unterschiede gibt es im Mikrobiom von verschiedenen Menschen? Es ist so, dass die Teilnehmer auch angehalten sind, dazu einen Fragebogen auszufüllen, wo beispielsweise neben der Angabe von Alter und Geschlecht auch noch detailliertere Fragen kommen. Beispielsweise wie sie leben, aber auch, ob sie an einer bestimmten Erkrankung leiden. Und dadurch, dass wir heute immer noch eine ganz schlechte Idee davon haben, was ist Ausdruck eines gesunden und eines kranken Mikrobioms, ist das ein erster, allerdings auch schon sehr großer Schritt in die Richtung, da mehr herauszufinden."
    "Tübiom" heißt dieses Forschungsprojekt. "Tü-" steht für Tübingen, und "-biom" für Darm-"Mikrobiom".
    Kollegen wollen Zusammenhang mit Alzheimer prüfen
    In einem weiteren Vorhaben geht es um die Frage: Verändert sich die Darmflora, wenn ein Mensch an Alzheimer erkrankt? Vielleicht sogar, bevor es die Betroffenen oder ihr Umfeld merken? Bei Mäusen haben Forscher Hinweise darauf gefunden. Der Leiter der Sektion Demenzforschung der Universität Tübingen, Christoph Laske, will deshalb die Darmbakterien von Gesunden, von Menschen mit leichten Gedächtnisstörungen und von Alzheimer-Patienten vergleichen:
    "Im Moment ist es so, dass wir geplant haben, die Teilnehmer jährlich wiederzusehen. Auch zu sehen, wieweit sich das Mikrobiom über die Zeit verändert. Vielleicht korreliert das mit Gedächtnisstörungen, vielleicht auch nicht. Und sollten wir tatsächlich deutliche Unterschiede feststellen zwischen Betroffenen mit einer Gedächtnisstörung und Gesunden, dann wäre das natürlich eine gute Grundlage, auch eine Interventionsstudie zu planen. Das heißt, gezielt die Bakterien zu modifizieren, die bei Patienten mit einer Gedächtnisstörung vielleicht verändert sind."
    Doch das ist noch Zukunftsmusik. Erst einmal müssen die Forscher Tausende von Stuhlproben aufbereiten und analysieren, welche Bakterien dort normalerweise vorkommen.