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Fälschung in der Wissenschaft
Manuskript: Vertrauen naiv, Kontrolle fatal

Wissenschaftler gelten als besonders wahrheitsliebend. Aber auch Wissenschaftler sind Menschen. Sie spüren Druck, haben Ängste oder sind schlicht skrupellos wie Zeitgenossen mit anderen Berufen auch. Deswegen überrascht es nicht, dass auch unter Wissenschaftlern gelogen und gestohlen, gefälscht und betrogen wird.

Von Bernd Schuh |
    Eine Wissenschaftlerin blickt durch ein Mikroskop auf bronzene Nadeln
    In der Wissenschaft scheint auch externe Kontrolle nötig zu sein. (dpa/picture alliance/Holger Hollemann)
    "Wissenschaftler sind keine besseren oder keine schlechteren Menschen."
    "Es gibt in jeder Profession Menschen, die betrügen."
    "Wenn sie eine Organisation von der Größe des deutschen Wissenschaftssystems haben, können Sie nicht davon ausgehen, dass es ein höchst vereinzeltes Tun ist."
    "Dass es eine Dunkelziffer gibt, das glaube ich auch."
    "Darum denke ich, man braucht auch eine Einrichtung, die unabhängig ist, im Sinne von TÜV."
    "Wir sind in der DFG immer noch der Meinung, dass der Diskurs in der Wissenschaft der geeignete Raum ist, um wissenschaftliches Fehlverhalten in den Griff zu kriegen."
    "Da setzt sich eine Gruppe von Priestern hin und sagt, wir machen das hinter verschlossenen Türen."
    Vertrauen naiv, Kontrolle fatal - Braucht die Wissenschaft einen TÜV?
    "Ich bin Diederik Stapel. Ich habe Wissenschaftsbetrug begangen, ich habe Forschungsdaten gefälscht und erfunden und auf diese Weise die Karriere vieler meiner Kollegen aufs Spiel gesetzt und ihr Vertrauen missbraucht."
    Diederik Stapel ist ein geständiger Wissenschaftsbetrüger. Einer der ganz wenigen. Der niederländische Sozialpsychologe hat eine Theorie nach der anderen erfunden, die er mit gefälschten Daten experimentell belegte. Das ging 15 Jahre lang gut. Erst im Jahr 2011 flog der Schwindel auf. Der Betrüger versucht seitdem, seinen zerstörten Ruf wiederherzustellen.
    Bemerkenswert ist der Fall Stapel in vielerlei Hinsicht: Selten war Forschungsbetrug derart skrupellos und drastisch.
    Stapels Spur zieht sich durch die Jahre, durch drei Universitäten und 55 Veröffentlichungen. Darin fanden drei Untersuchungskommissionen gefälschte oder erfundene Daten.
    Selten zeigt sich der Täter so reuig.
    Stapel hat sogar ein Buch geschrieben, in dem er seine Entgleisung – so der niederländische Titel - ausführlich darstellt.
    Und er macht sie in Vorträgen öffentlich, wie hier auch im Zug, bei einer im Rahmen der TED-Konferenzen durchgeführten Veranstaltung zwischen Den Bosch und Utrecht.
    Selten, wenn nicht gar noch nie - und das ist eine weitere Besonderheit an diesem Fall - wurde ein Wissenschaftsbetrug derart gründlich untersucht wie seiner.
    Was treibt Wissenschaftler überhaupt zum Betrug? Die Erfahrung lehrt: Es ist nicht nur der Leistungsdruck, es sind nicht nur die falschen Anreize, die das Wissenschaftssystem für die Karriereplanung setzt, es sind oft auch Arroganz, Geltungssucht, Karrieregeilheit, Machtstreben; allzu Menschliches eben.
    Davon sollte ausgehen, wer die wichtigeren Fragen angeht: Wie kann sich die Gesellschaft vor einem derartigen Verhalten schützen? Wie geht sie gegen Betrüger vor? Wie schreckt sie künftige Fälscher ab? Greifen diese Maßnahmen? Kann die Wissenschaft es allein schaffen, sauber zu bleiben? Oder soll man ihre Freiheit einschränken, um die Qualität der Forschung zu sichern?
    "Ich war nicht der Einzige, der solche Sachen machte. Was ich machte, war nicht strahlend weiß, aber auch nicht pechschwarz, es war grau und es war üblich."
    Erste Maßnahmen
    Ähnlich lang anhaltend und umfassend wie Stapel hatten in den 1990er Jahren zwei Krebsforscher das deutsche Wissenschaftssystem getäuscht.
    Die Mediziner Friedhelm Herrmann und Marion Brach wurden 1998 überführt, in knapp einhundert Veröffentlichungen gefälscht und manipuliert zu haben.
    Sie hatten auch Mitarbeiter zu unsauberem Arbeiten verleitet und sie eingeschüchtert. Ein amerikanischer Doktorand gestand das nach Abschluss des Falles der Untersuchungskommission. Der Fall weckte die deutsche Forschung aus dem Traum vermeintlicher Unschuld. Derartiges sollte nie wieder passieren. Gegenmaßnahmen wurden getroffen.
    Die Deutsche Forschungsgemeinschaft, DFG reagierte im Dezember 1997 auf den Krebsforscherskandal mit einer Denkschrift, betitelt "Vorschläge zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis.
    Sie richtete auch eine Anlaufstelle für Beschwerden über wissenschaftliches Fehlverhalten ein, den heutigen Ombudsman für die Wissenschaft.
    Auf Empfehlung der DFG entstanden ähnliche Stellen an den anderen wissenschaftlichen Einrichtungen. Mittlerweile, 15 Jahre nach der Denkschrift, umfasst die bundesweite Liste der Ombudsleute 322 Personen – und noch längst nicht alle wissenschaftlichen Institutionen sind erfasst.
    Die Ombudsleute prüfen Beschwerden, ob anonym oder nicht, auf jeden Fall vertraulich, und versuchen zu vermitteln. Misslingt das, werden die Fälle an Kommissionen in den zuständigen Institutionen weitergegeben. Die ermitteln und urteilen. Fehlverhalten wird sanktioniert. Die DFG zum Beispiel kann es bei einer einfachen Rüge belassen. Oder sie kann Forschern Gelder entziehen, sie von der Antragstellung für maximal acht Jahre ausschließen.
    "Ich glaube, da sind neben den Sanktionen sehr viele positive Handlungsfelder aufgemacht worden, die das Gesamtthema unterstützen."
    So beschreibt Dorothee Dzwonnek, die Generalsekretärin der DFG, die Entwicklung der Instrumente seit dem Fall Herrmann/Brach.
    "Man kann ja nicht nur nachträglich arbeiten, man kann ja im Vorfeld arbeiten, damit es gar nicht erst zu solchen Verfehlungen kommt."
    Zu den vorbeugenden Maßnahmen gehören Seminare und Workshops zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis. Sie gehören zum Lehrplan vieler Universitäten oder werden von externen Vortragenden angeboten.
    Auch Wolfgang Löwer, der derzeitige Sprecher des dreiköpfigen Gremiums "Ombudsman für die Wissenschaft", setzt auf die Nachhaltigkeit der Gegenmaßnahmen nach dem Skandal um Herrmann/Brach.
    "Das Entdeckungsrisiko ist größer geworden und vor allen Dingen darf man erwarten, dass bei der Betreuung von Nachwuchswissenschaftlern so was á la longue auch einen gewissen Kulturwandel bewirkt."
    Erfolge
    "Natürlich werden wir nicht von Amts wegen tätig, sondern wenn sich jemand bei uns meldet, der sagt, ich werde hier umgangssprachlich wissenschaftlich gemobbt, mir wird der Zugang zu Daten verwehrt, ich werde nicht hinreichend in meinem Promotionsverhältnis betreut usw. und sofort."
    Etwa 600 Anfragen hat der Ombudsman für die Wissenschaft seit Gründung dieser Einrichtung erhalten. Die Anzahl der Anfragen ist seit den Anfangsjahren stetig gewachsen. Mittlerweile hat sie sich bei etwa 60 eingependelt.
    Wer sich an Wolfgang Löwer oder ein anderes Mitglied des Gremiums wendet, tut dies in fast 50 Prozent der Fälle wegen Autorschaftsfragen: Steht mein Name auf der Veröffentlichung, und an welcher Stelle? Hat sich jemand draufgeschrieben, der nichts zur Arbeit beigetragen hat?
    Bei einem knappen Drittel der Fälle geht es im weitesten Sinne um Forschungsbehinderung. Dazu gehören auch mangelnde oder schlechte Betreuung.
    Die zählen im Katalog des "wissenschaftlichen Fehlverhaltens" aber zu den eher lässlichen Sünden. In einem Zehntel der Anfragen geht es um Plagiatsverdacht. Und nur etwa 5 Prozent der Fälle betreffen Datenmanipulation oder -fälschung.
    Da wird in einer Veröffentlichung eine Abbildung ein bisschen geschönt, eine Tabelle etwas zurechtgestutzt, da werden unliebsame Daten weggelassen, Abfragen, die nicht das gewünschte Ergebnis bringen, gar nicht erst erwähnt. "Fragwürdige Forschungspraktiken" ist der beschönigende Oberbegriff für derlei Eingriffe.
    "Unser bester Kunde ist die Medizin."
    Sagt Wolfgang Löwer etwas flapsig. Denn aus Biomedizin und Medizin kommen die meisten Anfragen. Das mag zu einem Gutteil daran liegen, dass in der Medizin, eher untypisch für die Naturwissenschaften, hierarchische Strukturen noch immer stark ausgeprägt sind. So soll es immer noch Klinikchefs geben, die es für selbstverständlich halten, dass ihr Name auf jeder Veröffentlichung auftaucht, die Mitarbeiter aus Ihrem Institut schreiben. In den neuen Empfehlungen der DFG zur "guten wissenschaftlichen Praxis" heißt es deshalb explizit:
    "Eine sogenannte Ehrenautorschaft ist ausgeschlossen."
    Auch der DFG-Ausschuss zur Untersuchung von Fehlverhalten, dem Dorothee Dzwonnek vorsitzt, muss sich mit etwa 40 bis 50 Fällen pro Jahr beschäftigen.
    "Die meisten sind nicht gravierend. Es häufen sich allerdings in letzter Zeit die Fälle von Datenmanipulation. Insbesondere im Bereich der Lebenswissenschaften, die dann durchaus ein erhebliches Ausmaß annehmen können, d. h. in mehreren Publikationen dann aufscheinen."
    Zwischenbilanz
    "Vor allen Dingen darf man erwarten, dass so was á la longue auch einen gewissen Kulturwandel bewirkt."
    Niemand kann behaupten, es habe sich nichts getan. Aber reicht es? Den Erfolg der Gegenmaßnahmen bemisst die DFG anhand der verschwindend kleinen Anzahl von Fällen im Vergleich zu den mehr als 30.000 jährlichen Förderanträgen. Fragwürdige Forschungspraktiken? Ein Promille-Effekt. Die Evaluation der Qualitätssicherung erfolgt durch Erfahrung und Diskurs. Man lernt aus jedem Einzelfall. Missstände haben zu Ergänzungen der ursprünglichen, 15 Jahre alten DFG-Denkschrift geführt.
    Die überarbeiteten Empfehlungen sind im Juni vergangenen Jahres herausgekommen. Sie reagieren auf Missstände, die das Ombudsman-Gremium schon im Jahr 2005 beschrieben hatte.
    Zum Beispiel, dass Ombudspersonen in manchen Institutionen nur auf dem Papier existierten.
    Auch mit der Unabhängigkeit der Ansprechpartner war es nicht immer weit her. Der Bericht aus dem Jahr 2005 erwähnt an anderer Stelle, dass einem Ombudsman das Ergebnis seiner Untersuchung vom Chef der betroffenen Einrichtung quasi auf oktroyiert wurde.
    Finstere Vergangenheit? Nicht für Christoph Berndt an der Berliner Vorzeigeklinik Charité. Berndt ist Vorsitzender des Fakultätspersonalrats. Zu ihm kommen akademische Mitarbeiter, die um ihre Anstellung oder Vertragsverlängerung fürchten, wenn sie über Missstände berichten. Aber auch Beschuldigte, denen die Verfahren zu lange dauern.
    "Wir haben an der Charité eine Geschäftsstelle für gute wissenschaftliche Praxis geschaffen. Da ist ein wissenschaftlicher Mitarbeiter beschäftigt mit einer Mitarbeiterin, der gehört irgendwie zur Dekanin. Das Problem ist, das ist ein gutwilliger und sicher integrer Mann, aber was will der alleine machen? Der ist nicht unabhängig genug. Insofern kann er nur das machen, was die Leitung ihm sagt."
    Zu Berndts Verdacht passt, dass in den letzten Jahren von zahlreichen Vorwürfen wegen Daten- oder Bildmanipulationen in Veröffentlichungen nicht einer zu ernsthaften Konsequenzen geführt hat.
    "Wenn ich beobachte, dass hier bei uns im Jahr 2009 und 2010 mehr als zwölf Arbeiten infrage gestellt wurden und es kommt dann nach Jahren die Mitteilung, wir haben uns das angeguckt und wir finden keinen Grund für die Vorwürfe, dann ist das, auch bei dem was man an Vor- und Nebengeschichte kennt, so, dass es schwer fällt, dem einfach zu folgen."
    Auch der Zehnjahresbericht des Ombudsman für die Wissenschaft aus dem Jahr 2010 liest sich streckenweise eher wie eine Misserfolgsstory.
    "Es ist manchmal erschreckend, wie wenig Kommunikation zwischen den Betreuern und den Nachwuchswissenschaftlern stattfindet."
    Heißt es darin zum Beispiel. Konsequenz: Ergänzung der Empfehlung Nummer 4: Betreuung des wissenschaftlichen Nachwuchses. Universitäten und die Herren Professoren können sich daran halten oder auch nicht. Also weiter warten auf Kulturwandel? Für Christoph Berndt ist die Sache klar:
    "Darum denke ich, man braucht auch eine Einrichtung, die unabhängig ist, von außen ist, außerhalb der DFG und der Universitäten, und in entsprechenden Verdachtsfällen tätig ist, oder sogar präventiv tätig ist, im Sinne von TÜV oder medizinischer Dienst der Krankenkassen, ich glaube, das wäre sehr hilfreich und auch notwendig."
    Die Vertreter des Wissenschaftssystems wollen davon nichts wissen. Sie setzen weiterhin auf Selbstkontrolle.
    "Wir sind als DFG nach wie vor der Auffassung, dass der Diskurs in der Wissenschaft immer noch der geeignete Raum ist, um wissenschaftliches Fehlverhalten in den Griff zu kriegen. Wir sind nach wie vor der Auffassung, dass es zunächst mal einer solchen Maßnahme - aus meinen Augen - der Hilflosigkeit nicht bedarf."
    Auch die Politik setzt auf eine starke akademische Selbstkontrolle. Nordrhein-Westfalens Wissenschaftsministerin Svenja Schulze lässt sich zitieren, dass wissenschaftliches Fehlverhalten konsequent geahndet werden müsse. Von wem?
    "Der Wissenschaftsbetrieb hat dafür funktionierende und eingespielte Verfahren."
    Ebenso hält das zuständige Bundesministerium die Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis und die zugehörige Kontrolle für eine Kernaufgabe der Selbstverwaltung der Wissenschaft. Fehlverhalten Einzelner könne nie ganz ausgeschlossen werden.
    "Einer staatlichen Stelle bedarf es aus Sicht des BMBF aber nicht."
    Die Protagonisten
    Beim Prozess der Entdeckung wissenschaftlichen Fehlverhaltens kann es für die Beteiligten um alles oder nichts gehen. Die Selbstkontrolle braucht Informanten. Die Informanten müssen Repressalien fürchten, die Beschuldigten Rufschädigung. Mehr Kontrolle, so fürchtet die Wissenschaft, würde da unnötigen Schaden anrichten. Zu wenig Kontrolle, so die Kritiker, zu viel unentdeckt lassen. Eine schwierige Gratwanderung.
    "Ist es angemessen, das wirklich aufzubringen und damit möglicherweise die berufliche Existenz deren oder dessen zu gefährden? Also das ist extrem schwierig."
    Eberhardt Hildt ist der Whistleblower. Er hat die Großfälscher Herrmann und Brach Mitte der 1990er Jahre zu Fall gebracht hat. Zu seiner Zeit gab es noch keine institutionalisierten Wege für die Äußerung eines Verdachts. Damals war die Gefahr noch größer als heute, als Informant seine berufliche Karriere zu gefährden. Als Eberhard Hildt Friedhelm Herrmann mit den Fälschungsvorwürfen konfrontierte, drohte dieser, ihn "plattzumachen". Hildt ließ sich nicht beirren. Geschadet hat es ihm zum Glück nicht.
    "In dem Fall ist es wirklich alternativlos gewesen. Schweigen würde bedeuten mitzumachen, und das ist halt keine Perspektive."
    "Ich arbeite nicht, weil ich arbeiten muss und damit Geld verdienen möchte, sondern ich arbeite und mache Wissenschaft, weil es mich begeistert und weil das etwas ist, was mir Spaß macht, es hat schon einen großen Anteil auch an meinem persönlichen Leben, und wenn plötzlich alles wegbricht, das ist schon traumatisch."
    Stefanie Dimmeler stand einmal auf der anderen Seite. Sie war Opfer einer falschen Beschuldigung. Ihr Fall ist ein guter Grund für die Vorsicht und Verschwiegenheit, die Untersuchungsgremien walten lassen.
    Im Jahr 2005 sollte sie den Gottfried Wilhelm Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft bekommen. Vor der Verleihung erreichte den Präsidenten der DFG ein anonymes Schreiben.
    "Dieses anonyme Schreiben, in dem war zu lesen, dass ich den Preis keinesfalls verdienen würde, weil ich ja schwere betrügerische Aktivitäten gemacht hätte und dass mir der Preis deswegen aberkannt werden sollte."
    Den angesehensten deutschen Forschungspreis einer Betrügerin verleihen? Das konnte sich die DFG nicht leisten. Daher kam es zu einer besonders umfangreichen Prüfung durch insgesamt drei Kommissionen.
    "Es hat für uns bedeutet, dass wir sechs Monate lang nur Daten aus dem Keller geholt haben, weil das hatte zur Konsequenz, dass die DFG gesagt hat, wir prüfen nicht nur die eine Arbeit, sondern wir prüfen alle Arbeiten der letzten zehn Jahre."
    Letztlich stellten sich die Vorwürfe als haltlos heraus. Lediglich eine versehentlich vertauschte Abbildung blieb zu beanstanden. Stefanie Dimmeler wurde voll rehabilitiert. Die bittere Erfahrung hat die mittlerweile mit vielen Forschungspreisen ausgezeichnete Professorin vor allem eines gelehrt: Berechtigte Vorwürfe müssen geäußert werden, aber nicht öffentlich und vor allem nicht anonym.
    Grauzone Forschungskultur
    Zu Beginn seiner Karriere als Forschungsfälscher ist Diederik Stapel noch in guter Gesellschaft. Mangelhafte Forschungskultur äußert sich nicht nur in schlechter Betreuung oder hierarchischem Machogebaren.
    Es gibt eine unterschwellige Manipulationsmentalität, die in der Psychologie besonders gut untersucht ist, weil dort viel mit empirischen Studien und Statistik gearbeitet wird. Tatsächlich existiert eine Art akademischer Karriereführer, in dem manipulative Methoden beschrieben und befürwortet werden. Der Cornellforscher Daryl J. Bem hat das entsprechende Kapitel geschrieben.
    "Wie man eine empirische Arbeit schreibt."
    Gleich zu Anfang, unter dem Stichwort "Planung" und "Welchen Artikel sollte man verfassen?", heißt es:
    "Es gibt zwei mögliche Artikel, die man schreiben kann. Erstens den, den man schreiben wollte, als man die Studie plante, oder zweitens den Artikel, der am sinnvollsten erscheint, nachdem man die Ergebnisse gesehen hat. Die beiden stimmen selten überein, und richtig ist Nummer 2."
    Was so harmlos klingt, ist eine unverhohlene Aufforderung zur Manipulation. Ein guter Forschungsplan sollte mit einer Frage beginnen und von einer Forschungshypothese ausgehen. Dann erhebt man die Daten, zum Beispiel in einer Umfrage. Stützen sie die Hypothese nicht, hat man ein negatives Ergebnis. Das wäre das Resultat. Es liest sich aber nicht gut. Also schaut man, welche Hypothese stattdessen von den Ergebnissen gestützt wird und schreibt eine schöne stimmige Forschungsgeschichte darüber. Genau so, meint die Psychologin Heather Fuchs, kämen zahlreiche Veröffentlichungen zumindest in der Psychologie zustande.
    "Wenn man sich wirklich damit beschäftigt, ist es sehr erschreckend, was publiziert wird. Weil man merkt, dass zum Teil Sachen einfach nicht stimmen können, die publiziert werden."
    Die Psychologin hat ein Phänomen untersucht, das sich "Publication Bias" nennt und nur unzureichend mit "Tendenz zum einseitigen Veröffentlichen" übersetzt ist. Dahinter steckt die beobachtbare Tatsache, dass statistisch signifikante Ergebnisse eher veröffentlicht werden als nicht-signifikante. Vereinfacht gesagt funktioniert publication bias wie ein schlechter medizinischer Test, der zu viele falsch positive Resultate produziert.
    "Das haben wir dann gezeigt in der Entscheidungsforschung, dass es Fälle gibt, wo man das ganz klar sehen konnte, dass nur die erwünschten Effekte oder die erwarteten Effekte produziert werden."
    Eine andere beliebte Methode, stimmige Resultate zu erzielen, besteht darin, in ein und derselben Datenerhebung sehr viele Merkmale abzufragen und sich dann die signifikanten herauszusuchen. Also frei nach Daryl Bem: den Artikel Nummer zwo zu schreiben. Als Heather Fuchs in Erfurt vor einigen Jahren an ihrer Doktorarbeit schrieb, wurden die Studenten dort noch mit den Ratschlägen von Daryl Bem groß.
    Es ist den Studenten unter mir beigebracht worden. Und ich wäre nicht überrascht, wenn es dort immer noch unterrichtet wird.
    Der Eisberg
    "Schließlich bekam ich Angst. Ich sah Studenten Doktoranden und Mitarbeiter, die voll Enthusiasmus über ihre Arbeit berichteten, und ich wusste dass die Daten, die Sie präsentierten nichts taugten. Es war kaum auszuhalten."
    Diederik Stapels Verweis auf Kollegen, die seine Daten ungefragt übernahmen und damit weiterforschten, weist auf ein größeres Problem jeden Forschungsbetrugs hin. Die Untersuchungskommission stieß im Fall Stapel auf 70 Sozialpsychologen, die die Ungereimtheiten in Stapels Arbeiten anscheinend nicht bemerkt hatten. Der Abschlussbericht konstatiert:
    "Es ist geradezu undenkbar, dass Koautoren die Daten intensiv analysierten oder dass Gutachter internationaler "führender Journale" die angeblich Experten ihres Fach sein sollten, nicht bemerkt haben könnten, dass die beschriebenen Experimente praktisch nicht durchführbar gewesen sind."
    Sind Wissenschaftler zu gutgläubig und vertrauensselig? Unterschätzen Sie die kriminelle Energie innerhalb ihrer Gemeinschaft? DFG-Chefin Dorothee Dzwonnek räumt ein, ...
    "..., dass es eine Dunkelziffer gibt, und dass die Dunkelziffer natürlich auch bei unseren vielen Anträgen größer ist vielleicht als 10 Prozent des mir vorliegenden Materials, das glaube ich auch. Aber damit muss man einfach arbeiten."
    Vor dem tatsächlichen Ausmaß wissenschaftlichen Fehlverhaltens scheint die Forschergemeinde aber die Augen zu verschließen, trotz einschlägiger Studien.
    Die jüngste Metaanalyse stammt aus dem Jahr 2009. In ihr gaben im Schnitt zwei Prozent der befragten Forscher zu, selbst schon einen gravierenden Forschungsbetrug begangen, nämlich Daten erfunden, gefälscht oder verändert zu haben.
    An die 34 Prozent räumen andere fragwürdige Praktiken ein und 14 Prozent wissen von Kollegen, dass diese ernsthaft gefälscht haben.
    Kenntnis von fragwürdigen Praktiken ihrer Kollegen hatten je nach Studie bis zu drei Viertel der Befragten.
    Das Ausmaß wissenschaftlicher Unredlichkeit ist auch der Fülle zurückgezogener Veröffentlichungen zu entnehmen. Die meisten würden aufgrund kleiner Irrtümer und Nachlässigkeiten aus dem Verkehr gezogen, lautet ein verbreitetes Vorurteil. Dem macht eine Untersuchung aus dem Jahr 2011 den Garaus. Danach gehen drei Viertel der besagten Arbeiten auf das Konto bewusster Fälschung und Täuschung.
    "Das ist überhaupt nicht harmlos."
    Damit meint Wolfgang Löwer hohe Kosten für falsche Ergebnisse. Und unnötige Forschung, die auf den falschen Ergebnissen aufbaut. Schäden also am Elfenbeinturm selbst. Doch dabei bleibt es nicht.
    Wir haben ja auch einen Fall in Ludwigshafen gehabt, wo ein Anästhesist etwa 120 Beiträge publiziert hat, gerade solche Wirksamkeitsstudien, wann welches Anästhetikum besonders sinnvoll einzusetzen ist, da waren jeweils drei Probandengruppen, eine reale, dann die mit den Placebos behandelten, und eine nicht existente, die einfach erfunden worden war, und außerdem fehlten in mindestens 80 dieser Fälle die Einwilligung der Ethikkommission, und weitere Fälschungen, so was kommt vor natürlich.
    Der Ermittler nennt keine Namen. Aber unschwer erkennt man den Fall des Anästhesisten Joachim Boldt, der bis 2011 am Klinikum Ludwigshafen arbeitete.
    In seinen Studien hatte sich Boldt unter anderem auch für den Blutersatzstoff HES besonders stark gemacht.
    Eine Metaanalyse im Jahr 2013 zeigte, dass die Bewertung des Stoffs unter dem Strich nur dann positiv ausfällt, wenn auch die gefälschten Arbeiten von Joachim Boldt mitberücksichtigt werden. Lässt man diese weg, überwiegen die Risiken.
    Auch in anderen Fächern haben Fälschungen und unsauberes Arbeiten nachhaltige Folgen.
    Legenden zum Beispiel, die sich trotz Korrektur hartnäckig halten. Zum Beispiel, dass die Menopause Frauen schneller altern lasse, oder die Masernimpfung Autismus auslöse. Oder genmanipulierter Mais Krebs fördere. Oder, oder, oder. Immer haben die Belege zumindest gravierende Mängel oder sind sogar gefälscht.
    Auswege
    "Kann das Selbstreinigungssystem der Wissenschaft wirklich mit einem derart ernsthaften Verstoß gegen die wissenschaftliche Integrität umgehen?"
    Fragt der gemeinsame Bericht der Untersuchungskommissionen im Fall Stapel im Vorwort. Die Frage steht im Raum. Kritiker beantworten sie wie Christoph Berndt vom Fakultätspersonalrat der Charité: Externe Kontrollgremien müssen her, im schlimmsten, weil aufwendigsten Fall eine Bundesbehörde. Ein Punktesystem wie in Flensburg, Stichprobenkontrollen, Radarfallen für forsche Fälscher. Nachwuchswissenschaftlerin Heather Fuchs stimmt Berndt schweren Herzens zu.
    "Ich finde es ehrlich gesagt notwendig. Auch wenn viele Kollegen sagen würden, oh Gott, nee. Diese Selbstkontrolle in der Wissenschaft funktioniert nicht, weil man nur Geld bekommt, wenn man gute Sachen produziert. Und gut heißt nicht wissenschaftlich, sondern spannend."
    Und damit nicht selten: manipuliert. Das System hält dagegen. Dorothee Dzwonnek, Generalsekretärin der DFG:
    "Da kann diese Behörde zum Beispiel nicht viel helfen. Da müsste man schon fachlich hoch qualifizierte Leute, die in allen experimentellen Verfahren bewandert sind, dort einstellen. Das kann ich mir ehrlich gesagt nicht vorstellen."
    Auch über die Rolle der Medien herrscht Uneinigkeit. Mediale Begleitung von Untersuchungen sehen die meisten Vertreter der Selbstkontrolle nicht gern, zuweilen sogar als Eingriff oder gar Angriff auf ihre grundgesetzlich verbürgte Freiheit.
    "Da setzt sich eine Gruppe von Priestern hin und sagt, wir sind die Einzigen, die über den Wert oder Unwert von Arbeiten entscheiden können. Wir machen das aber nur hinter verschlossenen Türen. Das ist nicht akzeptabel, weil es wirklich um öffentliches Geld geht und weil es um Publikationen geht, und ich denke da hat die Öffentlichkeit, auch die wissenschaftliche Öffentlichkeit ein Recht zu erfahren, was ist da los, was habt ihr untersucht, warum kommt ihr zu welchem Ergebnis?"
    Auch innerhalb der Wissenschaft mehren sich Stimmen, die für mehr Transparenz, mehr Aufrichtigkeit und ehrliche, wenn auch zuweilen glanzlose Forschung eintreten. Dafür, dass auch Negativresultate veröffentlicht werden, dass es Geld für Wiederholungsstudien gibt, dass Rohdaten jedem Interessierten zur Verfügung stehen. Es gibt Gruppen wie das Open Science Framework, die sich selbst strenge Publikationsregeln gegeben haben. Heather Fuchs ist dort Mitglied. Jeder kann es werden.
    "Ich werd lieber eine gute Wissenschaftlerin als erfolgreich als schlechter Wissenschaftler."