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Fälschungsskandal beim "Spiegel"
"Blind für diverse Warnsignale"

Der "Spiegel" hat den Abschlussbericht zur Causa Relotius veröffentlicht. Doch für das Politikmagazin ist der Fall noch längst nicht vorbei. Ob der "Spiegel" wirklich die entscheidenden Lektionen lernt, müsse er erst noch beweisen, sagte Medienjournalist Stefan Niggemeier im Dlf.

Stefan Niggemeier im Gespräch mit Isabelle Klein / Text von Christoph Sterz |
    24.05.2019, Hamburg: Der Abschlussbericht zur Fälschungsaffäre Relotius liegt während der Präsentation auf einem Tisch im Verlagsgebäude. Gut fünf Monate nach Bekanntwerden des Fälschungsfalls um den Reporter Claas Relotius hat der «Spiegel» einen Abschlussbericht zu der Affäre vorgelegt. Der «Spiegel»-Verlag in Hamburg hatte die Fälschungen im Dezember 2018 öffentlich gemacht. Dem «Spiegel» zufolge waren seit 2011 rund 60 Texte im Heft und bei «Spiegel Online» erschienen, die der Journalist geschrieben hat oder an denen er beteiligt war. Darin hatte Relotius zum Teil Protagonisten und Szenen erfunden.. Foto: Marcus Brandt/dpa | Verwendung weltweit
    Der "Spiegel" hat einen Abschlussbericht zur Relotius-Affäre vorgelegt (picture alliance / Marcus Brandt)
    Ganz hinten im Heft, noch nach den Leserbriefen, wird es im aktuellen "Spiegel" besonders interessant: Auf 17 Seiten ist der Abschlussbericht einer Kommission zu lesen, die sich mit dem Fälschungsskandal um den ehemaligen eigenen Reporter Claas Relotius befasst hat. Die zunächst dreiköpfige Kommission hat den Fall untersucht und überprüft, wie er es mit seinen Fälschungen überhaupt ins Blatt geschafft hat.
    "Es wurden keine Hinweise darauf gefunden, dass jemand im Haus von den Fälschungen wusste, sie deckte oder gar an ihnen beteiligt war", schreiben dazu Chefredakteur Steffen Klusmann und Verlags-Geschäftsführer Thomas Hass. Der "Spiegel" habe sich aber von Relotius einwickeln lassen und zu viele Fehler gemacht.
    Geblendet von Relotius
    Nach Ansicht des Medienjournalisten und ehemaligen "Spiegel"-Autors Stefan Niggemeier zeigt der Bericht, "wie sehr die entscheidenden Leute im Grunde wirklich verliebt gewesen sein müssen in diesen Relotius und seine Geschichten". Dadurch seien die entscheidenden Personen "wirklich blind für diverse Warnsignale gewesen", sagte Niggemeier im Gespräch mit @mediasres.
    Stefan Niggemeier
    Stefan Niggemeier hat von 2011 bis 2013 selbst fest für den "Spiegel" geschrieben, seitdem arbeitet er als freier Medienjournalist. (dpa / picture alliance / DB/Leif-H. Piechowski)
    Die vom "Spiegel" eingesetzte Kommission bestätigt in ihrem Bericht zwar, dass Relotius ein "Einzeltäter" sei. Der Text wirft allerdings auch ein grundsätzlich schlechtes Licht auf die internen Abläufe des Magazins.
    Schwieriger Umgang mit Fehlern
    "Die Kritik- und Fehlerkultur im Haus" sei etwa "nicht sehr ausgeprägt", heißt es beispielsweise. Auch habe ein Mitarbeiter der Dokumentation, also der hausinternen Faktenchecker, geschildert, "dass 'nicht selten' kurz vor Druck Fakten vom Dokumentar so hingebogen werden sollen, dass ein Text 'gerade eben nicht mehr falsch ist', um eine These zu retten, die in einer Konferenz vorgestellt wurde". Zudem habe die Kommission "etliche Hinweise erhalten (…), dass manche 'Spiegel'-Kollegen in ihren Texten nicht immer journalistisch korrekt arbeiten".
    Aus diesem Grund meint Medienjournalist Niggemeier, dass sich an der Unternehmenskultur "wirklich sehr viel verändern" müsse. "Das muss der 'Spiegel' erst noch beweisen, dass er da seine Lektionen lernt."
    Neue Regeln für den "Spiegel"
    Der "Spiegel" kündigte an, eine unabhängige Ombudsstelle einzurichten, "die etwaigen Hinweisen auf Ungereimtheiten nachgehen soll". Außerdem arbeiteten aktuell drei Teams an einem "neuen journalistischen Regelwerk für unsere Marke".
    Dementsprechend könnten sich die Betrügereien von Relotius nach Ansicht von Geschäftsführer Hass und Chefredakteur Klusmann "rückblickend betrachtet vielleicht als heilsamer Schock" herausstellen.