Der Verkehr ist kein Monster mehr. Die Protzerei mit 8 Zylindern, die egal wie viel Sprit brauchen, ist seit Jahrzehnten vorbei. Das Auto hat als Statussymbol ausgedient. Züge und Busse werden immer beliebter, Car- und Bike-Sharing hat Zuwachs. Und die europäische Luftfahrt praktiziert erfolgreich das "City Hopping zu Taxi-Preisen". Udo Becker, Leiter des Lehrstuhls für Verkehrsökologie an der TU Dresden:
"Eigentlich wollen wir wenig Verkehr, immer unter der Bedingung: Viel Mobilität gesichert."
Und trotzdem ist der Verkehr mehr Monster denn je. Er nimmt weiter zu. Hier an dieser verhältnismäßig zahmen Ausfallstraße einer deutschen Großstadt nachmittags um 4 schieben sich vierzylindrige Treibhausgasproduzenten an einer Großbaustelle vorbei aus dem Citybereich hinaus. Viele haben Abstandsradarsensoren eingebaut und fahren besonders flüssig. Immer mehr Fahrer haben in ihrem "Entertainment"-System Zugang zum Internet. Die 60, 70 Minuten, die sie täglich typischerweise in ihren aufprallsicheren Katalysator-gedrosselten Benzinschleudern verbringen, um typischerweise 12 Kilometer zurückzulegen, werden ihnen zusätzlich durch Sitzheizung und Surround-Sound versüßt. Becker:
"Die Befriedigung von Mobilitätsbedürfnissen, die ist ein Menschenrecht. Leben ist ohne Mobilität überhaupt nicht vorstellbar. Und diese Mobilität müssen wir heute und morgen garantieren."
Ich sehe, nach vielleicht 100 vorbeigefahrenen Autos das erste Hybridauto.Aber von der Elektromobilitätsinitiative der Bundesregierung ist sehr wenig zu sehen – und zu hören. Man hört sowieso kaum mehr Motoren, nur Reifen. Becker:
"Wir müssen nicht Parkplätze oder besonders viel Autoabsatz garantieren."
Wie diese Straße und dieser Verkehr morgen und in fünf Jahren aussehen wird, können wir uns vorstellen, nämlich im Prinzip genauso. Nur der Sprit wird teurer sein. Vielleicht werden die ersten sagen: Das kann ich mir nicht mehr leisten, drei Euro pro Liter. Oder 200 Euro pro Tankfüllung. Und andere: Den Ladestrom für mein neu gekauftes Elektroauto kann ich mir auch nicht mehr leisten. Aber wir fahren seit 100 Jahren auf Straßen, also werden wir noch eine Weile weiter auf Straßen fahren. Die Menschen auf anderen Kontinenten, in Fernost, in Lateinamerika, machen es sowieso. Die Zukunft des Verkehrs entsteht aber hier, in Zentraleuropa, mit Wissenschaftlern in Dresden, Zürich, in Karlsruhe und München, die sich Gedanken über die nächste Legislaturperiode hinaus, vielleicht bis ins Jahr 2050 machen. Becker:
"Wer Verkehr schneller macht, sorgt für mehr Verkehr."
Es ist jetzt früher Abend. Diese kleinstädtische Wohngebiet zeigt, wenn ich mich umsehe, eine Ansammlung von, klar, Häusern, vor allem aber, in Augenhöhe, Blech, Blech, Blech. Ungefähr 50 PKW in meinem Blickfeld. Es wird dunkel, alle kommen von der Arbeit nach Hause. In einer langsamen Prozession cruisen PKW durchs Karree, sie alle wollen dasselbe, einen Parkplatz. Hier zum Beispiel ein rotes Auto schwedischer Bauart, es wirkt viel zu groß für dieses enge Viertel, ich sehe es jetzt schon zum fünften Mal herumkurven. Das, was der moderne Motor dieses Fahrzeugs an CO2 weniger verbraucht, pustet er nun, beim Parkplatzsuchen, erst recht in die Luft. Und dieser Fahrer jetzt ist ganz aggressiv, wahrscheinlich weil er schon zehnmal herumgefahren ist. Wir werden in dieser Sendung erfahren, dass in 50 Jahren diese Straße fast autofrei sein wird. Doch fangen wir bescheidener an, bei den sozialen Netzen, wo Menschen Ideen und Gefühle und nun zunehmend auch Autos austauschen: "Car-Sharing". Johanna Kopp, TU München; sie promoviert über neue Car-Sharing-Modelle, ihre Sozialverträglichkeit und Effizienz:
"Ich denke, dass es beim Car Sharing vor allem eine Sache ist, die im Kopf beginnt. In den letzten Jahren waren die Zahlen deutlich steigend, vor allem in Großbritannien. London ist im Moment die Car Sharing-Hauptstadt Europas."
Car Sharing bedeutet, viele Menschen teilen sich ein Auto. In der Regel haben diese Fahrzeuge feste Standplätze in Städten, man wird Mitglied und hat dann Zugriff auf die Autos. Deutschland und die Schweiz fingen vor 20 Jahren damit an. Johanna Kopp von der TU München berichtet von noch größeren Zuwächse bei zwei Car Sharing-Projekten von BMW und Mercedes, wo man den Wagen an beliebigen Stellen in der Stadt anmieten, damit losfahren und ihn an beliebigen Stellen wieder abstellen kann. Vorbild dafür ist das Bike-Sharing, wie es etwa die Deutsche Bahn mit ihrer großen Fahrradflotte Call-a-Bike in einigen Städten und vielen Bahnhöfen betreibt. Das Car Sharing wird im Verkehr der Zukunft sehr wichtig werden, und der Grund dafür liegt tief – und letzten Endes bei den Gefühlen. Udo Becker, Leiter des Lehrstuhls für Verkehrsökologie an der technischen Universität Dresden:
"Alles, was wir zum jetzigen Zeitpunkt wissen, ist, dass die Car Sharing-Nutzer sehr sehr sehr viel weniger fahren als vorher. Alle Indizien, die wir jetzt haben, sagen: Na ja, vorher hatte ich 10.000, 12.000 oder 8000 Kilometer im Jahr; mit Car Sharing sind das im ersten Jahr noch 4000, im zweiten Jahr 3000, dann 2000 Kilometer. Beim Car Sharing-Auto müssen Sie nämlich jede Fahrt "selbst" bezahlen. Sie kriegen jedesmal eine Rechnung: Ich musste nur Milch holen, mit dem Car Sharing-Auto – das waren ja 4,90 Euro fürs Milchholen! Dann überlegen Sie sich sehr sehr schnell: Ja, Sie sind zum Supermarkt auf der grünen Wiese mit dem Car Sharing-Auto gefahren. Dort war die Milch auch wirklich 3 Cent billiger, und Sie haben 4,90 Euro für die Fahrt dahin bezahlt. Das sind übrigens die echten, die tatsächlichen Kosten. Und jetzt denken Sie, ja da kann ich doch meine Milch auch in dem Laden an der Ecke kaufen. De facto sorgt Car Sharing dafür, dass es ein bisschen aufwändiger und vor allem von den Kosten her transparenter wird. Und jetzt überlegen sich Menschen, ob sie das nicht auch anders machen können, und, oh Wunder, sie können! Alle Indizien, die wir heute haben, deuten darauf hin, dass es einen fundamentalen Unterschied gibt: Mein Auto ist bezahlt, und alle Steuern und Versicherungen sind schon abgedeckt, und es steht vor der Tür, und dann nutzen Sie es immer. Oder: Nee, jetzt muss ich mich an meinem Smartphone noch einloggen und gucken, wo das Car Sharing-Auto "Cäsar" steht, und dann krieg ich nachher auch eine Rechnung über diese 4,90 Euro oder 9,80 Euro, und das ist eben doch eine etwas aufwändigere und vor allem kostentransparentere Sache. Zum jetzigen Zeitpunkt – Beweise haben wir nicht – sorgt Car Sharing dafür, dass weniger gefahren wird."
Warum so zaghaft auf Gefühle und Transparenz bauen, wenn man den Verkehr doch schön von oben reglementieren könnte, etwa durch eine noch fettere Besteuerung des Benzins, sodass der Liter ab nächstem Monat europaweit 10 Euro kostet? Becker:
"Sehr ungeschickter Ansatz! Es gab einmal eine Partei, die vor irgendeinem Parteitag gefordert hat: Fünf Mark je Liter Benzin, und in der darauf folgenden Bundestagswahl ist sie sofort aus dem Parlament geflogen, und ich sage sogar: Mit Recht! Es ist kein guter Ansatz, einfach eine Verteuerung des Benzins als Ziel auszugeben. Darum geht es überhaupt nicht."
Schönherr: "Wir wollen fossile Treibstoffe einsparen."
Becker: "Aha, jetzt haben Sie aber ein anderes Ziel! Sie wollen fossile Treibstoffe einsparen, und ich habe jetzt lange darüber geredet, dass Sie in jedem Fall die Mobilität der Menschen erhalten sollen und müssen. Sie könnten ja sehr gut auf die Menschen zugehen und sagen: Wenn ich ins Parlament gewählt würde, kümmere ich mich um Deine Mobilität. Ich will die heute erhalten, und in Zukunft. Du sollst zum Einkaufen und zum Arzt und ins Kino kommen. Ach übrigens: Die will ich auch in der Zukunft erhalten. Was glaubst Du denn, wie das mal in der Zukauft aussehen wird? Glaubst Du denn, Benzin wird mal teuerer oder billiger in der Zukunft? Die Leute wissen, dass Benzin teurer werden wird. Ja, und dann ist mein nächster Satz: Schau mal, ich will dazu beitragen, dass, wenn Benzin mal teurer wird, dass Du es nicht bezahlen musst."
Schönherr: "Oder trotzdem noch an Dein Ziel kommst."
Becker: "Genau, dass man, ohne Benzin kaufen zu müssen, ans Ziel kommt. Und da gibt es viele Möglichkeiten – ein besseres ÖV-System oder Fahrgemeinschaften oder Car Sharing oder Bus und Bahn, oder die Läden wieder in die Nachbarschaft der Menschen bringen."
Wir haben die Stadt verlassen und sind aufs Land gegangen. Wer hier aufs "ÖV-System", den öffentlichen Nahverkehr angewiesen ist, kann lange auf den Bus warten. Der nächste Bus Richtung Stadt fährt laut der Tabelle dort drüben an der sehr trostlos aussehenden Haltestelle in 53 Minuten ab. Hier an der Kreuzung donnern die Fahrzeuge über die 1983 mit großem Tam Tam eröffnete Umgehungsstraße an dem Dorf vorbei. Keiner biegt ins Dorf ein. Wenn ich solche trostlosen Dörfer sehe, fällt mir eine romantische Vision ein: Angenommen, der Verkehr wird zunehmend elektrisch, und die Akkus erlauben nur kleine Reichweiten, wäre es nicht schön für die Fahrer, für das Dorf, für alle, wenn die Elektroautos am Café neben der Kirche Strom tanken könnten, man schlürft einen gepflegten Cappuccino und isst ein Bagel mit Lachs und Frischkäse und fährt zwei Stunden später entspannt weiter? Zu romantisch? Regine Gerike, Juniorprofessorin am Lehrstuhl für Verkehrstechnik der TU München meint: ja.
"Die Lebensqualität im Dorf hängt vor allem davon ab, wie beweglich die Leute sind, die in dem Dorf wohnen, und wie die Personen, die zu dem Dorf wollen, dahin kommen und sich darin bewegen. Und um Menschen beweglich zu machen, um ihnen viele Möglichkeiten für Aktivitäten zu geben, gibt es zwei Möglichkeiten: Ich kann ihnen viele gute Ziele – Schulen, Ärzte, Einkaufsmöglichkeiten, kulturelle Möglichkeiten – nah ansiedeln, oder/und ich kann schneller, komfortabler qualitativ hochwertige Verkehrswege dorthin bauen."
Und Claus Doll, Wirtschaftsingenieur beim Fraunhoferinstitut für System- und Innovationsforschung (ISI) in Karlsruhe, zweifelt den Elektromobilitäts-Hype grundsätzlich an.
"Sie werden auf jeden Fall niedrigere Ladezeiten haben, als man sie heute hat. Das heißt, Sie brauchen keine zwei Stunden im Café zu verbringen, sondern vielleicht eine halbe Stunde. Wir werden in Zukunft sehr viel mehr auf die Umweltbilanz von Verkehrsmitteln und Mobilitätsarten achten müssen, und da wird sich, zumindest aus heutiger Sicht, wenn sich die Produktionsarten nicht komplett ändern, das Bild ergeben, dass gerade die Elektromobilität große Schwierigkeiten hat, da sie einen enormen ökologischen Rucksack mitbringt. Sie müssen für die Batterien und die Leistungselektronik in den Fahrzeugen seltene Metalle, seltene Erden schürfen und verarbeiten, die in den Produktionsländern durch das Auswaschen sehr große ökologische Probleme verursachen, auch viel Energie brauchen, viel Wasser verschmutzen und zu sozialen Schwierigkeiten führen können."
Es wird also nichts aus dem romantischen elektromobilen Kaffeetrinken im Dorf werden. Udo Becker, der Verkehrsökologe in Dresden, hält die Umgehungsstraße eh für ein Auslaufmodell.
"Es gibt die ganzen 'Umgehungsstraßenprogramme' – so ist die offizielle Bezeichnung. Manche sagen, das ist das 'Zentrumsschwächungsprogramm', denn immer, wenn ich um die Dörfer, die Städte und Gemeinden herum eine Straße lege, mach ich natürlich diese Kreuzung mit der Landstraße und der Bundestrasse außerhalb des Ortskerns attraktiv. Manche andere nennen diese Umgehungsstraßen auch 'Zersiedelungsstraßen', weil sie es natürlich fördern, dass man dann noch ein bisschen weiter rauszieht. Man kommt ja schneller vorwärts, dann kann man ja noch weiter rausziehen. Da sehen Sie typische Regelkreise, das ist das Systematische daran: Also, da ist den 1960er Jahren jemand aus der Innenstadt an den Stadtrand gezogen, in ein wunderschönes Einfamilienhaus, aber dann kam auch da viel Verkehr. Dann gab es die 'Ortsumfahrungsstraße', dann ist er noch mal weiter rausgezogen. Ja, jetzt ist auch da schon wieder der Bauboom vorbei, auch da ist sehr viel Verkehr an einer Stelle, wo vorher fast nichts los war, ja da muss der ja noch weiter rausziehen! Immer muss er noch weiter rausziehen, für ein bisschen Ruhe und ungestörtes Leben. Und in Summe produziert man eben für den Rest der Gesellschaft und für alle anderen viel Abgas, viel Lärm, viel Zersiedelung, viel Energieverbrauch. Wir zahlen viel für das Erdöl. Das ist ineffizient!"
Das Ungleichgewicht zwischen ländlichen und städtischen Gebieten bestimmt auch laut Anja Peters die Zukunft des Verkehrs. Sie ist Psychologin am Fraunhoferinstitut für System- und Innovationsforschung in Karlsruhe:
"Also wenn Sie zum Beispiel von schrumpfenden Regionen sprechen, wenn man da feststellen wird, dass man bestimmte Straßen oder Infrastrukturen nicht mehr braucht, dann wird man die zukünftig umwidmen. In schrumpfenden Regionen wird man einfach nicht neue Autobahnausfahrten anbieten, auch den öffentlichen Verkehr nicht auf dem Niveau halten können, wie das heute ist, weil er einfach ökonomisch und ökologisch nicht sinnvoll sein, wenn er nur zwei Leute für eine Busfahrt befördert. Da werden wir uns sicherlich von dem, wie es heute ist, wegbewegen, dass wir für jeden die Dörfer attraktiv halten, so hart das vielleicht klingt."
Doll: "Wir haben in Deutschland ja immer das Bestreben, eine gleichförmige, gleichmäßige Erreichbarkeit aller Regionen zu haben. Das hat man jetzt schon in der Bundesverkehrswegeplanung aufgegeben. Es geht um angemessene Erreichbarkeiten. Und die können auf dem, ich sage es einfach mal so, auf dem platten Land im tiefsten Mecklenburg-Vorpommern ganz anders aussehen als im Kölner Umland. Und dann kann man sagen, es hat auch einen Wert, wenn wir ein größeres naturbelassenes oder unzersiedeltes Gebiet in Deutschland haben, wie im Osten. Sie können sie aber auch im Westen aufbauen."
Nicht nur in der Eifel. Fassen wir zusammen: Elektroautos werden kein Allheilmittel für den Verkehr der Zukunft sein. Dass Menschen immer weiter aus den Städten, in denen sie arbeiten, ins Umland ziehen, bewirkt Übles, nämlich Zersiedelung, es bringt Häuser und CO2-Ausstoß und Lärm dorthin, wo ein Wald war, schneidet Straßen quer durch eigentlich schöne Landschaften. Alle Verkehrsforscher, mit denen ich sprach, sehen die Verkehrsherausforderungen am Land eher in einem Rückbau der Straßen, und erkennen Anzeichen dafür, dass die Städte lebenswerter, die Wege zur Arbeit kürzer und langsamer werden, mit deutlich weniger Autos, mit vielen Fußgängern, Fahrrädern und leicht zugänglichen, häufig fahrenden öffentlichen Verkehrsmitteln. Regine Gerike hält die Langsamkeit für den entscheidenden Punkt: Wer mit dem Fahrrad zur Arbeit fährt, bei jedem Wetter, in wetterfester Kleidung, spürt Lebensqualität und erledigt damit gleichzeitig seinen Sport. Als ich die Verkehrsexpertin traf, kam sie gerade aus einer Vorlesung über statistische Mathematik, in der sie den Studierenden Agentensimulationen für den Verkehr nahe brachte. Ein "Agentensystem" ist ein Computerprogramm, in dem viele relativ einfache Programmteile, die so genannten Agenten, ohne vorher festgelegten Plan handeln. In diesem Fall fahren sie, natürlich virtuell, zur Arbeit und sollen dabei Zeit und Geld sparen – und das in Regine Gerikes Modell möglichst umweltfreundlich.
"In dem Modell sind Agenten enthalten, die Tagespläne haben und versuchen, diese dann umzusetzen und sich dazu in das Verkehrsnetz begeben. Wir wollen die Ursache-Wirkungskette darstellen, von dieser Verkehrsentstehung bis hin zu den Folgen. Und das ist unser Part: Wir modellieren Lärmwirkungen, Treibhausgasemissionen, Energieverbräuche, Luftschadstoffemissionen, dann die Konzentrationen, die daraus folgen, und auch die Kosten, die daraus entstehen, um diese Kosten in dem Modell auch anlasten zu können in dem Modell."
Je mehr Rechenpower man zur Verfügung hat, umso genauer nähern sich Computermodelle der Wirklichkeit des Verkehrs an. In vielen Fällen haben diese Agentensysteme zu verlässlichen Vorhersagen geführt. So haben Informatiker am Institut für Verkehrsplanung und Transportsysteme der ETH Zürich die Auswirkungen eines Straßenbaugroßprojekts im Westen von Zürich simuliert – bevor es fertig war. Seit diese "Westtangente" Ende 2009 in Betrieb ist, stellen sich laut Michael Balmer, der an der Simulation beteiligt war, fast alle vorherberechneten Effekte ein. Das geht bis in Details hinein wie die so genannten Verkehrsdosierungen, also intelligente Ampelsteuerungen, die den Verkehr unmerklich in bestimmten Gebieten abbremsen, ohne große Rückstaus zu erzeugen. Die Ampel ist nur eine von vielen Stellschrauben, wie man den Verkehr flüssiger leiten und aus Wohngebieten fernhalten kann.
Nun ein kleines Experiment: Ich sitze hinten in diesem Auto, und es fährt selbständig. Vielmehr steht es gerade selbständig, es hat selbständig gebremst., ein autonomes Auto, Elektroantrieb, es lenkt und denkt selbst. Und dass es im Moment nicht lenkt, sondern steht, liegt daran, dass hier rechts vor links ist, und dieses Auto mag rechts vor links überhaupt nicht gern. Es kann sich nicht entscheiden. Diese Lücke zum Beispiel, da würde ich locker losfahren. Aber nein, das autonom denkende Auto meint: Nein, ich bleibe hier mal sicherheitshalber stehen. Das geht jetzt schon ein paar Minuten so. Ja, ich kann auch nichts dafür, ihr könnt hinter mir hupen, so viel ihr wollt, ich bin nicht zuständig für dieses Auto, ich sitze hinten und lese eigentlich Zeitung. Also, jetzt könntest du wirklich mal. Also gut ich habe Zeit, bis morgen, ist ja schön warm hier.
So könnte es sich anfühlen, in einem autonom fahrenden Auto. Diese Fahrzeuge gibt es wirklich, aber die Rechtslage verbietet sie in der Praxis. Für Verkehrsforscher spielen sie nur insofern eine Rolle, als die Technik darin zukunftsträchtig ist. Schon jetzt tragen Autos mit Radarsensoren, die den Abstand zu anderen Fahrzeugen "fühlen" und darauf autonom reagieren, also zum Beispiel abbremsen, zu einem flüssigeren Verkehr bei. Das fand Dirk Helbing heraus. Er leitet den Lehrstuhl für Sozialwissenschaften an der ETH Zürich.
"Bereits wenn zehn Prozent der Fahrzeuge mit einem solchen System ausgestattet sind, bringt es eine Verbesserung für den Gesamtverkehr. Bis zu einem gewissen Grade könnte man sich dann auch den Bau zusätzlicher Spuren sparen. Das funktioniert wirklich erstaunlich!"
Helbing setzt auf das aktuelle Lieblingsding der Autoindustrie des immer intelligenteren Fahrzeugs. Die Schlagworte "Car to Car" und "Car to Infrastructure Communication" besagen nichts anderes als, dass die Sensoren und Computertechnik eines Autos mit einem anderen Auto oder mit dem Internet in Verbindung treten. Albrecht Schmidt, Professor für Informatik an der Universität Stuttgart entwickelte dazu folgendes Gedankenexperiment:
"Was würde passieren, wenn die Sensorik, die in einem Fahrzeug ist, alle Daten, die das Fahrzeug aufnimmt, in anonymisierter Weise mitteilt? Sie könnten in Echtzeit, das heißt also zu jeder Minute, zu jeder Sekunde eine Karte der Straße haben, in der Sie vermutlich jedes Schlagloch verzeichnen könnten. Das heißt, mit den Informationen, die alle sammeln, könnte ich eine Karte bauen. Und wir hätten dann irgendwelche großen Algorithmen, die schauen, dass es keine Kollisionen gibt, Fußgänger potenziell warnt und so weiter."
In diesen netten kleinen Themen kann man sich verlieren. Hier noch eine Simulation mit ein paar mehr Agenten, die nun auch Car to Car Communication können, da eine Autobahnfahrspur weniger, statt mehr; hier eine Flughafenanbindung draußen am Acker mehr, dafür den Bahnhof in der City unter die Erde legen; oder nette begrünte Übergänge für Frösche, Rehe und Wanderer, wenn die ICE-Trasse schon ganze Landstriche wie ein Messer durchschneidet. Udo Becker bringt uns zurück aufs Wesentliche:
"Im Verkehr ist das so: Wir haben jetzt wirklich 100 Jahre Erfahrung damit, den Verkehr flüssiger, schneller, bequemer, billiger, attraktiver zu machen. Es soll alles wunderbar rollen, und das ist ja auch wichtig. Aber dummerweise reagieren die Menschen. Wir haben wirklich seit allen Zeiten schon, seit wir Messdaten im Verkehr erheben, immer, immer als Mittelwert die 'dicke Stunde' – ein bisschen mehr als eine Stunde, die alle Menschen täglich unterwegs sind. Wenn es jetzt den Zürcher Forschern gelingen würde, den Verkehr noch mal bisschen zu beschleunigen, würde das in der Realität immer und überall nur bedeuten: Dann fährt man halt noch ein bisschen weiter: 'Ach, ich bin heut’ schneller angekommen, da kann ich noch ins Fitnessstudio irgendwo ins Industriegebiet raus.' Und das bedeutet: Wer Verkehr schneller macht, sorgt für mehr Verkehr. Das ist ökonomisches Grundprinzip. Wenn morgen ein Supermarkt seine Produkte zum halben Preis anbietet, wird er mehr verkaufen. Und wenn ein Verkehr nur noch halb so viel kostet – Zeit oder Geld –, dann wird doppelt so viel gefahren!"
Die Kritik Beckers an kurzfristigen Verkehrsplanungen ist auch deswegen so fundamental, weil er immer vor Augen hat, wie träge das System Verkehr sich verändert. Eine einmal gebaute Autobahn muss nach 30 Jahren ersetzt werden, und sie wird ersetzt werden, auch wenn sie ökologischer Unsinn ist und sich die Gesellschaft die Restaurierung der Autobahn eigentlich nicht leisten kann. Jeder kleine Fehler in der Verkehrsplanung muss langfristig abgebüßt werden.
"Wir wissen sehr genau, wie diese Welt irgendwann einmal aussehen muss, und wir wissen, wie sie aussehen wird. Da können Sie jetzt verschiedene feste Punkte wählen: Unsere Demographie ist ziemlich klar definiert. Wir werden weniger Menschen in Deutschland, wir werden älter werden, selbst wenn es dann noch Zuwanderungen geben sollte. Sie können auch über Klimaschutz reden: Wir werden die CO2-Emissionen senken. Ob wir das früher oder später machen, ist offen. Wenn wir es später machen, muss es umso drastischer sein. Sie können über die Unterhalts-Aufwendungen für unsere Straßen sprechen, auch da ist klar, das kann man einfach nicht mehr bezahlen. Der Unterhalt des bestehenden Netzes wird ja von Jahr zu Jahr teurer werden müssen. Sie können über Energieverfügbarkeit reden – Erdöl; da ist nur die Frage, wann geht es zu den jetzigen Preisen zu Ende, wann wird es richtig teuer, früher oder später? Wenn’s später richtig teuer wird, dann wird’s drastisch richtig teuer. Und dann gibt es natürlich einen Endzustand. Und der Endzustand sieht so aus, dass wir Städte haben, und in denen leben hoffentlich sehr glückliche Menschen, und die Menschen dort haben alle Mobilitätsbedürfnisse abgedeckt. Jawoll! Die kommen zum Einkaufen und mit den Freunden ins Kino und zum Arzt und zur Apotheke – aber sie kommen dahin mit viel weniger Geld und weniger Erdöl und weniger Klimaschäden und weniger Lärm und weniger Abgas und weniger Verkehr."
Die 18jährigen wünschen sich ein Smartphone und kein Auto zum Abi. Gibt doch Car Sharing. Wobei die neuen, Standort-ungebundenen Car Sharing-Dienste ihre Attraktivität nicht zuletzt daraus speisen, dass sie besonders schöne Fahrzeuge anbieten, gepaart mit einem Schuss Zeitgeist und Facebook-Vernetzung. Gefühle spielen überall in der Verkehrsplanung der Zukunft eine wichtige Rolle. Johanna Kopp, die an der TU München gerade über diese neue Form von Car Sharing promoviert, zeigt mir auf ihrem Smartphone im Nu gleich zehn solcher Autos mitten in Schwabing.
"Hier in der Nähe stehen gleich mehrere Fahrzeuge. In der gleichen Straße steht 'Clubman Cäsar'. Die Fahrzeuge haben Namen. 'Rabea' steht auch gleich um die Ecke."
Schönherr: "Wer vergibt die Namen?"
Kopp: "Die können teilweise von den Mitgliedern selber vergeben werden, da gibt’s in regelmäßigen Abständen einen Fotowettbewerb. Es gibt auch 'Bruce'!"
29 Cent pro Minute kosten diese ins Internet funkenden, stets gut betankten wunderschönen Kleinautos, und in Uninähe dauert es oft nur wenige Minuten, nachdem einer einen Wagen abgestellt und sich mit seinem in den Führerschein eingeklebten RFID-Chip ausgecheckt hat, bis der nächste einsteigt. In Facebook liest man dann Geschichten, dass ein Car Sharing-Mitglied einen falsch geparkten Car Sharing-Wagen eben mal für 58 Cent (zwei Minuten) auf eigene Kappe umparkt, und auf der Straße sieht man, dass sich die Fahrer gegenseitig zuwinken.
Die Juniorprofessorin Gerike hat die Promotion in Auftrag gegeben und hält das soziale High-Tech-Klimbim für problematisch, weil dahinter eine Strategie des Autoherstellers zur Kundenbindung steckt. Aber wie viele Car Sharing-Mitglieder sich dann tatsächlich ein Auto wie den schnuckeligen Cäsar oder die Rabea oder den Bruce kaufen und dann wieder extra Verkehr auf die Straßen bringen, muss Johanna Kopps Arbeit erst zeigen. Sie steht ganz am Anfang ihrer Ermittlungen .
"Wenn zehn Autobesitzer ihre Autos verkaufen, um auf Car Sharing, Bahnen und Busse umzusteigen, wäre das ungefähr die Zielmarke, wo wir in 50 Jahren hin müssen. Städte mit 90 Prozent weniger Autos."
Becker: "Wenn Sie die schlimmsten, also wirklich die allerschlimmsten Konsequenzen des Klimawandels vermeiden wollen, dann kommen wir vielleicht dazu, dass der typische Deutsche, der heute noch 5000 oder 6000 Liter Erdöl verbraucht, vielleicht 500 oder 600 verbrauchen darf, also Minimum 90 Prozent weniger. Und das bedeutet auch im Verkehr etwa 90 Prozent weniger. Sie verbrauchen dann nicht mehr 1000 Liter für Ihre ganzen Fahrten, sondern nur noch 100. Und jetzt können Sie sich überlegen, was machen Sie? Die Stadt, die sich jetzt ergibt – die kann man gar nicht im Detail voraussagen, aber man weiß, wie die Menschen reagieren –, die ist zukunftsfähig! Würden wir diese Stadt heute schon ganz allmählich, sanft Stückchen für Stückchen fördern, dann würden wir es uns leichter machen. Und das ist das Ärgerliche: Viel Geld nehmen wir in Deutschland in die Hand, mit viel Geld bauen wir uns eine Welt, die es uns in Zukunft schwieriger macht. Wir zersiedeln, wir ziehen raus, wir sorgen für Megatrucks und noch viel mehr Logistikkonzepte, und, und, und. Das ist genau der Schritt in die falsche Richtung."
Ah, der Pendler mit dem roten schwedischen SUV, der seit zehn Minuten durchs Viertel kreist, scheint einen Parkplatz gefunden zu haben. Denn der Mann eilt jetzt die Straße hoch, seiner Familie entgegen, Hausnummer 12, und die Frau wird wahrscheinlich sagen: "Schatz, du Armer, musstest wieder sooo lange einen Parkplatz suchen!" Morgen früh hat er ein Knöllchen unterm Scheibenwischer, weil der tolle Parkplatz halb in eine Einfahrt hineinragt.
"Eigentlich wollen wir wenig Verkehr, immer unter der Bedingung: Viel Mobilität gesichert."
Und trotzdem ist der Verkehr mehr Monster denn je. Er nimmt weiter zu. Hier an dieser verhältnismäßig zahmen Ausfallstraße einer deutschen Großstadt nachmittags um 4 schieben sich vierzylindrige Treibhausgasproduzenten an einer Großbaustelle vorbei aus dem Citybereich hinaus. Viele haben Abstandsradarsensoren eingebaut und fahren besonders flüssig. Immer mehr Fahrer haben in ihrem "Entertainment"-System Zugang zum Internet. Die 60, 70 Minuten, die sie täglich typischerweise in ihren aufprallsicheren Katalysator-gedrosselten Benzinschleudern verbringen, um typischerweise 12 Kilometer zurückzulegen, werden ihnen zusätzlich durch Sitzheizung und Surround-Sound versüßt. Becker:
"Die Befriedigung von Mobilitätsbedürfnissen, die ist ein Menschenrecht. Leben ist ohne Mobilität überhaupt nicht vorstellbar. Und diese Mobilität müssen wir heute und morgen garantieren."
Ich sehe, nach vielleicht 100 vorbeigefahrenen Autos das erste Hybridauto.Aber von der Elektromobilitätsinitiative der Bundesregierung ist sehr wenig zu sehen – und zu hören. Man hört sowieso kaum mehr Motoren, nur Reifen. Becker:
"Wir müssen nicht Parkplätze oder besonders viel Autoabsatz garantieren."
Wie diese Straße und dieser Verkehr morgen und in fünf Jahren aussehen wird, können wir uns vorstellen, nämlich im Prinzip genauso. Nur der Sprit wird teurer sein. Vielleicht werden die ersten sagen: Das kann ich mir nicht mehr leisten, drei Euro pro Liter. Oder 200 Euro pro Tankfüllung. Und andere: Den Ladestrom für mein neu gekauftes Elektroauto kann ich mir auch nicht mehr leisten. Aber wir fahren seit 100 Jahren auf Straßen, also werden wir noch eine Weile weiter auf Straßen fahren. Die Menschen auf anderen Kontinenten, in Fernost, in Lateinamerika, machen es sowieso. Die Zukunft des Verkehrs entsteht aber hier, in Zentraleuropa, mit Wissenschaftlern in Dresden, Zürich, in Karlsruhe und München, die sich Gedanken über die nächste Legislaturperiode hinaus, vielleicht bis ins Jahr 2050 machen. Becker:
"Wer Verkehr schneller macht, sorgt für mehr Verkehr."
Es ist jetzt früher Abend. Diese kleinstädtische Wohngebiet zeigt, wenn ich mich umsehe, eine Ansammlung von, klar, Häusern, vor allem aber, in Augenhöhe, Blech, Blech, Blech. Ungefähr 50 PKW in meinem Blickfeld. Es wird dunkel, alle kommen von der Arbeit nach Hause. In einer langsamen Prozession cruisen PKW durchs Karree, sie alle wollen dasselbe, einen Parkplatz. Hier zum Beispiel ein rotes Auto schwedischer Bauart, es wirkt viel zu groß für dieses enge Viertel, ich sehe es jetzt schon zum fünften Mal herumkurven. Das, was der moderne Motor dieses Fahrzeugs an CO2 weniger verbraucht, pustet er nun, beim Parkplatzsuchen, erst recht in die Luft. Und dieser Fahrer jetzt ist ganz aggressiv, wahrscheinlich weil er schon zehnmal herumgefahren ist. Wir werden in dieser Sendung erfahren, dass in 50 Jahren diese Straße fast autofrei sein wird. Doch fangen wir bescheidener an, bei den sozialen Netzen, wo Menschen Ideen und Gefühle und nun zunehmend auch Autos austauschen: "Car-Sharing". Johanna Kopp, TU München; sie promoviert über neue Car-Sharing-Modelle, ihre Sozialverträglichkeit und Effizienz:
"Ich denke, dass es beim Car Sharing vor allem eine Sache ist, die im Kopf beginnt. In den letzten Jahren waren die Zahlen deutlich steigend, vor allem in Großbritannien. London ist im Moment die Car Sharing-Hauptstadt Europas."
Car Sharing bedeutet, viele Menschen teilen sich ein Auto. In der Regel haben diese Fahrzeuge feste Standplätze in Städten, man wird Mitglied und hat dann Zugriff auf die Autos. Deutschland und die Schweiz fingen vor 20 Jahren damit an. Johanna Kopp von der TU München berichtet von noch größeren Zuwächse bei zwei Car Sharing-Projekten von BMW und Mercedes, wo man den Wagen an beliebigen Stellen in der Stadt anmieten, damit losfahren und ihn an beliebigen Stellen wieder abstellen kann. Vorbild dafür ist das Bike-Sharing, wie es etwa die Deutsche Bahn mit ihrer großen Fahrradflotte Call-a-Bike in einigen Städten und vielen Bahnhöfen betreibt. Das Car Sharing wird im Verkehr der Zukunft sehr wichtig werden, und der Grund dafür liegt tief – und letzten Endes bei den Gefühlen. Udo Becker, Leiter des Lehrstuhls für Verkehrsökologie an der technischen Universität Dresden:
"Alles, was wir zum jetzigen Zeitpunkt wissen, ist, dass die Car Sharing-Nutzer sehr sehr sehr viel weniger fahren als vorher. Alle Indizien, die wir jetzt haben, sagen: Na ja, vorher hatte ich 10.000, 12.000 oder 8000 Kilometer im Jahr; mit Car Sharing sind das im ersten Jahr noch 4000, im zweiten Jahr 3000, dann 2000 Kilometer. Beim Car Sharing-Auto müssen Sie nämlich jede Fahrt "selbst" bezahlen. Sie kriegen jedesmal eine Rechnung: Ich musste nur Milch holen, mit dem Car Sharing-Auto – das waren ja 4,90 Euro fürs Milchholen! Dann überlegen Sie sich sehr sehr schnell: Ja, Sie sind zum Supermarkt auf der grünen Wiese mit dem Car Sharing-Auto gefahren. Dort war die Milch auch wirklich 3 Cent billiger, und Sie haben 4,90 Euro für die Fahrt dahin bezahlt. Das sind übrigens die echten, die tatsächlichen Kosten. Und jetzt denken Sie, ja da kann ich doch meine Milch auch in dem Laden an der Ecke kaufen. De facto sorgt Car Sharing dafür, dass es ein bisschen aufwändiger und vor allem von den Kosten her transparenter wird. Und jetzt überlegen sich Menschen, ob sie das nicht auch anders machen können, und, oh Wunder, sie können! Alle Indizien, die wir heute haben, deuten darauf hin, dass es einen fundamentalen Unterschied gibt: Mein Auto ist bezahlt, und alle Steuern und Versicherungen sind schon abgedeckt, und es steht vor der Tür, und dann nutzen Sie es immer. Oder: Nee, jetzt muss ich mich an meinem Smartphone noch einloggen und gucken, wo das Car Sharing-Auto "Cäsar" steht, und dann krieg ich nachher auch eine Rechnung über diese 4,90 Euro oder 9,80 Euro, und das ist eben doch eine etwas aufwändigere und vor allem kostentransparentere Sache. Zum jetzigen Zeitpunkt – Beweise haben wir nicht – sorgt Car Sharing dafür, dass weniger gefahren wird."
Warum so zaghaft auf Gefühle und Transparenz bauen, wenn man den Verkehr doch schön von oben reglementieren könnte, etwa durch eine noch fettere Besteuerung des Benzins, sodass der Liter ab nächstem Monat europaweit 10 Euro kostet? Becker:
"Sehr ungeschickter Ansatz! Es gab einmal eine Partei, die vor irgendeinem Parteitag gefordert hat: Fünf Mark je Liter Benzin, und in der darauf folgenden Bundestagswahl ist sie sofort aus dem Parlament geflogen, und ich sage sogar: Mit Recht! Es ist kein guter Ansatz, einfach eine Verteuerung des Benzins als Ziel auszugeben. Darum geht es überhaupt nicht."
Schönherr: "Wir wollen fossile Treibstoffe einsparen."
Becker: "Aha, jetzt haben Sie aber ein anderes Ziel! Sie wollen fossile Treibstoffe einsparen, und ich habe jetzt lange darüber geredet, dass Sie in jedem Fall die Mobilität der Menschen erhalten sollen und müssen. Sie könnten ja sehr gut auf die Menschen zugehen und sagen: Wenn ich ins Parlament gewählt würde, kümmere ich mich um Deine Mobilität. Ich will die heute erhalten, und in Zukunft. Du sollst zum Einkaufen und zum Arzt und ins Kino kommen. Ach übrigens: Die will ich auch in der Zukunft erhalten. Was glaubst Du denn, wie das mal in der Zukauft aussehen wird? Glaubst Du denn, Benzin wird mal teuerer oder billiger in der Zukunft? Die Leute wissen, dass Benzin teurer werden wird. Ja, und dann ist mein nächster Satz: Schau mal, ich will dazu beitragen, dass, wenn Benzin mal teurer wird, dass Du es nicht bezahlen musst."
Schönherr: "Oder trotzdem noch an Dein Ziel kommst."
Becker: "Genau, dass man, ohne Benzin kaufen zu müssen, ans Ziel kommt. Und da gibt es viele Möglichkeiten – ein besseres ÖV-System oder Fahrgemeinschaften oder Car Sharing oder Bus und Bahn, oder die Läden wieder in die Nachbarschaft der Menschen bringen."
Wir haben die Stadt verlassen und sind aufs Land gegangen. Wer hier aufs "ÖV-System", den öffentlichen Nahverkehr angewiesen ist, kann lange auf den Bus warten. Der nächste Bus Richtung Stadt fährt laut der Tabelle dort drüben an der sehr trostlos aussehenden Haltestelle in 53 Minuten ab. Hier an der Kreuzung donnern die Fahrzeuge über die 1983 mit großem Tam Tam eröffnete Umgehungsstraße an dem Dorf vorbei. Keiner biegt ins Dorf ein. Wenn ich solche trostlosen Dörfer sehe, fällt mir eine romantische Vision ein: Angenommen, der Verkehr wird zunehmend elektrisch, und die Akkus erlauben nur kleine Reichweiten, wäre es nicht schön für die Fahrer, für das Dorf, für alle, wenn die Elektroautos am Café neben der Kirche Strom tanken könnten, man schlürft einen gepflegten Cappuccino und isst ein Bagel mit Lachs und Frischkäse und fährt zwei Stunden später entspannt weiter? Zu romantisch? Regine Gerike, Juniorprofessorin am Lehrstuhl für Verkehrstechnik der TU München meint: ja.
"Die Lebensqualität im Dorf hängt vor allem davon ab, wie beweglich die Leute sind, die in dem Dorf wohnen, und wie die Personen, die zu dem Dorf wollen, dahin kommen und sich darin bewegen. Und um Menschen beweglich zu machen, um ihnen viele Möglichkeiten für Aktivitäten zu geben, gibt es zwei Möglichkeiten: Ich kann ihnen viele gute Ziele – Schulen, Ärzte, Einkaufsmöglichkeiten, kulturelle Möglichkeiten – nah ansiedeln, oder/und ich kann schneller, komfortabler qualitativ hochwertige Verkehrswege dorthin bauen."
Und Claus Doll, Wirtschaftsingenieur beim Fraunhoferinstitut für System- und Innovationsforschung (ISI) in Karlsruhe, zweifelt den Elektromobilitäts-Hype grundsätzlich an.
"Sie werden auf jeden Fall niedrigere Ladezeiten haben, als man sie heute hat. Das heißt, Sie brauchen keine zwei Stunden im Café zu verbringen, sondern vielleicht eine halbe Stunde. Wir werden in Zukunft sehr viel mehr auf die Umweltbilanz von Verkehrsmitteln und Mobilitätsarten achten müssen, und da wird sich, zumindest aus heutiger Sicht, wenn sich die Produktionsarten nicht komplett ändern, das Bild ergeben, dass gerade die Elektromobilität große Schwierigkeiten hat, da sie einen enormen ökologischen Rucksack mitbringt. Sie müssen für die Batterien und die Leistungselektronik in den Fahrzeugen seltene Metalle, seltene Erden schürfen und verarbeiten, die in den Produktionsländern durch das Auswaschen sehr große ökologische Probleme verursachen, auch viel Energie brauchen, viel Wasser verschmutzen und zu sozialen Schwierigkeiten führen können."
Es wird also nichts aus dem romantischen elektromobilen Kaffeetrinken im Dorf werden. Udo Becker, der Verkehrsökologe in Dresden, hält die Umgehungsstraße eh für ein Auslaufmodell.
"Es gibt die ganzen 'Umgehungsstraßenprogramme' – so ist die offizielle Bezeichnung. Manche sagen, das ist das 'Zentrumsschwächungsprogramm', denn immer, wenn ich um die Dörfer, die Städte und Gemeinden herum eine Straße lege, mach ich natürlich diese Kreuzung mit der Landstraße und der Bundestrasse außerhalb des Ortskerns attraktiv. Manche andere nennen diese Umgehungsstraßen auch 'Zersiedelungsstraßen', weil sie es natürlich fördern, dass man dann noch ein bisschen weiter rauszieht. Man kommt ja schneller vorwärts, dann kann man ja noch weiter rausziehen. Da sehen Sie typische Regelkreise, das ist das Systematische daran: Also, da ist den 1960er Jahren jemand aus der Innenstadt an den Stadtrand gezogen, in ein wunderschönes Einfamilienhaus, aber dann kam auch da viel Verkehr. Dann gab es die 'Ortsumfahrungsstraße', dann ist er noch mal weiter rausgezogen. Ja, jetzt ist auch da schon wieder der Bauboom vorbei, auch da ist sehr viel Verkehr an einer Stelle, wo vorher fast nichts los war, ja da muss der ja noch weiter rausziehen! Immer muss er noch weiter rausziehen, für ein bisschen Ruhe und ungestörtes Leben. Und in Summe produziert man eben für den Rest der Gesellschaft und für alle anderen viel Abgas, viel Lärm, viel Zersiedelung, viel Energieverbrauch. Wir zahlen viel für das Erdöl. Das ist ineffizient!"
Das Ungleichgewicht zwischen ländlichen und städtischen Gebieten bestimmt auch laut Anja Peters die Zukunft des Verkehrs. Sie ist Psychologin am Fraunhoferinstitut für System- und Innovationsforschung in Karlsruhe:
"Also wenn Sie zum Beispiel von schrumpfenden Regionen sprechen, wenn man da feststellen wird, dass man bestimmte Straßen oder Infrastrukturen nicht mehr braucht, dann wird man die zukünftig umwidmen. In schrumpfenden Regionen wird man einfach nicht neue Autobahnausfahrten anbieten, auch den öffentlichen Verkehr nicht auf dem Niveau halten können, wie das heute ist, weil er einfach ökonomisch und ökologisch nicht sinnvoll sein, wenn er nur zwei Leute für eine Busfahrt befördert. Da werden wir uns sicherlich von dem, wie es heute ist, wegbewegen, dass wir für jeden die Dörfer attraktiv halten, so hart das vielleicht klingt."
Doll: "Wir haben in Deutschland ja immer das Bestreben, eine gleichförmige, gleichmäßige Erreichbarkeit aller Regionen zu haben. Das hat man jetzt schon in der Bundesverkehrswegeplanung aufgegeben. Es geht um angemessene Erreichbarkeiten. Und die können auf dem, ich sage es einfach mal so, auf dem platten Land im tiefsten Mecklenburg-Vorpommern ganz anders aussehen als im Kölner Umland. Und dann kann man sagen, es hat auch einen Wert, wenn wir ein größeres naturbelassenes oder unzersiedeltes Gebiet in Deutschland haben, wie im Osten. Sie können sie aber auch im Westen aufbauen."
Nicht nur in der Eifel. Fassen wir zusammen: Elektroautos werden kein Allheilmittel für den Verkehr der Zukunft sein. Dass Menschen immer weiter aus den Städten, in denen sie arbeiten, ins Umland ziehen, bewirkt Übles, nämlich Zersiedelung, es bringt Häuser und CO2-Ausstoß und Lärm dorthin, wo ein Wald war, schneidet Straßen quer durch eigentlich schöne Landschaften. Alle Verkehrsforscher, mit denen ich sprach, sehen die Verkehrsherausforderungen am Land eher in einem Rückbau der Straßen, und erkennen Anzeichen dafür, dass die Städte lebenswerter, die Wege zur Arbeit kürzer und langsamer werden, mit deutlich weniger Autos, mit vielen Fußgängern, Fahrrädern und leicht zugänglichen, häufig fahrenden öffentlichen Verkehrsmitteln. Regine Gerike hält die Langsamkeit für den entscheidenden Punkt: Wer mit dem Fahrrad zur Arbeit fährt, bei jedem Wetter, in wetterfester Kleidung, spürt Lebensqualität und erledigt damit gleichzeitig seinen Sport. Als ich die Verkehrsexpertin traf, kam sie gerade aus einer Vorlesung über statistische Mathematik, in der sie den Studierenden Agentensimulationen für den Verkehr nahe brachte. Ein "Agentensystem" ist ein Computerprogramm, in dem viele relativ einfache Programmteile, die so genannten Agenten, ohne vorher festgelegten Plan handeln. In diesem Fall fahren sie, natürlich virtuell, zur Arbeit und sollen dabei Zeit und Geld sparen – und das in Regine Gerikes Modell möglichst umweltfreundlich.
"In dem Modell sind Agenten enthalten, die Tagespläne haben und versuchen, diese dann umzusetzen und sich dazu in das Verkehrsnetz begeben. Wir wollen die Ursache-Wirkungskette darstellen, von dieser Verkehrsentstehung bis hin zu den Folgen. Und das ist unser Part: Wir modellieren Lärmwirkungen, Treibhausgasemissionen, Energieverbräuche, Luftschadstoffemissionen, dann die Konzentrationen, die daraus folgen, und auch die Kosten, die daraus entstehen, um diese Kosten in dem Modell auch anlasten zu können in dem Modell."
Je mehr Rechenpower man zur Verfügung hat, umso genauer nähern sich Computermodelle der Wirklichkeit des Verkehrs an. In vielen Fällen haben diese Agentensysteme zu verlässlichen Vorhersagen geführt. So haben Informatiker am Institut für Verkehrsplanung und Transportsysteme der ETH Zürich die Auswirkungen eines Straßenbaugroßprojekts im Westen von Zürich simuliert – bevor es fertig war. Seit diese "Westtangente" Ende 2009 in Betrieb ist, stellen sich laut Michael Balmer, der an der Simulation beteiligt war, fast alle vorherberechneten Effekte ein. Das geht bis in Details hinein wie die so genannten Verkehrsdosierungen, also intelligente Ampelsteuerungen, die den Verkehr unmerklich in bestimmten Gebieten abbremsen, ohne große Rückstaus zu erzeugen. Die Ampel ist nur eine von vielen Stellschrauben, wie man den Verkehr flüssiger leiten und aus Wohngebieten fernhalten kann.
Nun ein kleines Experiment: Ich sitze hinten in diesem Auto, und es fährt selbständig. Vielmehr steht es gerade selbständig, es hat selbständig gebremst., ein autonomes Auto, Elektroantrieb, es lenkt und denkt selbst. Und dass es im Moment nicht lenkt, sondern steht, liegt daran, dass hier rechts vor links ist, und dieses Auto mag rechts vor links überhaupt nicht gern. Es kann sich nicht entscheiden. Diese Lücke zum Beispiel, da würde ich locker losfahren. Aber nein, das autonom denkende Auto meint: Nein, ich bleibe hier mal sicherheitshalber stehen. Das geht jetzt schon ein paar Minuten so. Ja, ich kann auch nichts dafür, ihr könnt hinter mir hupen, so viel ihr wollt, ich bin nicht zuständig für dieses Auto, ich sitze hinten und lese eigentlich Zeitung. Also, jetzt könntest du wirklich mal. Also gut ich habe Zeit, bis morgen, ist ja schön warm hier.
So könnte es sich anfühlen, in einem autonom fahrenden Auto. Diese Fahrzeuge gibt es wirklich, aber die Rechtslage verbietet sie in der Praxis. Für Verkehrsforscher spielen sie nur insofern eine Rolle, als die Technik darin zukunftsträchtig ist. Schon jetzt tragen Autos mit Radarsensoren, die den Abstand zu anderen Fahrzeugen "fühlen" und darauf autonom reagieren, also zum Beispiel abbremsen, zu einem flüssigeren Verkehr bei. Das fand Dirk Helbing heraus. Er leitet den Lehrstuhl für Sozialwissenschaften an der ETH Zürich.
"Bereits wenn zehn Prozent der Fahrzeuge mit einem solchen System ausgestattet sind, bringt es eine Verbesserung für den Gesamtverkehr. Bis zu einem gewissen Grade könnte man sich dann auch den Bau zusätzlicher Spuren sparen. Das funktioniert wirklich erstaunlich!"
Helbing setzt auf das aktuelle Lieblingsding der Autoindustrie des immer intelligenteren Fahrzeugs. Die Schlagworte "Car to Car" und "Car to Infrastructure Communication" besagen nichts anderes als, dass die Sensoren und Computertechnik eines Autos mit einem anderen Auto oder mit dem Internet in Verbindung treten. Albrecht Schmidt, Professor für Informatik an der Universität Stuttgart entwickelte dazu folgendes Gedankenexperiment:
"Was würde passieren, wenn die Sensorik, die in einem Fahrzeug ist, alle Daten, die das Fahrzeug aufnimmt, in anonymisierter Weise mitteilt? Sie könnten in Echtzeit, das heißt also zu jeder Minute, zu jeder Sekunde eine Karte der Straße haben, in der Sie vermutlich jedes Schlagloch verzeichnen könnten. Das heißt, mit den Informationen, die alle sammeln, könnte ich eine Karte bauen. Und wir hätten dann irgendwelche großen Algorithmen, die schauen, dass es keine Kollisionen gibt, Fußgänger potenziell warnt und so weiter."
In diesen netten kleinen Themen kann man sich verlieren. Hier noch eine Simulation mit ein paar mehr Agenten, die nun auch Car to Car Communication können, da eine Autobahnfahrspur weniger, statt mehr; hier eine Flughafenanbindung draußen am Acker mehr, dafür den Bahnhof in der City unter die Erde legen; oder nette begrünte Übergänge für Frösche, Rehe und Wanderer, wenn die ICE-Trasse schon ganze Landstriche wie ein Messer durchschneidet. Udo Becker bringt uns zurück aufs Wesentliche:
"Im Verkehr ist das so: Wir haben jetzt wirklich 100 Jahre Erfahrung damit, den Verkehr flüssiger, schneller, bequemer, billiger, attraktiver zu machen. Es soll alles wunderbar rollen, und das ist ja auch wichtig. Aber dummerweise reagieren die Menschen. Wir haben wirklich seit allen Zeiten schon, seit wir Messdaten im Verkehr erheben, immer, immer als Mittelwert die 'dicke Stunde' – ein bisschen mehr als eine Stunde, die alle Menschen täglich unterwegs sind. Wenn es jetzt den Zürcher Forschern gelingen würde, den Verkehr noch mal bisschen zu beschleunigen, würde das in der Realität immer und überall nur bedeuten: Dann fährt man halt noch ein bisschen weiter: 'Ach, ich bin heut’ schneller angekommen, da kann ich noch ins Fitnessstudio irgendwo ins Industriegebiet raus.' Und das bedeutet: Wer Verkehr schneller macht, sorgt für mehr Verkehr. Das ist ökonomisches Grundprinzip. Wenn morgen ein Supermarkt seine Produkte zum halben Preis anbietet, wird er mehr verkaufen. Und wenn ein Verkehr nur noch halb so viel kostet – Zeit oder Geld –, dann wird doppelt so viel gefahren!"
Die Kritik Beckers an kurzfristigen Verkehrsplanungen ist auch deswegen so fundamental, weil er immer vor Augen hat, wie träge das System Verkehr sich verändert. Eine einmal gebaute Autobahn muss nach 30 Jahren ersetzt werden, und sie wird ersetzt werden, auch wenn sie ökologischer Unsinn ist und sich die Gesellschaft die Restaurierung der Autobahn eigentlich nicht leisten kann. Jeder kleine Fehler in der Verkehrsplanung muss langfristig abgebüßt werden.
"Wir wissen sehr genau, wie diese Welt irgendwann einmal aussehen muss, und wir wissen, wie sie aussehen wird. Da können Sie jetzt verschiedene feste Punkte wählen: Unsere Demographie ist ziemlich klar definiert. Wir werden weniger Menschen in Deutschland, wir werden älter werden, selbst wenn es dann noch Zuwanderungen geben sollte. Sie können auch über Klimaschutz reden: Wir werden die CO2-Emissionen senken. Ob wir das früher oder später machen, ist offen. Wenn wir es später machen, muss es umso drastischer sein. Sie können über die Unterhalts-Aufwendungen für unsere Straßen sprechen, auch da ist klar, das kann man einfach nicht mehr bezahlen. Der Unterhalt des bestehenden Netzes wird ja von Jahr zu Jahr teurer werden müssen. Sie können über Energieverfügbarkeit reden – Erdöl; da ist nur die Frage, wann geht es zu den jetzigen Preisen zu Ende, wann wird es richtig teuer, früher oder später? Wenn’s später richtig teuer wird, dann wird’s drastisch richtig teuer. Und dann gibt es natürlich einen Endzustand. Und der Endzustand sieht so aus, dass wir Städte haben, und in denen leben hoffentlich sehr glückliche Menschen, und die Menschen dort haben alle Mobilitätsbedürfnisse abgedeckt. Jawoll! Die kommen zum Einkaufen und mit den Freunden ins Kino und zum Arzt und zur Apotheke – aber sie kommen dahin mit viel weniger Geld und weniger Erdöl und weniger Klimaschäden und weniger Lärm und weniger Abgas und weniger Verkehr."
Die 18jährigen wünschen sich ein Smartphone und kein Auto zum Abi. Gibt doch Car Sharing. Wobei die neuen, Standort-ungebundenen Car Sharing-Dienste ihre Attraktivität nicht zuletzt daraus speisen, dass sie besonders schöne Fahrzeuge anbieten, gepaart mit einem Schuss Zeitgeist und Facebook-Vernetzung. Gefühle spielen überall in der Verkehrsplanung der Zukunft eine wichtige Rolle. Johanna Kopp, die an der TU München gerade über diese neue Form von Car Sharing promoviert, zeigt mir auf ihrem Smartphone im Nu gleich zehn solcher Autos mitten in Schwabing.
"Hier in der Nähe stehen gleich mehrere Fahrzeuge. In der gleichen Straße steht 'Clubman Cäsar'. Die Fahrzeuge haben Namen. 'Rabea' steht auch gleich um die Ecke."
Schönherr: "Wer vergibt die Namen?"
Kopp: "Die können teilweise von den Mitgliedern selber vergeben werden, da gibt’s in regelmäßigen Abständen einen Fotowettbewerb. Es gibt auch 'Bruce'!"
29 Cent pro Minute kosten diese ins Internet funkenden, stets gut betankten wunderschönen Kleinautos, und in Uninähe dauert es oft nur wenige Minuten, nachdem einer einen Wagen abgestellt und sich mit seinem in den Führerschein eingeklebten RFID-Chip ausgecheckt hat, bis der nächste einsteigt. In Facebook liest man dann Geschichten, dass ein Car Sharing-Mitglied einen falsch geparkten Car Sharing-Wagen eben mal für 58 Cent (zwei Minuten) auf eigene Kappe umparkt, und auf der Straße sieht man, dass sich die Fahrer gegenseitig zuwinken.
Die Juniorprofessorin Gerike hat die Promotion in Auftrag gegeben und hält das soziale High-Tech-Klimbim für problematisch, weil dahinter eine Strategie des Autoherstellers zur Kundenbindung steckt. Aber wie viele Car Sharing-Mitglieder sich dann tatsächlich ein Auto wie den schnuckeligen Cäsar oder die Rabea oder den Bruce kaufen und dann wieder extra Verkehr auf die Straßen bringen, muss Johanna Kopps Arbeit erst zeigen. Sie steht ganz am Anfang ihrer Ermittlungen .
"Wenn zehn Autobesitzer ihre Autos verkaufen, um auf Car Sharing, Bahnen und Busse umzusteigen, wäre das ungefähr die Zielmarke, wo wir in 50 Jahren hin müssen. Städte mit 90 Prozent weniger Autos."
Becker: "Wenn Sie die schlimmsten, also wirklich die allerschlimmsten Konsequenzen des Klimawandels vermeiden wollen, dann kommen wir vielleicht dazu, dass der typische Deutsche, der heute noch 5000 oder 6000 Liter Erdöl verbraucht, vielleicht 500 oder 600 verbrauchen darf, also Minimum 90 Prozent weniger. Und das bedeutet auch im Verkehr etwa 90 Prozent weniger. Sie verbrauchen dann nicht mehr 1000 Liter für Ihre ganzen Fahrten, sondern nur noch 100. Und jetzt können Sie sich überlegen, was machen Sie? Die Stadt, die sich jetzt ergibt – die kann man gar nicht im Detail voraussagen, aber man weiß, wie die Menschen reagieren –, die ist zukunftsfähig! Würden wir diese Stadt heute schon ganz allmählich, sanft Stückchen für Stückchen fördern, dann würden wir es uns leichter machen. Und das ist das Ärgerliche: Viel Geld nehmen wir in Deutschland in die Hand, mit viel Geld bauen wir uns eine Welt, die es uns in Zukunft schwieriger macht. Wir zersiedeln, wir ziehen raus, wir sorgen für Megatrucks und noch viel mehr Logistikkonzepte, und, und, und. Das ist genau der Schritt in die falsche Richtung."
Ah, der Pendler mit dem roten schwedischen SUV, der seit zehn Minuten durchs Viertel kreist, scheint einen Parkplatz gefunden zu haben. Denn der Mann eilt jetzt die Straße hoch, seiner Familie entgegen, Hausnummer 12, und die Frau wird wahrscheinlich sagen: "Schatz, du Armer, musstest wieder sooo lange einen Parkplatz suchen!" Morgen früh hat er ein Knöllchen unterm Scheibenwischer, weil der tolle Parkplatz halb in eine Einfahrt hineinragt.