Wow, die Frau auf dem Coverfoto des Buches "Cycle Chic" hat tatsächlich ihre pinkfarbenen Socken auf die Fahrradkette abgestimmt. Oder umgekehrt? Eine pinkfarbene Fahrradkette ist so oder so: Radfahren 2.0.
In den hippen Bezirken Berlins sieht man auch farbige Ketten. Allerdings nur an sogenannten Singlespeeds und Fixies. Beide Räder sind mit nur einem Gang versehen, letzteres hat sogar eine steife Nabe wie die Bahnräder der Wettkampffahrer.
Die Kette meines blauen Rads, das ebenfalls nur einen Gang hat, ist langweilig grau. Aber die Griffe sind gelb und die Pedalen leuchten in Neonpink. Für eine kleine Kiezpatrouille ziehe ich Jeans und ein weißes T-Shirt an, darunter guckt ein gelbes Top hervor. Meine Sneakers verblitzen einem die Augen: Sie sind so Neonpink wie die Pedalen und haben eine sogenannte Waffelsohle. Das trägt man auf dem Fixie so, ungeschriebenes Stylegesetz. Ich fühl mich wohl mit meiner Wahl. Und der gemeine Mitbürger hat auch nichts zu motzen.
Mädchen: "Mit den Farben find ich das total gut, sieht schön aus."
Mann: "Nö, find ich nicht albern, ist okay."
Nur Okay? Das sagt genau der Richtige. Stefan Sass ist Architekt, trägt ein schwarz-weiß kariertes Hemd zu einer schwarzen Jeans. Ein Outfit, das zu seinem Fahrrad passt. Denn an dem wurde auch so einiges aufeinander abgestimmt.
"Das ist gar keine direkte Marke. Selbst zusammen gebastelt. Alter Rahmen und ein paar Teile dazu."
Ich: Du hast schon die Griffe auf deinen Sattel abgestimmt, oder?
"Ja, beide im braunen Leder - ist ja logisch."
Blättert man sich durch die fast 300 Seiten des Buches "Cycle Chic", das ist die eingedampfte, haptische Version des gleichnamigen Blogs, fällt eins sofort auf: die Fahrräder sind mindestens genauso chic wie ihre Fahrer. Auch der Mann auf Seite 163, fotografiert in Bordeaux, hat seine Griffe auf den Sattel abgestimmt.
Ob im Buch oder in den Fahrradblogs: die Fotografierten tragen niemals Funktionskleidung. Das wäre nämlich gegen das "Cycle-Chic-Manifest". Ja, das gibt es. Abgedruckt auf Seite acht stehen zehn Punkte. Zum Beispiel:
"Ich wähle ein Fahrrad, das meine Persönlichkeit und meinen Stil reflektiert."
Und eben auch
"Niemals will ich jegliche Form von Fahrrad-Funktionskleidung tragen oder besitzen."
Natürlich nicht. In Fahrradhosen mit Polster sieht man aus wie eine Wurst in der Pelle. Die Lycra-Trikots sind zwar bunt - aber eben hässlich bunt. Außerdem wo soll ich denn dann bitte mein kleines, cooles Schloss hinstecken? In den Wurstpellenbund?
Nein, auch hier hat die Fixiestylepolizei eine Vorgabe. Wer ein so angesagtes Fahrrad fährt, steckt das Schloss in die Hinterntasche der Jeans oder der modischen Stoffhosen.
Auch wenn das Abstimmen der Kleidung auf das Fahrrad nicht wirklich schwer ist – Modeopfer zu sein, ist trotzdem nicht leicht. Denn die Helmfrage ist noch nicht geklärt. Es gibt keine Helmpflicht für Radfahrer in Deutschland. Ich besitze einen Helm. Denn der kluge Mensch will doch seine Klugheit schützen. Aber dafür die Frisur zerstören? Aussehen wie ein Außerirdischer, dessen Kopf drei Nummern zu groß ist für seinen Hals?
Während ich so über die Helmfrage nachdenke, habe ich Kreise in den Staub gemalt. Der hat sich über die Jahre auf meinem Helm abgesetzt, obwohl er genau so blau ist wie der Rahmen meines Fahrrads.