"Warnwesten erhöhen wohl die Sichtbarkeit der Radfahrer, aber dass man damit ein geringeres Unfallrisiko hätte, oder dass dadurch die Unfälle weniger würden, würde ich nicht erwarten", sagt Verkehrspsychologe Mark Vollrath von der Technischen Universität Braunschweig und erläutert: "Ganz viele Unfälle passieren auch deswegen, weil der Fahrer in die falsche Richtung schaut. Und wenn man in die falsche Richtung schaut, dann hilft auch ein gut sichtbarer Fahrradfahrer nicht."
Unabhängig davon, ob er eine Warnweste trägt oder nicht. Schade. Dabei hat die Fahrradindustrie jede Menge Leuchtjacken und reflektierende Armlinge auf Lager. Unfälle passieren eben dann, wenn man nicht damit rechnet, wenn der Autofahrer etwa ablenkt ist. Wenn er schaut, wie er sich in den Verkehr einfädeln muss oder wenn er sich auf ein Telefonat konzentriert. Und plötzlich ist da ein Radfahrer vor der Kühlerhaube.
Britische Autofahrer übersehen 22 Prozent der Radfahrer
Nach einer Untersuchung des britischen Versicherungsunternehmens Direct Line, bei der die Augenbewegungen von Autofahrern gemessen wurden, übersehen Autofahrer nur etwa vier Prozent der Fußgänger. Aber von den Radlern werden 22 Prozent übersehen.
Susanne Elfferding vom ADFC in Hamburg erklärt das so:
"Weil die Autofahrer die Leute sehen, die sie auf der Fahrbahn erwarten. Und wenn sie keine Radfahrer erwarten, dann übersehen sie sie einfach. Egal ob sie eine Warnweste anhaben oder nicht. Wenn man in die Zeitung guckt, dann sieht man ja auch, dass alles Mögliche übersehen wird.
Es werden Motorradfahrer übersehen, es werden ganze Eisenbahnen übersehen, an Bahnübergängen. Was gerade nicht ins Konzept passt, das fällt bei der Informationsverarbeitung gerade mal hinten raus."
So funktioniert die Wahrnehmung, das ist keine böse Absicht. Autofahren ist ein komplexer Prozess. Vieles kann da die Aufmerksamkeit von der Straße abziehen. Man nimmt nur das wahr, mit dem man auch rechnet. Selbst wenn der Radfahrer gut sichtbar ist, halten die meisten Autofahrer beim Überholen zum Beispiel nicht den vorgeschriebenen Sicherheitsabstand von 1,50 Meter ein. Auch nicht, wenn eine Warnweste getragen wird. Das ergab eine Untersuchung von Ian Garrard von der Brunel Universität in London.
Susanne Elfferding erklärt: "Der ist mit verschiedenen Warnwesten und verschiedener Kleidung im Straßenverkehr unterwegs gewesen, in der Stadt und hat dabei festgestellt, dass das keinen Einfluss auf den Überholabstand hat."
Gerade mal 1,18 Meter beträgt demnach der Abstand zum Radler beim Überholmanöver. Nur wenn der Radler eine Weste trägt, ähnlich wie sie die Polizei hat, halten Autofahrer ein paar Zentimeter mehr Abstand. Trotzdem bleibt der Überholabstand deutlich unter dem vorgeschriebenen Wert von 1,50 Meter.
Aber es gibt aber einen Weg, um Radfahrer sichtbarer für den Autoverkehr zu machen, sagt der ADFC in Hamburg. Elfferding:
"Der einzige Weg das zu ändern ist eigentlich, die Fahrräder auf die Straße zu bringen. Damit sie sichtbar sind, damit sie im Sichtfeld der Autofahrer sind. Und wenn es viele sind, dann passiert auch weniger."
ADFC Hamburg empfiehlt Radlern, vorausschauend zu fahren
Wichtig ist natürlich auch, dass sich Radler an die Verkehrsregeln halten. Aber sollte man zur Sicherheit nicht doch die Leuchtweste tragen?
"Das ist gar nicht unbedingt notwendig. Viel wichtiger ist, dass man vorausschauend fährt. Dass man weiß, wie man sich verhalten muss. Dass man ein bisschen im Hinterkopf hat, dass die Autofahrer einen sehen müssen und auch Fehler machen können. Dass man diese Fehler eben kompensieren muss. Und es nützt nichts mit einer Warnweste und einem Helm auf der linken Seite zu fahren, wo einen keiner erwartet. Das hilft überhaupt nicht."