Silvia Engels: Vor der Sendung haben wir mit Professor Michael Bargende gesprochen. Er ist Direktor des Lehrstuhls für Fahrzeugantriebe an der Universität Stuttgart. In den 90er-Jahren war er unter anderem in der Motorenentwicklung der Daimler Benz AG tätig. Erste Frage an ihn: Welches ist aus seiner Sicht der schnellste Weg, um Menschen in Stuttgart und anderen Großstädten vor Stickoxiden zu schützen?
Michael Bargende: Der schnellste Weg wäre, wenn Sie mich schon so fragen, Gelassenheit, weil die Stickoxid-Werte sowohl als auch die Feinstaub-Werte sind jetzt seit einiger Zeit deutlich am Fallen. Das heißt im Prinzip, wir haben letztes Jahr an dem neuralgischen Punkt Neckartor lediglich drei Überschreitungen von 18 möglichen der Stundenmittelwerte von Stickoxiden noch gehabt. Wir sind im Prinzip deutlich unter den Grenzwerten. Leider darf das das Gericht in Leipzig nicht berücksichtigen. Das Gericht muss auf Basis veralteter Daten entscheiden.
Engels: Der ADAC, um mal etwas konkreter bei Möglichkeiten zu bleiben, das noch etwas zu beschleunigen, hat ja gerade eine Untersuchung durchgeführt.
Bargende: Ja.
Engels: Mit Hilfe von vier Testfahrzeugen ging es darum, ob nicht eine Hardware-Nachrüstung von Euro-5-Dieselautos mit bestimmten Katalysatoren die schädlichen Stickoxide senkt. Ja, sagt der ADAC, um 25 Prozent. Ist das aus Ihrer Sicht auch so erfolgversprechend, wie der ADAC behauptet?
Bargende: Da muss ich Sie jetzt erst mal korrigieren. Der ADAC hat festgestellt, dass die Absenkung bei diesen Prototypen zwischen 50 und 70 Prozent liegt. Er schreibt aber selber auf seiner eigenen Homepage, der ADAC, dass das lediglich Prototypen sind und dass das nichts darüber sagt, welche riesigen Aufwände dann notwendig sind, um daraus eine serienfähige Lösung zu machen.
Engels: Das heißt, Sie halten davon nicht viel?
Bargende: Was heißt davon halten? Es sind mit dieser Aktion eigentlich keine neuen Erkenntnisse erzielt worden. Dass das prototypisch so darstellbar ist, ist seit langem bekannt, dass das so geht. Aber wir müssen einfach sehen, dass wir in der Größenordnung drei Jahre brauchen, um daraus wirklich eine serienfähige Lösung auszurollen, das heißt für mehrere Millionen Fahrzeuge darzustellen. Unter drei Jahren geht das nicht.
Und was ich vorhin gesagt habe: Es ist davon auszugehen, sagt übrigens auch das Wirkungsgutachten über die Stadt Stuttgart zur Luftreinhaltung, dass im Jahr 2020 eigentlich weitgehendst, wenn wir nichts tun, das Problem nicht mehr existiert.
Engels: Das heißt, Sie sagen, die Möglichkeit funktioniert, aber sie ist nicht ökonomisch sinnvoll?
Bargende: Sie ist in dem Sinne weder ökonomisch, noch ökologisch sinnvoll, weil sie zu einem Zeitpunkt erst in großen Stückzahlen ausrollbar ist, wo das Problem durch einfach Umsatz der Flotte und dergleichen so gar nicht mehr existiert. Viel, viel sinnvoller ist das Software-Update, wo die Hersteller jetzt im Wesentlichen eigentlich mit der Zulassung kämpfen. Einige Hersteller sind mit dem Software-Update schon fertig, aber sie können es noch nicht ausrollen, weil sie noch die entsprechende Zulassung brauchen, weil es handelt sich ja um emissionsrelevante Maßnahmen am Fahrzeug. Das braucht eine Zulassung des KBAs, das geht sonst nicht anders.
Engels: Des Kraftfahrtbundesamtes.
Bargende: Des Kraftfahrtbundesamtes, genau. Das heißt im Prinzip ganz einfach: Mit dieser Software-Maßnahme, die von den Herstellern ausgeführt wird, rechnen wir eigentlich damit, dass wir zwischen 40 und 60 Prozent Reduktion bekommen werden im Bereich der gerade neuralgischen Punkte am Neckartor, und das geht natürlich weit schneller und ist in einem viel größeren Prozentsatz ausrollbar, als es eine Hardware-Lösung in drei Jahren dann irgendwann sein könnte.
"Es ist keine schnelle Lösung"
Engels: Bleiben wir aber noch kurz bei dieser Hardware-Lösung. Immerhin der ADAC fordert nun, auch diese Nachrüstungen an der Hardware vorzunehmen, und viele Dieselbetreiber, die einen alten Euro-5-Wagen haben, die sehen wahrscheinlich darin noch eine schnelle Möglichkeit, erst recht, wenn die Autobauer die Kosten tragen würden, Fahrverbote zu umgehen.
Bargende: Entschuldigung, wenn ich Sie unterbreche. Ich habe es gerade gesagt. Es ist keine schnelle Lösung. Ich habe es gerade gesagt: Es ist keine schnelle Lösung. Das schreibt der ADAC auch auf seiner eigenen Homepage, dass die Größenordnung von drei Jahren realistisch ist, bis das tatsächlich umgesetzt werden kann. Das heißt, das Software-Update, um das noch mal zu sagen, ist innerhalb Jahresfrist umsetzbar. Und wir werden sehen nach dem, wie sich jetzt schon die Stickoxid-Werte bewegen, dass dann im Prinzip das Thema eigentlich nicht mehr existiert.
Engels: Dann schauen wir auf das Software-Update. Da wurde ja vielfach eingewandt, dass der Verbrauch steigen wird, und es wird in der Tat auch in gewissen Studien immer wieder in Zweifel gezogen, ob damit wirklich die Grenzwerte so schnell einzuhalten sind.
Bargende: Ich weiß nicht, wo diese Studien ihre Fachkenntnisse hernehmen, sage ich Ihnen ganz ehrlich, weil das Software-Update ist im Prinzip sehr individuell natürlich auch unterschiedlich von Fahrzeug zu Fahrzeug, wieviel tatsächlich erreicht werden kann. Im Durchschnitt werden wir - und das ist das eigentlich Entscheidende – an den Stellen, wo es wirklich darauf ankommt, um die 40 Prozent, vielleicht sogar 60 Prozent Reduktion hinbekommen.
Was den Kraftstoffverbrauch betrifft - wir reden hier von Größenordnungen im niedrigen einstelligen Prozentbereich. Das liegt deutlich unter den Unterschiedenen, mit denen die einzelnen Fahrer mit ihren Fahrzeugen sich bewegen. Das heißt im Prinzip, es gibt durchaus Anlass dafür, auch davon auszugehen, dass der Kraftstoffverbrauch nahezu unverändert bleibt. Aber wenn es zu Erhöhungen kommt, dann reden wir tatsächlich von Größenordnungen unter fünf Prozent.
"50 Prozent des Feinstaubes stammt von vorbeifahrenden Fahrzeugen"
Engels: Falls das Verwaltungsgericht Leipzig heute Fahrverbote verhängen sollte, denken Sie, dass es auch für Stuttgart ausreichen würde, schnell diese Software-Nachrüstungen überall vorzunehmen, und dann wird ein Fahrverbot vermieden?
Bargende: Speziell nach den Entwicklungen, die wir letztes Jahr deutlich gesehen haben, und zwar ganz systematisch - da können Sie die entsprechenden Diagramme beim Landesamt für Umwelt Baden-Württemberg sich anschauen, die auf der Homepage der Stadt Stuttgart verfügbar sind, wie das tatsächlich nicht zufällig, sondern tatsächlich als Trend deutlich nach unten geht.
Und wenn dann jetzt noch das Software-Update greift, dann bin ich relativ überzeugt, dass wir wie gesagt das Problem praktisch nicht mehr haben. Also wäre es im Prinzip auch aus schlicht und ergreifend volkswirtschaftlichen Gründen eigentlich nicht zu rechtfertigen, jetzt hier Fahrverbote, die tatsächlich im Prinzip die entsprechenden Fahrzeuge wertlos machen, dann wirklich hier zu verhängen. Das ist eigentlich nicht mehr zu rechtfertigen.
Engels: Aber es wäre für die Anwohner, die seit Jahren unter schlechter Luft leiden, eine schnelle, wirksame Lösung.
Bargende: Na ja, da muss man jetzt natürlich folgendes sehen. Da nehmen wir jetzt mal den Feinstaub. Lediglich 50 Prozent des Feinstaubes am Neckartor kommt tatsächlich von den dort im Prinzip vorbeifahrenden Fahrzeugen, und zwar nicht aus dem Auspuff. Das heißt, es hängt überhaupt nicht von dem Antrieb ab, sondern es ist so: Wenn Sie ganz genau hingucken, hat sogar unter Umständen ein Elektroauto eine schlechtere Feinstaubbilanz, aber das würde jetzt zu weit führen.
Das heißt im Klartext, es ist ja nicht so, wenn Sie jetzt Dieselfahrzeuge verbieten, dass damit automatisch eine Reduzierung des Verkehrsaufkommens einhergeht, sondern Sie haben lediglich eine Verschiebung praktisch der Antriebsart, aber die Zahl der Fahrzeuge wird nicht in dem Maße absinken. Das heißt im Prinzip, die Luft, was vor allen Dingen den Feinstaub angeht - das kam gestern im Fernsehen von einer Kollegin, einer Medizinerin, dass der Feinstaub fünfmal kritischer ist als die Stickoxide.
Am Feinstaub wird sich dann am Neckartor durch ein Fahrverbot für die Anwohner dort nichts ändern, sondern wir müssen völlig antriebsunabhängig, um das noch mal ganz deutlich zu sagen, wir müssen am Neckartor das Verkehrsaufkommen insgesamt reduzieren, sagt auch wiederum der Luftreinhalteplan für die Stadt Stuttgart und das Wirkungsgutachten, was für die Stadt Stuttgart erzeugt worden ist. Das heißt, das einseitige Fahrverbot für Dieselfahrzeuge ist hier für die Bevölkerung am Neckartor bedauerlicherweise keine Maßnahme, die hier im Prinzip wirklich sinnvoll ist.
Engels: Die Einschätzung war das von Professor Michael Bargende. Er ist Direktor des Lehrstuhls für Fahrzeugantriebe der Universität Stuttgart.
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