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Fahrverbote und Diesel-Skandal
"Bundesregierung und Automobilindustrie haben jahrelang nicht reagiert"

Der große Ärger, den es wegen der Diesel-Fahrverbote gebe, sollte endlich mal die Automobilindustrie treffen, sagte der Verkehrsminister von Baden-Württemberg, Winfried Hermann (Grüne), im Dlf. Denn diese habe die schlechten Fahrzeuge geliefert. Aber auch die Autofahrer seien in der Pflicht.

Winfried Hermann im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann |
Autos fahren durch die Innenstadt.
Winfried Hermann glaubt, "dass wir mit streckenbezogenen Fahrverboten tatsächlich einen genügenden Effekt erreichen" (dpa/ Sina Schuldt)
Dirk-Oliver Heckmann: Müssen sich die Fahrer von älteren Diesel-Fahrzeugen darauf einstellen, dass sie künftig in keine größere Stadt mehr einfahren dürfen, weil seit Jahren die Grenzwerte für Abgase nicht eingehalten werden und die Deutsche Umwelthilfe per Gericht ein Fahrverbot nach dem anderen erwirkt? – In Hamburg und Stuttgart sind bereits mehrere Straßen für Diesel gesperrt, und nicht nur das, denn gestern hat eine Nachricht bei den Besitzern auch neuerer Diesel-Fahrzeuge die Alarmglocken schrillen lassen. Der Südwestrundfunk berichtete, Volkswagen habe illegale Abschaltvorrichtungen zu Hunderttausenden auch in Diesel-VI-Fahrzeuge eingebaut. VW dementierte, aber bis hier Klarheit herrscht, dürfte es ein bisschen dauern.
Das Oberverwaltungsgericht in Münster hat gestern entschieden: Auch der Luftreinhalteplan in Köln ist rechtswidrig, weil nicht ausreichend. Es muss Fahrverbote enthalten für vier besonders belastete Ausfallstraßen. Eine Fahrverbotszone, wie von der unteren Instanz gefordert, die wird es vorerst allerdings nicht geben.
Für wie wahrscheinlich halten Sie es, dass es dabei bleibt? Das habe ich vor einer dreiviertel Stunde Winfried Hermann gefragt von Bündnis 90/Die Grünen. Er ist Verkehrsminister in Baden-Württemberg.
Winfried Hermann: Ich glaube schon, dass das trägt, denn es gibt immer mehr Erkenntnisse, das machen wir auch in Stuttgart, dass durch verschiedene Maßnahmen die Luft besser wird, sauberer wird, und auch wir in Stuttgart rücken ab von einem zonalen Fahrverbot. Wir haben ein zonales Fahrverbot für Euro-IV-Fahrzeuge in der gesamten Stadt. Aber diese Zone ist für Euro-V-Fahrzeuge zu groß. Da ist inzwischen die Luft zu gut. Wir konzentrieren uns auch auf die Hauptachsen, wo die Grenzwerte an den meisten überschritten werden.
Heckmann: Was aber bringen denn Fahrverbote für einzelne Straßen? Denn nur weil in Stuttgart – Sie haben es erwähnt – oder in Köln vier Straßen gesperrt werden, fährt ja nicht ein schmutziger Diesel weniger.
Hermann: Zunächst mal muss man sagen, doch. Es fahren natürlich erheblich weniger schmutzige Diesel, weil wir zum Beispiel ein zonales Fahrverbot für ältere Diesel haben. Dann haben wir eine ganze Reihe von Maßnahmen gemacht, die die Situation verbessern, zum Beispiel ÖPNV-Ausbau, Radverkehrsausbau. Wir haben deutlich mehr Busangebote und eine Reihe von anderen Maßnahmen. Wir haben zum Beispiel Luftabsauganlagen, die filtern die Luft und filtern die Stickoxide raus, um nur einige Beispiele zu nennen. Das heißt, insgesamt wird die Luft sauberer und wir reduzieren auch die alten Fahrzeuge, die schlechte Werte haben, und mit streng bezogenen Fahrverboten kann man dann arbeiten, wenn in der Zone insgesamt die Grenzwerte eingehalten werden. Das war vor drei Jahren in Stuttgart zum Beispiel nicht der Fall. Inzwischen sind wir da deutlich besser und deswegen glauben wir, dass wir mit streckenbezogenen Fahrverboten tatsächlich einen genügenden Effekt erreichen. Wenn das nicht der Fall ist, dann müssen auch wir, aber erst im nächsten Jahr nach Prüfung, zu einem zonalen Fahrverbot kommen, allerdings wahrscheinlich nicht mehr zu einer so großen Zone, sondern nur im Innenstadtbereich.
"Berliner Politik und die Automobilindustrie sehr lange gewehrt"
Heckmann: Bisher hieß es ja immer, Herr Hermann, von einem Fahrverbot seien die Besitzer älterer Diesel betroffen. Sie haben es gerade auch angesprochen. Gestern meldete der SWR, Volkswagen habe auch bei Diesel-VI-Fahrzeugen illegale Abschalteinrichtungen eingebaut. Volkswagen dementierte das zumindest nach derzeitigem Kenntnisstand, und auch das Bundesverkehrsministerium teilte mit, unzulässige Abschalteinrichtungen konnten nicht festgestellt werden. Wieviel Vertrauen setzen Sie in diese Dementis nach diesem Vorlauf?
Hermann: Das muss man erst mal prüfen. Ich bin da auch sehr irritiert gewesen, als ich das gehört habe, weil ich gedacht habe, haben die den Schuss immer noch nicht gehört. Man muss an der Stelle aber sagen: Der große Ärger, der heute viele berührt, wenn sie sagen, mein Auto ist nicht alt und ich darf nicht mehr fahren, der sollte endlich mal die Automobilindustrie treffen, denn sie hat die schlechten Fahrzeuge geliefert. Es scheint so, als würden sie immer noch lange weitergemacht haben, obwohl schon die Probleme erkennbar waren. Und die Bundesregierung, das Kraftfahrtbundesamt hat jahrelang nicht reagiert, die Automobilindustrie auch nicht bei Nachrüstungen.
Vor zehn Jahren hatten wir auch schon Verbotssituationen mit der roten Umweltzone, mit der gelben und der grünen Umweltzone, aber damals hat die Industrie und die Politik gesagt, dann gibt es Nachrüstungen. Diesmal hat sich die Berliner Politik und die Automobilindustrie sehr lange gewehrt, und hätten wir da schon früher gehandelt, dann würden wir heute nicht mehr über solche Sachen reden.
Heckmann: Sie sagen, es muss in der Tat geprüft werden. Aber wenn es sich bewahrheiten sollte, dass Volkswagen tatsächlich illegale Abschalteinrichtungen auch in Diesel-VI-Fahrzeuge eingebaut hat, was würde das aus Ihrer Sicht bedeuten?
Hermann: Wenn die Fahrzeuge die Grenzwert überschreiten, dann können sie auch nicht fahren. Wir haben ja jetzt eine klare Regelung, dass Fahrzeuge, die nachgerüstet werden, wenn sie einen bestimmten Grenzwert erreichen, einfahren dürfen, auch wenn es sonst Fahrverbote gibt für zum Beispiel Euro V. Aber wenn sie nachgerüstet sind, dann können sie fahren, und das ist alles inzwischen geregelt. Jetzt kommt es darauf an, dass tatsächlich die Nachrüstung durchgeführt wird, dass die Automobilunternehmen ihre Kunden auch entschädigen dafür, und natürlich brauchen wir ein ganzes Bündel von Maßnahmen zur Reduktion des Autoverkehrs in den Städten und das ist vor allen Dingen Ausbau des umweltfreundlichen Verkehrs. Und wir brauchen eine Bereitschaft der Autofahrer, endlich auch umzusteigen oder gemeinschaftlich zu fahren. Auch die Autofahrer sind in der Pflicht.
Kein Problem des Verkehrsministers, sondern der ganzen Koalition
Heckmann: Das Ganze wäre sicherlich auch mit einem weiteren Vertrauensverlust verbunden gegenüber der Automobilindustrie oder zumindest gegenüber Volkswagen. Die Frage ist allerdings, Herr Hermann, wieviel Vertrauen die Bürger auch in Sie, in die Landesregierung in Baden-Württemberg haben können. Trotz eines Urteils des Verwaltungsgerichts Mannheim lehnt die Regierung unter Winfried Kretschmann ein zonales Fahrverbot für Stuttgart ab. Sie haben es gerade schon angedeutet. Die Deutsche Umwelthilfe, die ja zahlreiche Städte verklagt hat, die hat bereits ein Zwangsgeld erwirkt und Beugehaft gegen den Ministerpräsidenten und seinen Stellvertreter Thomas Strobl beantragt. Setzt sich Ihr Ministerpräsident über gültige Urteile hinweg?
Hermann: Nein, das tun wir nicht. Die Koalition hat sich ganz eindeutig dazu bekannt, dass wir uns an Recht und Gesetz halten. Allerdings ist das Urteil bestätigt, das ist richtig, aber das ist schon drei Jahre alt und vor drei Jahren hatten wir eine Situation, dass wir nicht sagen konnten, dass man zum Beispiel mit streckenbezogenen Fahrverboten den Effekt erzielt, dass man insgesamt die Grenzwerte einhält. Inzwischen haben wir so viele Maßnahmen durchgesetzt, dass wir deutlich besser geworden sind in der ganzen Stadt und es sich konzentriert auf wenige Achsen. Das sind etwa vier Hauptverkehrsstraßen. Und wir glauben, dass wir damit die Ziele erreichen. Wenn nicht, dann sagen wir auch, dann erfüllen wir auch den Anspruch von zonalen Fahrverboten. Allerdings müssen wir dann die Zonen neu stricken. Das überprüfen wir laufend. Wenn wir zu weit von den Grenzwerten weg sind, dann kommen auch in Stuttgart im nächsten Jahr zonale Fahrverbote.
Heckmann: Kretschmann hat Ihnen ja die Leitung einer interministeriellen Arbeitsgruppe entzogen, wegen Streits in der Koalition. Steht er eigentlich noch auf Ihrer Seite, oder schützt er vor allem die Auto-Industrie?
Hermann: Selbstverständlicherweise steht der Ministerpräsident Kretschmann auf der Seite von Recht und Gesetz und auch auf meiner Seite, dass wir was tun, und zwar wirksam was tun gegen Luftverschmutzung und Schadstoffe. Er muss natürlich als Ministerpräsident die Koalition zusammenhalten und der eigentliche Konflikt ist ja zwischen der CDU und den Grünen, wieviel man machen soll oder wie lange man warten soll. Das ist der Hintergrund. Deswegen ist die Arbeitsgruppe auch geleitet vom Staatsministerium, damit das klar ist, dass das nicht ein Problem des Verkehrsministers ist, sondern der ganzen Koalition. Die Luft muss auch in Stuttgart sauberer werden.
Heckmann: Und die Entscheidung fanden Sie richtig, dass Ihnen die Leitung dieser Arbeitsgruppe entzogen wurde?
Hermann: Das ist so in Ordnung, weil wir sowieso fachlich die Federführung haben und wir auch die höchste Kompetenz haben und das Staatsministerium und den Ministerpräsidenten damit auch am besten beraten können.
"Der angesehenste Ministerpräsident in Deutschland"
Heckmann: Gestern, Herr Hermann, hat Ministerpräsident Kretschmann angekündigt, für eine weitere Amtszeit zur Verfügung zu stehen. Bei der nächsten Landtagswahl 2021 wäre er 72 Jahre alt. Ist er gerade dabei, den besten Zeitpunkt zum Abtreten zu verpassen?
Hermann: Nein! Erstens ist er fit und zweitens sollten wir nicht immer an diesen Jahren herumreden, sondern entscheidend ist, ob wir als Koalition mit ihm zusammen gute Politik machen können. Wir als grüne Kabinettsmitglieder haben ihn wirklich auch gedrängt und gebeten, weiterzumachen, weil er sehr erfolgreich ist und weil er sehr leistungsstark ist.
Heckmann: Weil er unersetzlich ist?
Hermann: Weil er im Moment unser Bester ist.
Heckmann: Ihr Bester. – Cem Özdemir wird nachgesagt, er hätte Kretschmann gerne beerbt. Wäre das nicht das richtigere Signal gewesen, eine Verjüngung einzuleiten?
Hermann: Ich beteilige mich nicht an solchen Personalspekulationen. Wir in Baden-Württemberg waren und sind ganz eindeutig dafür, dass Winfried Kretschmann weitermacht. Er macht es hervorragend. Er ist der angesehenste Ministerpräsident in Deutschland und wir machen eine erfolgreiche Politik in dieser Koalition. Das wäre ja irgendwie ein Witz, wenn er da abtreten würde, nur weil einige Leute sagen, aber 70 ist doch schon ein Alter. Ich meine, Rockgruppen touren noch mit über 70 durch die Welt. Wo leben wir denn? Wir sind doch heute in einer Welt, wo die Menschen viel länger fit sind und viel länger leben und dann auch viel länger aktiv sein können.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.