Birgid Becker: Zwei Ereignisse gab es heute, die die Dieselkrise treiben. Zum ersten Mal betreffen laut Gerichtsbeschluss Fahrverbote auch eine Autobahn in Deutschland. Und: Das Bundeskabinett beschloss Änderungen an dem Gesetz, das eigentlich für gute Luft sorgen soll. Änderungen sind das aber, die eine Hintertür öffnen könnten, um neue Fahrverbote zu vermeiden, oder bereits getroffene wieder zu kassieren – vielleicht. Es soll gedreht werden am Bundes-Emissionsschutzgesetz, um Grenzwerte vielleicht doch zu Gunsten der Diesel-PKW zu wenden, während aber zugleich die Gerichte Fakten schaffen: heute für Gelsenkirchen, für Essen und für die vielbefahrene A40. Fahrverbote für Essen, Gelsenkirchen und, was die neue Verbotslage besonders macht, zum ersten Mal für ein Autobahn-Teilstück, für die A40. Mitgehört hat der Automobilexperte Stefan Bratzel. Guten Tag.
Stefan Bratzel: Schönen guten Tag, Frau Becker!
"Massives Problem für viele Dieselfahrer"
Becker: Stuttgart, Köln, die Liste der Fahrverbotsstädte wird Zusehens länger. Jetzt aber zum ersten Mal ein Stück Autobahn, das werktäglich von 130.000 Menschen befahren wird. Haben Sie eine Vorstellung, was das mit dem Verkehr im Ruhrgebiet anrichtet?
Bratzel: Ja, das wird einen massiven Einfluss haben auf sehr viele Autofahrer, weil - Sie haben es ja erwähnt – die A40 eine der Haupt-Durchfahrtsstraßen ist. Und man muss ja auch wissen, wenn man vielleicht nicht aus dem Ruhrgebiet kommt, dass ohnehin die Straßen schon enorm verstopft sind. Hier wird sicherlich ein massives Problem für viele Dieselfahrer auftreten.
Becker: Nun kann man natürlich auch sagen, es ist eine Besonderheit dieser Strecke, dieser 92 Kilometer, die ja auch Ruhrschnellweg genannt werden. Sie führen mitten durch Großstädte wie Duisburg, Essen und Bochum. Es liegt ziemlich auf der Hand, dass das auch eine enorme Luftbelastung mit sich bringt. Wenn Fahrverbote, dann müsste man ja sagen, dann genau in so einer Lage?
Bratzel: Ja, das ist natürlich das Problem. Wir haben mit dieser Politik des Verschleppens, mit der Symbolpolitik der letzten Jahre, die keine Probleme löst, jetzt natürlich das Kind, das in den Brunnen gefallen ist. Diese Grenzwerte von 40 Mikrogramm, die EU-Grenzwerte, die liegen ja seit 2009 fest. Jetzt hat man über Jahre politisch nicht gehandelt, oder viel zu wenig gehandelt, und jetzt versucht man, quasi das letzte Mittel zu ziehen, um überhaupt noch diese Grenzwerte erreichen zu können, auch durch Klagen. Das ist tatsächlich im Moment eine Problematik, die an Dramatik eigentlich kaum zu übertreffen ist. Wir werden ja viele im Ruhrgebiet haben, die aufgrund dieser Problematik jetzt betroffen sind und wo möglicherweise auch das Geld fehlt, um hier ein neues Fahrzeug zu kaufen. Und klar ist auch: Hardware-Nachrüstungen gibt es vielleicht in ein paar Jahren. Aber die Fahrverbote könnte es schon im nächsten Jahr geben.
"Klar ist, dass die Verhältnismäßigkeit eine wichtige Frage ist"
Becker: Nun haben wir diese besondere Parallelität. Ein Gericht ordnet Fahrverbote an; gleichzeitig verabschiedet das Kabinett eine Gesetzesänderung. Es war eben zu hören. Demnach sind Fahrverbote in gering belasteten Kommunen, also solchen, in denen nicht mehr als 50 Mikrogramm Stickoxid gemessen werden, nicht verhältnismäßig. So heißt es in dieser Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes. Kann es passieren, zumindest in Städten, in denen der EU-Grenzwert nicht so arg überschritten wird, dass es doch nicht zu Fahrverboten kommt?
Bratzel: Das ist jetzt eine interessante Frage. Es ist ja eine relativ wachsweiche Neuregelung durch das Bundes-Immissionsschutzgesetz. Man muss vielleicht sagen, dass EU-Recht ja eigentlich das Recht von den Mitgliedsstaaten bricht, und der Grenzwert ist eigentlich eindeutig und der ist 40 Mikrogramm. Wenn jetzt durch so ein Gesetz 50 Mikrogramm gelten kann, dann fragt man sich natürlich als Bürger, das ist ja ein Viertel höher, was für ein Signal hier gegeben wird, was für ein Rechtskulturverständnis hier gegeben wird, weil Bürger könnten sich fragen, ist ja toll, wenn Geschwindigkeit 100 gilt, dann kann ich ja auch 125 Kilometer schnell fahren, das scheint ja dann auch in Ordnung zu sein, weil ich irgendwann mal wieder abbremse und dann fahre ich wieder 100. Hier fehlt mir ein bisschen das Verständnis.
Klar ist natürlich, dass die Verhältnismäßigkeit eine wichtige Frage ist. Aber die Begründung scheint mir nicht sehr schlüssig. Man sagt ja, Fahrverbote wären nicht verhältnismäßig, weil andere Maßnahmen ausreichten, um die Grenzwerte einzuhalten. Dann würde man jetzt die Frage stellen müssen, ja warum hat man denn diese anderen Maßnahmen seit 2009 nicht umgesetzt. Und diese Frage bleibt relativ offen.
"Im Prinzip setzt man sich natürlich weiteren Klagen aus"
Becker: Wir können ja sogar im Detail hinsehen, was die Überschreitungen beziehungsweise Messungen angeht. Es gibt ja online einsehbare Messungen. Für die betroffene Kurt-Schumacher-Straße in Gelsenkirchen gibt es Werte von 48 und 46 Mikrogramm, für die Gladbecker Straße in Essen 45, 41, 42 Mikrogramm, also alle unter diesen 50 Mikrogramm und damit in dem Bereich, für den nach den Änderungen des Immissionsschutzgesetzes Fahrverbote unverhältnismäßig wären.
Noch mal gefragt: Ist das der Mechanismus, um Dieselfahrer hinten herum durch die Hintertür dann wieder aus dem Schneider zu bringen?
Bratzel: Es ist schwer zu sagen. Im Prinzip setzt man sich natürlich weiteren Klagen aus, weil das EU-Recht ja eindeutig ist. Da steht 40 Gramm drin und nicht 50 Gramm, was auch noch in Ordnung wäre. Die Frage ist, wenn man hier eine neue Klage bekommt, wie dann die Richter entscheiden, und für die Richter gilt meines Erachtens das EU-Recht und das ist ja eigentlich relativ klar. Und die Kommunen, die sich jetzt auch auf dieses neue Bundes-Immissionsschutzgesetz berufen können – das ist eine Kann-Vorschrift -, die müssen abwägen, ob sie das jetzt tun und sich möglicherweise teuren Klagen aussetzen, wenn sie jetzt diesen Richtersprüchen nicht Folge leisten und keine Fahrverbote verhängen.
Becker: Dann ist Ihnen die Argumentation oder die Wertung der Deutschen Umwelthilfe nicht ganz fremd? Die nennt das Vorhaben skandalös und rechtswidrig. Sie verweisen ebenfalls auf die europäischen Grenzwerte, die bindend sind. Sie meinen auch, das lässt sich nicht von der Hand weisen, oder?
Bratzel: Das lässt sich leider nicht wirklich von der Hand weisen, und aus Sicht der Bürger und Dieselfahrer vor allem ist es natürlich schon ein Ausdruck von Staats- oder Politikversagen. Man darf ja nicht vergessen, dass durch diese Unübersichtlichkeit, die ja selbst Experten schwer bewerten können, jetzt nicht erreicht wird, dass etwa wieder Vertrauen geschaffen wird, dass die Unsicherheit aus dem Dieselmarkt herausgeht, oder dass die Restwerte von Dieseln, die ja stark gefallen sind, sich wieder stabilisieren. Man löst mittlerweile ja über Jahre jetzt nicht die Probleme, sondern schafft eher eine Problemverschiebung, und kennzeichnend ist ja schon ein bisschen, dass man erst nach drei Jahren nach Ausbruch des Dieselskandals und neun Jahren, nachdem die Grenzwerte von der EU festliegen, auf die Idee kommt, man könnte ja auch kommunale Fahrzeuge umrüsten und man könnte möglicherweise für kommunale Fahrzeuge auch alternative Antriebe vorsehen. Da ist schon ein Stück weit Politikversagen, das man konstatieren muss.
Becker: Danke! – Der Autoexperte Stefan Bratzel war das. Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend.