Bettina Köster: Welche Falschmeldung haben Sie ins Netz gesetzt?
Wolfgang Schweiger: Die Themen, die wir da hatten, ich kann einfach mal die Schlagzeilen vorlesen: "Flüchtling schnappt Deutschem den Job weg", "Grüne wollen das Café 'Mohrenkopf' wegen des politisch inkorrekten Namens schließen", "Gratis-Sex für Asylanten – Landratsamt zahlt", und das letzte, "Facebook-Gründer Mark Zuckerberg entschuldigt sich bei einem Flüchtling wegen der Hass-Flut auf Facebook".
Köster: Bei 'Gratis-Sex für Asylanten' muss ich ja wirklich schmunzeln, vom 'Landratsamt bezahlt'. Ist das nicht etwas, was sofort erkannt wurde als Falschmeldung?
Schweiger: Nein, die meisten haben das ernst genommen. Man muss dazu auch sagen: Diese Meldungen kursieren auch schon seit mindestens einem Jahr in den sozialen Medien, dass Asylbewerber Gratis-Sex bekommen. So gesehen, hat das vermutlich die Flüchtlingsgegner, die wir ja adressiert haben in ihren Facebook-Gruppen, nicht weiter überrascht, sondern wunderbar ins Weltbild gepasst.
Köster: Wie sind Sie denn genau vorgegangen?
Schweiger: Wir haben einen Blog eingerichtet, einen wohlgemerkt alternativen Blog. Dieser Blog hieß 'Der Volksbeobachter.de', mit einer absichtlichen Nähe zum 'Völkischen Beobachter' der Nazis. Das haben wir auch deswegen gemacht, weil wir auch mal sehen wollten, inwiefern überhaupt die Quelle, die da in den sozialen Netzwerken verbreitet wird, eine Rolle spielt. Und man hat gesehen: Darauf hat sich überhaupt keiner bezogen. Keiner hat gesagt, 'Volksbeobachter.de, das ist ja krass, das müssen Nazis sein!' Und das bestätigt mich darin, dass Social-Media-Nutzer, Facebook-Nutzer kaum auf die Quellen achten, wo etwas herkommt, sondern nur auf die Inhalte und ob sie ihnen in den Kram passen, in ihr Weltbild passt. Wir haben dann vier Facebook-Profile eingerichtet, vier Fake-Profile von vermeintlich flüchtlingskritischen Personen. Die hatten ganz normale deutsche Allerweltsnamen. Und wir haben dann versucht, denen die üblichen Interessen zu geben und die üblichen Freunde zu geben, die haben dann auch versucht, sich zu vernetzen mit anderen Flüchtlingsgegner, weil das ja auch sonst völlig unglaubwürdig gewesen wäre, darauf achten die Menschen nämlich dann schon eher. Und die haben dann diese vier Nachrichten in einschlägigen flüchtlingskritischen Facebook-Gruppen gepostet. Und wir haben dann eben geschaut, inwiefern sie sich da entwickelt haben, sprich gelesen wurden, geliket wurden oder weiter verbreitet wurden.
"Viele bekommen gar nichts anderes mehr mit"
Köster: Haben Sie da Zahlen? Wie viele erreicht wurden?
Schweiger: Wir haben tatsächlich eine Zahl, die ist doch einigermaßen bemerkenswert: Ein Beitrag – und zwar genau der zum Gratis-Sex für Asylbewerber – hat ca. 11.000 Facebook-Nutzer erreicht. Das ist jetzt auch nicht die Welt. Aber, wenn man bedenkt, dass wir einen sehr begrenzten Aufwand betrieben haben und bei Null angefangen haben – wir haben ja diese Profile erst neu angelegt, wir haben den Blog neu angelegt, das hatte noch keine Fans, noch gar nichts – dann war das für einen Monat Arbeit doch eine ganz erstaunliche Ausbeute. Und zeigt eben, wie einfach es ist, auf Facebook Menschen zu erreichen mit solchen Themen.
Köster: Wie ist Ihre Einschätzung: Sie haben eben schon gesagt, die meisten halten sich in einer Art Filterblasen auf und sind von ihrem Weltbild so überzeugt, dass sie eigentlich auch nur noch das anschauen, was in dieses Weltbild reinpasst an Informationen. Haben Sie eine Idee, ob man die Menschen überhaupt noch mit anderen Informationen erreicht?
Schweiger: Es gibt schon noch einen Teil von unserer Bevölkerung, der ist ganz, ganz schwer zu quantifizieren, es ist ganz schwer zu sagen, wie viele Menschen das eigentlich sind, die zu einem sehr großen Teil oder vielleicht sogar in Einzelfällen ausschließlich, über soziale Medien, alternative Medien informieren und gar nichts anderes mehr mitbekommen. Es gibt aber trotzdem eine ganz große Gruppe an Leuten, die auch alternative Medien nutzt, die sich stark über Facebook und andere Netzwerke, wo es eben diese Filterblasen-Effekte gibt, informieren, die aber auch noch klassische journalistische Medien nutzen, die die Tagesschau sehen, die vielleicht noch eine Regionalzeitung lesen – das gibt es sehr wohl. Ich glaube schon, dass man viele Menschen, die über soziale Medien in den letzten Jahren vielleicht emotionalisiert wurden und vielleicht ein wenig verzerrtes Weltbild bekommen haben, dass man die noch über klassische Medien erreichen kann.
"Hier geht es schlichtweg um Aufklärung"
Köster: Vielleicht noch zum Abschluss ganz kurz, Professor Schweiger: Warum haben Sie sich als Forscher auf ein Fernsehexperiment eingelassen? Denn das Ganze ist ja in Kooperation mit dem SWR gelaufen.
Schweiger: Richtig. Ich habe die Anfrage bekommen von einem SWR-Journalisten, der gesagt hat, er bereitet diese Reportage vor. Es war seine Idee, das zu machen. Und ich fand das eigentlich eine gute Idee. Vor allem wollte ich als akademischer Forscher, der ich mich theoretisch mit dem Thema beschäftige und auch Studien dazu mache, aber: Ich habe noch nie ein Fake-Profil angelegt. Ich habe noch nie geschaut, was eigentlich wirklich passiert, wenn man so einen Blog macht, wie die Leute darauf reagieren. Das wollte ich einfach selber mal sehen und kennen lernen. Das war für mich ein persönliches Argument. Und mein allergrößtes Argument ist: Hier geht es schlichtweg um Aufklärung. Ich habe ja vorhin gesagt, ich glaube schon, dass man viele Menschen über die klassischen Medien erreichen kann. Ich hoffe, dass diese Reportage von vielen Menschen gesehen wird und ihnen, ja, etwas klarer macht, was da passiert.
"Das Erste" zeigt an diesem Montag einen Schwerpunkt zum Thema "Fake News": Die Dokumentation "Der Infokrieg im Netz" aus der Reihe "Die Story im Ersten" fragt um 22:45 Uhr: Wie beeinflussbar sind unsere Wahlen durch Falschmeldungen, Hacks und andere digitale "Instrumente"? Im Anschluss um 23:30 Uhr folgt "Im Netz der Lügen – Der Kampf gegen Fake News", die Doku, an der Professor Schweiger mitgewirkt hat.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.