Susanne Schrammar: Wie schnell eine gefälschte Meldung die Runde macht, das musste Renate Künast in den vergangenen Tagen am eigenen Leib erfahren. Im Zusammenhang mit dem Mord an einer Freiburger Studentin wurde bei Facebook verbreitet, die Grünen-Politikerin habe der "Süddeutschen Zeitung" gesagt, der traumatisierte junge Flüchtling hat zwar getötet, man muss ihm aber jetzt trotzdem helfen. Eine nie gefallene, völlig frei erfundene Aussage; dennoch wurde sie tausendfach gelesen und geteilt. Künast dementierte, stellte Strafanzeige, doch es dauerte drei Tage, bis Facebook diese Fake News, diese gefälschte Meldung löschte.
In der Politik wird nun darüber diskutiert, das Verbreiten von Fake News unter Strafe zu stellen. - Am Telefon bin ich jetzt mit Frank Roselieb verbunden. Er ist Leiter des Kieler Instituts für Krisenforschung und Kommunikationsexperte. Schönen guten Tag.
"Ganz bewusste Irritation oder Täuschung des Gegners"
Frank Roselieb: Guten Tag.
Schrammar: Herr Roselieb, könnten wir mit Strafen dieses Phänomen der gefälschten Nachrichten wirklich eindämmen?
Roselieb: Strafen würden da eher nicht helfen. Zum einen kommen sie zu spät, denn bei Fake News muss natürlich entsprechend schnell gehandelt werden, damit die Nachricht sich nicht weiter verbreitet. Und das Zweite ist eigentlich, dass das Thema nicht neu ist. Es gab das früher als psychologische Kriegsführung, also als ganz bewusste Irritation oder Täuschung des Gegners, und da hätten Strafen genauso wenig geholfen, wie sie heute helfen.
Schrammar: Sie beschäftigen sich mit Krisenmanagement und beraten auch im Krisenfall. Welche Rolle spielen denn dabei im Moment verbreitete Falschmeldungen oder Gerüchte?
Roselieb: Das Thema wird momentan sehr stark gehypt, das heißt nach oben gehoben, ohne tatsächlich so wichtig zu sein. Damit wird auch versucht, Politik zu machen. Heute wird schon behauptet, dass möglicherweise die Wahlen im nächsten Jahr manipuliert sein können. Da möchte man sozusagen vorbauen. Man vergisst dabei, dass auch die Provider selbst vorgebaut haben. Sie haben beispielsweise bei Twitter längst die Möglichkeit von sogenannten verifizierten Accounts. Auch der Regierungssprecher hat einen kleinen blauen Haken hinter seinem Namen als Beleg dafür, dass er wirklich der Regierungssprecher ist und nur er den Rücktritt der Bundeskanzlerin verkünden könnte.
Krisenfälle heute stärker kommunikativer Natur
Schrammar: Es ist aber schon so, dass diese Falschmeldungen zunehmen. Oder ist das eine gefühlte Wahrnehmung?
Roselieb: Wir sind die Einrichtung, die seit 1984 rückwirkend die ganzen öffentlichen Krisenfälle in Deutschland analysiert und archiviert, und da zeigt sich schon, dass es eine Wandlung gegeben hat. Anfang der 80er-Jahre, Mitte der 80er-Jahre waren Krisenfälle häufig operativer Natur. Da sind wirklich Flugzeuge abgestürzt, Lebensmittel vergiftet gewesen. Und heute sind sie immer stärker kommunikativer Natur. Das heißt, wir denken immer mehr, das sei ein Skandal, das sei ein Compliance-Fall, das sei ein Verstoß, und nachher kommt raus, da war überhaupt gar nichts, ähnlich wie bei Kachelmann oder auch bei Wulff.
Schrammar: Wie kann man denn so eine gefälschte Nachricht erkennen? Gibt es da Indizien? Sie haben gerade gesprochen, es gibt verifizierte Accounts. Wie gehe ich da am besten vor?
Roselieb: Das Ganze fordert natürlich Medienkompetenz. Das heißt, Sie müssen sich überlegen, wer stellt diese Nachricht ins Netz. Wir wissen aus der Krisenforschung, dass nach wie vor die alten etablierten Medien, also Tagesschau.de oder Spiegel.de, sehr glaubwürdige Quellen sind. Die prüfen relativ genau. Die entschuldigen sich auch, wenn was schief laufen sollte. Da kann ich mich natürlich informieren. Und zum zweitens kann ich einfach die Möglichkeiten von heute nutzen, nicht nur ein Medium zu lesen wie vielleicht früher die Tageszeitung, sondern ich kann sehr viele Medien nutzen und damit mich auch breit informieren. Wenn ich möchte, kann ich die linke "taz" genauso lesen wie die rechte "Junge Freiheit" und die Wahrheit wird immer in der Mitte irgendwo liegen.
Eine Meinung als angebliche "Spiegel"-Schlagzeile verkauft
Schrammar: Studien zeigen aber auch, dass klassische vertrauenswürdige Medien, die Sie gerade angesprochen haben, bestimmte Bevölkerungsschichten kaum noch erreichen. Ist damit die Gefahr nicht auch größer, dass solche Fake News, solche Falschmeldungen Erfolg haben?
Roselieb: Wir beobachten das auf eher rechten Internetseiten, dass dort versucht wird, mit dem Rückverweis auf diese offiziellen Quellen, den Kölner "Stadtanzeiger", "Die Welt" oder so, die Qualität einer Nachricht zu untermauern. Da wird dann sehr stark die Nachricht, die neutrale Information mit der Meinungsäußerung der jeweiligen Artikelschreiber vermischt und da müssen die Bürger einfach aufpassen, dass man ihnen da nicht eine Meinung als angebliche "Welt"- oder "Spiegel"-Schlagzeile verkauft. Wir wissen auch, dass zum Teil Nachrichtenmeldungen gefälscht wurden, Überschriften zu Nachrichtenmeldungen beispielsweise bei Facebook, und da ist es entsprechend wichtig, von Seiten der Provider Schutzmechanismen einzuleiten, die auch meines Wissens nach schon angefangen wurden zu etablieren.
Schrammar: Damit sind wir wieder beim Fall Künast. Dort wurde das Ganze angezeigt. Facebook hat drei Tage gebraucht, um diese Nachricht zu löschen. Was können Betroffene denn tun, die Opfer von Falschmeldungen geworden sind?
"Quick and Quiet" - damit das Thema kein neues Futter bekommt
Roselieb: Der erste Schritt wäre, relativ zügig auf den eigenen Seiten solche Meldungen richtigzustellen - das ist die eigene Internetseite, die eigene Facebook-Seite, der eigene Twitter-Account - und dann relative Ruhe zu bewahren. Es macht gar keinen Sinn, das Thema, wie es Frau Künast gemacht hat, immer wieder durch die Medien zu tragen, weil dann bleibt der Eindruck nachher hängen, dass da vielleicht doch irgendwas dran war. Man möchte ja gerade, dass die Nachricht aus den Medien rauskommt. Und man muss sich auch Verbündete suchen. Auch der Journalist wird üblicherweise gegenprüfen, ob denn diese Meinung, die im Raum steht, wirklich von der Person stammt, ob sie es wirklich gesagt hat.
Schrammar: Heißt also, man soll im Zweifel gelassen reagieren? Heißt das, dass wir dann Lügen einfach unwidersprochen hinnehmen sollten? Haben die Fake News Erfinder damit nicht gewonnen?
Roselieb: Es gilt bei Fake News eigentlich wie bei der psychologischen Kriegsführung immer der Grundsatz Quick and Quiet. Sie müssen zügig reagieren, zügig sagen, das stimmt nicht, und sich dann relativ zurückhalten, damit das Thema kein neues Futter, kein neues Öl bekommt. Da ist manchmal wirklich Schweigen Gold und Reden nur Silber.
Schrammar: … sagt Frank Roselieb, Leiter des Kieler Instituts für Krisenforschung und Kommunikationsexperte, zum Thema Fake News, gefälschte Meldungen. Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben.
Roselieb: Gerne.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.