Anas Modamani, 19 Jahre alt, wird heute Nachmittag zum ersten Mal in einem deutschen Gerichtssaal sitzen. Neben seinem Anwalt Chan-jo Jun. Modamani sagt: "Wir schaffen das!"
Der syrische Geflüchtete zitiert die Kanzlerin. Jene Frau, mit der er sich im Sommer 2015 fotografierte. Obwohl er noch fünf Minuten vor dem Selfie mit Merkel nicht wusste, wer diese fremde Frau überhaupt ist. Modamani kam nämlich gerade aus dem Supermarkt neben seiner Berliner Flüchtlingsunterkunft.
"Ich war einfach einkaufen. Ich habe viele Journalisten gesehen und: Die Leute machen viele Fotografien. Ich habe eine Frau gesehen. Ich kenne sie nicht, ich weiß es nicht. Wirklich."
Das Selfie mit Merkel hat Modamani nicht nur Glück gebracht. Anfangs war er stolz, doch dann fand er sein eigenes Konterfei immer häufiger auf gefälschten Fahndungsplakaten. Sein Gesicht war einfach aus dem Merkelbild heraus- und in fiktive Terrormeldungen hineinkopiert worden: Fake News. Weitergeleitet zum Beispiel von einem AfD-Politiker aus Nordrhein-Westfalen. Aber wer es erstellt hat, ist leider schwer herauszufinden, sagt Modamanis Würzburger Anwalt Chan-jo Jun:
"Einer der frühesten Postings kommt von einer Seite, die heißt Flüchtling.info. Die Seite ist anonym, denn Facebook lässt anonyme Seiten zu. Wir haben keine Möglichkeit, diejenigen zu finden, die das Bild zum ersten Mal hochgeladen haben. Zumal wir wissen, dass Facebook nicht besonders kooperativ ist mit den Strafermittlungsbehörden."
Anwalt hält Facebook für verantwortlich
Deshalb, so Rechtsanwalt Jun, sei Facebook selbst dafür verantwortlich, solche illegalen Postings in seinem Netzwerk zu löschen.
"Diese Bilder kursieren ja schon seit Ende des letzten Jahres und wir hatten den Antrag am 30. Dezember gestellt und hoffen in einem Eilverfahren ja auch auf eine schnelle Entscheidung. Dass Facebook sich also nicht herausreden kann und sagt: Nur, weil du uns etwas übers Portal gemeldet hast, habe ich noch lange keine Kenntnis darüber. Das wäre schwer nachvollziehbar."
Es gibt auf Facebook eine Meldefunktion. Dort kann man sich über Inhalte beschweren. Aber in vielen Fällen passiert dann nichts. So auch im Fall Modamani, sagt Anwalt Jun. Facebook bestreitet das. Das US-Unternehmen hat sich über seine Europazentrale in Irland bisher nur auf englisch geäußert. In einem Pressestatement heißt es übersetzt:
"Wir versichern, uns an die Verpflichtungen nach deutschem Recht zu halten, wenn es um das Teilen von Bildern auf unseren Plattformen geht. Wir haben bereits den Zugang zu Inhalten blockiert, über die uns der rechtliche Vertreter von Herrn Modamani informiert hat. Deshalb glauben wir, dass keine weiteren rechtlichen Schritte nötig sind, um das Problem effektiv zu beheben. Wir werden Herrn Modamanis rechtliche Vertreter auch in Zukunft darüber informieren, was mit allen weiteren Inhalten geschieht, die für sie problematisch sind."
Kläger hofft auf Grundsatzentscheidung des Gerichts
Doch das reicht Modamani und seinem Anwalt nicht. Sie wollen eine Grundsatzentscheidung des Gerichts, die Facebook juristisch in die Pflicht nimmt für Inhalte, die Facebook-Nutzer posten. Anwalt Jun hofft auf ein Urteil:
"In dem klargestellt wird, dass Facebook die Inhalte überall auf dem Portal entfernen muss – ohne Rücksicht darauf, ob jetzt eine bestimmte Speicheradresse angegeben wird, denn der Mandant Anas Modamani kann nicht wissen, wo auf Facebook dieses Bild überall hochgeladen und geteilt wurde. Das kann nur Facebook und das ist Facebook auch zumutbar. Selbst, wenn seine Gemeinschaftsstandards vorsehen, dass Beleidigungen und Verleumdungen nicht verboten sind, so muss es doch wenigstens auf Beschwerde hin reagieren und solche Inhalte löschen."
Sollte das Landgericht Würzburg dies ebenso sehen, droht Facebook in Deutschland eine Klagewelle mit unabsehbaren finanziellen Folgen. Es gilt als sicher, dass der Konzern bei einem für ihn negativen Urteil durch die juristischen Instanzen gehen wird. Anas Modamani, der junge Geflüchtete aus Syrien, wird versuchen, der Verhandlung so gut es geht zu folgen. Für ihn ist das Urteil, das die Richter erst in einigen Tagen fällen werden, von existenzieller Bedeutung, sagt sein Anwalt. Es gehe um Modamanis Zukunft.
"Er möchte in Deutschland arbeiten und zur Schule gehen. Er macht einen Deutschkurs gerade, arbeitet in einem Schnellrestaurant, hat mit diesen ganzen Terroranschlägen überhaupt nichts zu tun. Aber es kommt immer wieder – er wurde schon für den Brüsseler Terroranschlag verantwortlich gemacht – und immer, wenn jemand irgendwas über ein Flüchtlingsproblem sagen will, wird sein Bild als Illustration verwendet."
Auf Facebook ist Modamani übrigens immer noch. Vor einer Woche hat er sein Profilbild geändert. Es zeigt ihn mit ernstem Blick in einer Winterjacke im dichten Schneetreiben. Als Lieblingsbuch hat er "Deutsch lernen" angegeben. Das Selfie mit der Kanzlerin hat er nicht gepostet.