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Fakes und makabre Scherze

Um Fiktion und Realität geht es dem zwischen New York und Beirut pendelnden Künstler Walid Raad oft in seinem Werk. Mit fiktiven Dokumentationen über den Nahost-Konflikt will Raad die Grenzen der Geschichtsschreibung aufzeigen. Durch seine subjektive Sicht auf den Konflikt stößt der Künstler aber auch selbst an diese Grenzen. Im Heidelberger Kunstverein zeigt Raad nun sein Projekt "I Might Die Before I Get A Rifle"

Von Christian Gampert |
    Konzeptkunst ist, wenn man das Publikum hinters Licht führt. Im Heidelberger Kunstverein wird eine Ausstellung gezeigt, die angeblich bereits 1989 in Alexandria zu sehen war: fünf libanesische Künstler setzen sich mit dem Bürgerkrieg in ihrem Land auseinander. Angeblich tauchten diese Arbeiten erst 2002 wieder auf, nun allerdings im Rahmen eines Projekts des libanesischen Konzept-Artisten Walid Raad. Und nun hat der Direktor des Heidelberger Kunstverein, Johan Holten, angeblich den Kurator der fast 20 Jahre alten Ausstellung ausfindig gemacht und gebeten, die Schau zu rekonstruieren.

    Das Ganze ist ein perfektes Fake: Marwan Baroudi, der Kurator, kommt nicht zur Eröffnung, weil es ihn nicht gibt. Dafür kommt Walid Raad, denn es sind allein seine Arbeiten, die gezeigt werden, und die merkwürdige Irreführung des Publikums ist seine Idee und sein Ausstellungs-Konzept. Der 1967 geborene Raad kennt sich gut aus in der Kunstszene, er lebt meist in New York und ist nur zeitweise zu Hause in Beirut. Gleichwohl beschwören die hier gezeigten Arbeiten ausschließlich Gewalt und Hass des Krieges, und zwar meist weniger des innerlibanesischen Konflikts als vielmehr der israelischen Angriffe auf Beirut. Eine ziemlich zerkratzte Serie großformatiger Fotos zeigt Explosionen über der Stadt 1982, sie zeigt auch erschöpfte israelische Soldaten in einer Gefechtspause. Raad war damals 15 Jahre alt, er schlich sich aus dem Haus und fotografierte. Irgendwann fand er die Negative wieder und beschloss, Kunst daraus zu machen; Flecken, Blasen und Schleifspuren veredeln das sowieso unscharfe, grobkörnige Schwarzweiß, das, gutwillig betrachtet, dem Krieg mit diesen Kratzern à la Cy Twombly eine abstrakte Aura verleihen will. Pathetisch gesagt: die Welt hat einen Sprung.

    Die Hintergründe des Krieges werden in den Wandtexten freilich nicht erwähnt; zur Erinnerung: Israel zwang die damals rein terroristische PLO zur Flucht aus Beirut, Arafat ging nach Tunis. Aber das ist Raad nicht wichtig; wichtig sind ihm die Legenden, die er um die Bilder spinnt. Für jede Arbeit hat er sich einen Extra-Künstler erfunden, ein Pseudonym, und ihm einen Lebenslauf gedichtet. Wo keine Geschichte sei, müsse man sich eine ausdenken, sagt Raad; die Traumata der libanesischen Gesellschaft säßen so tief, dass man nur indirekt von ihnen handeln könne. Deshalb der Umweg über Fiktion, erfundene Ausstellungen und Charaktere.

    Die Kunstwerke selber werden deshalb nicht unbedingt besser: auch auf den letzten israelischen Angriff auf Beirut 2006 hat Walid Raad reagiert - er collagiert kleinste kolorierte Kriegsbilder in eine weite weiße Fläche, verloren wirkende Realitätsflecken inmitten eines abstrakten Weiß. Auch hier kein Hinweis auf den Konflikt zwischen Israel und der im Libanon residierenden Hisbollah - stattdessen das absurde Zitat einer wiederum fiktiven Künstlerin, sie kommuniziere telepathisch mit israelischen Bomberpiloten, die ihr ihre Ziele verrieten. Dank dieses Verfahrens könne sie "zerfetzte Körper, Gischtwolken, Flammen und Trümmer" mit der Kamera festhalten. Nimmt man den Text ernst, dann ist das pure anti-israelische Propaganda; nimmt man das Bild ernst, dann sind das winzige Bilder zu einer winzigen Idee, die da lautet: Krieg ist böse. Klingt nicht gerade neu.

    Andere fotografische Arbeiten Raads bilden Projektile als Kinderspielzeug ab, man kann Geschosse sammeln wie Murmeln, vor Gebrauch, nach Gebrauch, und offenbar tut man das im Nahen Osten auch. Eine weitere Arbeit macht Einschläge in Gebäuden deutlich und benennt die Herkunft der Munition, für jedes beteiligte Land eine andere Farbe. Das sieht schön bunt aus und ist für die Volkshochschule gut geeignet, und natürlich exportiert auch Deutschland Waffen nach Nahost. Das zentrale Werk der Ausstellung aber besteht aus sehr großen Fotos, die Sprengköpfe, Projektile, Granaten wie auf einer Werbewand abbilden, Zünder, Zünderkabel, Plastiksprengstoff. Das Ganze changiert zwischen Ironisierung und Ästhetisierung des Krieges. Waffen fotografieren, im Riesenformat - für den smarten Walid Raad, der sich in seine gefaketen Lebensläufe gern die Daten des Über-Kurators Harald Szeemann hereinschreibt, mag das ein konzeptueller Spaß sein; für die Menschen in Nahost sind es ziemlich makabre Scherze.