Christiane Kaess: Alle vier Jahre erstellt das Bundesarbeitsministerium den sogenannten Armuts- und Reichtumsbericht. Vor ein paar Monaten war es wieder so weit: Mitte September brachte das dafür zuständige Ressort unter Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen seinen Entwurf heraus. Kurze Zeit später sah diese Beschreibung, wie es in Deutschland um die Einkommens- und Besitzverhältnisse steht, ganz anders aus.
Am Telefon ist jetzt Heinrich Leonhard Kolb, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der FDP-Fraktion im Bundestag und dort Mitglied im Ausschuss Arbeit und Soziales. Guten Morgen!
Heinrich Leonhard Kolb: Guten Morgen, Frau Kaess.
Kaess: Herr Kolb, war die ursprüngliche Analyse von Ursula von der Leyen so schlecht, dass man der Ursprungsfassung sämtliche Zähne ziehen musste?
Kolb: Nein. Es wurde ja auch in Ihrem Vorbericht deutlich: auf den 548 Seiten ist nur an sehr, sehr wenigen Stellen geändert worden, und zwar nicht da, wo es um Fakten geht, sondern da, wo das BMAS Bewertungen vorgenommen oder vorgeschlagen hatte. Es ist aber so, dass dieser Bericht, der Armuts- und Reichtumsbericht, ein Bericht der Bundesregierung ist, und dann muss er auch in der Bundesregierung abgestimmt werden. Das Verfahren ist nicht neu, das ist der vierte Bericht. Bei den ersten dreien wurde der Bericht von der SPD mit dem jeweiligen Arbeitsminister erstellt, und da fand man es ganz normal, dass eine Ressortabstimmung stattfindet. Dass das jetzt auch erfolgt ist, bewerte ich nicht als beunruhigend, sondern im Gegenteil als Beweis dafür, dass in dieser Regierung die Abstimmung funktioniert. Wir können im Ergebnis feststellen, dass wir eine gute Entwicklung in Deutschland haben am Arbeitsmarkt.
Kaess: Herr Kolb, da können wir gleich noch drüber sprechen. Aber noch eine andere Frage erst mal zunächst. Es muss doch allen Beteiligten klar gewesen sein, dass es hier um sensible Themen geht. Haben Sie die Reaktionen unterschätzt?
Kolb: Nein. Wie gesagt, die Fakten wurden nicht geändert. Aber wir hatten zur Kenntnis zu nehmen und haben das natürlich auch eingearbeitet, dass im Herbst letzten Jahres das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung eine Untersuchung mit neueren Daten vorgelegt hat, und da ist es eben sehr wichtig festzuhalten, dass seit 2006 die Einkommensgleichheit in Deutschland nicht weiter zugenommen hat, sondern das, was wir heute kritisch begutachten, unter rot-grüner Regierungsverantwortung bis zum Jahr 2006 im wesentlichen passiert ist.
Kaess: Das sehen Kritiker wie Ulrich Schneider, der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, ganz anders. Wir haben es gerade im Bericht gehört. Die gehen sogar in ihrer Kritik so weit, dass sie behaupten, die Bevölkerung werde hinters Licht geführt.
Kolb: Nein. Also ich finde, man muss hier mal ganz klar sagen: Es bringt nichts, so wie Herr Schneider sich das anscheinend vorstellt, dass man Armut irgendwie kritisch beschreibt, sondern es geht darum, den Menschen wirklich zu helfen, und da ist doch das Entscheidende bei diesem Armuts- und Reichtumsbericht, dass wir jetzt einen Schwerpunkt auf soziale Mobilität legen. Das heißt, uns ist wichtig, dass die Menschen ihre eigene Lebenslage verändern können, verändern innerhalb ihres eigenen Lebenslaufes, und da haben wir einen Lebensphasenansatz gewählt, wo wir genau untersuchen, was muss passieren im jeweiligen Lebensalter, damit Menschen eben nicht dem Risiko der Armut ausgesetzt werden.
Kaess: Aber die kritische Beschreibung gehört doch erst einmal zur Analyse dazu.
Kolb: Aber die bisherigen Berichte waren immer statisch angelegt. Das heißt, man hat nur beschrieben, was ist, und wir wollen dynamisch die Dinge auch verändern. Wir wollen insbesondere Bildungschancen für junge Menschen eröffnen, damit diese perspektivisch auch ihr eigenes Leben erfolgreich gestalten können.
Kaess: Aber es geht ja zunächst einmal um eine Zustandsbeschreibung. Was ist falsch an dem Satz, die Privatvermögen in Deutschland sind sehr ungleich verteilt?
Kolb: Das ist etwas, was man schon immer feststellen konnte und musste. Aber ich weise darauf hin, dass eine Allensbach-Umfrage ganz aktuell festgestellt hat, dass 90 Prozent der Menschen eine ungleiche Vermögensverteilung nicht problematisch empfinden, aber sie wollen, dass Chancengerechtigkeit besteht, dass man seine eigene Lage auch verändern kann. Da ist das Gefühl, dass man da mehr tun kann, und das wollen wir ja auch tun mit diesem lebensphasenorientierten Ansatz.
Kaess: Aber es wurden ja auch tatsächlich bestimmte Fakten, was Sie jetzt gerade bestreiten, aus dem Bericht rausgenommen. Ich zitiere mal einen. Da heißt es, "allerdings arbeiteten im Jahr 2010 in Deutschland knapp über vier Millionen Menschen für einen Bruttostundenlohn von unter sieben Euro." Warum wird auf solche Missstände nicht mehr hingewiesen?
Kolb: Also das Thema Niedrigentlohnung ist für uns absolut ein Thema und gerade auch für diese Bundesregierung. Ich will mal darauf hinweisen, dass wir in dieser Legislaturperiode für mehr als 2,1 Millionen Menschen Mindestlöhne neu eingeführt haben, gerade um problematische Einkommenssituationen zu verbessern. Der Weg ist auch noch nicht zu Ende. Sie haben das ja verfolgt, dass die Bundesregierung aktuell hier auch darüber nachdenkt, was man weiter tun kann. Aber das ist eben ganz wichtig, nicht einfach statisch zu verharren, was ist heute problematisch, sondern den Blick nach vorne, was müssen wir tun, damit sich die Lage der Menschen bessert.
Kaess: Aber dennoch bleibt ja diese Zahl, vier Millionen Menschen, die eben für diesen niedrigen Stundenlohn arbeiten. Warum darf das in dem Bericht nicht genannt werden?
Kolb: Weil eben wichtig ist, noch mal deutlich zu machen, wir wollen diese Dinge verändern. Wir diskutieren derzeit …
Kaess: Aber wir sprechen über eine Zustandsbeschreibung.
Kolb: Wir sprechen über eine Zustandsbeschreibung. Diese Zustände basieren teilweise darauf, dass ausgelaufene Tarifverträge sich in der Nachwirkung befinden, das heißt, immer noch angewendet werden, obwohl der ursprüngliche Anwendungszeitraum längst vorbei ist, und das ist etwas, was wir auch verändern wollen und jetzt tun.
Kaess: Aber warum darf diese Tatsache nicht genannt werden? Das gehört doch in so einen Bericht rein.
Kolb: Ja wir handeln doch. Das ist doch das Entscheidende. Wir haben bei dem Thema Mindestlohn signalisiert, wir haben etwas getan in dieser Legislaturperiode, und wir werden auch weiter an diesem Thema dran bleiben.
Kaess: Die Opposition wirft Ihnen mit dem nach ihrem Verständnis geschönten Bericht Wahlkampftaktik vor, und das passt ja auch ganz gut in diese Zeit.
Kolb: Nein. Also politische Taktik stelle ich vor allen Dingen bei der Opposition fest. Wie gesagt, die Berichte wurden immer so erstellt, wie das jetzt der Fall auch gewesen ist. Und solange die SPD in der Regierung war, hatte sie daran auch nichts auszusetzen. Nun soll es jetzt plötzlich dann anders sein.
Kaess: Nehmen Sie denn die Sozialverbände ein bisschen ernster, die ja auch Sturm laufen, weil deren Erfahrungen aus der Praxis eben ganz anders aussehen, als das in dem Bericht dargestellt wird?
Kolb: Wir nehmen die Einwendungen der Sozialverbände immer ernst, das ist vollkommen klar. Aber wir können feststellen: wir haben in Deutschland eine Lage, um die wir international auch beneidet werden: eine Entwicklung am Arbeitsmarkt mit großen Erfolgen.
Kaess: Und Sie machen sich über sozialen Zusammenhalt überhaupt keine Sorgen?
Kolb: Doch, doch. Das habe ich ja deutlich gemacht. Wir sind schon jetzt dabei, die Einkommensverhältnisse in Deutschland zu überprüfen, Voraussetzungen für Mindestlöhne auch zu schaffen. Also wir sind nicht blind auf diesem Auge, will ich damit sagen.
Kaess: Herr Kolb, zuletzt noch: Der Bericht steht seit Monaten aus. Warum hat das Ganze so lange gedauert?
Kolb: Weil eine Abstimmung zwischen den Ressorts stattfinden musste, die nicht unüblich ist, sondern immer so gewesen ist.
Kaess: Und offensichtlich war man sich da in der Regierungskoalition überhaupt nicht einig?
Kolb: Das ist genau der Punkt. Frau von der Leyen wollte ihre Sicht der Dinge durchsetzen und in der Regierung muss eine einheitliche Sicht der Dinge letztendlich erfolgen. Das ist jetzt passiert.
Kaess: Wie erklären Sie diese unterschiedlichen Sichtweisen zwischen Koalitionspartnern?
Kolb: Ich denke, Frau von der Leyen wollte auch ihre politischen Ziele ein Stück weit fördern mit dem, was sie im Entwurf niedergeschrieben hatte, zum Beispiel die Einführung eines allgemeinen gesetzlichen Mindestlohnes. Wir haben einen anderen Ansatz, wir wollen branchendifferenzierte Mindestlöhne, das heißt Regelungen auf der Basis von Tarifverträgen, und das ist etwas anderes.
Kaess: Aber Sie wollten sich doch auch der Union annähern, um zu einem Kompromiss zu kommen.
Kolb: Das haben wir getan. Der Bericht, der heute im Kabinett ist, ist abgestimmt. Das heißt, das ist jetzt die Meinung der Bundesregierung.
Kaess: Ich meinte jetzt in Bezug auf Mindestlöhne.
Kolb: Ja. Das wollen wir und da führen wir Verhandlungen, und ich gehe davon aus, dass wir in Kürze auch ein Ergebnis vorlegen können.
Kaess: Sagt Heinrich Leonhard Kolb. Er ist stellvertretender Fraktionsvorsitzender der FDP-Fraktion im Bundestag. Danke für das Interview heute Morgen!
Kolb: Ich danke auch.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Am Telefon ist jetzt Heinrich Leonhard Kolb, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der FDP-Fraktion im Bundestag und dort Mitglied im Ausschuss Arbeit und Soziales. Guten Morgen!
Heinrich Leonhard Kolb: Guten Morgen, Frau Kaess.
Kaess: Herr Kolb, war die ursprüngliche Analyse von Ursula von der Leyen so schlecht, dass man der Ursprungsfassung sämtliche Zähne ziehen musste?
Kolb: Nein. Es wurde ja auch in Ihrem Vorbericht deutlich: auf den 548 Seiten ist nur an sehr, sehr wenigen Stellen geändert worden, und zwar nicht da, wo es um Fakten geht, sondern da, wo das BMAS Bewertungen vorgenommen oder vorgeschlagen hatte. Es ist aber so, dass dieser Bericht, der Armuts- und Reichtumsbericht, ein Bericht der Bundesregierung ist, und dann muss er auch in der Bundesregierung abgestimmt werden. Das Verfahren ist nicht neu, das ist der vierte Bericht. Bei den ersten dreien wurde der Bericht von der SPD mit dem jeweiligen Arbeitsminister erstellt, und da fand man es ganz normal, dass eine Ressortabstimmung stattfindet. Dass das jetzt auch erfolgt ist, bewerte ich nicht als beunruhigend, sondern im Gegenteil als Beweis dafür, dass in dieser Regierung die Abstimmung funktioniert. Wir können im Ergebnis feststellen, dass wir eine gute Entwicklung in Deutschland haben am Arbeitsmarkt.
Kaess: Herr Kolb, da können wir gleich noch drüber sprechen. Aber noch eine andere Frage erst mal zunächst. Es muss doch allen Beteiligten klar gewesen sein, dass es hier um sensible Themen geht. Haben Sie die Reaktionen unterschätzt?
Kolb: Nein. Wie gesagt, die Fakten wurden nicht geändert. Aber wir hatten zur Kenntnis zu nehmen und haben das natürlich auch eingearbeitet, dass im Herbst letzten Jahres das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung eine Untersuchung mit neueren Daten vorgelegt hat, und da ist es eben sehr wichtig festzuhalten, dass seit 2006 die Einkommensgleichheit in Deutschland nicht weiter zugenommen hat, sondern das, was wir heute kritisch begutachten, unter rot-grüner Regierungsverantwortung bis zum Jahr 2006 im wesentlichen passiert ist.
Kaess: Das sehen Kritiker wie Ulrich Schneider, der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, ganz anders. Wir haben es gerade im Bericht gehört. Die gehen sogar in ihrer Kritik so weit, dass sie behaupten, die Bevölkerung werde hinters Licht geführt.
Kolb: Nein. Also ich finde, man muss hier mal ganz klar sagen: Es bringt nichts, so wie Herr Schneider sich das anscheinend vorstellt, dass man Armut irgendwie kritisch beschreibt, sondern es geht darum, den Menschen wirklich zu helfen, und da ist doch das Entscheidende bei diesem Armuts- und Reichtumsbericht, dass wir jetzt einen Schwerpunkt auf soziale Mobilität legen. Das heißt, uns ist wichtig, dass die Menschen ihre eigene Lebenslage verändern können, verändern innerhalb ihres eigenen Lebenslaufes, und da haben wir einen Lebensphasenansatz gewählt, wo wir genau untersuchen, was muss passieren im jeweiligen Lebensalter, damit Menschen eben nicht dem Risiko der Armut ausgesetzt werden.
Kaess: Aber die kritische Beschreibung gehört doch erst einmal zur Analyse dazu.
Kolb: Aber die bisherigen Berichte waren immer statisch angelegt. Das heißt, man hat nur beschrieben, was ist, und wir wollen dynamisch die Dinge auch verändern. Wir wollen insbesondere Bildungschancen für junge Menschen eröffnen, damit diese perspektivisch auch ihr eigenes Leben erfolgreich gestalten können.
Kaess: Aber es geht ja zunächst einmal um eine Zustandsbeschreibung. Was ist falsch an dem Satz, die Privatvermögen in Deutschland sind sehr ungleich verteilt?
Kolb: Das ist etwas, was man schon immer feststellen konnte und musste. Aber ich weise darauf hin, dass eine Allensbach-Umfrage ganz aktuell festgestellt hat, dass 90 Prozent der Menschen eine ungleiche Vermögensverteilung nicht problematisch empfinden, aber sie wollen, dass Chancengerechtigkeit besteht, dass man seine eigene Lage auch verändern kann. Da ist das Gefühl, dass man da mehr tun kann, und das wollen wir ja auch tun mit diesem lebensphasenorientierten Ansatz.
Kaess: Aber es wurden ja auch tatsächlich bestimmte Fakten, was Sie jetzt gerade bestreiten, aus dem Bericht rausgenommen. Ich zitiere mal einen. Da heißt es, "allerdings arbeiteten im Jahr 2010 in Deutschland knapp über vier Millionen Menschen für einen Bruttostundenlohn von unter sieben Euro." Warum wird auf solche Missstände nicht mehr hingewiesen?
Kolb: Also das Thema Niedrigentlohnung ist für uns absolut ein Thema und gerade auch für diese Bundesregierung. Ich will mal darauf hinweisen, dass wir in dieser Legislaturperiode für mehr als 2,1 Millionen Menschen Mindestlöhne neu eingeführt haben, gerade um problematische Einkommenssituationen zu verbessern. Der Weg ist auch noch nicht zu Ende. Sie haben das ja verfolgt, dass die Bundesregierung aktuell hier auch darüber nachdenkt, was man weiter tun kann. Aber das ist eben ganz wichtig, nicht einfach statisch zu verharren, was ist heute problematisch, sondern den Blick nach vorne, was müssen wir tun, damit sich die Lage der Menschen bessert.
Kaess: Aber dennoch bleibt ja diese Zahl, vier Millionen Menschen, die eben für diesen niedrigen Stundenlohn arbeiten. Warum darf das in dem Bericht nicht genannt werden?
Kolb: Weil eben wichtig ist, noch mal deutlich zu machen, wir wollen diese Dinge verändern. Wir diskutieren derzeit …
Kaess: Aber wir sprechen über eine Zustandsbeschreibung.
Kolb: Wir sprechen über eine Zustandsbeschreibung. Diese Zustände basieren teilweise darauf, dass ausgelaufene Tarifverträge sich in der Nachwirkung befinden, das heißt, immer noch angewendet werden, obwohl der ursprüngliche Anwendungszeitraum längst vorbei ist, und das ist etwas, was wir auch verändern wollen und jetzt tun.
Kaess: Aber warum darf diese Tatsache nicht genannt werden? Das gehört doch in so einen Bericht rein.
Kolb: Ja wir handeln doch. Das ist doch das Entscheidende. Wir haben bei dem Thema Mindestlohn signalisiert, wir haben etwas getan in dieser Legislaturperiode, und wir werden auch weiter an diesem Thema dran bleiben.
Kaess: Die Opposition wirft Ihnen mit dem nach ihrem Verständnis geschönten Bericht Wahlkampftaktik vor, und das passt ja auch ganz gut in diese Zeit.
Kolb: Nein. Also politische Taktik stelle ich vor allen Dingen bei der Opposition fest. Wie gesagt, die Berichte wurden immer so erstellt, wie das jetzt der Fall auch gewesen ist. Und solange die SPD in der Regierung war, hatte sie daran auch nichts auszusetzen. Nun soll es jetzt plötzlich dann anders sein.
Kaess: Nehmen Sie denn die Sozialverbände ein bisschen ernster, die ja auch Sturm laufen, weil deren Erfahrungen aus der Praxis eben ganz anders aussehen, als das in dem Bericht dargestellt wird?
Kolb: Wir nehmen die Einwendungen der Sozialverbände immer ernst, das ist vollkommen klar. Aber wir können feststellen: wir haben in Deutschland eine Lage, um die wir international auch beneidet werden: eine Entwicklung am Arbeitsmarkt mit großen Erfolgen.
Kaess: Und Sie machen sich über sozialen Zusammenhalt überhaupt keine Sorgen?
Kolb: Doch, doch. Das habe ich ja deutlich gemacht. Wir sind schon jetzt dabei, die Einkommensverhältnisse in Deutschland zu überprüfen, Voraussetzungen für Mindestlöhne auch zu schaffen. Also wir sind nicht blind auf diesem Auge, will ich damit sagen.
Kaess: Herr Kolb, zuletzt noch: Der Bericht steht seit Monaten aus. Warum hat das Ganze so lange gedauert?
Kolb: Weil eine Abstimmung zwischen den Ressorts stattfinden musste, die nicht unüblich ist, sondern immer so gewesen ist.
Kaess: Und offensichtlich war man sich da in der Regierungskoalition überhaupt nicht einig?
Kolb: Das ist genau der Punkt. Frau von der Leyen wollte ihre Sicht der Dinge durchsetzen und in der Regierung muss eine einheitliche Sicht der Dinge letztendlich erfolgen. Das ist jetzt passiert.
Kaess: Wie erklären Sie diese unterschiedlichen Sichtweisen zwischen Koalitionspartnern?
Kolb: Ich denke, Frau von der Leyen wollte auch ihre politischen Ziele ein Stück weit fördern mit dem, was sie im Entwurf niedergeschrieben hatte, zum Beispiel die Einführung eines allgemeinen gesetzlichen Mindestlohnes. Wir haben einen anderen Ansatz, wir wollen branchendifferenzierte Mindestlöhne, das heißt Regelungen auf der Basis von Tarifverträgen, und das ist etwas anderes.
Kaess: Aber Sie wollten sich doch auch der Union annähern, um zu einem Kompromiss zu kommen.
Kolb: Das haben wir getan. Der Bericht, der heute im Kabinett ist, ist abgestimmt. Das heißt, das ist jetzt die Meinung der Bundesregierung.
Kaess: Ich meinte jetzt in Bezug auf Mindestlöhne.
Kolb: Ja. Das wollen wir und da führen wir Verhandlungen, und ich gehe davon aus, dass wir in Kürze auch ein Ergebnis vorlegen können.
Kaess: Sagt Heinrich Leonhard Kolb. Er ist stellvertretender Fraktionsvorsitzender der FDP-Fraktion im Bundestag. Danke für das Interview heute Morgen!
Kolb: Ich danke auch.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.