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Faktenchecks in Talkshows
Per Crowdsourcing zur Wahrheit?

Verbreitet Hans-Georg Maaßen antisemitische Inhalte? Dass Luisa Neubauer diese Aussage bei "Anne Will" nicht noch während der Live-Sendung mit Beispielen belegen konnte, sei völlig normal, meint Marina Weisband. In ihrer Kolumne schlägt sie vor, einen neuen Weg für Faktenchecks in Talkshows zu finden.

Von Marina Weisband |
Luisa Neubauer, Klima-Aktivistin von Fridays for Future, zu Gast bei Anne Will im Ersten
Luisa Neubauer, Klima-Aktivistin von Fridays for Future, war am 9. Mai Gast bei "Anne Will" im Ersten (IMAGO / Jürgen Heinrich)
Diese Woche brummt Twitter hauptsächlich zu einem Thema: Luisa Neubauer hat dem ehemaligen Verfassungsschutzpräsidenten Hans-Georg Maaßen in der Sendung "Anne Will" am Sonntagabend vorgeworfen, antisemitische, rassistische und wissenschaftsleugnerische Inhalte zu verbreiten, wohlgemerkt: nicht dass er Antisemit sei. Armin Laschet sagte sofort, dass Antisemitismus für die CDU nicht akzeptabel wäre. Gefragt nach Beispielen, konnte Luisa Neubauer aus dem Stand keine nennen. Anne Will versprach einen Faktencheck im Nachgang der Sendung.
Und Faktenchecks wurden geliefert. Massenhaft. Eine der ersten umfangreichen Sammlungen kam vom Blog "Volksverpetzer". Teilweise wurde klar belegt, dass Maaßen antisemitische Blogs geteilt hat, teilweise läuft die Debatte noch, wie von ihm genutzte antisemitische Chiffren wie "Globalisten" zu bewerten sind. Jedenfalls hat die Sendung eine ganze Menge Recherche angestoßen.

Grundsätzliche Problematik: Stresssituation

Ich könnte jetzt darüber reden, warum Armin Laschet bei Rassismus und Wissenschaftsleugnung nur entgegnet, dass das etwas sei "das eine Volkspartei aushalten müsse", während nur bei Antisemitismus die Alarmglocken zu schrillen scheinen. Aber der Inhalt dieser Sendung soll hier gar nicht Thema sein.
Keine Phrasen-Debatten!
Schnell stehen Talkshow-Gäste wegen Äußerungen in der Kritik. Um das zu vermeiden, müsse man sich wohl vorher Phrasen zurechtlegen und dann abspulen, meint Marina Weisband. Doch in ihrer Kolumne macht sie auch klar: Ich will das nicht!
Viel interessanter finde ich die grundsätzliche Problematik: Dass Luisa Neubauer in einer Sendung auf Anhieb keine konkreten Beispiele für eine Aussage liefern kann, ist völlig normal. Die Gespräche sind zum Glück nicht gescripted, und selbst wenn einem nach der Sendung zehn Beispiele einfallen, ist man im Studio in einer solchen Stresssituation, dass man das Publikum oft nur auf Nachreichung vertrösten kann. Das haben viele Politiker bisher so gemacht, und es wäre unmenschlich, etwas anderes zu erwarten. Das Problem liegt eher darin, dass diese Nachreichungen praktisch nie ein so großes Publikum erreichen wie die Talkshow selbst.

Das Publikum direkt mit einbeziehen

Das ist ein Problem, weil man in einer Talkshow natürlich alles Mögliche behaupten kann. Was davon bestätigt und was widerlegt wird, kommt bei den meisten Zuschauern gar nicht mehr an. Nur die Behauptung bleibt hängen. Deshalb wurde bereits mehr als einmal gefordert, dass es für Talkshows eigentlich Echtzeit-Faktenchecks geben müsste. Das ist allerdings schwierig umzusetzen. Es bräuchte einen großen Stab an Recherche-Profis, die unter Hochdruck während der Sendung arbeiten. Gerade in komplexen Themen, wie antisemitischen Chiffren und Narrativen, ist das quasi unmöglich. Da müssten von Anfang an Experten an der Tastatur sitzen, die sowas sofort erkennen und entsprechende Quellen sofort wissen.
Marina Weisband wurde 1987 in der Ukraine geboren und kam 1994 als Kontingentflüchtling nach Deutschland. Von 2011 bis 2012 war sie politische Geschäftsführerin der Piratenpartei. Die Schwerpunkte der Autorin und Diplompsychologin sind Partizipation und Bildung. In ihrem Buch "Wir nennen es Politik" schildert sie Möglichkeiten neuer politischer Partizipation durch das Internet. Seit 2014 leitet sie bei politik-digital.de das aula-Projekt zur Demokratisierung von Schulen.
Allerdings gibt es ja durchaus Profis, die der Sendung zuschauen – in ganz Deutschland. Hunderte, die Luisa Neubauers Auftritt gesehen hatten, hatten augenblicklich konkrete Beispiele mit Links parat. Wäre es nicht zeitgemäß, ein so wichtiges, meinungsprägendes Format wie eine Talkshow im 21. Jahrhundert auch mit all diesen Experten zu vernetzen? Wo eine Redaktion in Echtzeit keine Faktenchecks liefern kann, könnte Crowdsourcing – das Auslagern an die breite Masse – eine Möglichkeit sein: das Publikum direkt mit einbeziehen.

Argumente in Echtzeit ins Studio

Ich kann natürlich keine fertige Lösung liefern, aber lassen Sie mich Ideen skizzieren: Während der Sendung sitzt ein großes Social-Media-Team an Rechnern und fordert die Community zur Prüfung von Aussagen auf. Sie bekommen Quellen und Argumente zugespielt, prüfen und filtern sie sorgsam und können diese in Echtzeit auf einen Bildschirm im Studio werfen. Die Moderatorin kann steuern, wie sie darauf eingeht. Im Kleinen hat mir diese Art von Crowdsourcing in Talkshows schon große Dienste erwiesen. Meist für kurzfristige Vorbereitung vorher, einmal habe ich auf Bitte von Lanz als Experiment mein Handy sogar mit in die Runde genommen.
Das wird nicht alle Probleme lösen. Aber so könnte man helfen, das Problem zu reduzieren, dass die Gästeauswahl einer Talkshow quasi allein zum entscheidenden Instrument der öffentlichen Meinungsbildung wird.