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Fünf Jahre „Faktenfinder“
„Fakten checken wird auf ein Podest gestellt, wo es nicht hingehört“

Seit fünf Jahren will der „Faktenfinder“ Desinformationen aufdecken. Im Krieg gegen die Ukraine gebe es aktuell eine „Flut an Bildern“, sagte der Leiter des ARD-Portals, Patrick Gensing, im Dlf. Ein Gespräch über die Grenzen seiner Arbeit – und, warum es am Ende vor allem journalistisches Handwerk ist.

31.03.2022
Das Wort "Fakt" erklärt im Rechtschreibduden
Das Wort "Fakt" - erklärt im Rechtschreibduden, samt "Faktenfinder" (imago images/Arnulf Hettrich)
Für Medien und Politik ist der Kampf gegen Desinformationen schon lange Thema der Stunde. Welche Folgen das gezielte Verbreiten von Falschinformationen haben kann, zeigt der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine seit Wochen mit Nachdruck.
In Russland selbst folgt noch eine Mehrheit der Bevölkerung der Kreml-Erzählung einer Denazifizierung des Nachbarlandes. Und auch in Deutschland verbreiten inzwischen sogenannte Querdenker nicht selten Putins Propaganda. Oft Falschnachrichten, die vor allem im Internet ihren Weg finden, über Social Media wie Facebook und Twitter oder Messengerdienste wie Telegram und Whatsapp.
„Wir beobachten natürlich sehr genau, was im Netz passiert, denn dort verbreiten sich die meisten gezielten Falschmeldungen nun mal“, erklärte Patrick Gensing zum Start des „Faktenfinder“ am 3. April 2017. Ziel des tagesschau.de-Portals sei es, den Menschen zu erklären, woran sie „Fake News“ erkennen, so Gensing damals im Interview mit Deutschlandfunk Kultur. Außerdem gehe es um die Mechanismen dahinter.

„Schon immer journalistisches Handwerk“

Fast fünf Jahre später müssen sich Gensing und sein Team mit dem russischen Krieg gegen die Ukraine auseinandersetzen. Doch nicht alle Fotos und Videos ließen sich verifizieren, sagte der ARD-Journalist im Deutschlandfunk. "Ganz sicher kann man sich in den meisten Fällen nicht sein."

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Ob seine Arbeit vor dem Hintergrund der Auseinandersetzung eine neue Relevanz bekommen hat? Das wisse er nicht, so Gensing kurz vor dem „International Fact Checking Day“ am 2. April. Das Checken von Fakten werde „immer so ein bisschen auf ein Podest gestellt, wo es nicht hingehört“, findet er. „Das ist schon immer journalistisches Handwerk gewesen.“ Anspruch des „Faktenfinder“ sei es, sich gezielt mit Desinformationen zu beschäftigen.

Das Interview im Wortlaut:

Sebastian Wellendorf: Herr Gensing, um Fakten zu finden beziehungsweise zu verifizieren, braucht man am besten Kolleginnen und Kollegen vor Ort. Die sind in diesem Fall nicht da. Wie können Sie überhaupt gerade arbeiten?
Patrick Gensing: Ja, was Sie da sagen, ist absolut zutreffend. Das Allerbeste ist natürlich, vor Ort Leute zu haben, die Angaben, die Videos, die Fotos überprüfen und bestätigen können. Das ist in diesem Fall eben nicht gegeben. Was wir in diesem Ukraine-Krieg erleben, ist wirklich eine unglaubliche Flut an Bildern. Das ist Fluch und Segen zugleich. Denn auf der einen Seite lassen sich natürlich nicht alle Fotos und Videos verifizieren. Auf der anderen Seite hilft es natürlich, ein Gesamtbild zu erstellen. Oder auch, einzelne Videos zu überprüfen, indem man sie mit anderen Aufnahmen abgleicht.
Wir sehen Quellen, die vielleicht öfter auftauchen, bei denen wir dann sagen können: Okay, die haben schon mal authentisches Videomaterial oder Fotos geliefert; das heißt, das spricht dann eher dafür. Zudem gibt es eben viele Hilfsmittel, wie Google Maps, Bilder rückwärts suchen und so weiter, um dann Aufnahmen zu lokalisieren. Es sind vor allen Dingen Angriffe auf Städte, so dass wir markante Gebäude sehen, wir sehen Schilder, mit denen man Videos dann tatsächlich auch überprüfen kann. So lässt sich eben dann auch feststellen, ob Material authentisch ist. Also, mit großer Wahrscheinlichkeit zumindest. Ganz, ganz sicher kann man sich in den meisten Fällen nicht sein.

„Man muss eben auch schauen, wie ist die Wertigkeit?“

Wellendorf: Wie sind Sie derzeit aufgestellt? Haben Sie beispielsweise am Personal etwas verändert in den letzten vier Wochen?
Gensing: Wir sind nicht alleine dafür zuständig, Bilder zu verifizieren, sondern dafür gibt es ein Team. Wir sind nicht aufgestockt worden, und wir stoßen natürlich einfach auch an Grenzen. Das muss man ganz klar sagen. Es gibt verschiedene Sachen, die wir nicht einfach vom Schreibtisch verifizieren können. Und, was auch eine ganz große Herausforderung ist: Welche Videos greifen wir jetzt beispielsweise raus? Wir haben gerade sehr viel diskutiert über das Video der russischen Kriegsgefangenen, denen in die Beine geschossen werden sollte. Das ist natürlich ein sehr krasses Video, was wir jetzt auch nochmal thematisieren. Aber man muss eben auch schauen, wie ist die Wertigkeit?
Zerstörte Häuserblock und Autos unter Trümmern in Mariupol nach einem Beschuss russischer Truppen am 27. März 2022.
"Auf der einen Seite sehen wir ganze Häuserblocks, die ausradiert werden, (...) und dann sehen wir ein einzelnes Video, das zeigen soll, wie Kriegsgefangenen in die Beine geschossen werden soll" (pa/AA/Leon Klein)
Auf der einen Seite sehen wir ganze Häuserblocks, die ausradiert werden, Angriffe auf Kindergärten und so weiter. Und dann sehen wir ein einzelnes Video, das zeigen soll, wie Kriegsgefangenen in die Beine geschossen werden soll. Zweifelsohne wäre das ein Kriegsverbrechen von ukrainischer Seite. Wenn man das eins-zu-eins nebeneinanderstellt, kann man eben auch schnell den Eindruck erwecken: Ach ja, alles Verbrecher, von beiden Seiten. Aber natürlich sind die Konsequenzen des russischen Angriffskriegs noch viel größer. Das muss man dann eben einfach auch sehen, wenn man überlegt, was greifen wir jetzt warum raus, und wie relevant sind die einzelnen Fälle. Relevant wäre alles Einzelne, keine Frage.

„Schritt halten mit dem technischen Fortschritt“

Wellendorf: Und da, das haben Sie gerade ja auch schon angesprochen, geht es ja auch darum herauszufinden, welche Fakten echt sind, oder nachvollziehbar und recherchierbar, und welche nicht. Unabhängige Recherche beziehungsweise Faktenchecking, das ist immer wichtig. Dennoch scheint das ja im Krieg, eine ganz neue Dimension zu bekommen. Immerhin können hier Infos über das Gebaren von Putin – oder Biden, im Zweifel – verheerende Folgen haben. Hat das Fact-Checking dadurch eine neue oder andere Relevanz bekommen aus Ihrer Sicht?
Gensing: Ich weiß nicht. Das Faktenchecken wird immer so ein bisschen auf ein Podest gestellt, wo es nicht hingehört. Das ist schon immer journalistisches Handwerk gewesen. Unser Anspruch ist eher, dass wir uns gezielt mit Desinformation beschäftigen. Dass wir versuchen, diese Themen zu beleuchten. Dass wir auch die Strategien dahinter beleuchten. Denn es nützt sehr wenig, nur zu sagen: Guckt mal, diese einzelne Meldung ist falsch! Sondern die einzelne Falschmeldung bezieht ja erst ihre Relevanz durch eine größere Botschaft, die dahintersteht, die vermittelt werden soll. Das zu erklären, finde ich wichtig, diese Zusammenhänge.
Was wir als neue Herausforderung sehen, sind die Sozialen Medien, die Flut an Bildern. TikTok ist da beispielsweise nochmal wirklich eine Plattform, die ganz neue Herausforderungen mit sich bringt, wo es Manipulationsmöglichkeiten gibt, die in sekundenschnell umgesetzt werden können. Das ist eigentlich das Neue, da Schritt zu halten mit dem technischen Fortschritt. Das sehe ich als größte Herausforderung.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.