Archiv

Falk Richter und Kornél Mundruczó in Wien
Schonungslose Realität

Vatikanbashing und Frauenschicksale: Bei den Wiener Festwochen zeigen Falk Richter und Kornél Mundruczó harte Kost. Sie erzählen von Missständen in unserer Gesellschaft, Rassismus, Gewalt und Gentrifizierung, vom Überlebenskampf und sozialer Ausgrenzung.

Von Sven Ricklefs |
    Während er sich selbst wohl noch immer für das moralische Zentrum Europas hält, sehen andere in ihm längst nur noch einen verruchten Club alter Männer mit Hang zu Luxus, Frauenkleidern und Kinderkörpern: Der Vatikan. Und mit einer Art Vatikanbashing lässt Falk Richter die sieben Performer in seinem neuen Stück beginnen. Passend zum Titel Città del Vaticano. Zugleich aber befragt das Stück aus der Sicht dieser jungen Menschen einen Wertekanon, der noch immer maßgeblich ist. Denn was sich anschließt, ist eine lockere Szenenfolge, die Interviews, direkte Publikumsansprachen und persönliche Bekenntnisse mischt. Dass die fünf männlichen Darsteller dabei schwul sind, ist offensichtlich. Das macht die Konfrontation mit dem Vatikan natürlich noch einmal virulenter. Doch Falk Richter will mit seinem "Città del Vaticano" mehr als nur die Begegnung mit den angerissenen Biographien seiner Performer, die da als Darsteller ihrer selbst agieren. Und so mündet das konkret Biographische immer wieder auch in Szenen, in denen sich die heutigen Ängste in Europa formulieren:
    Die Welt ist so unübersichtlich geworden, das halt ich einfach nicht mehr aus. Ich will die Kontrolle über mich und mein Leben zurück und ich will mich nur noch mit Dingen beschäftigen, die ich wirklich verstehe. Und ich will keine Verantwortung übernehmen müssen für Dinge, die ich nicht verstehe.
    Mit Trump Höcke Hofer in die Abgründe der Weltpolitik
    Dass Falk Richter ein großer Moralist ist, hat er schon öfter gezeigt. Er scheut sich nicht in seinen Stücken durchaus auch polemisch Missstände in unserer Gesellschaft anzuprangern. Dass dem Autor sein politisches Engagement manchmal allzu direkt und plakativ gerät, zeigt sich in Ansätzen auch jetzt wieder in "Città del Vaticano", dass mit Trump Höcke Hofer schnell auch noch von der Weltpolitik in den aktuellen österreichischen Wahlkampf hinübergrätscht. Trotzdem erliegt man letztlich der Direktheit, dem Charme und dem Spielwitz des jungen Ensembles, das seinen Ausdruck gerade auch in der expressiven Choreographie von Nir de Volff findet.
    Ganz anders dann, allerdings mit dem gleichen politischen Impetus: "Látszatélet", Scheinleben. Darin erzählt Kornél Mundruczó ganz realistisch von zwei Frauenschicksalen angesiedelt in ein und derselben Sozialwohnung. Da kämpft eine Roma um das Bleiberecht in dieser Wohnung, die zwangsgeräumt werden soll. Ihre einzige Waffe: die eigene Geschichte und die, von ihrem verstorbenen Mann und von ihrem Sohn, der sie verlassen hat, weil er es satt hat, immer der Andere, der Ausgestoßene, der Roma zu sein. Später dann bricht sie in ihrer Wohnküche vor den Augen jenes Beamten zusammen, der sie zum Auszug zwingen will. Sie wird im Krankenhaus sterben, wie man erfährt. Sofort wird die Wohnung wieder vermietet, diesmal an eine junge Frau, die noch ihren kleinen Sohn hineinschmuggeln wird. Dass da Geld und Arbeitsprobleme sind, wird schnell deutlich, dass sie Kontakt mit gewalttätigen Männern hat, sieht man an ihrem geschundenen Körper.
    Brennpunkte der ungarischen Gegenwart
    Wie so oft erzählt Kornél Mundruczó auch in dieser Produktion wieder von den Brennpunkten der ungarischen Gegenwart, von Rassismus, Gewalt und Gentrifizierung, vom Überlebenskampf und sozialer Ausgrenzung. Doch anders als sonst in seinem Theater, das selten ohne rohe Gewalt, Vergewaltigung und nacktem Fleisch auskommt, bleibt der Regisseur diesmal dezent, fast vermisst man den sonst so wuchtigen Zugriff seiner Handschrift. Doch dann, in der Mitte von diesem "Scheinleben" beginnt sich plötzlich der gerade menschenleere Bühnenkasten in Zeitlupe vertikal einmal um sich selbst zu drehen, sodass alle Möbel, Elektrogeräte, Waschmaschinen und Schrankinhalte durcheinanderfliegen. Nichts bleibt wo es ist und man selbst sieht minutenlang der langsamen Zerstörung einer Lebenswelt zu. Die junge Frau wird sich mit ihrem Sohn in dieser zerstörten Welt einrichten, ihr bleibt nichts anderes übrig. Und Kornél Mundruczó hat ein starkes Bild gefunden für das, was gerade vielerorts passiert. Man wird es so leicht nicht vergessen.