Ein Hochschulprofessor mahnt seine an den Smartphones herumfingernden Studenten, nicht immer nur auf Schlüsselwörter zu achten, nicht nur auf die Highlight oder Basics in seiner Rede, sondern auch auf die Zwischentöne, die Pausen, die Graubereiche und Wiederholungen. Kay Bartholomäus Schulze spielt den abgenervten Akademiker. Er ist ein Solist unter Solisten, gefangen in einem kleinen Spielräumchen, das mit offenen Aluminiumrahmen abgeteilt ist.
Wie er, sind auch die anderen, parallel in ihren Ego-Zellen gefangenen Akteure, Teil eines Gesamtbildes; allesamt in Bewegungsticks und Mustern gefangen, allesamt klagend über Beziehungslosigkeit. Jeder von ihnen hat mindestens einen jähen, mitunter surrealen Leidensmoment. Die Qual einer Tochter, die von ihrer Schauspielermutter verleugnet wird. Den von seiner Frau getrennten jungen Mann, den man daran hindert seinen Sohn zu sehen. Eine Therapeutin, die sich mit der jungen Frau identifiziert, die auf einer Demonstration brutal von den Einsatzkräften der Polizei gedemütigt wird und eine nun nicht mehr zu stillende Wut entwickelt. So gesehen, nicht mit eigenen Augen, sondern am Computer, als Youtube-Video.
Menschen bleiben immer allein
Aber nie können sich Menschen mit Empathie auch tatsächlich begegnen, immer bleiben sie in ihrer mal stillen, mal hoffnungslosen, mal wütenden Sehnsucht nach dem anderen allein. Einigermaßen komisch ist das in einem kleinen Theater-im-Theater-Monolog: Da wartet eine junge Dame im Abendkleid darauf, dass nun endlich die Probe für die Szene mit dem leidenschaftlichen Kuss kommt und auf ihren Partner, kriegt dann aber immer wieder gesagt, dass diese Szene gestrichen ist. Diese Streichung ist bei Falk Richter natürlich einer zivilisatorischen Drift geschuldet, die sich nicht mehr umkehren lässt: Die Verdinglichung der Welt hat die Menschen zu Restgrößen gemacht, die nur sehr selten verlangt werden, etwa für den Sex alle drei Wochen, aber bitte ohne Gespräche, ohne dass man etwas voneinander erfährt. Wie schon in "Trust" und "Protect me" mischen sich choreografierte Bilder in die Protokolle der Verlorenheit, in der Regel über das Podest auf der Hinterbühne und auf dem Boden rollende Körper, Wesen, die immerfort im Aufstehen schon wieder zusammenbrechen, Körper, denen ihre Qual längst zur zweiten Natur geworden ist.
Nach Produktionen mit Anouk van Dijk hat Falk Richter nun mit dem Choreografen Nir de Wolff zusammen gearbeitet, aber mehr als ein Remake seiner vorangegangenen Arbeiten ist dabei nicht entstanden. So als wäre der Autor und Regisseur Falk Richter in seiner Reflexion über das moderne Individuum einfach über den erreichten Stand nicht herausgekommen, wiederholen sich Motive, Bilder und Themen.
Tod ist eine existenzielle Erfahrung
Nur eins ist diesmal anders: Mit Ilse Ritter als einer der Akteurinnen ist eine andere Generation hinzugekommen und mit ihr eine historische Tiefenschicht: Nicht nur, dass sie in die zeitgenössische Sprache plötzlich die alten Worte vom Gretchen am Spinnrad einstreut, die Rede von der verlorenen Seelenruhe. Mehr noch, und da ist die Aufführung plötzlich ergreifend, spricht Ilse Ritter vom realen Verlust des anderen Menschen durch den Tod. Der Verlust des Anderen ist plötzlich keine modische, internetbedingte, Smartphone verschuldete, letztlich eventuell wegtherapierbare Zivilisationsmarotte mehr, sondern eine existenzielle Erfahrung, der nicht auszuweichen ist. "Never Forever" ist ein ansehnlicher Abend, ein Kampf der Kreatur gegen eine auch äußerlich kalte Welt, aber er ist bei Weitem nicht so aufregend wie "Trust" vor fünf Jahren.