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Fall Akhanli
"Das hat nichts mit den gegenwärtigen Konflikten zu tun"

Der AKP-Abgeordnete Mustafa Yeneroglu hat die Festnahme des deutsch-türkischen Schriftstellers Dogan Akhanli verteidigt. Es gehe dabei nicht um politische Verfolgung, sondern um einen Raubmord-Fall aus dem Jahr 1989, sagte er im Dlf. "Ich weiß gar nicht, warum aus der Geschichte so ein Riesen-Theater gemacht wird."

Mustafa Yeneroglu im Gespräch mit Tobias Armbrüster     |
    Der AKP-Politiker Mustafa Yeneroglu in Rotterdam.
    Der AKP-Politiker Mustafa Yeneroglu in Rotterdam. (imago / Hollandse Hoogte)
    Tobias Armbrüster: Es herrscht Eiszeit in den deutsch-türkischen Beziehungen und die Provokationen aus der Türkei, die scheinen, kein Ende zu nehmen. Mehrere Deutsche sind dort nach wie vor inhaftiert. Am Wochenende nun außerdem der Haftbefehl gegen den deutsch-türkischen Schriftsteller Dogan Akhanli in Spanien. Außerdem weitere Verbalattacken von Präsident Erdogan gegen die Bundesregierung, vor allem gegen Außenminister Sigmar Gabriel, was der sich eigentlich erlaube, ihn, den Präsidenten, überhaupt anzusprechen. Welches Ziel verfolgt die Türkei da eigentlich und was bringt den türkischen Präsidenten so in Rage? – Wir wollen das jetzt besprechen mit Mustafa Yeneroglu. Er ist AKP-Abgeordneter im türkischen Parlament und dort Vorsitzender des Menschenrechtsausschusses. Schönen guten Morgen nach Ankara.
    Mustafa Yeneroglu: Ja, hallo! Guten Morgen!
    "Was hat Präsident Erdogan damit zu tun?"
    Armbrüster: Herr Yeneroglu, Sie müssen uns das erklären. Weshalb lässt die Türkei diesen Konflikt so eskalieren?
    Yeneroglu: Zunächst einmal gehören zu einem Konflikt immer zwei Seiten. Da müssen wir immer die Fälle auch aufdröseln. Zum Beispiel den Fall Akhanli: In den meisten Medien wird er zum Opfer der Regierung stilisiert, angeblich weil er politisch kritisch sei. Tatsächlich geht es aber hier um einen Vorwurf des Raubmords aus dem Jahre 1989, zu dem ein Strafverfahren anhängig ist, das jedem hinlänglich bekannt ist, auch in Deutschland. Der Freispruch des Strafgerichts aus dem Jahre 2011 wurde durch das Revisionsgericht 2013 aufgehoben, die Sache also zurück an die Tatsacheninstanz zurückverwiesen. Der Prozess wird demnach fortgeführt, aber der Angeklagte ist nicht da. Was passiert, was in jedem Land auch passiert: Der Angeklagte wird gesucht, wenn er zum Prozess nicht erscheint, und deshalb wird seitdem Herr Akhanli mit internationalem Haftbefehl gesucht. Und was hat Präsident Erdogan damit zu tun?
    Armbrüster: Aber Herr Yeneroglu, Herr Akhanli wurde jahrzehntelang politisch verfolgt in der Türkei. Es liegt deshalb für viele auf der Hand, dass das alles nur ein Grund ist, um ihn in die Türkei zu bringen und dort zu inhaftieren wegen ganz anderer Vergehen.
    Yeneroglu: Ich bitte Sie, Herr Armbrüster. Zu dem Zeitpunkt, seitdem er gesucht wird, hatte Präsident Erdogan nicht mal überhaupt irgendein Amt inne. Jetzt wird er dafür verantwortlich gemacht, als ob er persönlich dafür sorgen würde, dass ein Haftbefehl ausgestellt ist und er gesucht wird. Es geht um einen klassischen Fall des Rechtshilfeersuchens und wenn dann auf der Grundlage der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen sagt, es geht hier darum, regimekritische Stimmen mundtot zu machen, oder Herr Schulz – Sie sprechen ja permanent von Verbalattacken aus der Türkei -, wenn Herr Schulz, der Kanzlerkandidat von paranoiden Zügen des Präsidenten spricht, dann muss auch dies erwähnt werden und muss deutlich gemacht werden, dass auch zu diesem Konflikt immer zwei Seiten gehören.
    "Erdogan erwartet für sein Land einen respektvollen Umgang"
    Armbrüster: Und dass auch die Frau des deutschen Außenministers jetzt am Telefon bedroht und belästigt wird, gehört das mit zur türkischen Strategie?
    Yeneroglu: Natürlich nicht! Das ist absolut verstörend. Ich habe das eben auch mitbekommen und ich finde das natürlich schrecklich und das hat sicherlich nichts mit der türkischen Strategie zu tun. Da ist irgendjemand, der auf jeden Fall so gestört ist, dass er eine solche Dimension, die unakzeptabel ist, dann auch vornimmt. Das ist ja klar.
    Armbrüster: Aber kommt so etwas für Sie wirklich überraschend, wenn man sich vor Augen führt, was für persönliche Attacken das ja in den vergangenen Tagen waren, die Ihr Präsident da gefahren hat? Da hat er ja wirklich versucht, Sigmar Gabriel lächerlich zu machen in einer Rede. Ist das dann wirklich überraschend, wenn sich dann andere angestachelt fühlen, es auch so zu machen?
    Yeneroglu: Es ist keine Agitation, sondern eine Reaktion auf das, was aus Deutschland kommt. Präsident Erdogan, für den ist es wichtig, dass Begegnungen auf Augenhöhe geführt werden. Das ist für ihn eine extrem wichtige Angelegenheit. Er erwartet für sein Land einen respektvollen Umgang. Klar, dass sein robustes Auftreten aus europäischer Sicht nicht gewohnt ist. Das mag wohl stimmen. Aber die Zeiten, wo man auf der anderen Seite permanent mit dem erhobenen Zeigefinger die Türkei maßregeln konnte, sind endgültig vorbei. Darauf weist er permanent hin.
    Der Türkei wird nicht zugehört
    Armbrüster: Das heißt, Herr Erdogan dürfte eigentlich auch nur vom deutschen Bundespräsidenten angesprochen werden?
    Yeneroglu: Nein. Er hat selbst den Außenminister Gabriel, der in der Türkei auch vom Herrn Präsidenten immer willkommen geheißen worden ist, selbst vor anderthalb, zwei Monaten empfangen. Es war ein gutes Gespräch. Inhalte des Gespräches, die auch mir persönlich bekannt sind, sind leider auch teilweise damals nicht eingehalten worden, wie zum Beispiel, dass Herr Gabriel persönlich versprochen hatte, dass er sich mit seinen Landsleuten in Deutschland treffen kann, und zwei, drei Wochen später ist genau das Gegenteil passiert, und das erleben wir permanent.
    Armbrüster: Das liegt ja möglicherweise auch daran, dass Herr Erdogan dieses Verhältnis immer weiter in Richtung Eiszeit treibt. – Herr Yeneroglu, ich würde gerne noch einmal kurz zurückkommen auf den Fall Akhanli. Da gibt es ja einige interessante Details, unter anderem die Frage, warum er eigentlich per Interpol in Spanien inhaftiert werden sollte. Warum hat sich die türkische Justiz nicht einfach an die deutsche Polizei oder an die deutsche Justiz gewendet? Herr Akhanli war ja nur im Urlaub in Spanien, er lebt eigentlich in Köln.
    Yeneroglu: Das hat sie ja. Wenn er über Interpol gesucht wird, dann richtet sich dieses Gesuch nicht nur an Spanien, sondern an alle Länder, die Teil des Interpol-Systems sind.
    Armbrüster: Aber das Ganze sozusagen bilateral zwischen den beiden Justizapparaten auszumachen, dazu fehlt das Vertrauen in Deutschland?
    Yeneroglu: Nein! Das ist letztendlich ja Deutschland bekannt gewesen. Ich weiß gar nicht, warum aus der ganzen Geschichte ein solch Riesen-Theater gemacht wird und warum daraus eine politische Geschichte gemacht wird. Es hat nichts mit den beiderseitigen gegenwärtigen Konflikten zu tun und nicht das Geringste, und deswegen ist es auch belastend, wenn daraus eine Regime-Thematik gemacht wird und der Türkei oder Präsident Erdogan wieder allerlei vorgeworfen wird, auf der anderen Seite aber nicht zugehört wird, was denn die Türkei dazu zu sagen hat.
    "Hier ist vielleicht Empathie ein Schlüssel"
    Armbrüster: Aber ich meine, Herr Yeneroglu, wir sehen ja alle, dass die Türkei seit dem Putschversuch im vergangenen Jahr einen harten Kurs fährt gegenüber Kritikern der Regierung und dass sie sehr viele Leute zu Terroristen abstempelt, die sich eigentlich nur kritisch über die Regierung äußern. Da ist es ja eigentlich nicht überraschend, wenn Kritik an solchen Verhaftungen – die hat es ja in den vergangenen Wochen häufiger gegeben, auch mit vielen Deutschen -, dass es dazu Kritik an solchen Verhaftungen kommt.
    Yeneroglu: Ich sehe das anders. Die Türkei erwartet nichts anderes, als was man von einem engen Partner legitimerweise erwarten würde und wo zurecht und internationale Verträge auch verpflichten. Es geht hier um die Auslieferung von mutmaßlichen Putschisten. Es geht hier um hohe Offiziere, die mutmaßlich am Putsch beteiligt sind, wobei mutmaßlich noch verharmlosend ausgedrückt ist. Es ist offensichtlich, dass teilweise Leute direkt an den Putschtagen selbst beteiligt gewesen sind, und deswegen sind ja gerade diese Leute geflüchtet und nicht hunderttausend andere Menschen. Und was würde Deutschland – mal ein Beispiel -, was würde Deutschland von den Niederlanden erwarten, wenn dort Terrororganisationen für den Terror in Deutschland rekrutieren, Finanzmittel generieren und Propaganda betreiben würden, während in Deutschland Menschen täglich Opfer von genau diesen Terrororganisationen wären. Hier ist vielleicht Empathie ein Schlüssel, wenn partnerschaftliche Verpflichtungen nicht mehr reichen sollen.
    "Theatralisch aufgeführte Welle"
    Armbrüster: Ich nehme mal an, Deutschland würde zunächst mal versuchen, das Ganze bilateral zu klären zwischen beiden Regierungen und auf keinen Fall damit anfangen, Verbalattacken gegen die niederländische Regierung zu fahren. – Ich würde ganz gerne kurz noch …
    Yeneroglu: Genau das passiert auch immer in den bilateralen Beziehungen zwischen der Türkei und zwischen Deutschland. Davon sollten wir ausgehen.
    Armbrüster: Davon ist nur zurzeit wenig zu sehen, Herr Yeneroglu. – Ich würde ganz gerne noch auf etwas anderes zu sprechen kommen.
    Yeneroglu: Ja, weil das ausartet!
    Armbrüster: Wir haben ja in vielen europäischen Ländern das Prinzip einer unabhängigen Justiz. Warum eigentlich nicht in der Türkei?
    Yeneroglu: Genau dieses Prinzip haben Sie auch in der Türkei. Wenn es nicht gefällt, dann ist es nicht mehr die unabhängige Justiz, sondern die Justiz des Regimes oder direkt sogar von Präsident Erdogan. Wenn wir zum Beispiel mal vor Augen führen, dass in Deutschland über 3.000 türkischstämmige Menschen auch in Haft sitzen, und wenn wir in diesem Kontext sogar wissenschaftliche Studien darüber lesen, dass insbesondere Ausländer, Türken häufiger mit Strafvorwürfen konfrontiert werden und häufiger verurteilt werden und die Strafhöhe häufiger ist als bei Inländern, auch das kann man alles kritisieren und das kann man auch zu einem Thema einer Empörungswelle machen. Das betreibt die Türkei nicht, ist aber einer solchen theatralisch aufgeführten Welle ausgesetzt und muss natürlich darauf reagieren.
    "Deutsche Politiker haben permanent Partei für türkische Parteien ergriffen"
    Armbrüster: Aber deutsche Politiker schalten sich nie in solche Verfahren ein. Vom türkischen Präsidenten Erdogan hören wir dagegen zum Beispiel Sätze wie, …
    Yeneroglu: Sie haben natürlich den Fall Marko vergessen. Sie haben vergessen, dass deutsche Politiker selbst persönlich permanent Partei für türkische Parteien ergriffen haben. Sie haben offenbar vergessen, welche Dimension der Einmischung in innere Angelegenheiten insbesondere während des Verfassungsreferendums wir alle doch mitbekommen haben. Sie haben offenbar vergessen, welche lautstarke Unterstützung für Hillary Clinton damals bei der US-Präsidentenwahl von Deutschland aus vorgenommen wurde. Wenn wir von einer Verletzung zum Beispiel der Souveränität Deutschlands sprechen, dann ist für mich zum Beispiel das Ausspionieren des Privathandys der Kanzlerin ein wichtiges Thema. Die Reaktion darauf war, unter Freunden tut man so was nicht.
    Armbrüster: Aber Herr Yeneroglu, wir sprechen hier über tatsächliche Strafverfahren, über Justizprozesse, und da haben wir zum Beispiel eine Äußerung wie die von Präsident Erdogan, der gefragt wurde nach einer möglichen Auslieferung von Inhaftierten wie Deniz Yücel, und da hat er gesagt, auf keinen Fall, solange ich in diesem Amt bin, niemals. Wir haben dann außerdem eine Äußerung des Europarats zum Rechtsstaat in der Türkei. Da heißt es im Februar dieses Jahres, der Raum für demokratische Debatten ist dramatisch geschrumpft, bedingt durch gerichtliche Belästigung unter anderem von Journalisten, Abgeordneten und gewöhnlichen Bürgern. Das alles wie gesagt vom Europarat ausgesprochen. Das sind doch deutliche Anzeichen dafür, dass die türkische Justiz alles andere als unabhängig ist.
    Yeneroglu: Nehmen Sie doch den Fall Akhanli. Da hat doch ein türkisches Strafgericht gerade ihn freigesprochen und das Revisionsgericht hat ja dann später diesen Freispruch aufgehoben. Also ist es offenbar doch möglich, dass türkische Strafgerichte frei entscheiden können und auch nicht unbedingt im Sinne von Politikern, die sich dazu äußern, entscheiden.
    Armbrüster: Und jetzt wird genau dieser Fall weiter fortgeführt und da vermuten viele Leute, da sind auch wieder politische Interessen dahinter.
    Yeneroglu: So wie es auch in Deutschland immer wieder üblich ist, dass Revisionsgerichte die Entscheidungen von Tatsachengerichten aussetzen beziehungsweise ein anderes Urteil fällen und dann der Prozess wieder neu aufgerollt werden muss.
    "EU-Mitgliedschaft nach wie vor ein elementar wichtiges strategisches Ziel"
    Armbrüster: Herr Yeneroglu, dann kurz zum Schluss noch die Frage. Wenn wir uns das alles vor Augen führen, dieser Graben, der da entsteht zwischen der Türkei und Deutschland, deutet der darauf hin, dass eine mögliche EU-Mitgliedschaft keine Option mehr ist für Ihr Land?
    Yeneroglu: Aus Sicht der Türkei nicht. Aus Sicht der Türkei ist es so, dass die EU-Mitgliedschaft nach wie vor ein elementar wichtiges strategisches Ziel der Türkei ist. Wir erleben aber leider, auch zu meiner persönlichen Positionierung hier, der sich vehement da für die EU-Mitgliedschaft, Vollmitgliedschaft der Türkei einsetzt, und aufgrund auch seiner Sozialisation extrem wichtig ist, dass die europäischen und die türkischen Gesellschaften weiter zusammenwachsen. Für den sind natürlich die letzten Monate, Wochen, Tage extrem verstörend und ich erhoffe mir, dass wir schnellstmöglich zu einem Sachalltag zurückfinden und wieder …
    Armbrüster: Und da hat uns leider die Leitung nach Ankara verlassen. Das Gespräch sollte aber sowieso in den kommenden Sekunden zu Ende gehen. – Das war der türkische AKP-Politiker Mustafa Yeneroglu, Vorsitzender des Menschenrechtsausschusses im türkischen Parlament.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.