Äußerungen wie die des CSU-Vorsitzenden Horst Seehofer, die so etwas nahelegten, seien unterhalb jeglichen Niveaus. Sie erklärte, die SPD lasse sich nicht von den Forderungen der CSU oder von Seehofer vor sich hertreiben.
Im Umgang mit Gefährdern sei allerdings so viel Überwachung wie möglich gefragt, betonte Högl. Vor diesem Hintergrund unterstütze sie auch den Vorschlag ihres Parteikollegen Burkhard Lischka nach speziellen Erstaufnahmeeinrichtungen für Flüchtlinge, bei denen Zweifel an der Identität besteht. Transitzentren an den Grenzen für alle Asylsuchenden lehnt die SPD bislang ab.
Seehofer hatte die Forderung nach einer Obergrenze für die Aufnahme von Asylbewerbern von 200.000 pro Jahr noch einmal bekräftigt. Bundeskanzlerin Angela Merkel lehnt eine solche Regelung ab.
Das Interview in voller Länge:
Stephanie Rohde: Nach dem Tod des mutmaßlichen Weihnachtsmarktattentäters bleiben noch immer viele Fragen offen: Hatte er Helfer, wie kam er von Berlin nach Italien? Das sind nur einige. Darüber ist auch eine Debatte über die Sicherheitspolitik und die Asylpolitik im vollen Gang. - Und darüber möchte ich jetzt sprechen mit Eva Högl, der stellvertretenden Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion, guten Morgen, Frau Högl!
Eva Högl: Schönen guten Morgen, Frau Rohde!
Rohde: Lernen wir aus diesem Fall von Amri, wir müssen uns auf andere Länder verlassen, weil die deutschen Sicherheitsbehörden es nicht hinkriegen?
Högl: So traurig der Fall ist, aber auch dieser Fall ist wieder Anlass, darüber nachzudenken, ob wir optimal aufgestellt sind. Und es ist jetzt erst mal notwendig – das klingt vielleicht ein bisschen komisch, wenn ich das noch mal betone, aber das ist mir sehr wichtig –, dass wir erst noch mal die Ermittlungen, dass die fortgesetzt werden, dass wir tatsächlich den Sachverhalt lückenlos aufklären durch die Ermittlungsbehörden und dass wir dann sehr schonungslos analysieren, an welcher Stelle hat was nicht gut geklappt? Und als dritten Schritt dann: Haben wir gesetzgeberischen Handlungsbedarf?
Rohde: Lassen Sie uns dabei bleiben, Sie haben gesagt: Sind wir optimal aufgestellt? Sie glauben also nicht, höre ich da raus, dass wir optimal aufgestellt sind?
"Es muss an irgendeiner Stelle etwas nicht gut gelaufen sein"
Högl: Nun ja, der Fall ist nicht optimal gelaufen, denn dann hätte der Anschlag erfolgreich verhindert werden müssen. Also, es muss an irgendeiner Stelle etwas nicht gut gelaufen sein.
Rohde: Wo zum Beispiel?
Högl: Es ist heute zu früh, das abschließend zu beurteilen, aber wir haben sicherlich drei Punkte. Der eine ist: Wir müssen Gefährder – und als solcher war Amri ja auf dem Radar der Sicherheitsbehörden –, Gefährder besser überwachen, effektiv aus dem Verkehr ziehen und dann letztendlich auch, wie das in dem Fall Amri notwendig gewesen wäre, schneller abschieben. Und da bin ich bei dem zweiten Komplex, dem ganzen Thema Ausreise/Abschiebung: Auch da müssen wir sicherlich gucken, dass solche Personen, wie Amri eine war, schneller das Land verlassen müssen und wir sie tatsächlich auch zurückführen in ihr Heimatland. Und ich möchte noch einen dritten Punkt nennen, das ist das ganze Thema Europa: Auch hier zeigt sich, dass die Zusammenarbeit in Europa nicht gut funktioniert hat, denn wahrscheinlich bestätigt sich das, was wir jetzt schon vermuten, dass die Daten über Amri aus Italien kommen, dort war er bereits in Haft, auch in Tunesien war er verurteilt worden, dass das sich gar nicht fand in den internationalen Datenaustauschmöglichkeiten, also in den Datenbanken, international und europäisch, und auch da müssen wir nacharbeiten.
Rohde: Darüber möchte ich gleich noch mal sprechen. Noch mal ganz kurz die Frage: Viele Menschen wollen ja gerade wissen, wer trägt denn die Verantwortung dafür, dass dieser Anschlag nicht verhindert werden konnte und dass es diese Ermittlungspannen gab?
"Es wird zu schauen sein, ob die Zusammenarbeit funktioniert hat"
Högl: Das ist heute noch zu früh, um das genau zu sagen, aber wir werden das ganz genau analysieren müssen. Amri hat sich ja zwischen Bundesländern bewegt, im Wesentlichen Nordrhein-Westfalen und Berlin. Es gibt eine gemeinsame Verantwortung von Bund und Ländern. Er war mehrfach Gegenstand der Beratungen im sogenannten GTAZ, dem Terrorabwehrzentrum. Also, es wird ganz genau zu schauen sein, ob die Zusammenarbeit zwischen den Bundesländern, zwischen Bundesländern und dem Bund und, was ich auch ganz wichtig finde, ob die Zusammenarbeit zwischen den Sicherheitsbehörden und den Ausländerbehörden funktioniert hat. Denn da kann es auch gut sein, dass es dort auch nicht gut gelaufen ist.
Rohde: In diesem Jahr hat ja Ihre Koalition sicherheitspolitisch so viel aufgerüstet wie selten. Zeigt dieser Fall Amri dann nicht, dass diese schärferen Sicherheitsgesetze im Endeffekt gar nicht mehr Sicherheit bringen und wir Sicherheit nicht herstellen können?
Högl: Sicherheit gibt es ja erstens nicht absolut, wir werden keine 100-prozentige Sicherheit haben. Aber wir haben viele gute gesetzliche Grundlagen und die haben wir in den letzten drei Jahren ja auch noch mal erheblich verschärft, im Bereich des Strafrechts, aber auch des Ausländer- und Asylrechts. Die müssen natürlich …
Rohde: Was aber Anschläge trotzdem nicht verhindert.
"Gesetze sind immer nur so gut, wie sie in der Praxis wirken"
Högl: Ja, die müssen auch angewandt werden. Also, wir diskutieren jetzt ja auch ganz aufgeregt über die sogenannte Abschiebehaft, die Vorbereitungshaft, gibt es Sicherungshaft. Das haben wir alles längst im Aufenthaltsrecht und das muss natürlich auch angewandt werden. Also, Gesetze sind immer nur so gut, wie sie in der Praxis auch wirken. Und ich glaube, dass da auch den beteiligten Behörden noch stärker deutlich gemacht werden muss, was für ein Instrumentarium sie eigentlich haben.
Rohde: Lassen Sie uns schauen auf die schnelleren Abschiebungen, die jetzt ja gefordert werden. Angela Merkel dringt da auch drauf. Es wird seit Längerem debattiert, die Maghreb-Staaten ja zu sicheren Herkunftsländern zu erklären. Jetzt gibt es Länder wie zum Beispiel Marokko, da werden regelmäßig Menschenrechtsverletzungen vollbracht, in der Westsahara zum Beispiel. Können Sie das als SPD-Politikerin verantworten, dass solche Länder jetzt als sichere Herkunftsländer bezeichnet werden?
Högl: Grundsätzlich ist das Konzept der sicheren Herkunftsstaaten hoch problematisch, das muss man ganz offen formulieren.
Rohde: Aber trotzdem haben Sie sich darauf eingelassen teilweise, bis auf Afghanistan.
"Man wird die Länder auch ein Stück weit unter Druck setzen müssen"
Högl: Wir haben uns darauf eingelassen, genau, weil es eine Verkürzung der Verfahren ermöglicht. Wir hatten im letzten Jahr viel Zuzug und da haben wir natürlich auch darüber nachgedacht, wie können wir die Behörden entlasten dadurch, dass wir Verfahren verkürzen. Da ist das Mittel der sicheren Herkunftsstaaten ein mögliches. Es gewährleistet trotzdem, dass eine individuelle Prüfung erfolgen kann, aber es ist ziemlich kompliziert natürlich auch in dieser Gemengelage, sich für das eine oder andere zu entscheiden. Also, wir haben im Bundestag beschlossen, dass wir auch Tunesien und Marokko zu sicheren Herkunftsstaaten erklären wollen, der Bundesrat hat noch nicht zugestimmt, wohl wissend haben wir das getan, dass es dort auch gravierende Menschenrechtsverletzungen gibt.
Rohde: Mit Tunesien ist ja das Problem, dass die Kooperation nicht funktioniert, also, dass die Tunesier sagen, wir möchten bestimmte Leute nicht zurücknehmen. Was können Sie denn da tun, welche Handhabe haben Sie? Können Sie zum Beispiel die Entwicklungsgelder kürzen?
Högl: Also, ich glaube, dass grundsätzlich die Unterstützung der betroffenen Länder sehr sinnvoll und richtig ist. Die Entwicklungshilfe ist möglicherweise nicht das geeignete Instrument, aber man wird zu Verabredungen kommen müssen, man wird die Länder auch ein Stück weit unter Druck setzen müssen. Der Fall Amri zeigt, glaube ich, auch, wie groß der Handlungsbedarf ist, der Bundesinnenminister war mehrfach in den betroffenen Ländern und hat dort Gespräche geführt und auch Abkommen geschlossen. Das muss alles noch intensiviert werden, das läuft noch alles andere als optimal.
Rohde: Ihr Kollege Burkhard Lischka, der will spezielle Erstaufnahmeeinrichtungen für Flüchtlinge einführen, in denen bei Zweifel an der Identität erst mal geklärt werden soll, wer das denn ist. Schwenkt die SPD jetzt damit um auf den Kurs der CSU, die ja schon lange so etwas auch wie Transitzonen fordert?
"Am Anfang muss die Identitätsfeststellung sein"
Högl: Das Thema Identität ist von Anfang an eins, das die SPD immer vorgetragen hat als ein großes Problem. Denn woher kommt denn in unserer Bevölkerung das Unsicherheitsgefühl? Das kommt ja daher, dass wir gerade im letzten Jahr das Gefühl hatten – und es war ja auch tatsächlich so, es war nicht nur ein Gefühl –, dass viele Menschen zu uns gekommen sind, von denen wir gar nicht wussten, woher sie kommen, was sie bewegt, was sie im Schilde führen möglicherweise. Und deswegen ist das Thema Identität ganz wichtig. Wir haben den Ankunftsnachweis geschaffen, also den Ausweis für Menschen, die zu uns kommen, das war schon mal ein wichtiger Schritt, und ich bin selbstverständlich mit Burkhard Lischka der Auffassung, dass wir jetzt noch mal das ganze Thema Identität intensivieren sollten dadurch, dass wir sagen, alle Personen müssen ihre Identität nachweisen. Und solange das nicht geklärt wird, werden sie nicht auf die Bundesländer verteilt und werden weitere Maßnahmen auch nicht ergriffen, sondern Schwerpunkt am Anfang muss die Identitätsfeststellung sein.
Rohde: Das könnte aber auch heißen, dass die Leute, die nach Deutschland kommen, erst mal in Transitzonen festgehalten werden?
"Dann haben wir ein Problem mit unserer Bevölkerung"
Högl: Das kann das heißen und das ist auch sicherlich ein wichtiger Beitrag zur Sicherheit. Ich habe von Anfang an gesagt, wenn nicht festgestellt ist, welche Identität die Person hat, haben wir ein Problem. Dann haben wir ein Problem mit den weiteren Verfahren und wir haben auch ein Problem mit unserer Bevölkerung, ich habe das eben sehr beschrieben. Und das Dritte ist, wir wollen auch ein Signal senden an Menschen, die bei uns Schutz suchen: Werft eure Pässe nicht weg, sagt, wo ihr herkommt, sagt, welches Problem ihr habt, dann könnt ihr auch Schutz bekommen. Anders bekommen wir auch die Verfahren nicht gut in den Griff, wenn sich Personen hier aufhalten, von denen wir überhaupt nicht wissen, wo sie herkommen.
Rohde: Aber bei Transitzonen ist ja das Problem, dass man Leute festhält, von denen man erst mal nicht weiß, wer sie sind. Das können Sie verantworten?
Högl: Möglicherweise kann die Identität ja schnell geklärt werden. Wir werden uns das noch mal ganz genau anschauen. Ich habe heute keine abschließende Antwort. Aber dass das ganze Thema Identität ein wichtiges ist und der Fall Amri genügend Anlass bietet – da war die Identität ja nicht unbedingt das Problem, der war ja auf dem Radar der Sicherheitsbehörden –, aber noch mal darüber nachzudenken halte ich jedenfalls für wichtig.
Rohde: Heißt das jetzt auch, dass Sie sich treiben lassen von Horst Seehofer und den Forderungen der CSU?
"Es wird immer Menschen geben, die Terror planen"
Högl: Nein, wir lassen uns nicht treiben und schon gar nicht von Horst Seehofer. Das, was Horst Seehofer direkt nach diesem fürchterlichen Anschlag hier in Berlin gesagt hat, war unterhalb eines Niveaus, ich will das mal so deutlich sagen. Also, zu sagen, wir sind es den Opfern schuldig, eine andere Flüchtlingspolitik zu machen, das ist eine Debatte, auf die sich die SPD niemals einlassen wird. Denn es gibt keinen unmittelbaren Zusammenhang zwischen einer Flüchtlingspolitik, einer offenen Gesellschaft und dem Terror. Es wird immer Menschen geben, sei es Deutsche oder Zugereiste, die Terror planen oder Terror verüben. Und diesen Zusammenhang lehnen wir auf jeden Fall entschieden ab.
Rohde: Jetzt gibt es ja 550 Gefährder. Die Polizei sagt, die kann man gar nicht überwachen, um einen Gefährder zu überwachen, bräuchte man 40 Polizisten, das ist überhaupt nicht zu leisten. Was muss man da machen? Muss man neue Gesetze einführen?
"Also, so viel Überwachung wie möglich"
Högl: Also, wir sprachen ja schon über die Möglichkeiten, sie in Haft zu nehmen, wenn sie Gefährder sind, wenn sie ausreisepflichtig sind, das ist der eine Punkt. Ansonsten müssen wir auch darüber nachdenken – und wir besprechen ja zum Beispiel gerade das Thema elektronische Fußfessel –, ob wir … Wir brauchen natürlich mehr Personal, aber ob wir auch andere Instrumente nutzen, akustische Überwachung, eben diese Fußfessel oder andere Dinge, damit wir Gefährder besser überwachen können.
Rohde: Aber verschiebt man das Problem nicht nur? Wenn man beispielsweise eine Fußfessel einführt, dann braucht man auch wieder Leute, die sich darum kümmern, um die Daten. Also, verschieben Sie da das Problem nicht einfach nur?
Högl: Also, wir wollen natürlich keine Probleme verschieben und wir wollen auch nicht so tun, als ob es absolute Sicherheit gibt. Gefährder sind deshalb Gefährder, weil sie gefährlich sind. Und die zunehmende Zahl stellt uns auch vor große Herausforderungen. Also, wir brauchen mehr Personal, bessere Zusammenarbeit der Behörden, wir müssen die Gefährder im Blick haben. Aber ich sage heute Morgen hier auch ganz deutlich: Es wird uns nicht gelingen, alle gefährlichen Personen dauerhaft 24 Stunden sieben Tage die Woche im Blick zu haben, aber wir müssen uns dem nähern. Also, so viel Überwachung wie möglich.
Rohde: Sagt Eva Högl, die stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion. Danke, dass Sie sich die Zeit genommen haben heute!
Högl: Selbstverständlich, gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.