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Fall Arnsdorf
Warum wurde das Verfahren eingestellt?

Der Prozess gegen vier Männer im Sachsen, die einen irakischen Flüchtling an einen Baum gefesselt haben sollen, wurde bereits am ersten Tag wieder eingestellt. Begründung: geringe Schuld und kein öffentliches Interesse. Dann wurde bekannt, dass der Staatsanwalt und ein Zeuge bedroht wurden. Die Opposition im Landtag fordert Aufklärung.

Von Bastian Brandau |
    Ein Ortseingangsschild von Arnsdorf (Sachsen)
    In Arnsdorf wurde ein irakischer Flüchtling an einen Baum gefesselt - der Prozess gegen die vier Männer wegen Freiheitsberaubung wurde eingestellt (dpa-Zentralbild)
    "Darf ich Sie bitten, einen Schritt zurückzugehen?" - "Sie haben sich doch vorgedrängelt!"
    Montag, 25. April. Schon lange vor Prozessbeginn um 9 Uhr stehen vor dem Amtsgericht Kamenz die Menschen Schlange. Die Plätze direkt vor der Tür haben sich die Mitglieder einer Rockergruppe gesichert. Mehrere Dutzend Menschen sind gekommen, die meisten, um die Angeklagten zu unterstützen. Vertreten sind das Pegida-Lager und die lokale AfD. Eine rechtsextreme Bewegung hat die Menge mit Schildern versorgt, auf denen ein Freispruch gefordert wird. Nur etwa 30 Menschen schaffen es schließlich in den kleinen Gerichtssaal.
    Die Sicherheitsvorkehrungen - hoch: Es gibt eine Sicherheitsschleuse und die Staatsanwälte werden von Beamten des Landeskriminalamtes beschützt. Tage später ergeben Recherchen des MDR: Ein Staatsanwalt ist im Vorfeld des Prozesses massiv bedroht worden. Der Prozess aber wird gleich am ersten Verhandlungstag eingestellt: wegen geringer Schuld und Mangel an öffentlichem Interesse. Dieser Begründung hatten auch die Staatsanwälte zugestimmt. Sachsens Justizminister Sebastian Gemkow von der CDU findet daran nichts anrüchig. Bedrohungen gegen Justizbeamte seien leider nichts Ungewöhnliches. Zwar räumt er ein:
    "In diesem Fall, über den wir heute sprechen, ist diese Bedrohung in einem ganz besonderen Ausmaß zutage getreten."
    Aber, so Gemkow weiter:
    "Der Generalstaatsanwalt hat heute ausgeführt, dass der Staatsanwalt, der hier gehandelt hat, sich davon nicht hat beeindrucken lassen."
    Drohungen könnten den Prozessverlauf beeinflussen
    Klaus Bartl, rechtspolitischer Sprecher der Linken im sächsischen Landtag, hält das jedoch angesichts der geschilderten Bedrohungssituation nach wie vor für fragwürdig. Als Ausschuss-Vorsitzender hatte er das Thema auf die Tagesordnung des Rechtsausschusses gesetzt. Bedrohungen sind ein Antragsdelikt, der Betroffene muss also Anzeige stellen. Es bleibt also auch Staatsanwälten überlassen, ob sie sich bedroht fühlen und dagegen vorgehen wollen. In Zusammenhang mit einem laufenden Gerichtsverfahren aber hätten die Drohungen eine besondere Bedeutung, sagt Bartl, könnten sie doch den Prozessverlauf beeinflussen. Er will deshalb wissen:
    "Wer hat wirklich förmlich Anzeige erstattet, nachdem es die Bedrohungshandlungen gab? Wann ist die Anzeige eingegangen bei den zuständigen Ermittlungsbehörden? Ist das von Amts wegen geschehen, haben die betroffenen Anwälte Strafanzeige gestattet? Das konnte uns nicht im Detail beantwortet werden."
    In der Ausschusssitzung waren dabei neue Details zu den Drohungen bekannt geworden, die der Staatsanwalt im April per Mail erhalten hatte. Die rechtspolitische Sprecherin der Grünen, Katja Meier:
    "Dass in den E-Mails auch von Morddrohungen die Rede war, das hat mich schon sehr erschreckt und wirft auch noch mal Fragen auf, ob wirklich von einer Einstellung des Verfahrens auszugehen ist, dass er da keine Beeinflussung gesehen hat, da stellt sich für mich doch noch die eine oder andere Frage."
    Etwa: Hat es abgesehen von den Mails noch weitere Drohungen gegeben, darunter wie vom MDR berichtet auch einen Angriff auf offener Straße? Trotz eines Dementis der Staatsanwaltschaft Görlitz war der Sender bei seiner Darstellung geblieben. Im Ausschuss wurde nun deutlich, dass es offenbar tatsächlich einen weiteren Vorfall gegeben habe, nur sei der Zusammenhang unklar. Grünen-Politikerin Meier:
    "Die konkrete Bedrohungslage, die dort in dem persönlichen Angriff war, die muss wohl schon Anfang des Jahres gewesen sein, wo halt nicht klar ist, ob es wirklich einen Zusammenhang mit dem Fall gibt oder mit einem anderen Fall. Aber das ist eben auch nicht hundertprozentig ausgeräumt worden, in welchem Zusammenhang jetzt diese Bedrohung gestanden hat."
    Zeuge auf der Straße bedroht?
    Hier herrscht weiterhin Unklarheit. Dazu kommt: Nicht nur ein Staatsanwalt wurde bedroht, sondern offenbar auch ein Zeuge. Er hatte die Fesselung vor dem Supermarkt beobachtet und hätte gegen die Angeklagten aussagen sollen. Dieser Zeuge sei auf der Straße bedroht worden, hieß es im Ausschuss. Auch hier läuft ein Ermittlungsverfahren. Massive Drohungen gegen den Staatsanwalt und einen Zeugen – für Linkspolitiker Bartl ist die Einstellung des Verfahrens nach wie vor nicht nachvollziehbar:
    "Mein Problem war und ist: Wie erklärt sich, dass bei einer derartigen Gemengelage im Vorfeld - vor allem bei einer derartigen Häufung von Bedrohungshandlungen - bei einem offensichtlich gesehenen Risiko, was zu einem Personenschutz für die Staatsanwaltschaft geführt hat. Wie erklärt es sich da zu sagen, wir haben kein öffentliches Interesse?"
    Der Rechtssausschuss wird sich mit den offenen Fragen bei seiner nächsten Sitzung beschäftigen.
    Vier angeklagten Männer (erste Reihe 2. und 3. v.l. und zweite Reihe 1. und 4. v.l.) haben am 24.04.2017 im Amtsgericht in Kamenz (Sachsen) neben ihren Anwälten ihre Plätze eingenommen. Knapp ein Jahr nachdem sie einen psychisch kranken Flüchtling aus einem Supermarkt gezerrt und an einen Baum gefesselt haben sollen, müssen sich die vier Männer vor Gericht verantworten. Den Angeklagten im Alter zwischen 29 und 56 Jahren wird Freiheitsberaubung vorgeworfen. Sie weisen die Schuld von sich und behaupten, dass der Iraker eine Kassiererin des Supermarktes in Arnsdorf (Kreis Bautzen) bedroht habe.
    Die vier Angeklagten am Prozesstag. (Arno Burgi/dpa-Zentralbild)
    Die vier im Prozess Angeklagten und ihre Verteidiger haben die Gerichtsentscheidung indessen als Sieg gefeiert – größtenteils ohne Zweifel an ihrer politischen Gesinnung aufkommen zu lassen: Ein Anwalt und sein Mandant traten noch am Abend der Prozesseinstellung bei der islamfeindlichen Pegida-Kundgebung in Dresden auf und ließen sich dort bejubeln.
    "Zivilcourage. Coole Nummer und Respekt, dass ihr das gemacht habt."
    "Ein wirklich schwieriges Signal"
    Grünen-Abgeordnete Katja Meier hingegen lässt der Fall resigniert zurück. Sie kann nicht verstehen, dass es in Sachsen straffrei bleibt, jemanden mit Kabelbindern an einen Baum zu binden.
    "Ich finde das mit der Einstellung wirklich ein schwieriges Signal, zu sagen, es herrscht kein öffentliches Interesse bei diesem Fall. Ich finde das nicht angemessen. Aber das ist Entscheidung der Richterschaft und da kann ich mich auch nicht einmischen. Wenn das so entschieden wird, dann ist das so. Aber als politisches Signal und ich stehe als Politikerin hier, finde ich, ist das kein gutes Signal, was hier wieder von Sachsen ausgeht."