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Fall Badawi
PEN-Vize Feuchert: "Es ist absolute Folter"

Sascha Feuchert, Vizepräsident des deutschen PEN, hat Saudi-Arabien vorgeworfen, mit Folter gegen die freie Meinungsäußerung vorzugehen. Hintergrund ist der Fall des saudischen Bloggers Raif Badawi, der wegen seiner Blogeinträge zu 1.000 Peitschenhieben verurteilt worden ist. Saudi-Arabien betreibe ein doppeltes Spiel, sagte Feuchert: In Paris trauerten Vertreter des Landes um die Opfer des Terrors, auf das Geschehen im Inneren des Landes habe das aber keinen Einfluss.

Sascha Feuchert im Gespräch mit Burkhard Müller-Ullrich |
    Burkhard Müller-Ullrich: Das saudi-arabische Königshaus finanziert Lehrstühle an amerikanischen Universitäten und Museumsprojekte in der ganzen Welt, es gibt sich großzügig, wenn es um Kultur geht, aber zuhause herrscht unerbittlich die Scharia. Todesstrafe für Homosexuelle, Steinigungen von Frauen, Auspeitschungen für falsche Gedanken, wenn man sie laut äußert. Die Härte der Züchtigungen ist unfassbar und die zugrunde liegende Ideologie abscheulich. Frauen dürfen nicht mal allein Auto fahren, sonst enden sie im Kerker, so wie der Blogger Raif Badawi, der das im Internet angeprangert hat. Wohl gemerkt: Er hat nichts getan, als eigene Ansichten zu äußern. Er hat keine Gewalt ausgeübt und niemanden bedroht. Für sein Blogging wurde er zu 1000 Peitschenhieben verurteilt. Die Vollstreckung der Strafe hat am letzten Freitag begonnen, öffentlich, morgen soll sie fortgesetzt werden.
    Sascha Feuchert, Sie sind der Beauftragte des deutschen PEN-Zentrums für Writers-in-Prison für politisch inhaftierte Schriftsteller. Nun hat der PEN Raif Badawi zum Ehrenmitglied gemacht. Was soll denn das nützen?
    Sascha Feuchert: Das Instrument der Ehrenmitgliedschaft ist ein relativ altes in unserer Arbeit beim PEN. Es hat natürlich den Sinn, auf den Kollegen aufmerksam zu machen. Wir können uns ganz anders einsetzen, sowohl bei der Botschaft als auch bei der Bundesregierung, aber auch in der Öffentlichkeit anders agieren, wenn wir sagen können, Raif Badawi ist Ehrenmitglied bei uns, er ist einer von uns. Das ist doch noch mal eine ganz andere Ebene auch der Solidarisierung und insofern nutzt das schon. Wir haben das in der Vergangenheit gemerkt, dass Ehrenmitglieder des deutschen PEN doch auch anders behandelt werden. Im Falle von Badawi leider spüren wir das noch nicht.
    Öffentliche Auspeitschung eines Bloggers
    Müller-Ullrich: Woher beziehen Sie zurzeit Ihre Informationen? Wissen Sie, wie es ihm geht?
    Feuchert: Wir sind eng in Kontakt natürlich mit der Familie über den internationalen PEN. Der internationale PEN wiederum ist mit anderen Organisationen wie Amnesty International oder Human Rights Watch im engen Austausch und wir wissen relativ genau, was passiert. Wir haben leider keinen direkten Kontakt zu ihm. Von dieser Auspeitschung, die in der vergangenen Woche begonnen worden ist, gibt es mittlerweile sogar ein verdeckt gedrehtes Handy-Video. Wir haben das uns leider anschauen müssen, was da passiert. Wir wissen, was ihm widerfährt im Moment, ohne mit ihm direkt in Kontakt zu sein.
    Müller-Ullrich: Sagen Sie mal ganz genau, was man da sieht. Was passiert da?
    Feuchert: Sie sehen, wie Badawi in seiner Kleidung von einem Soldaten, Polizisten mit einer Rute 50-mal geschlagen wird. Das wird aus einer Menschenmenge heraus gefilmt.
    Müller-Ullrich: Holt der weit aus? Kann man sich ungefähr vorstellen, wie schmerzhaft das ist? Das setzt ja sofort bei uns eine Fantasiemaschine in Gang, wenn man hört, Peitschenhiebe.
    Feuchert: Ich vermag das nicht zu sagen, wie weh das tut. Ich kann erkennen, dass er nicht sonderlich weit ausholt, aber das hängt ja auch davon ab, wie dieser Stock beschaffen ist. Es ist jedenfalls so, dass die saudischen Behörden mit Absicht nur 50 Schläge pro Portion sozusagen verabreichen, weil sie schon wissen, dass ein Gefangener über 100 Schläge auf keinen Fall aushält.
    Müller-Ullrich: Sie wollen ihn nicht totschlagen, aber es ist Folter.
    Feuchert: Das ist eindeutig so. Selbstverständlich. Es ist absolute Folter und in der Tat: Die wollen, dass er das komplett erleidet.
    Müller-Ullrich: Sie haben gesagt, wir haben bis jetzt wenig Anlass zu glauben, dass Saudi-Arabien auf Proteste reagiert. Welche anderen Fälle gibt es?
    Feuchert: Na ja, es gibt gerade in der arabischen Welt einige Fälle. Mir fällt jetzt spontan der Dichter Mohammed Al-Adschami aus Katar ein, der wegen eines 22-zeiligen Gedichts, in dem er den Herrscher dort kritisiert, zu 15 Jahren Haft verurteilt worden ist. Auch das ist eine völlig unmenschliche überzogene Strafe für ein ja eigentlich banales Werk. Es ist in tausend Anführungszeichen "nur" ein Gedicht. Der Mann nimmt nur sein Recht auf freie Meinungsäußerung wahr.
    Es gibt da viele Fälle, die wir da beobachten. Auch im Falle von Al-Adschami ist es leider so, dass wir keinen direkten Kontakt haben, aber ständig bei den Behörden dort protestieren, und wir haben die große Hoffnung, dass das wenigstens dazu führt, dass sie im Gefängnis ordentlich behandelt werden.
    Menschenrechte nach saudischer Definition
    Müller-Ullrich: Das Ganze ist ja offensichtlich auch eine Demonstration in Richtung Westen.
    Feuchert: Na ja. Es ist deshalb auch besonders in unsere Richtung möglicherweise gerichtet, weil unsere Proteste vollkommen verhallen und gleichzeitig Vertreter von Saudi-Arabien aber bei dem Trauermarsch in Paris zugegen sind, denn das Signal ist ein doppeltes. Man trauert zwar um die Opfer eines terroristischen Anschlags, macht aber sehr deutlich, dass das keinerlei Einfluss hat auf das, was im Inneren des Landes passiert.
    Und das Zweite ist, dass Saudi-Arabien immer betont, die Regierung, das sei eine juristische Angelegenheit, das sei keine politische, und man beruft sich auf die Menschenrechte, wohl gemerkt aber auf jene, die in der Kairoer Erklärung von 1990 festgelegt wurden. Das ist eine Gegenerklärung zu den allgemeinen Menschenrechten, die im Westen gelten, und die haben als Basis die Scharia. Und solange Strafen mit der Scharia vereinbar sind, gelten sie als menschenrechtskonform.
    Müller-Ullrich: Sascha Feuchert vom Writers-in-Prison-Commitee des deutschen PEN zum Fall des saudi-arabischen Bloggers Raif Badawi - auf den Bundestagspräsident Norbert Lammert heute in seiner Ansprache zum Gedenken an die Pariser Attentate anspielte, als er sagte: Nicht nur durch vereinzelte Fanatiker, sondern auch mit staatlicher Autorität werde im Namen Gottes gegen Mindeststandards der Menschlichkeit verstoßen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.