Grosse-Brömer sagte weiter, die Zulassung der vom türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan beantragten Strafverfolgung wegen eines satirischen Schmähgedichts sei "eine klare Botschaft in Richtung Rechtsstaatlichkeit". Wäre Merkels Entschluss anders ausgefallen, hätten sich Staatsanwaltschaften und Gerichte fragen müssen, ob ihnen die Politik keine unabhängigen Entscheidungen zutraue. Deshalb finde er spannend, dass Justizminister Heiko Maas (SPD) die Zulassung kritisiere.
"Es ist auch eine diplomatisch kluge Entscheidung, zu sagen: Bei uns gibt es eine unabhängige Justiz", sagte Grosse-Brömer weiter. Damit habe sich weder Erdogan noch Böhmermann durchgesetzt, sondern die deutsche Justiz.
Das vollständige Interview:
Tobias Armbrüster: Er ist nicht wegzukriegen aus den Schlagzeilen, der Fall Jan Böhmermann. Er bleibt auch in dieser Woche ein Politikum, vor allem, weil er zu einer offenen Auseinandersetzung in der Großen Koalition geführt hat. Mehrere SPD-Minister in offener Opposition zur Kanzlerin. Am Wochenende gab es viele weitere ganz unterschiedliche Reaktionen auf die Entscheidung vom Freitag, das Strafverfahren gegen Jan Böhmermann zuzulassen. Keine Frage: Das Ganze hat in den vergangenen Tagen eine lebhafte politische Kontroverse ausgelöst. - Am Telefon ist jetzt Michael Grosse-Brömer, der Parlamentarische Geschäftsführer der Unions-Fraktion im Deutschen Bundestag. Schönen guten Morgen.
Michael Grosse-Brömer: Guten Morgen, Herr Armbrüster.
Armbrüster: Herr Grosse-Brömer, das öffentliche Zerwürfnis zwischen CDU und SPD, ist das schon mal ein Vorgeschmack auf die nächste Bundestagswahl?
Grosse-Brömer: Nun ja, es ist eine alte Erfahrung, dass je näher eine Bundestagswahl kommt natürlich die harmonische Gemeinsamkeit nicht Fortbestand hat. Aber in diesem Fall ist es nun wie häufig, dass man innerhalb einer Regierung natürlich auch unterschiedliche Auffassungen haben kann. Deswegen gibt es auch Ressortabstimmungen bei Gesetzentwürfen. Es ist letztlich aber eine Frage, wie man mit unterschiedlichen Auffassungen umgeht, und da ist die Bundesregierung gerade in der Großen Koalition ja auch geübt. Insofern mache ich mir da jetzt nicht große Sorgen.
"Nicht Herr Erdogan oder Herr Böhmermann haben sich nicht durchgesetzt, sondern der Rechtsstaat"
Armbrüster: Und ist die SPD in dieser Koalition in dieser Situation die Kraft, die das Recht auf Meinungsfreiheit hochhält?
Grosse-Brömer: Na ja, um das mal klar zu sagen: Ich bin sehr froh, dass diese Kanzlerin entschieden hat, wie sie entschieden hat. Zusammengefasst könnte man ja sagen, nicht Herr Erdogan oder Herr Böhmermann haben sich nicht durchgesetzt, sondern der Rechtsstaat, und deswegen ist es auch klug, dass wir keine Politisierung des Rechtsstaates vonstatten gehen lassen, sondern dass wir uns klar positionieren. Wenn es rechtliche Streitigkeiten gibt, dann soll das die Justiz auch entscheiden. Die ist unabhängig in Deutschland.
Armbrüster: Aber Moment, Herr Grosse-Brömer. Hier hat sich doch ganz klar der türkische Präsident durchgesetzt mit seinem Ersuchen, Angela Merkel hat pariert.
Grosse-Brömer: Nein, absolut nicht. Dem türkischen Präsidenten, dem ist eine Botschaft zuteilgeworden. Bei uns gibt sich der Rechtsstaat in schwierigen Rechtslagen die Ehre, und das ist eine gute Botschaft auch in Richtung Istanbul. Hier ist niemand eingeknickt, wie es mehrfach behauptet wurde, sondern es gibt eine klare Botschaft in Richtung Rechtsstaatlichkeit. Wir haben eine unabhängige Justiz. Und ich verstehe nicht oder ich kann nur schwer verstehen, dass diejenigen, die in Deutschland dem türkischen Präsidenten permanent eine massive Missachtung des Rechtsstaates vorwerfen, gleichzeitig in Deutschland nicht zulassen wollen, dass der Rechtsstaat genau diese Prüfung durchführt. Wir wollen doch nicht, dass die Politik entscheidet, ob es zu einem Strafverfahren kommt oder nicht. Deswegen war es eine kluge und souveräne Entscheidung der Kanzlerin zu sagen, hier muss eine unabhängige Justiz Rechtsstreitigkeiten klären und niemand anderes.
Armbrüster: Aber hier hat doch die Kanzlerin ganz klar die Entscheidung getroffen und Herr Erdogan hat selbst auch schon seinen eigenen Weg in den deutschen Rechtsstaat eingeschlagen, indem er selbst Klage eingereicht hat. Eigentlich war diese Entscheidung von Angela Merkel doch völlig, man könnte fast sagen, überflüssig.
Grosse-Brömer: Das wäre ja noch schöner, wenn die Politik entscheidet, in welchem Umfang und, mit welchem Paragrafen womöglich Streitigkeiten in diesem Fall zwischen dem hohen Gut der Kunst- und Meinungsfreiheit und der Frage einer strafrechtlichen Beleidigung denn zum Tragen kommen soll. Das ist doch genau das, was seit endlosen Jahren die Gewaltenteilung aussagt. Die Politik soll Maßstäbe setzen. Sie soll natürlich auch im Rahmen der Gesetzgebung Gesetze machen. Aber die Rechtsprechung ist unabhängig davon und deswegen ist es eine kluge, im Übrigen auch eine diplomatisch kluge Entscheidung zu sagen, bei uns gibt es eine unabhängige Justiz, die Meinungsfreiheit mit Verfassungsrang hochhält, und es ist nicht Aufgabe einer Kanzlerin. Die ist ja schließlich nicht höchste deutsche Richterin, sondern sie ist eine Politikerin, die sehr klug entschieden hat, dass Streitigkeiten da entschieden werden sollen, wo sie entschieden werden, nämlich vor dem deutschen Gericht.
"Aber solange der Paragraf Gültigkeit hat, muss man sich mit ihm auseinandersetzen"
Armbrüster: Wenn das jetzt so eine sinnvolle Entscheidung von Angela Merkel war, dann verstehe ich nicht ganz - und ich glaube, viele andere Menschen verstehen das auch nicht ganz -, warum dieser umstrittene Paragraf 103 jetzt abgeschafft werden soll.
Grosse-Brömer: Nun, das ist einfach erklärbar. Sie haben es teilweise schon selbst angesprochen. Es gibt die Möglichkeit, als Privatperson zu klagen. Von der hat Herr Erdogan ja auch schon Gebrauch gemacht. Und es gibt zusätzlich diesen Paragrafen 103, über dessen Sinnhaftigkeit man nachdenken muss, ob es diese Majestätsbeleidigung noch braucht. Meine Fraktion ist da genauso skeptisch wie andere und deswegen wird es nach meiner Überzeugung dazu kommen, dass dieser Paragraf irgendwann keine Gültigkeit mehr hat. Aber solange er Gültigkeit hat, muss man sich mit ihm auseinandersetzen, und ich kann nicht einfach sagen, okay, da steht irgendwas im Gesetz in Deutschland, aber das ist mir gerade mal egal. Das ist auch zum Beispiel ein Grundsatz dieses Rechtsstaates, dass man Gesetze auch zu befolgen hat, solange sie existent sind. Dass da die Politik dann handeln muss, gesetzgeberisch zu sagen, überflüssige Paragrafen sollte man gegebenenfalls auch abschaffen, da gebe ich Ihnen Recht. Das ist eine politische gesetzgeberische Aufgabe, aber nicht die Anwendung im eigentlichen Sinne. Das muss der Rechtsstaat, das muss das Gericht oder die Staatsanwaltschaft tun, sich darum zu kümmern, und da soll sich die Politik gefälligst raushalten.
Armbrüster: Das ist jetzt eine sehr fein ziselierte Unterscheidung, die Sie da treffen, Herr Grosse-Brömer, aber wir belassen es einmal dabei. Die SPD sagt auf jeden Fall, Merkel ist …
Grosse-Brömer: Wenn ich das sagen darf? Diese Entscheidung muss man auch fein ziseliert treffen, weil sie nicht so ganz einfach ist. Deswegen habe ich auch Wert darauf gelegt, dass man diese Differenzierung durchführt.
Armbrüster: Gut. Dann will ich mal so viel sagen: Man könnte ja auch als Strategie festhalten, Merkel hätte sich auch dagegen entscheiden können und damit ein deutliches Signal setzen können, dass tatsächlich dieser Paragraf 103 für deutsche Politiker keine Bedeutung mehr hat.
Grosse-Brömer: Eine Entscheidung in der Hinsicht hätte ja bedeutet, dass sich die Staatsanwaltschaften und die Gerichte in Deutschland doch fragen müssen, ob die Kanzlerin ihnen eine unabhängige Entscheidung in solchen Fällen nicht zutraut. Im Übrigen eine Frage, die diese Staatsanwälte und Gerichte jetzt wohl dem Bundesjustizminister stellen werden, der ja gegenteiliger Auffassung war, und das als Bundesjustizminister. Finde ich auch eine spannende Entscheidung.
"Die richtige Botschaft in Richtung Türkei, der Rechtsstaat hat bei uns das letzte Wort"
Armbrüster: Der, Heiko Maas, und auch weitere SPD-Minister sagen jetzt, Merkel ist eingeknickt, und die SPD spricht damit offenbar drei Vierteln der Deutschen aus der Seele. Das sagen zumindest zwei Umfragen vom Wochenende. Können wir festhalten, dass sich die Kanzlerin hier verkalkuliert hat?
Grosse-Brömer: Wenn Sie Politik nur nach Umfragen machen wollen, dann haben Sie möglicherweise Recht. Wenn Sie in der Sache mit Blick auf die Gewaltenteilung und mit Blick auf den deutschen Rechtsstaat und die unabhängige Justiz richtig entscheiden wollen, dann müssen Sie so entscheiden, wie es die Kanzlerin getan hat. Und ich glaube, dass bei diesen Umfragen auch ein Stück weit eine Rolle gespielt hat, dass alle behauptet haben, wenn man eine Ermächtigung erteilt, würde man ein Stück weit dem türkischen Präsidenten entgegenkommen. Aber genau das ist ja falsch. Es hat sich nicht Herr Erdogan und auch nicht Herr Böhmermann durchgesetzt, sondern unsere unabhängige Justiz, und deswegen würde ich auch allen raten, mal die Entscheidung abzuwarten, die diese Gerichte treffen. Denn das ist ja auch die richtige Botschaft in Richtung Türkei beispielsweise, der Rechtsstaat hat bei uns das letzte Wort, nicht die Politik.
Armbrüster: Was muss Frau Merkel denn unternehmen, wenn sie jetzt in wenigen Tagen in die Türkei reist?
Grosse-Brömer: Nun, sie wird das tun, was wir von Frau Merkel gewohnt sind. Sie wird auch Missstände ansprechen und sie wird da verhandeln, wo es die praktische Politik erfordert. Das ist ja auch eine wenig überschaubare Argumentation zu sagen, nur weil wir mit der Türkei verhandeln ist grundsätzlich immer unterstellt, dass wir dem türkischen Präsidenten in jeder Hinsicht entgegenkommen. Das Gegenteil ist der Fall. Sonst müsste man das ja mit Russland und China auch stets behaupten. Überall spricht diese Kanzlerin auf Menschenrechtsverletzungen, auf Situationen an, die nicht akzeptabel sind. Das ist auch gut und richtig so. Trotzdem ist sie in der Lage, mit Staaten und Staatsmännern zu verhandeln, wenn es die Sache erfordert, wie in diesem Fall die Flüchtlingspolitik.
Armbrüster: Herr Grosse-Brömer, das Problem in diesem Fall ist ja nur, dass Angela Merkel auf Erdogan zurzeit so sehr angewiesen ist, wie wahrscheinlich auf keinen anderen Staatslenker derzeit mit dem umstrittenen Flüchtlings-Deal. Wir erfahren jetzt am Wochenende, dass die Lage in den Flüchtlingslagern in der Türkei einer humanitären Katastrophe nahekommt. Das sagen mehrere Menschenrechtsorganisationen, darunter Amnesty International. Außerdem hören wir von Schüssen, die auf türkische Flüchtlinge an der syrischen Grenze abgefeuert werden. Ist die Türkei wirklich noch ein Land, mit dem wir in dieser Krise so eng zusammenarbeiten können?
Grosse-Brömer: Wir müssen mal auch ein Stück weit respektvoll zur Kenntnis nehmen, dass die Türkei ja schon 2,5 Millionen Flüchtlinge aufgenommen hat. Würde da permanent nur geschossen, wäre das wohl seit einer geraumen Zeit nicht der Fall. Ich kann diese Einzelheiten nicht bestätigen. Wenn das so wäre, wie Sie es geschildert haben, ist das nicht akzeptabel und dann muss man sich dort auch einmischen. Nur die Tatsache, dass dort Flüchtlinge aufgenommen werden, im Übrigen auch mit der notwendigen finanziellen Unterstützung durch Europa, damit dort Bildungsmaßnahmen, damit dort vernünftige Versorgung stattfinden kann, all das ist ja Teil der Verhandlungen. Das hat die Türkei Europa und der EU zugesagt und deswegen gehe ich davon aus, dass diese Zusagen auch eingehalten werden.
Armbrüster: … sagt hier bei uns im Deutschlandfunk Michael Grosse-Brömer, der Parlamentarische Geschäftsführer der Unions-Fraktion im Deutschen Bundestag. Vielen Dank.
Grosse-Brömer: Gern geschehen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.