Die fünfmalige Olympiasiegerin war im Februar 2009 vom Welt-Eislauf-Verband wegen auffälliger Blutwerte für zwei Jahre gesperrt worden. Pechstein bestritt jegliches Doping. Nun erhält die Athletin die Gelegenheit, wegen ihrer zweijährigen Dopingsperre Schmerzensgeld und Schadenersatz durchzusetzen. Das Bundesverfassungsgericht hat ein Urteil des Bundesgerichtshofs von 2016 aufgehoben.
Was wurde aktuell entschieden?
Das Bundesverfassungsgericht hat eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs aufgehoben. 2016 hatte das höchste deutsche Zivilgericht entschieden, dass Pechstein den Eislauf-Weltverband ISU in Deutschland nicht auf Schadenersatz und Schmerzensgeld verklagen darf.
Pechstein war im Kampf um ihre finanzielle Entschädigung zuvor schon durch mehrere deutsche Instanzen gezogen - bis hin zum Bundesgerichtshof. Vor dem Landgericht München hatte sie keinen Erfolg. Die Berufungsinstanz, das Oberlandesgericht München, befand die Klage Pechsteins als zulässig. Der daraufhin von der unterlegenen Partei, der ISU, eingeschaltete Bundesgerichtshof urteilte hingegen, dass Pechsteins Klage unzulässig sei, da der Internationalen Sportgerichtshof, der Pechsteins Sperre bestätigt hatte, ein "echtes" Schiedsgericht sei.
Dagegen legte Pechstein Verfassungsbeschwerde ein. Die höchste Instanz in Deutschland, das Bundesverfassungsgericht, gab Pechstein am 12. Juli 2022 recht und entschied, dass Pechstein sehr wohl das Recht zustehe, die ISU in Deutschland auf eine Entschädigung in Millionenhöhe zu verklagen. Ein Verfahren vor dem Internationalen Sportgerichtshof CAS habe sie in ihren Grundrechten verletzt.
Was bedeutet das für die Zukunft und für andere Sportler und Sportlerinnen?
Das bedeutet zunächst, dass Pechsteins Klage gegen die ISU vor dem Münchener Oberlandesgericht fortgesetzt werden kann. Und dabei geht es um viel Geld. Denn Pechstein hat nach der Sperre nicht nur Sponsoren verloren, sie hat auch die Olympischen Spiele in Vancouver 2010 verpasst und damit die Chance auf Preisgelder und neue Sponsoren. Außerdem hat sie viel Geld in die Prozesse gesteckt. Nun dürfte es zu einer erneuten Beweisaufnahme kommen - hinsichtlich der Frage, ob Pechstein gedopt war oder nicht. Wie dieser Prozess ausgehen könnte, ist allerdings völlig offen.
Für andere Sportlerinnen und Sportler in Deutschland hat Pechstein mit ihrem langjährigen Rechtsstreit viel erreicht: Solange der Sportgerichtshof CAS seine Statuten nicht ändert, dürfen sie bei Streitigkeiten ihre Verbände auch vor den nationalen Zivilgerichten verklagen.
Warum wurde Claudia Pechstein gesperrt?
Wegen auffälliger Blutwerte. Pechstein bestritt hingegen stets jegliches Doping. Spätere Untersuchungen ergaben, dass Pechstein eine vom Vater vererbte Blutanomalie habe, die sie für die erhöhten Werte verantwortlich machte.
Was wurde nachgewiesen und was nicht?
Im Fall Pechstein hat es nie eine positive Dopingprobe gegeben, nur auffällige Blutwerte (Retikulozytenwerte). Hämatologen haben eine vom Vater geerbte Blutanomalie als Grund für ihre Werte ermittelt.
Die Sperre wurde von einer Expertenkommission des DOSB als Fehlurteil bewertet, juristisch aber nie zurückgenommen. Dopingforscher Werner Franke sagte am 1.2.2015 im Dlf, dass die Sperre "völlig unberechtigt" gewesen sei, warf den Ermittlern aber auch eine unsaubere Untersuchung des Falles vor: „Hätte man damals gleich sauber gearbeitet, hätte man unter Umständen etwas finden können. Denn der Eisschnelllauf in der DDR, aus der Pechstein ja kommt, war eine der versautesten Disziplinen überhaupt. Gerade bei Frauen gab es schwere Fälle.“
Der Molekularbiologe sah jedoch gleichzeitig auch keinen Beweis für die vermutete Blutanomalie. Vielmehr könnte es auch andere Erklärungen für Pechsteins Blutwerte geben, von anderen Mutationen angefangen bis hin zu Doping. „Die häufigste in der Geschichte bewiesene Erklärung für diese Blutwerte ist Doping mit androgenen Steroiden."
Journalisten der ARD-Dopingredaktion berichteten 2012 über die Behandlung von Pechstein bei einem Erfurter Sportmediziner. Dieser hatte Sportlerinnen und Sportlern Blut abgenommen, es mit UV-Licht bestrahlt und wieder zurückgeführt. Da sich aber ein Verstoß gegen die Dopingregularien nicht nachweisen ließ, hatte der Fall für Pechstein keine Konsequenzen.
Welche Rolle spielt der CAS in der Causa Pechstein?
Der Internationale Sportgerichtshof CAS in Lausanne urteilt seit 1984 bei Streitfällen im Sport und er hatte die Sperre für Pechstein trotz der Blutanomalie bestätigt. Pechstein war daraufhin zunächst vor mehrere Schweizer Gerichte gezogen und hatte schließlich vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte Individualbeschwerde eingereicht, weil sie den Sportgerichtshof für nicht unparteiisch hielt. Der CAS sei ihrer Meinung nach nicht die geeignete Insitution, um solche Fälle zu entscheiden. Er sei den Verbänden näher als den Sportlerinnen und Sportlern und diese sollten auch das Recht haben, vor ordentliche Gerichte zu ziehen.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte folgte Pechsteins Argumentation nicht, sondern bescheinigte dem CAS Unabhängigkeit und Unvoreingenommenheit. Allerdings bemängelte er, dass die Statuten des CAS kein faires Gerichtsverfahren gewährleisten: Weil der Prozess vor dem CAS entgegen ihres Willens nicht öffentlich in einer mündlichen Verhandlung stattgefunden hat, wurde ihr eine Entschädigung von 8.000 Euro zugesprochen.
Das Urteil hatte in der gesamten Sportwelt für großes Aufsehen gesorgt, weil das System der Sportgerichtsbarkeit auf dem Prüfstein stand. Denn: Spitzenathleten müssen, bevor sie zu großen Wettkämpfen fahren, eine Athletenvereinbarung unterschreiben. Darin steht, dass der Sportler im Fall eines Falles den Gang vor ein ordentliches Gericht ausschließt.
Quellen: Jessica Sturmberg, Sebastian Trepper, Klaus Hempel, og