Daniel Heinrich: Über den Fall Deniz Yücel möchte ich nun sprechen mit Doris Akrap. Doris Akrap ist einerseits Journalistin, sie arbeitet für die "taz", sie ist eine ehemalige Kollegin von Deniz Yücel, gerade aber ist sie vielmehr eine Freundin von Deniz Yücel. Sie ist in Istanbul, sie verfolgt das, was mit Deniz Yücel passiert, sehr genau. Frau Akrap, was für einen Eindruck macht Ihr Freund Deniz?
"Der einzige Kontakt zu Deniz ist über die Anwälte"
Doris Akrap: Ja, das ist schwer zu sagen, weil, tatsächlich waren wir in der Lage, ihn ganz kurz zu sehen heute: Als wir in den Justizpalast kamen gegen Mittag, als die Anwälte uns sagten, dass er dorthin überführt worden ist, überstellt worden ist, um seine Aussage vor dem Staatsanwalt zu machen, standen wir dann vor dem Zimmer des Staatsanwaltes. Und dann brachten vier Polizisten Deniz den Gang runter und er stand dann vor uns, vor dem Zimmer, ein weißes Hemd an, eine blaue Lederjacke, eine schwarze Stoffhose, der Bart war sehr, sehr lang. Sie müssen wissen, ich habe Deniz selbst zuletzt gesehen Ende Oktober, als ich ihn in Istanbul noch mal besucht habe, seitdem nicht mehr, seine Haare waren auch sehr lang, er sah gut aus, das war erst mal erfreulich, aber natürlich ein bisschen aufgeregt. Und er hat sich sehr gefreut, dass wir uns da wenigstens kurz begegnen konnten. Ich war da mit Kollegen von der "Welt", also seinem Arbeitgeber, mit seiner Freundin und natürlich mit den Anwälten.
Heinrich: Gespielt, Frau Akrap, hat das Ganze im Justizpalast Caglayan in Istanbul. Das ist ein ganz beeindruckender Bau, Dutzende Stockwerke, Metall, Glas. Frau Akrap, vor Ort, wie müssen wir uns das vorstellen? Dürfen Sie da rein, dürfen Sie sich da frei bewegen, können Sie Kontakt zu Deniz Yücel wirklich aufnehmen oder ist das so, werden da beide Augen zugedrückt von den Behörden?
Akrap: Es gibt keinen Kontakt zu Deniz, der einzige Kontakt zu Deniz ist eben über die Anwälte. Also, man kann nicht mit ihm telefonieren, und das eben schon seit mehreren Wochen nicht. Die haben uns das erlaubt, dass wir da standen und dass wir auch winken konnten, aber das war es dann auch, wir haben ihn ja dann auch nicht mehr gesehen. Es gab also keinerlei Kontakt, außer dass die Anwälte uns berichtet haben, in welcher Verfassung er ist und was er so erzählt hat.
Heinrich: Frau Akrap, es ist das erste Mal, dass mit einem deutschen Korrespondenten so umgegangen wird vonseiten der türkischen Behörden. Ihre Einschätzung von vor Ort: Wie geben sich die Behörden? Will man da eventuell ein Exempel statuieren?
"Offiziell gab es ja keinen Haftbefehl"
Akrap: Ich glaube schon auch, dass ein Exempel statuiert werden soll, was sich – das ist jetzt meine Spekulation – vor allem an die Journalisten natürlich im Inneren richtet, dass man so nicht über die Türkei zu berichten hat. Sicherlich auch ein Signal nach außen, an die ausländischen Journalisten, von denen ja nur noch sehr wenige überhaupt im Land sind, weil die meisten gar keine Akkreditierung kriegen. Ihr kommt uns nicht ungestraft davon. Das ist Spekulation, das ist natürlich noch nichts, was die Anwälte jetzt glaube ich so sagen würden, aber die Anwälte haben uns ja gesagt letzte Woche – wir konnten mit ihnen sprechen am Donnerstag und Freitag zum ersten Mal –, die haben uns ganz klar gesagt und davon sind sie nie abgerückt: Deniz Yücel hätte am ersten Tag, als er sich den Behörden, als er da vorstellig geworden ist, um nachzufragen, was sie von ihm wissen wollen, er hätte am ersten Tag freigelassen werden müssen, weil keinerlei Beweise überhaupt vorlagen, überhaupt gezeigt worden sind für eine Gewahrsamnahme. Und das, was sozusagen die Anwälte gemutmaßt haben, um was es geht, das waren alles Mutmaßungen, weil, offiziell gab es ja keinen Haftbefehl.
"Angela Merkel hat jetzt noch nicht angerufen"
Heinrich: Ich möchte, Frau Akrap, zum Abschluss auf die deutsche – in Anführungsstrichen – Perspektive kommen. Der deutsche Außenminister Sigmar Gabriel sagt, die Untersuchungshaft für Deniz Yücel sei unangemessen, sie sei zu hart. Sie verfolgen nicht nur den Prozess vor Ort, Sie sind auch in Deutschland aktiv und organisieren unter dem Hashtag "FreeDeniz" unter anderem Autokorsos, bei denen die Teilnehmer die Freilassung von Deniz Yücel fordern. Frau Akrap, wie ist die Resonanz darauf aus der deutschen Politik?
Akrap: Na ja, also, Angela Merkel hat jetzt noch nicht angerufen und gesagt, dass zum Beispiel auch die Familie sehr toll gemacht hat, weil die Familie von Deniz, vor allem seine Schwester hat in Flörsheim ja am Samstag den Korso gemacht. Ich hab das unterstützt, ich bin noch hingefahren, es waren dort vor Ort überwältigende Szenen. Also, es klingt pathetisch, aber es war wirklich so, das waren 156 Autos, es waren 300 Menschen, darunter Menschen, mit denen Deniz Yücel in der Grundschule war oder in der Realschule war, die er selber seit 30 Jahren nicht mehr gesehen hat oder länger, es waren von allen Parteien, die es eben so gibt in Flörsheim, waren alle da, außer die, die "Lügenpresse" rufen, die waren sicherlich nicht da, das wurde mir von einem CDU-Stadtrat bestätigt, aber sonst seien alle da gewesen.
"Eine kleine Stadt steht hinter dem Sohn ihrer Stadt"
Der Bürgermeister selbst von der Partei SPD hat den Korso in Flörsheim rausgewunken, weil es so viele Autos waren, es ein bisschen chaotisch wurde in dem kleinen Ort, in der kleinen Stadt, hat dafür gesorgt, dass das alles in Ordnung läuft, ist bis zum Schluss geblieben, um dann zur Karnevalssitzung zu gehen. Also, das war ein Moment, der hat mich wirklich überwältigt, da steht also wirklich eine kleine Stadt hinter dem Sohn ihrer Stadt, den die meisten gar nicht persönlich kennen, aber die eben sagen: Das geht nicht! Und das sind alles ganz normale Bürger, das war ein tolles Zeichen, ein Zeichen der Zivilgesellschaft vielleicht auch. In Berlin selbst hatten wir keine großen Teilnahmen von Politikern, also Bundespolitikern oder Parteipolitikern, aber wir haben die Unterstützung von Omid Nouripour von der grünen Partei ausgesprochen bekommen und von lokalen Politikern wie Klaus Lederer zum Beispiel, der amtierende Kultursenator in Berlin.
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