Die Einstellung des Ecclestones-Verfahrens durch das Landgericht München gegen eine Zahlung von 100 Millionen Dollar sei ein "Schlag gegen das Gerechtigkeitsgefühl der Menschen", sagte der Wirtschaftsethiker Joachim Kohlhof im Interview mit dem Deutschlandfunk. Der Formel-1-Chef habe seine private Marktmacht gezielt ausgenutzt und so die Justiz zu seinen Gunsten beeinflusst.
Die Tatsache, dass 99 Millionen Dollar der Auflage in die bayerische Staatskasse fließen und nur eine Million an die Deutsche Kinderhospizstiftung, hätte ein zusätzliches "Geschmäckle". Das Verhältnis hätte genau umgekehrt sein müssen. So werde ein Staatshaushalt durch ein Gerichtsurteil saniert. Auch unter moralischen Gesichtspunkten sei die Einstellung des Verfahrens verheerend. Ethische Maßstäbe zählten nichts, wenn es um die Maximierung des Gewinnes gehe, kritisiert Kohlhof, Inhaber des Lehrstuhls für Finanzierung und Investition an der FH Brandenburg und Leiter des Collegs für Wirtschafts-, Unternehmens- und Führungsethik in Mehren/Eifel.
Das Interview mit Joachim Kohlhof in voller Länge:
Sarah Zerback: 100 Millionen ärmer, dafür frei und nicht vorbestraft. Aus München war das ein Bericht von Peter Kveton.
Und über diese Entscheidung des Gerichts, da lässt sich natürlich auf der juristischen Ebene diskutieren – aber der Fall hat auch eine moralische, eine ethische Dimension. Und darüber möchte ich jetzt sprechen mit Joachim Kohlhof. Er ist Leiter des Ethikcollegs Mehren und Autor zahlreicher Fachpublikationen zum Thema Wirtschaftsethik. Guten Tag, Herr Kohlhof!
Und über diese Entscheidung des Gerichts, da lässt sich natürlich auf der juristischen Ebene diskutieren – aber der Fall hat auch eine moralische, eine ethische Dimension. Und darüber möchte ich jetzt sprechen mit Joachim Kohlhof. Er ist Leiter des Ethikcollegs Mehren und Autor zahlreicher Fachpublikationen zum Thema Wirtschaftsethik. Guten Tag, Herr Kohlhof!
Joachim Kohlhof: Guten Tag!
Zerback: Professor Kohlhof, hat sich Bernie Ecclestone da jetzt heute freigekauft?
Kohlhof: Ja, so sehe ich das, dass er sich freigekauft hat. Er hatte kein ordnungsgemäßes Urteil durch das Landgericht München erfahren. Es ist eigentlich, wie das abgelaufen ist, eine negative Wirkung gegenüber auch unserer Justiz. Ich empfinde das einen Schlag unser Rechtsgefühl und auch gegen unser Gerechtigkeitsempfinden. Die Frage stellt sich: Muss man nur tief in die Tasche greifen, um also die Justiz sozusagen auszuhebeln oder besser gesagt gefügig zu machen? Mir scheint, dass dieses Urteil sehr stark instrumentellen Charakter hat.
Zerback: Ja, da ist ja die Frage, also ein solcher Prozess gegen Bestechlichkeit, der soll ja eigentlich auch eine abschreckende Wirkung haben, der Wirtschaft eben zeigen, dass sich Verbrechen nicht lohnt. Das hat ja auch schon im Hoeneß-Prozess - wir erinnern uns - da mal eine Rolle gespielt. Und jetzt sagen Sie, hier ist ein Schlag gegen das Gerechtigkeitsempfinden zu verzeichnen - welches Signal geht denn davon aus?
Kohlhof: Insbesondere geht das Signal davon aus, dass jemand, der private Marktmacht hat - und Herr Ecclestone hat private Marktmacht -, diese gezielt zu seinem persönlichen Nutzen ausnutzt und damit also auch seine Möglichkeiten ausschöpft, diejenigen, die er braucht, um seine Marktmacht zu erweitern, entsprechend zu instrumentalisieren. Es kann ja nicht sein, dass man sagt, Ecclestone - mit seinem weltweiten vernetzten Möglichkeiten der Kenntnisnahme auch über die Bayerische Landesbank - hätte nicht gewusst, dass er mit keinem Amtsträger zu tun hat. Das ist sicherlich nicht der Fall, und die Tatsache, dass die Verteilung der 100 Millionen Dollar zu 99 Prozent in die Staatskasse fließen, lässt auch noch zusätzlich das Geschmäckle offen, ob das nicht ein politisches Urteil ist, indem man nämlich versucht, den Chef der Formel 1 wieder in sein Amt zu heben, damit das Karussell, das Casino weiterläuft.
Zerback: Jetzt sagen Sie gerade, 99 Millionen gehen in die bayrische Staatskasse, bleibt eine Million - das wurde heute auch prominent verkündet -, die sollen an die Deutsche Kinderhospiz-Stiftung gehen. Wie bewerten Sie das denn?
Kohlhof: Also dass überhaupt etwas an die Kinderhospiz-Stiftung nach Olpe geht, ist sicherlich sehr vorteilhaft und sehr positiv zu bewerten, aber ich hätte natürlich als bayrischer Staat mir reiflich überlegt, ob ich nicht eine andere Empfehlung an das Gericht ausgesprochen hätte, nämlich unter Umständen das genau umgekehrt gemacht hätte, dass man also der Hospizeinrichtung - in Deutschland zumindest - diese Unterstützung gewährt, während die Staatshaushalte nicht durch Gerichtsurteile saniert werden sollen, sondern dadurch, dass man vernünftige Haushaltsplanungen macht, was hier offenbar nicht der Fall ist, indem man dieses Geld der Haushaltskasse zuführt.
Bestechung ist verheerend
Zerback: Nun hat Ecclestone ja heute das Gericht als freier Mann verlassen, ist noch nicht mal vorbestraft, wohingegen derjenige, den er bestochen haben soll, der frühere BayernLB-Vorstand Gerhard Gribkowsky, der wurde ja bereits zu achteinhalb Jahren Haft verurteilt. Jetzt die Frage an Sie: Ist es ethisch verwerflicher, sich bestechen zu lassen als bestochen zu werden?
Kohlhof: Nein, beides ist natürlich verheerend. Es kann ja nicht sein, was im Bewusstsein des Herrn Gribkowsky deutlich wurde, dass er achteinhalb Jahre einsitzen muss für ein Vergehen, indem er sich nämlich hat bestechen lassen mit 44 Millionen Euro, und derjenige, der besticht, nämlich der gewissermaßen durch sein Bestechen auch den Wettbewerbsmechanismus außer Kraft setzt in einem Staat, dass der frei davonkommt, nur weil einfach wieder in seiner Arbeit zu Hause sein will, nämlich die Formel 1 weiterlaufen lassen will. Ich halte auch aus dem Bewusstsein des Gribkowsky diese Art des Urteils für unerträglich eigentlich, und was muss er sich denken, wenn er selbst dieses Geld gehabt hätte, wie es Herrn Ecclestone zur Verfügung steht, ob er dann überhaupt verurteilt worden wäre und ob er dann auch einsetzen müsste. Also hier wird mit unterschiedlichem Maße Recht gesprochen, und das ist sicherlich ein Schlag gegen unsere Justiz und auch gegen die Möglichkeiten, dass die Justiz sich sozusagen als politischer verlängerter Arm der Politik wähnt.
Zerback: Herr Kohlhof, noch eine kurze Frage zum Schluss: Mehr Ethik in der Wirtschaft und in der Justiz, in Unternehmen, das ist ja auch Ihr Steckenpferd. Sie beraten auch, sprechen Empfehlungen aus, und eine Kurzfassung dessen nennen Sie griffig die "Brigitte-Diät für Ethik". Ganz kurz gesagt: Was raten Sie hier, wie bringt man ethisches Verhalten in die Wirtschaft?
Ethik ist bei Gewinnmaximierung nicht hinderlich
Kohlhof: Zunächst mal, dass man sich öffnet für die Ethik. Ich habe manchmal das Gefühl, dass sich Unternehmen mit der Ethik gar nicht anfreunden, weil sie sagen, sie hemmt nur, sie lässt die freie Wahl zur maximalen Gewinnerzielung nicht freien Lauf. Das ist eben nicht der Fall. Man muss eben wissen, dass anstandsgerechtes, sachkundiges und menschengerechtes Verhalten nicht hinderlich sind, seinen Gewinn zu maximieren, sondern geradezu förderlich sind, die Bestandsfähigkeit eines Unternehmens im Markt zu sichern. Und wir haben sozusagen einen Text zur Selbstbewertung entwickelt, das sind 20 Fragen, die sich jeder stellen kann, und wenn er zu dieser - wie Sie sagen - Brigitte-Diät unter ethischen Kriterien ein positives Signal erfährt, dann sollte er sich diesem Thema näher/mehr stellen. Denn am Ende einer solchen Auditierung unter ethischen Kriterien steht ja die Zertifizierung nach den Kriterien, dass dieses Unternehmen sich im Markt behaupten kann und ein anstandsgerechtes Verhalten mit den Mitarbeitern, mit den Konkurrenten, mit dem Markt, mit den Kunden, Lieferanten et cetera fristet. Und das ist sicherlich ein positives Signal für jedes Unternehmen in der Zukunft.
Zerback: Joachim Kohlhof, Leiter des Ethikcollegs Mehren, nennt die Entscheidung im Ecclestone-Prozess einen Schlag gegen das Gerechtigkeitsempfinden. Professor Kohlhof, haben Sie vielen Dank!
Kohlhof: Bitte sehr, gern geschehen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.