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Fall Edathy
Bosbach: "Oppermann wusste genau, was das auslöst"

Der CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach verlangt im Fall Edathy weitere Aufklärung von der SPD. Es sei zwar nicht zu beanstanden, dass Fraktionschef Thomas Oppermann mit BKA-Chef Jörg Ziercke telefoniert habe. Allerdings gebe es unterschiedliche Versionen über den Inhalt des Gesprächs. Die Durchsuchungen beim ehemaligen SPD-Abgeordneten Edathy bezeichnete Bosbach als gerechtfertigt.

Wolfgang Bosbach im Gespräch mit Friedbert Meurer |
    Der CDU-Innenexperte Wolfgang Bosbach gestikuliert während eines Gesprächs.
    "Friedrich wollte die SPD aus einer hochpeinlichen Situation retten", sagte Wolfgang Bosbach (CDU) im DLF-Interview der Woche. (picture alliance / dpa / Rainer Jensen)
    Friedbert Meurer: Eine schier unglaubliche politische Woche liegt hinter uns. Sie begann damit, dass der Abgeordnete Sebastian Edathy aus gesundheitlichen Gründen sein Bundestagsmandat niedergelegt hat. Dann erfuhren wir Dienstagmorgen, dass die Polizei sein Haus durchsucht hat. Und danach ging es Schlag auf Schlag. Donnerstag berichtet der SPD-Fraktionsvorsitzende Thomas Oppermann, dass der damalige Innenminister Hans-Peter Friedrich im Oktober SPD-Chef Sigmar Gabriel über den Fall Edathy informiert habe. Und am Freitag, wie wir wissen, musste dann Hans-Peter Friedrich als Landwirtschaftsminister zurücktreten – keine zwei Monate, nachdem er im neuen Ministerium seinen Amtsantritt hatte. Wolfgang Bosbach, Vorsitzender des Innenausschusses des Bundestages, was hat Sie am meisten erschüttert diese Woche?
    Wolfgang Bosbach: Am meisten erschüttert haben mich natürlich die Vorwürfe, die gegen den ehemaligen Kollegen Edathy erhoben worden sind. Ich lasse jetzt einmal dahinstehen, inwieweit das bestellte Material, also der bis jetzt unstreitige Sachverhalt, strafrechtlich relevant war oder nicht. Jedenfalls bin ich mit Sicherheit nicht der Einzige im Deutschen Bundestag, der – zurückhaltend formuliert – sehr, sehr erstaunt war über die plötzliche Niederlegung des Mandates, über die Begründung "aus gesundheitlichen Gründen" und den engen zeitlichen Zusammenhang zwischen den Ermittlungsmaßnahmen, den Durchsuchungen der Räumlichkeiten und der Mandatsniederlegung.
    Das heißt, die nächste Erschütterung war dann die im Raum stehende Frage: Ist er möglicherweise von diesen Ermittlungsmaßnahmen vorher informiert worden? Hat er deshalb sein Mandat zurückgegeben? Und hatte er die Chance, Beweismittel beiseitezuschaffen oder zu vernichten?
    Meurer: Wie wir mittlerweile wissen, Herr Bosbach, haben ja offenbar eine ganze Reihe von Leuten davon gewusst. Angefangen vom damaligen Bundesinnenminister, weitergegeben an die Personen, von denen wir das jetzt wissen, aber das BKA wusste Bescheid, Staatsanwaltschaften wussten Bescheid. Und wir lesen davon, in Berlin sei getuschelt worden all die Monate. Haben Sie da irgendwas mitbekommen, von diesem Getuschel, von den Gerüchten?
    Bosbach: Überhaupt nichts! Ich kann mich noch genau erinnern, wie ich überhaupt informiert wurde, nämlich durch die SMS einer Kollegin aus dem Bundestag am vergangenen Wochenende. Sie hätte gerade gelesen, dass der Kollege Edathy aus gesundheitlichen Gründen ausgeschieden sei. Was er denn hätte der Arme? Ob ich denn mehr wüsste? Und ich kann mich noch genau daran erinnern, was ich zurückgeschrieben habe: Bin selber erstaunt, aber hier stimmt etwas nicht.
    "Ich hatte von Anfang an das Gefühl: Hier stimmt was nicht!"
    Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Vollblutpolitiker, wie Sebastian Edathy, aus gesundheitlichen Gründen von jetzt auf gleich sein Mandat auf Dauer aufgibt. Denn man kann ja nicht wieder ins Mandat zurückkehren, wenn es einem gesundheitlich besser geht. Das heißt, ich hatte von Anfang an das Gefühl: Hier stimmt was nicht!
    Meurer: Haben Sie sich die ganze Zeit gewundert, bei den Koalitionsverhandlungen und dann bei der Postenvergabe, dass Edathy praktisch für alle Ämter leer ausgegangen ist? Er war ja doch ein recht profilierter SPD-Politiker?
    Bosbach: Darüber hatte ich mich wiederum nicht gewundert, denn ich weiß schon seit geraumer Zeit, dass er in der Presse offensichtlich besser wegkommt als in der eigenen Fraktion, denn er war ja Vorsitzender des Innenausschusses. Nun habe ich den Vorsitz übernommen und Sebastian Edathy hatte sich damals darum bemüht, innenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion zu werden. Es kandidierte auch der Kollege Hartmann, der damals haushoch gewonnen hat. Und das hat mir gesagt: Möglicherweise ist sein Standing in der eigenen Fraktion doch nicht so groß, wie das von außen den Anschein haben mag.
    Meurer: Bevor wir, Herr Bosbach, über den Rücktritt des vormaligen Innenministers Hans-Peter Friedrich, dann Landwirtschaftsminister, reden und über all diese Dinge – wird eigentlich mit Sebastian Edathy unfair umgegangen oder sogar verfassungswidrig umgegangen, weil ihm ja noch überhaupt keine Straftat nachzuweisen ist?
    "Edathy wird genau so behandelt, wie andere Beschuldigte"
    Sebastian Edathy (SPD)
    Die Hausdurchsuchungen bei Sebastian Edathy (SPD) seien kein außergewöhnliches Vorgehen der Staatsanwaltschaft gewesen, sagt Wolfgang Bosbach (CDU). (dpa / picture alliance / Stephanie Pilick)
    Bosbach: Nein, diesen Vorwurf kann ich nicht nachvollziehen. Er wird genau so behandelt, wie andere Beschuldigte in gleicher Lage auch. Wenn die Polizei, wenn die Ermittlungsbehörden Kenntnis davon erhalten, dass jemand kinderpornografisches Material "bestellt" hat, sogenannte Stufe 2, also im Graubereich zwischen nicht strafwürdig und strafwürdig, dann ist nach kriminalistischer Erfahrung davon auszugehen, jedenfalls, wenn es sich wie bei Edathy um einen Stammkunden gehandelt hat, der jahrelang Material bezogen hat, der konspirativ sich dieses Material besorgt hat, dass möglicherweise auch glasklar strafbares Material bei ihm zu finden sein könnte und deshalb die Hausdurchsuchung. Also wenn keine Ermittlungsmaßnahmen angestrengt worden wären, dann hätte man der Justiz, den Strafverfolgungsbehörden wirklich einen Vorwurf machen können. Aber dieses Vorgehen ist in vergleichbaren Fällen üblich.
    Meurer: Ist das nicht eine ziemlich weit gedehnte Auffassung zu sagen: Was der Beschuldigte da tut, ist zwar nicht strafrechtswidrig, aber nicht mehr so allzu weit entfernt, also machen wir eine Hausdurchsuchung?
    Bosbach: Das ist eine Art … die Staatsanwaltschaft hat einen weiten Ermessensspielraum. Es gibt Staatsanwaltschaften, die sich (leider) im Bereich der Kinderpornografie sehr, sehr gut auskennen, weil das doch ein Feld der Strafbarkeit ist, mit einem enormen Umfang, der auch der Bevölkerung weitestgehend unbekannt sein dürfte – glücklicherweise. Und wenn die ermittelnden Beamten, wenn die Staatsanwaltschaft aufgrund von kriminalistischer Erfahrung Grund zu der Annahme hat, hier könnte noch anderes, wesentlich härteres Material gefunden werden, dann gibt es die Ermittlungsmaßnahmen. Das ist nicht außergewöhnlich.
    Meurer: Deutschlandfunk, das Interview der Woche mit Wolfgang Bosbach, dem Vorsitzenden des Innenausschusses des Deutschen Bundestages, CDU. Hans-Peter Friedrich ist am Freitag zurückgetreten. Mittags hatte er gesagt: Er tritt dann zurück, wenn die Staatsanwaltschaft Ermittlungen einleitet – und dann ging alles dann doch schneller. Es gibt nicht diese Ermittlungen, es wird geprüft, ob ermittelt werden soll. War der Rücktritt notwendig?
    Bosbach: Er ist wohl in dem Moment notwendig geworden, als Hans-Peter Friedrich selber den Eindruck gewinnen musste, das die Bundeskanzlerin und der Parteivorsitzende, sein Parteivorsitzender, Horst Seehofer, nicht mehr das uneingeschränkte Vertrauen in ihn haben, dass man haben muss, wenn man wirklich mit der notwendigen Autorität als Bundesminister Politik machen will.
    Meurer: Die Abläufe waren so: Im Oktober informiert das BKA erst einen Staatssekretär, dann den Bundesinnenminister und Sigmar Gabriel als SPD-Vorsitzenden und dann ging die Kette weiter in Richtung des SPD-Fraktionsvorsitzenden, damals parlamentarischen Geschäftsführers, Thomas Oppermann. Thomas Oppermann hat diese Woche diese ganze Sache publik gemacht mit einer Erklärung am Donnerstag, in der er dann sagte, wie das Ganze abgelaufen ist. Hat Oppermann damit Friedrich ans Messer geliefert?
    Thomas Oppermann hat Hans-Peter Friedrich "ausgeliefert"
    Thomas Oppermann, SPD
    "Thomas Oppermann wusste genau, was das auslösen würde", sagt Wolfgang Bosbach. (Deutschlandradio - Bettina Straub)
    Bosbach: Er hat ihn jedenfalls insofern ausgeliefert, als dass ihm bewusst gewesen sein muss, wenn er die Situation von Oktober 2013 schildert, also das Gespräch zwischen Hans-Peter Friedrich und Sigmar Gabriel, dann würde jedenfalls der damalige Bundesinnenminister, der jetzige Landwirtschaftsminister, erheblich Probleme bekommen, in einer erheblichen Erklärungsnot stecken – und genau so ist es ja auch gekommen. Thomas Oppermann ist erfahren genug, er wird genau gewusst haben, was das auslösen würde.
    Meurer: Warum, glaube Sie, hat er es gemacht?
    Bosbach: Es gab Presseanfragen. Thomas Oppermann kann sich auf den Standpunkt zurückziehen: Wenn ich gefragt werden, dann sage ich die Wahrheit! Das war die Wahrheit, und für alles andere bin ich nicht zuständig, bin ich nicht verantwortlich – ist mir auch egal.
    Meurer: Das heißt, im Gegensatz beispielsweise zu Horst Seehofer, verurteilen Sie Thomas Oppermann nicht?
    Bosbach: Es geht hier nicht um Verurteilung, sondern Sie haben mich gefragt: Warum wird er das gemacht haben? Was wird das Motiv gewesen sein? Und das Motiv war, dass er gefragt worden ist und dass er darauf geantwortet hat, seinen Kenntnisstand der Öffentlichkeit offenbart hat. Andere Dinge halte ich für gravierender, zum Beispiel sein Telefonat mit dem Präsidenten des Bundeskriminalamtes, Herrn Ziercke.
    Da gibt es ja zwei ganz unterschiedliche Versionen. Herr Ziercke sagt: Ich habe überhaupt nichts gesagt zum Stand der Dinge. Ich habe nichts bestätigt. Herr Oppermann sagt: Herr Ziercke hat auf meine Nachfrage hin den Sachverhalt bestätigt. Damit bringt er natürlich auch Herrn Ziercke in riesige Schwierigkeiten, in die gleichen Probleme, wie Hans-Peter Friedrich.
    Die Kollegin Lambrecht erklärt fröhlich: Sie hätte das alles aus der Presse erfahren. Anschließend sagt der Oppermann: Kann nicht sein, ich habe Frau Lambrecht schon früher informiert, sie wusste Bescheid. Das alles stimmt also nicht. Also entweder stimmt die eine Version oder die andere Version stimmt, aber es können nicht beide Versionen gleichzeitig richtig sein.
    Meurer: BKA-Präsident Jörg Ziercke weiß offenbar, worum es geht und wie brisant das Ganze ist, deswegen sein Dementi. Er bestätigt zwar, dass Oppermann ihn angerufen hat, aber er sagt, er hat in dem Telefonat nichts preisgegeben, nichts bestätigt, was die Vorwürfe gegen Edathy und die Ermittlungen oder Vorermittlungen angeht. Ist das denn vorstellbar, dass das Telefonat so abgelaufen ist?
    Bosbach: Also vorstellbar ist jedenfalls nicht, dass keiner der beiden gesprochen hat. Das kann ich mir jetzt nicht vorstellen. Vorstellbar ist allerdings, dass Herr Oppermann in diesem Telefonat seinen damaligen Kenntnisstand Herrn Ziercke mitgeteilt hat, dass er ihn darum gebeten hat, das zu bestätigen oder zu sagen, dass es nicht stimmt. Und dass Herr Ziercke daraufhin gesagt hat: Herr Oppermann, bitte um Verständnis, laufendes Verfahren, da kann ich nichts zu sagen, darf ich nichts zu sagen, möchte ich nichts zu sagen. Wenn er das gesagt hat, war für Oppermann klar, die Sache stimmt, die man ihm gesagt hat.
    Meurer: Sie wollen ja den BKA-Präsidenten kommenden Mittwoch in den Innenausschuss bitten, zitieren, wie auch immer. Wird er kommen?
    "Ich hoffe, das Herr Ziercke kommen kann"
    Ein Mobiltelefon steckt in einer Anzugjacke
    BKA-Präsident Jörg Ziercke soll vor dem Innenausschuss über sein Telefonat mit Thomas Oppermann sprechen. (Stock.XCHNG / Steve Woods)
    Bosbach: Wir können nur den Bundesminister des Inneren darum bitten. Es ist seine Entscheidung, ob er kommt. Es ist seine Entscheidung, ob Herr Ziercke kommt. Ich würde mich freuen, wenn Herr Ziercke selber käme, also wenn nicht ein Staatssekretär des Innenministeriums etwas berichten würde über ein Gespräch, von dem er keine unmittelbare Kenntnis haben kann. Der Minister selber wird wohl nicht kommen, weil es deutsch-französische Regierungskonsultationen in Paris gibt. Also das ist nun wirklich eine gute Entschuldigung, gute Erklärung für sein Fehlen. Ich hoffe, dass Herr Ziercke kommen kann.
    Meurer: Darf, Herr Bosbach, ein Abgeordneter – in diesem Fall der SPD-Fraktionsvorsitzende – den BKA-Präsidenten anrufen und ihn nach einem laufenden Verfahren befragen?
    Bosbach: Meiner Kenntnis nach war er damals noch Erster Parlamentarischer Geschäftsführer, was die Sache nicht besser macht. Selbstverständlich darf er ihn anrufen – und selbstverständlich darf Herr Ziercke keine Auskunft erteilen.
    Meurer: Ab wann begeht ein Bundestagsabgeordneter Geheimnisverrat?
    Bosbach: Wir haben ja auch klassifizierte Unterlagen. Also wenn etwas als streng vertraulich, wenn etwas als geheim, wenn etwas nur für den Dienstgebrauch qualifiziert ist, dann ist das für die Weitergabe tabu. Es gibt ja einmal Unterlagen, die entsprechend klassifiziert sind und es gibt Unterlagen, die wir nur auf der Geheimschutzstelle des Deutschen Bundestages einsehen können – die bekommen wir also noch nicht einmal in die Hand gedrückt oder ins Büro geliefert. Da müssen wir uns in die Geheimschutzstelle begeben.
    Und es kommt ja auch gar nicht so selten vor, dass auch ansonsten nur nicht-öffentliche Sitzungen des Innenausschusses geheim klassifiziert sind. Die sind dann so geheim, da wird nur ein Beschlussprotokoll angefertigt, noch nicht einmal Wortprotokoll oder Inhaltsprotokoll. Und wir müssen entweder Handy und Akku trennen oder, wo es nicht möglich ist, das Handy draußen vor der Tür lassen. Also das alles unterliegt schon strikten Regelungen. Und wer aus solchen Sitzungen plaudert, macht sich strafbar.
    Meurer: Besteht für Sie der Verdacht auf Geheimnisverrat, verübt durch SPD-Spitzenpolitiker?
    "Es muss nicht sein, dass Edathy informiert worden ist"
    Bosbach: Das unterscheidet mich jetzt genau von vielen anderen Schlaumeiern, die in der Gegend herumlaufen. Ich werde niemandem eine Straftat unterstellen, wenn ich dafür keine harten Anhaltspunkte habe. Es muss übrigens gar nicht so sein, dass Herr Edathy von einem Politiker, von einem Parteifreund in irgendeiner Weise informiert worden ist. Möglicherweise hat Herr Edathy auch aus der Tatsache – und das ist ja alles publiziert worden –, dass in Kanada ein Kinderpornoring ausgehoben wurde den Schluss gezogen: Dann könnte ich auch in das Visier der Ermittler geraten, weil ich ja Kunde dieses Unternehmens war. Ich weiß auch nicht, ob es klug ist, weltweit zu verbreiten: Wir haben einen Pornohändlerring zerschlagen, solange man noch nicht die Kunden dieses Pornohändlerrings identifiziert und überführt hat.
    Meurer: Da sind ja zweierlei Dinge zusammengekommen. Einmal sagen Sie: Die kanadischen Behörden haben es sozusagen herausposaunt und dann passiert lange Zeit nichts – es geht, glaube ich, um 300 Namen, alleine aus Deutschland.
    Bosbach: Und noch mehr.
    Meurer: Noch mehr. Und dann ist die zweite Frage: Warum dauert das bei der Staatsanwaltschaft – salopp gesagt – ewig und drei Tage, bis dann durchsucht wird?
    Bosbach: Gerade … fairerweise müsste man dann die Frage an die Staatsanwaltschaft richten. Das alles ist sehr kompliziert. Wenn wir Erkenntnisse aus Kanada haben, da sind deutsche Namen betroffen, dann werden die natürlich nicht in Kanada prüfen, in welchen Bundesländern wohnen denn jetzt die Kunden dieses Unternehmens, sondern sie haben einen Ansprechpartner in Deutschland, das ist das Bundeskriminalamt. Das Bundeskriminalamt ermittelt aber jetzt nicht gegen 700/800 Betroffene, sondern das Bundeskriminalamt muss zunächst einmal dafür sorgen, dass die zuständigen Behörden ermittelt werden.
    Das werden im Zweifel alle 16 Landeskriminalämter gewesen sein. Diese 16 Landeskriminalämter wiederum haben mit ganz verschiedenen Staatsanwaltschaften zu tun. Und irgendwann im – was weiß ich – November, wird dann der Fall bei den zuständigen Staatsanwaltschaften angekommen sein. Dann muss man einen Sachbearbeiter finden, der dafür zuständig ist. Dann wird eine Akte angelegt. Und dann beginnt das Ermittlungsverfahren. Hier eben im Fall Edathy mit der Spezialität, dass man wusste, dass man nur Vorermittlungen machen kann, dass für weitergehende Ermittlungshandlungen – Telefonüberwachung, Hausdurchsuchung, was da alles denkbar ist – jedenfalls theoretisch die Immunität des Abgeordneten aufgehoben werden muss. Kenntnisstand heute, also Sonntag ist, dass das Bundestagsbüro von Herrn Edathy immer noch nicht durchsucht worden ist.
    Meurer: Das ist in der Tat auch seltsam. Die Staatsanwaltschaft Hannover behauptet ja also erstens, sie habe veranlasst, dass die IT-Daten von Edathy auf dem Bundestagsrechner gesichert werden. Zweitens, dass sein Bundestagsbüro versiegelt wird. Dann sagt die Bundestagsverwaltung: Nein, das ist beides nicht geschehen! Haben Sie eine Erklärung dafür?
    Bosbach: Nein, ich habe auch keine Erklärung dafür, warum ein Brief fünf oder sechs Tage unterwegs gewesen sein soll.
    Meurer: Der Brief von der Staatsanwaltschaft Hannover zur Bundestagsverwaltung.
    Bosbach: Der Brief von der Staatsanwaltschaft an den Präsidenten des Deutschen Bundestages. Fünf oder sechs Tage, das hört sich eher nach Postkutsche an, als nach moderner Kommunikation.
    Meurer: Darf eigentlich … dürfen die IT-Daten gesichert werden eines Abgeordneten, sein Büro versiegelt werden, solange er noch Immunität genießt? Oder war es so, dass er eben ja keine Abgeordneten…
    Bosbach: …. Nein, jetzt ist es ja vorbei.
    Meurer: Ach so. Er war kein Abgeordneter mehr und dann ging es.
    Bosbach: Er war ja kein Abgeordneter mehr. Es gibt ja kein Immunitätsaufhebungsverfahren. Also …
    Meurer: … Das heißt, er hat in dem Moment keine Immunität mehr, indem er sein Amt eben niedergelegt hat?
    "Edathy ist ein Beschuldigter, wie jeder andere auch"
    Bosbach: Genau richtig. Durch den Mandatsverzicht gibt es auch nicht mehr die Notwendigkeit, seine Immunität aufzuheben. Das heißt, er ist jetzt ein Beschuldigter wie jeder andere auch. Mit Rechten, von denen er Gebrauch machen kann, aber die Bundestagsverwaltung ist in dem Moment nicht irgendwie verpflichtet, weitergehend tätig zu werden.
    Meurer: Eine andere Sache, die der Staatsanwaltschaft in Hannover ein wenig unter die Nase gerieben wird, ist die Frage: Wie konnte es eigentlich sein, dass bei der Hausdurchsuchung im Haus von Sebastian Edathy auf der gegenüberliegenden Straßenseite ein Lokalreporter nicht auf den Bäumen, aber auf einer Balustrade saß und ins Wohnzimmer fotografiert hat, also informiert war?
    Bosbach: Das ist eine gute Frage. Wie konnte es sein, dass bei der Hausdurchsuchung von Herr Zumwinkel die Kameras zunächst da waren und dann kam die Staatsanwaltschaft? Jedenfalls hat das Hans-Peter Friedrich mit Sicherheit nicht durchgestochen. Es ist ja auch phänomenal, wenn man das in diesen Tage beobachte. Ich gehe jetzt mal einen anderen Weg und wende mich jetzt den Steuerstraftaten der letzten Monate zu. Auf der einen Seite haben wir immer sensationelle Enthüllungen durch die Presse, da erfahren wir ja mehr, als auf anderen Wegen. Und dieselbe Presse fragt dann, nachdem Material an sie durchgestochen worden ist: Wie kann es sein, das so viel durchgestochen wird?
    Ich fürchte, in all diesen Fällen, werden wir nie erfahren, wo das Leck ist. Im Falle der Hausdurchsuchung bei Sebastian Edathy hat der Chefredakteur der Lokalzeitung Die Harke angegeben, ein Nachbar hätte bei der Zeitung angerufen und hätte dort bekundet, bei dem Abgeordneten oder bei dem ehemaligen Abgeordneten Sebastian Edathy würde sich Merkwürdiges tun, da sei die Polizei angerückt, Herr Edathy sei offensichtlich selber nicht da. Und dann hat die Lokalzeitung gesagt: Dann wollen wir doch mal gucken, was sich da vor Ort abspielt. So kann es gewesen sein. Ob es so gewesen war, weiß ich nicht.
    Meurer: Bei Ihrer Schwesterpartei, Herr Bosbach, der CSU, sind einige im Moment auf 180 und sagen: Unser damaliger Minister Friedrich wollte der SPD helfen und jetzt tritt unser Minister zurück und von der SPD niemand. Haben Sie Verständnis für dieses Gefühl: Da müssen jetzt aber auch bei der SPD die Köpfe rollen?
    Bosbach: Verständnis habe ich dafür. Das ist dann letztendlich die Entscheidung der SPD. Dass die CSU darauf hinweist – die Beteiligten sind eigentlich alles Sozialdemokraten: Edathy, Gabriel, Oppermann, Steinmeier, Frau Lambrecht, und der einzige, der sein Amt verliert, jedenfalls bis zur Stunde, ist unser Parteifreund Hans-Peter Friedrich –, das ist für mich nachvollziehbar. Auf der anderen Seite muss ich fairerweise sagen, dass sich Sigmar Gabriel gestern doch sehr fair eingelassen hat. Und Herr Oppermann wird sagen: Wieso? Wenn ich gefragt werde, dann sage ich die Wahrheit. Und wenn das dann dazu führt, dass Hans-Peter Friedrich sein Amt verliert, das ist doch nicht mein Problem. Ansonsten gehe ich mal davon aus, dass sich die Sozialdemokraten in dieser Stunde unterhaken und dass sie gemeinsam erklären: Was jetzt noch an offenen Fragen sei, das sei eigentlich ein Missverständnis und dann geht die SPD zur Tagesordnung über.
    Meurer: Angenommen Sie wären Innenminister gewesen, Herr Bosbach – Sie waren ja auch lange Zeit im Gespräch gewesen als Innenminister …
    Bosbach: Was ist es gut, das ich es in dieser Lage nicht war! Ja.
    Meurer: So hat manches seinen Vorteil.
    Bosbach: Ja, ja.
    Meurer: Was hätten Sie getan?
    Bosbach: Sie meinen jetzt in der Situation von Hans-Peter Friedrich?
    Meurer: Genau.
    Bosbach: Im Oktober 2013?
    Meurer: Genau.
    Bosbach: Die Frage habe ich mir tatsächlich auch schon gestellt. Und ich könnte jetzt den Schlaumeier geben und könnte sagen: Wissen Sie, mit dem Wissen von 2014 könnte ich jetzt sagen: Also das hätte ich ja nicht gemacht. Nein, das sage ich Ihnen nicht! Möglicherweise hätte ich in einer solchen Situation ähnlich reagiert wie Hans-Peter Friedrich auch. Ich kann das jedenfalls nicht ausschließen.
    Meurer: Kommt so was nicht sogar öfter vor? Gerade – Sie haben eben selber die Steuerstrafsachen angesprochen –, da steht ein Name auf einer Steuer-CD, ein prominenter Mann, eine prominente Frau und dann wird der Finanzminister informiert, dann wird der Ministerpräsident informiert.
    Bosbach: Ja.
    Meurer: Ist das ähnlich gelagert?
    Bosbach: Für die Frage bin ich Ihnen jetzt dankbar. Es sind natürlich ähnliche Sachverhalte, aber mit zwei wesentlichen Unterschieden. Der erste Unterschied ist: Ich habe mit Hans-Peter Friedrich selber gesprochen. Er sagt: Ich habe ausdrücklich danach gefragt, ob es ein Ermittlungsverfahren gibt gegen Sebastian Edathy, ob ihm der Vorwurf strafbaren Verhaltens gemacht wird im Zusammenhang mit Kinderpornografie. Und das wurde verneint. Nun kann man natürlich sagen, der Hans-Peter Friedrich hätte doch im Oktober 2013 ahnen müssen, dass es einem Staatsanwalt gibt, der sagt: Es ist das Material nicht zweifelsfrei strafbar, aber Anlass für eine Hausdurchsuchung, deshalb Ermittlungsverfahren. Er hätte es ahnen können, er hat es aber nicht geahnt.
    Wolfgang Bosbach (CDU)
    "Friedrichs Motiv war nicht mögliche Strafvereitelung bei Edathy", meint Wolfgang Bosbach (CDU). (dpa / pa / Kappeler)
    Zweitens: Motiv. Sein Motiv war doch ganz offensichtlich nicht mögliche Strafvereitelung bei Edathy, sondern er wollte die SPD aus einer hochpeinlichen Situation retten, indem man möglicherweise Edathy ein herausgehobenes Amt gegeben hätte. Möglicherweise gibt es in den Wochen danach strafrechtlich relevante Vorwürfe. Und machen wir uns bitte nichts vor, ob es strafrechtlich relevant ist oder nicht, in dem Moment, wo ein Politiker in Verbindung gebracht wird mit dem Thema Kinderpornografie, ist die Karriere faktisch beendet. Es wäre eine schwierige Lage gewesen für die SPD. Und genau in diese Lage wollte Hans-Peter Friedrich die SPD nicht hereinlaufen lassen. Ergebnis: Amt verloren!
    "Wenn ein Politiker mit Kinderpornografie in Verbindung gebracht wird, ist die Karriere beendet"
    Meurer: Wir haben die Situation, dass in Kanada offenbar einfache Bilder von nackten Jungs anzuschauen, zu bestellen verboten ist – in Deutschland nicht. Wie kann das eigentlich sein, dass solche Bilder hier nicht strafbewährt sind?
    Bosbach: Wir haben nicht ein einheitliches, weltweites Sexualstrafrecht. Wir haben eine Differenzierung dahingehend, dass es nach der Rechtsprechung, also in Auslegung der Rechtslage so ist, dass solange die Geschlechtsteile von Kindern nicht aufreizend dargestellt werden – nehmen wir dann den harmlosesten Fall, ein einjähriges Kind spielt splitternackt am Strand, es spielt einfach, es hat allerdings keine Kleidung an –, für die meisten dürfte das ein unverfängliches Bild sein. Ganz anders sieht es doch schon aus, wenn ein Kind bewusst so hingestellt wird oder sich posiert, dass die Geschlechtsteile deutlich sichtbar sind. Und dann natürlich sind weitere Steigerungen denkbar.
    Meurer: Das heißt aber, dieses Kriterium im Moment, einfache Bilder gleich: keine Strafrechtsbewährung. Aber das Zurschaustellen, die Hervorhebung von Genitalien, da geht es dann los mit dem Strafrecht ...
    Bosbach: Genau richtig.
    Meurer: … das ist okay?
    Bosbach: Genau richtig. Es ist auch … man muss es auch auf die Situation abstellen. Das werden Eltern auch schon gemacht haben – wenn der kleine Nackedei aus dem Wasser kommt und hat dann ein Schäufelchen in der Hand und bastelt an einer Sandburg mit, das ist eine völlig unverfängliche Szene. Aber völlig anders sieht doch die Lage dann aus, wenn jemand sich ins Gebüsch legt, um dieses Kind zu fotografieren, ein fremdes Kind. Ein völlig anderer Sachverhalt! Oder weitergehend, wenn Kinder missbraucht werden, um sich bewusst so in Pose zu werfen, dass sich die Geschlechtsteile deutlich hervorheben.
    Meurer: Die Affäre rund um den SPD-Abgeordneten Sebastian Edathy, die vielen politischen Wirrungen und Irrungen der Woche, mit dem Rücktritt des vormaligen Innenministers, heutigen Landwirtschaftsministers Hans-Peter Friedrich – darüber sprach ich mit Wolfgang Bosbach. Herr Bosbach, danke für Ihren Besuch im Studio.
    Bosbach: Ich danke Ihnen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.