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Fall Khashoggi
"Saudi-Arabien ist einer der repressivsten Staaten der Welt"

"In Saudi-Arabien gibt es Auspeitschungen, Todesstrafen und Parteien sind verboten", sagte Stefan Liebich im Dlf. Deutschland müsse seine Haltung gegenüber dem Land verändern, so der Außenpolitiker der Linken - insbesondere in punkto Waffenhandel. Das gelte unabhängig von dem Mord an Regimekritiker Kashoggi.

Stefan Liebich im Gespräch mit Christoph Heinemann |
    Der Bundestagsabgeordnete Stefan Liebich (Die Linke) spricht am 15. April 2016 während einer Bundestagssitzung im Plenarsaal des Reichstagsgebäudes in Berlin.
    "Alle Konsequenzen, die ich jetzt fordere, die hätte ich auch schon ohne diesen Mord gefordert": Der Bundestagsabgeordnete und Außenpolitiker Stefan Liebich (Die Linke) (picture alliance / dpa Gregor Fischer)
    Christoph Heinemann: Auf vielen Bühnen spielt der Fall Kashoggi inzwischen. Da werden verstörende Einzelheiten über die mutmaßliche Ermordung des Journalisten im saudischen Konsulat von Istanbul veröffentlicht. Der Regime-Kritiker sei bei lebendigem Leibe zerteilt worden. In einem offenen Brief fordern unterdessen US-Senatoren der Demokraten die Offenlegung von Donald Trumps Finanzbeziehungen zu Saudi-Arabien. Trump Selbst hielt sich zunächst bedeckt. Er sagte, Saudi-Arabien werde als Partner im Kampf gegen den Terrorismus und im Vorgehen gegen den Iran gebraucht. Außerdem kauft das Königshaus verlässlich US-Rüstungsgüter. Das lassen aber selbst die Republikaner nicht gelten.
    Wohl auch wegen der bevorstehenden Kongresswahlen hat der US-Präsident Saudi-Arabien jetzt doch mit sehr ernsthaften Konsequenzen gedroht, sollte eine Verwicklung in den mutmaßlichen Mord belegt werden. – Eine weitere Frage lautet, wieso türkische Behörden so überraschend genau wissen können, was sich in dem saudischen Konsulat zugetragen hat. Menschenrechtsorganisationen und Journalistenverbände haben die Türkei jetzt aufgefordert, eine unabhängige Untersuchung der Vereinten Nationen zu beantragen. UN-Generalsekretär Guterres schweigt bisher.
    Bundesparteien kritisieren Riad scharf
    Wortmeldungen zum Fall Kashoggi im Deutschlandfunk. Am Dienstag sagte der SPD-Außenpolitiker Nils Schmid:
    O-Ton Nils Schmid: "Eins ist klar: Wenn jemand in das Konsulat seines Heimatlandes geht, um Formalitäten zu erledigen, dann sollte er auch wieder lebend rauskommen."
    Heinemann: Einen Tag später der CDU-Politiker Jürgen Hardt:
    O-Ton Jürgen Hardt: "Richtig ist, dass es viele Menschen in der Welt gibt, die insbesondere beim Kronprinzen eine gewisse robuste Vorgehensweise auch in der Außenpolitik sehen und dass der eine oder andere ihm so etwas auch zutraut."
    Heinemann: Sein Parteifreund Norbert Röttgen sieht das genauso. Es dürfe jetzt kein "Business as usual" mit Saudi-Arabien geben. Röttgen kann sich nicht vorstellen, dass die Chefs großer deutscher Konzerne in der kommenden Woche zu einer Wirtschaftskonferenz nach Riad reisen werden.
    Stefan Liebich ist Obmann der Linkspartei im Auswärtigen Ausschuss des Deutschen Bundestages, Wahlkreis Berlin-Pankow. Guten Morgen.
    Stefan Liebich: Schönen guten Morgen.
    "Viele Indizien" für eine Verstrickung der saudischen Führung
    Heinemann: Herr Liebich, trauen Sie dem saudischen Kronprinzen einen Mordauftrag zu?
    Liebich: Ich möchte darüber nicht spekulieren. Es gibt aber viele Indizien, die darauf hindeuten, dass die Spitze Saudi-Arabiens hier ihre Finger im Spiel hat, und deswegen ist die einzige richtige Forderung ein rechtsstaatliches Vorgehen, eine Untersuchung, Beweise und dann daraus folgende Handlungen.
    Heinemann: Ist vorstellbar, dass die Zentrale des Regimes nicht informiert war, wenn es dort zu einem Mord gekommen sein sollte?
    Liebich: Es ist sehr unwahrscheinlich, und was wir ja wissen, ist, dass Leute, die eng mit Kronprinz Salman verbunden sind, gesehen wurden. Es ist die Rede von Leibwächtern. Und sollte es eine Entscheidung gegeben haben, dass hier ein missliebiger Journalist getötet werden soll, dann wird die nicht getroffen worden sein, ohne dass es die Spitze weiß.
    Heinemann: Welche Folgen müsste eine solche mutmaßliche gezielte Tötung dann haben?
    Liebich: Ehrlich gesagt, alle Konsequenzen, die ich jetzt fordere, die hätte ich auch schon ohne diesen Mord gefordert. Denn was wir nicht außer Acht lassen dürfen ist, dass Saudi-Arabien einer der repressivsten Staaten der Welt ist. Es gibt eine katastrophale Menschenrechtsagenda, es gibt dort Auspeitschungen, Todesstrafen, Parteien sind verboten, Homosexualität ist verboten und so weiter und so fort. Es würde nicht so eines schrecklichen Mordes bedürfen, um Konsequenzen zu ziehen.
    Diplomatische Beziehungen: ja, Waffenlieferungen: nein
    Heinemann: Der neue deutsche Botschafter Jörg Ranau hat dem Regime gerade seine Akkreditierungspapiere übergeben. Sollte der gleich nach Berlin zurückgerufen werden?
    Liebich: Nein, das sollte er nicht. Ich finde, dass man diplomatische Beziehungen haben muss, auch zwischen Staaten, die so sind, wie Saudi-Arabien ist. Wir haben ja beispielsweise eine Botschaft in Nordkorea und Nordkorea hat eine Botschaft in Berlin. Das ist auch richtig und gut. Man muss Kontakte haben. Man muss diplomatische Beziehungen pflegen. Aber man muss beispielsweise keine Waffen liefern.
    Heinemann: Da geht ein US-Republikaner zum Beispiel deutlich weiter als Sie. Der US-Senator Lindsey Graham sagte, man müsse dieses Regime in Grund und Boden sanktionieren. Ist das der richtige Ton?
    Liebich: Das ist der falsche Ton. Darüber hinaus ist das "total lustig", weil die Vereinigten Staaten von Amerika ja einer der engsten Unterstützer Saudi-Arabiens waren und sind. Die erste Reise des US-Präsidenten, die erste Reise, die er überhaupt ins Ausland unternommen hat als Präsident, ging nach Saudi-Arabien. Er hat einen riesigen Waffen-Deal für die Zukunft in Milliardenhöhe angekündigt. Da jetzt solche Töne, das passt alles nicht zu dem, wie die USA bisher agiert haben – übrigens auch vor Trump.
    Heinemann: Umso erstaunlicher, dass sich ein US-Republikaner so viel deutlicher äußert als die deutsche Linkspartei.
    Liebich: Ich versuche, da bei einer Linie zu bleiben. Ich war immer dagegen, anders als die US-Republikaner, mit Saudi-Arabien Waffengeschäfte abzuschließen. Das tut leider auch die Bundesregierung. Aber ich bin nicht dafür – das gilt für Saudi-Arabien, aber auch für alle anderen Staaten der Welt –, diplomatische Beziehungen abzubrechen.
    Heinemann: Warum nicht?
    Liebich: Ja weil ich glaube, dass es richtig ist, dass man auf der Welt miteinander spricht. Sehen Sie, wir haben einige Probleme auf der Erde, die können wir nur gemeinsam lösen. Das klassischste ist der Klimawandel. Da muss man auch mit Diktaturen und mit Königshäusern reden. Wenn wir das nur mit demokratischen Staaten beantworten wollten, dann würde das nicht funktionieren. Dann finde ich es eher traurig, dass ein demokratisches Land wie die USA sich daraus verabschiedet haben.
    Riad nicht die Mittel für den Krieg im Jemen liefern
    Jede Kritik an Saudi-Arabien ist richtig und notwendig, und es sind Konsequenzen erforderlich. Zum Beispiel müssen wir dort keine Patrouillen-Boote hinliefern. Wir müssen denen nicht die Bauteile für den Eurofighter liefern, ohne die er nicht fliegen könnte, der dann im Jemen-Krieg eingesetzt wird. Das können wir alles machen. Diplomatische Beziehungen abzubrechen, halte ich für falsch.
    Heinemann: Herr Liebich, Sie kennen die Begründung der Bundesregierung. Sie sagt, es besteht Vertrauensschutz für schon eingeleitete Lieferungen; für künftige Lieferungen gilt die sogenannte Jemen-Klausel. Das heißt, deutlich verschärfte Exportkriterien. Wie wichtig sind Rechts- und Vertrauensschutz im internationalen Handel?
    Liebich: Es gibt immer auch die Möglichkeit, seine Position zu ändern. Jede Genehmigung muss ja erfolgen und wenn man eine Genehmigung erteilt, gibt es auch die Möglichkeit, sie nicht zu erteilen, Vertrauensschutz hin oder her. Wenn man einen Vertrag nicht einhält, dann muss man Vertragsstrafen bezahlen. Das gehört dazu. Ich finde, das muss man tun, denn man kann doch nicht sagen, wir schauen zu, dass ein Land einen Krieg führt, der nach Maßstäben der UNO gegen das humanitäre Völkerrecht verstößt, und wir liefern ihnen die Mittel dazu. Da gäbe es andere Möglichkeiten.
    Das hat die SPD im Koalitionsvertrag auch versucht, ist aber letztlich gescheitert. Wir haben darüber gerade in der letzten Woche im Auswärtigen Ausschuss gesprochen, und das, was am Ende übrig geblieben ist von dem entsprechenden Passus im Koalitionsvertrag, das ist sehr, sehr wenig.
    "Nicht der richtige Zeitpunkt für hochrangige Besuche"
    Heinemann: Würden die Güter nicht geliefert, dann hätten Sie ein gutes Gewissen, möglicherweise gingen Arbeitsplätze in Deutschland verloren. Und was wäre in der Sache gewonnen?
    Liebich: Deutschland würde nicht beteiligt sein an einem Krieg, bei dem Hochzeitsgesellschaften bombardiert werden, bei dem Kinder sterben. Das ist ja keine zwingende Verpflichtung. Und ganz ehrlich: Denken Sie mal ein paar Jahrzehnte zurück. Damals hat die Regierung Kohl und die Regierung Genscher sich nicht durchsetzen können, außerhalb von den eigenen Verbündeten Waffen zu liefern. Inzwischen ist das schon Gang und Gäbe und man sagt, es ginge gar nicht anders. Das ist doch furchtbar! Ich finde, das muss gestoppt werden.
    Heinemann: Herr Liebich, am 23. Oktober findet in Riad eine hochrangig besetzte Wirtschaftskonferenz statt, beziehungsweise ist die hochrangige Besetzung geplant. Sollten deutsche Unternehmen, sollte auch die deutsche Politik dieses Treffen boykottieren?
    Liebich: Ja, auch darüber haben wir gesprochen. Ich finde, im Moment ist nicht der richtige Zeitpunkt für hochrangige Besuche sowohl von der Politik, als auch von der Wirtschaft. Für die Politik können wir als Politiker das entscheiden; in der Wirtschaft, das müssen dann die Leute, die dort etwas zu sagen haben, selber entscheiden. Aber sie müssen sich auch immer fragen, was sie für ein Signal aussenden. Ich finde, auch die Wirtschaft könnte hier den Druck erhöhen, dass es eine unabhängige internationale Untersuchung gibt, und sagen, solange so etwas nicht passiert, sind wir nicht diejenigen, die auf Konferenzen zusammensitzen.
    "Nicht an Russland Waffen liefern"
    Heinemann: Ebenso mutmaßlich wie Saudi-Arabien versucht auch das russische Regime Bürger zu ermorden – Salisbury, Vater und Tochter Skripal. Gilt alles, was Sie über Saudi-Arabien gesagt haben, auch für Russland?
    Liebich: Ja, da sprechen Sie einen wichtigen Punkt an. Ich bemühe mich sehr darum, dass unsere Partei da versucht, einen Standard einzuhalten. Wir haben dort gesagt, wir wollen, dass es eine unabhängige Untersuchung gibt und Beweise vorliegen, wir wollen keine Vorabkonsequenzen. Und ich sage das auch bei Saudi-Arabien. Da versuche ich eine Linie einzuhalten. Was mich ein bisschen geärgert hat ist, dass es bei Russland, lange bevor diese sogenannten Touristen, was ja später aufgeflogen ist, dass das Angehörige des Militärgeheimdienstes waren – lange bevor das bekannt war, hat sich die internationale Gemeinschaft entschieden, Hunderte von Diplomaten auszuweisen. Ich fand das falsch. Und wenn man das vergleicht mit dem Fall, über den wir jetzt reden, passiert in dieser Hinsicht gar nichts. Diese doppelten Standards sollte man sich nicht leisten, als Regierung nicht, aber auch als Opposition nicht.
    Heinemann: Die Linkspartei auch nicht?
    Liebich: Nein.
    Heinemann: Die aber mit unterschiedlicherlei Maß misst.
    Liebich: Inwiefern?
    Heinemann: Insofern, als sie für Russland entsprechende Konsequenzen nicht gefordert hat bisher.
    Liebich: Ja, ich habe gerade in unserem Gespräch mich bemüht, deutlich zu machen, dass ich da einen Standard habe. Ich bin der Auffassung, dass man nicht an Russland Waffen liefern sollte. Ich bin der Auffassung, dass man nicht an Saudi-Arabien Waffen liefern sollte. Ich bin der Auffassung, dass man diplomatische Beziehungen bei Saudi-Arabien trotzdem aufrecht erhalten sollte und bei Russland auch. Ich bemühe mich genau um einen Standard. Es muss eine Untersuchung geben, es muss Beweise geben und dann Handlungen. Aber die Beendigung von diplomatischen Beziehungen finde ich in jedem Fall falsch.
    Heinemann: Stefan Liebich, Außenpolitiker der Linkspartei. Dankeschön für das Gespräch und auf Wiederhören!
    Liebich: Sehr gerne! Auf Wiederhören.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.