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Fall Khashoggi
"Saudi-Arabien war schon immer ein problematischer Partner"

Saudi-Arabien bleibe ein wichtiger Partner des Westens - auch trotz der mutmaßlichen Ermordung des Journalisten Jamal Khashoggi, sagte der Nahostexperte Sebastian Sons im Dlf. Allerdings könne es sein, dass sich Riad aufgrund des akuten internationalen Drucks zukünftig "diplomatischer und konstruktiver" zeige.

Sebastian Sons im Gespräch mit Martin Zagatta |
    Der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman im November 2016.
    Steht für die wirtschaftliche und gesellschaftliche Liberalisierung, aber nicht für politische Reformen - der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman (picture alliance / AFP / Fayez Nureldine)
    Martin Zagatta: Was macht die deutsche Politik im Umgang mit Saudi-Arabien? Geht die deutsche Wirtschaft auf Distanz, oder sind Geschäfte da wichtiger als schlimme Menschenrechtsverletzungen und jetzt auch noch die mutmaßliche Ermordung eines Journalisten? – Auf keinen Fall so weitermachen wie bisher. Diese Forderungen werden auch in Berlin lauter.
    Muss und kann der Westen den Druck auf das Regime in Riad erhöhen? Sebastian Sons ist Arabien-Experte der DGAP, der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, und beim Forschungsinstitut Carpo. Sein zuletzt erschienenes Buch trägt den Titel: "Auf Sand gebaut – Saudi-Arabien – Ein problematischer Verbündeter." An ihn deshalb die Frage, ob er sich vorstellen konnte, dass es so problematisch wird wie jetzt mit dem Verschwindenlassen und der mutmaßlichen Ermordung von Jamal Khashoggi.
    Sebastian Sons: Saudi-Arabien war für uns immer schon ein problematischer und ambivalenter Partner. Das hat natürlich einerseits damit zu tun, dass Saudi-Arabien gerade in den letzten zwei Jahren in der Region auch eine zunehmend interventionistische Rolle übernimmt. Die aktuellen Ereignisse haben aber dazu geführt, dass man sich auch in Deutschland, vor allen Dingen in der deutschen Bundesregierung Gedanken darüber macht und machen muss, wie man mit Saudi-Arabien umgeht, wie dieser Fall bewertet wird, was man von den Saudis erwartet und wie man darauf reagiert. Das heißt: Ja, der Druck auf alle Regierungen, die mit Saudi-Arabien zusammenarbeiten, ist aufgrund des Falles Khashoggi natürlich sehr viel größer geworden, und bisher ist eine befriedigende Antwort von Seiten Saudi-Arabiens, aber auch von Seiten der westlichen Partner ausgeblieben.
    "Mohammed bin Salman duldet keine Kritik am politische Kurs"
    Zagatta: Sie kannten Khashoggi ja persönlich. War der tatsächlich eine so große Gefahr für das Regime in Riad?
    Sons: Ich persönlich halte ihn oder habe ihn nicht für eine große Gefahr für das Königshaus gehalten. Sicherlich hatte er aus seiner Vergangenheit gute Kontakte auch in das Establishment in Saudi-Arabien, in die Königsfamilie, auch zu den Geheimdiensten, und er hat in der Vergangenheit auch mit politischen Islamisten sympathisiert, hat auch immer wieder betont, dass sich Saudi-Arabien stärker vielleicht mit der Türkei verbünden sollte. Aber alles in allem glaube ich nicht, dass es tatsächlich eine wirklich existenzielle Gefahr für das saudische Königshaus war. Von daher ist sein Verschwinden oder sein mutmaßlicher Tod auch für mich nicht nachvollziehbar.
    Zagatta: Können Sie sich vorstellen – das sagt ja der eine oder andere Experte –, das soll eine Drohgebärde an alle Kritiker gewesen sein, nach dem Motto auch, wir können machen was wir wollen?
    Sons: Ich glaube schon, dass das Vorgehen von Mohammed bin Salman in den letzten zwei Jahren sehr klar gezeigt hat, dass er Kritik nicht duldet, zumindest nicht Kritik am politischen Kurs und an seiner Person. Dementsprechend kann das ein Zeichen gewesen sein, unter aller Vorsicht, was tatsächlich passiert ist. Meines Erachtens ist aber auch die Exilopposition im Ausland nicht so einflussreich, dass das tatsächlich notwendig gewesen wäre. Man sieht ja auch jetzt, die Reaktionen sind sehr, sehr hart, nicht nur auf medialer Front, sondern auch der Rückzug von vielen, vielen ausländischen Partnern für die Investitionskonferenz nächste Woche in Riad zeigt, wie groß der Druck auf Saudi-Arabien geworden ist, und ich glaube, da stehen Kosten und Ertrag, um das mal so zu sagen, nicht im selben Verhältnis.
    Kronprinz vermutlich über Khashoggi-Fall informiert
    Zagatta: Mohammed bin Salman, von dem Sie gerade sprechen, das ist der Kronprinz, der als der ganz starke Mann in Saudi-Arabien gilt. Ist das für Sie vorstellbar, dass der in dieses Verschwinden lassen von Khashoggi nicht eingeweiht war?
    Sons: Ich halte es für schwer vorstellbar. Ich kann aber darüber auch derzeit nur spekulieren. Die Saudis bestreiten das. Die Saudis haben bisher aber auch noch keine offizielle Erklärung abgegeben. Sie wollen darauf warten, wie die Untersuchung gemeinsam mit den Türken abläuft. Ich persönlich könnte mir vorstellen, dass es eine gemeinsame Erklärung geben wird zwischen der Türkei, Saudi-Arabien und eventuell auch den Amerikanern, um dann Antworten zu liefern. Wie die Antworten aussehen, da bin ich natürlich auch überfragt derzeit. Aber es ist tatsächlich gerade auch vor dem Hintergrund, wie saudische Politikentscheidung funktioniert unter dem Kronprinzen, sehr schwer vorstellbar, dass der davon nichts gewusst haben soll.
    Bin Salman ist "Modernisierer, aber kein Reformer"
    Zagatta: Der Kronprinz gilt ja eigentlich als Reformer. Wie passt das jetzt zusammen?
    Sons: Mohammed bin Salman präsentiert sich als Modernisierer. Er ist jemand, der vor allen Dingen für die junge Gesellschaft in Saudi-Arabien Politik macht. Er spricht ihre Sprache und er hat eine große Euphorie auch ausgelöst, wenn es darum geht, wie die Zukunftsperspektiven junger Saudis aussehen. Seine Vision 2030, die darauf abzielt, die Wirtschaft zu diversifizieren, auch die Gesellschaft in gewisser Art und Weise zu öffnen, die hat schon verfangen und die Leute bewundern ihn auch in gewisser Art und Weise dafür in Saudi-Arabien. Das darf man nicht unterschätzen.
    Das heißt, er hat nach wie vor einen sehr, sehr großen Rückhalt innerhalb der Bevölkerung, meiner Meinung nach. Aber für ihn war auch klar, dass es sein Kurs ist und dass dieser Kurs auch von allen mitgetragen werden muss, und Widerworte oder Kritik an diesem Kurs, die hat er nur schwer akzeptieren können und dementsprechend ist er mit Sicherheit jemand, der die Wirtschaft modernisieren möchte, der auch die Gesellschaft in gewissen Grenzen liberalisieren möchte, aber ein politischer Reformer ist er nicht gewesen und war er auch nie.
    "Deutschland wird mit Sicherheit keinen Alleingang wagen"
    Zagatta: Sie haben es vorhin zu Beginn unseres Gespräches angesprochen. Die Bundesregierung, die deutsche Wirtschaft möglicherweise müsste jetzt reagieren. Was stellen Sie sich da vor?
    Sons: Ich glaube, Heiko Maas, der Außenminister, hat ja schon am Mittwoch gesagt, dass seine geplante Reise oder die abgesprochene Reise nach Saudi-Arabien erst mal verschoben wird. Ich denke, dass es für Deutschland momentan eine sehr sensible Situation ist, gerade auch vor dem Hintergrund, dass sich die diplomatischen Beziehungen zu Saudi-Arabien erst vor kurzem wieder verbessert haben. Der saudische Botschafter ist erst seit wenigen Tagen wieder im Land und auch der neue deutsche Botschafter in Riad ist erst vor kurzem dort eingetroffen und kann seine Arbeit aufnehmen. Das heißt, Deutschland wird mit Sicherheit keinen Alleingang wagen, sondern – und das ist ja auch schon passiert – sich mit europäischen Verbündeten absprechen und dort einen gemeinsamen Kurs zu fahren.
    Bisher ist die Teilnahme von hochrangigen deutschen Vertretern an der Investitionskonferenz nicht zurückgezogen worden. Bisher gab es auch kein politisches Signal, dass man dies tun sollte, und ich glaube, das ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass man momentan abwarten will, inwieweit sich auch die Saudis positionieren.
    "Riad ist der einflussreichste arabische Regionalakteur"
    Zagatta: Der internationale Druck auf Riad nimmt ja zu. Zeigt das Ihrer Meinung nach Wirkung, oder ist Saudi-Arabien da ohnehin auf der sicheren Seite, weil man ja vom saudischen Öl abhängig ist und von der Rolle, die Saudi-Arabien auch im Nahen Osten spielt?
    Sons: Es ist richtig, dass Saudi-Arabien auch in Zukunft ein wichtiger Partner bleiben wird, ob man will oder nicht, weil es schlichtweg der einflussreichste arabische Regionalakteur in dieser sehr fragilen Region ist. Nichts desto trotz steigt der Druck auf Saudi-Arabien, jetzt vielleicht an anderen Konfliktfeldern konstruktiv an einer Lösung zu arbeiten, zum Beispiel im Jemen-Konflikt, zum Beispiel auch in Bezug auf die Katar-Krise. Vielleicht bietet sich durch diesen zugenommenen Druck auf Riad auch hier die Möglichkeit für die Europäische Union oder für europäische Partner, auch noch mal stärker darauf hinzuwirken, dass Saudi-Arabien an anderer Front an einer Lösung interessiert ist und sich dort auch wieder diplomatischer und konstruktiver zeigt. Das halte ich nicht für ausgeschlossen.
    "Waffenlieferungen sind das falsche Signal"
    Derzeit muss man allerdings sagen, dass Saudi-Arabien vor allen Dingen die Verbindungen zu Donald Trump sehr hoch schätzt, dass es vor allen Dingen auch darum geht, wie ist die Haltung der US-Administration zu Saudi-Arabien, und da sieht man bisher zumindest auf Seiten Trumps noch keine Kehrtwende.
    Zagatta: Kann man denn in dieser Situation, so wie die USA das machen, so wie es aber auch Deutschland macht, noch Waffen nach Saudi-Arabien liefern?
    Sons: Ich glaube, diese Frage der Waffenlieferungen, die stellt sich nicht nur in Bezug auf Saudi-Arabien; die stellt sich in Bezug auch auf viele, viele andere Partner in der Region. Ich halte Waffenlieferungen grundsätzlich für das falsche Signal. Ich glaube auch, dass in der Koalitionsvereinbarung klar festgelegt ist, wie das auszusehen hat. Wir sprechen hier allerdings eher von einer innenpolitischen Debatte. Für Saudi-Arabien sind Waffenlieferungen aus Deutschland gar nicht so relevant und ich glaube, dass die Saudis auch kein Problem damit hätten, wenn es keine Waffenlieferungen aus Deutschland mehr gäbe. Das ist zumindest immer wieder gesagt worden und das wäre meines Erachtens auch ein richtiges Signal vor allem innenpolitisch, wenn wir das in Zukunft unterlassen würde.
    Zagatta: Sebastian Sons von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.