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Fall Linssen
"Nichts Illegales, aber mit Beigeschmack"

Obwohl das Steuer-Strafverfahren gegen Helmut Linssen 2012 eingestellt wurde, sei der Fall merkwürdig, sagte der Koordinator des Netzwerks Steuergerechtigkeit, Markus Henn, im DLF. Seine Organisation wolle langfristig die Möglichkeit zur Selbstanzeige abschaffen.

Markus Henn im Gespräch mit Friedbert Meurer |
    O-Ton Helmut Linssen: “Diejenigen, die Steuern verkürzen, schaden dem Allgemeinwohl. Das ist kein Kavaliersdelikt. Es wäre deswegen ein großer Erfolg, könnte uns ein weiterer Schlag gegen die Steuerkriminalität gelingen.“
    Meurer: Der damalige nordrhein-westfälische Finanzminister Helmut Linssen 2010. Wie sich jetzt herausgestellt hat: Er stand selbst auf der angekauften Steuer-CD, bestreitet allerdings vehement, dass er Steuern hinterzogen hat. – Markus Henn ist Koordinator des deutschen Netzwerks Steuergerechtigkeit, eine Nichtregierungsorganisation, die von Gewerkschaften, entwicklungspolitischen Organisationen oder auch dem katholischen Hilfswerk Misereor unterstützt wird. Guten Tag, Herr Henn.
    Markus Henn: Guten Tag.
    Meurer: Man muss ja festhalten: Gegen Helmut Linssen ist ein Steuer-Strafverfahren eingestellt worden. Gibt es irgendetwas Anstößiges an diesem Fall, an dem Sie Anstoß nehmen?
    Henn: Nach allem, was wir jetzt sehen können, ist es schwer zu sagen, ob wirklich etwas daran ist, weil wenn es stimmt, was er sagt, dann wurde es ja geprüft, und wir können nicht sagen, dass er da was Illegales gemacht hat. Die ganze Sache hat aber einen sehr komischen Beigeschmack, weil man so was ja eigentlich nicht grundlos macht, und wenn er nichts zu verbergen hatte damals, warum hat er das alles gemacht. Das ist ja nicht unaufwändig. Die Frage stellt sich weiterhin und ich denke, es sollte vielleicht weitere Untersuchungen geben, ob wirklich alles sauber abgelaufen ist.
    "Ich denke, es sollte neue Untersuchungen geben"
    Meurer: Was könnten das für Untersuchungen sein?
    Henn: Das könnte noch mal eine Untersuchung sein vor Ort, zum Beispiel auf den Bahamas, was dort genau gelaufen ist. Ich weiß jetzt nicht, was die Behörde genau gemacht hat, aber generell haben die Behörden ja das Problem, dass sie nicht Informationen bekommen, um wirklich einen Fall durchzuziehen. Mit Panama gibt es nicht einmal ein Austauschabkommen für Informationszugang der deutschen Behörden, bei den Bahamas auch erst seit 2010, und ich weiß jetzt nicht genau, was dort gemacht wurde von den Behörden, ob die wirklich allen Zugang hatten, den sie brauchen, um das zu prüfen.
    Meurer: Mit Panama gibt es kein Abkommen. Gibt es denn irgendein Abkommen mit den Bahamas? Kann man da erwarten, dass von da offene Informationen nach Deutschland kommen?
    Henn: Es gibt ein sogenanntes Informationsaustausch-Abkommen seit 2010 und das sieht vor, dass man in Einzelfällen, wenn die Behörden Verdachtsmomente haben, dann an die anderen Behörden herantreten kann aus dem anderen Staat und sich die Informationen geben lassen kann. Das Problem bei diesem Modell, was dort verankert ist in dem Vertrag, ist aber, dass man schon sehr viele Informationen braucht, um dann wirklich neue Informationen zu bekommen aus dem anderen Staat, also aus den Bahamas, und das dann oft ins Leere verläuft und man nicht die Informationen bekommt, oder nicht schnell genug bekommt. Deswegen gibt es auch jetzt eine Bewegung, das zu ändern, aber für die Bahamas haben wir nur so ein Abkommen und deswegen kann ich nur mutmaßen, dass vielleicht auch nicht alles ermittelt werden konnte, was nötig war.
    Meurer: Nach Ihrer Kenntnis, Herr Henn, verhält es sich so: Wer sein Geld auf die Bahamas transportiert und da auf ein Konto anlegt, der wählt gezielt ein besonders verschachteltes System, das schwer zu durchschauen ist?
    Henn: Das ist ja zumindest bei einigen Details auch herausgekommen bei Herrn Linssen, dass er das Geld abgehoben hat und Ähnliches. So was tut man eigentlich nicht, wenn alles ganz sauber ist, weil das ist ja aufwendiger. Man muss mehr machen und so weiter, als wenn man sich das überweisen lässt. Insofern stellt sich wirklich die Frage, warum er das alles getan hat. Es gibt eigentlich keinen sinnvollen Grund. Wenn das Geld wirklich alles ganz sauber war und er auch danach keine Einnahmen hatte, die zu versteuern gewesen wären, dann hätte er das ja alles auf einem deutschen Konto machen können, und das ist wirklich die Frage, die im Raum steht: Warum macht er das, was aufwendiger und teurer ist, wenn er es auch anders haben könnte.
    "Es gibt eigentlich keinen sinnvollen Grund"
    Meurer: Der frühere Finanzminister Helmut Linssen verteidigt sich ja auch, dass er das Geld ja geerbt habe Ende der 90er-Jahre. Wenn ich Geld erbe, das im Ausland liegt, muss ich das dann sofort den Steuerbehörden anzeigen?
    Henn: Im Prinzip gilt in Deutschland für Privatpersonen eine Art Prinzip, dass man alle Einkommen, die man hat, egal wo sie sind, nicht nur in Deutschland, sondern auf der ganzen Welt, versteuern muss. Wenn ich zum Beispiel Einnahmen habe im Ausland, dann werden die auch als mein Einkommen gewertet und ich muss die angeben, oder sie werden zum Beispiel in Deutschland, wenn es Kapitaleinkommen sind, ja ohnehin schon direkt besteuert inzwischen. Aber gerade in der Zeit, die hier zur Debatte steht, hätte man das alles letztlich angeben müssen, auch als Einkommenssteuer, wenn er Einnahmen gehabt hätte, oder bei einem Erbfall auch natürlich in Bezug auf die Erbschaftssteuer, und insofern müsste das eigentlich schon meines Erachtens versteuert werden. Aber das scheint er ja gemacht zu haben, nach eigenen Angaben.
    Meurer: Wir haben ja, Herr Henn, eine lebhafte Debatte über das Instrument der Selbstanzeige – liegt im Fall von Helmut Linssen nicht vor, aber beispielsweise bei Alice Schwarzer. Sie haben vom Netzwerk Steuergerechtigkeit schon gesagt, Sie möchten dieses Instrument der Selbstanzeige, der strafbefreienden Selbstanzeige abschaffen. Auch um den Preis, dass dann der Staat, wie letztes Jahr wohl geschehen, keine 600 Millionen Euro mehr einnimmt?
    "Wir wollen die Anzeige langfristig abschaffen"
    Henn: Wir sagen, wir wollen die Anzeige langfristig abschaffen oder mittelfristig, und wollen aber parallel natürlich ein System haben, was die Anzeige überflüssig macht. Wir sagen nicht, dass man das überhaupt nicht braucht in der aktuellen Situation, wo die Leute Geld verstecken können, aber wir sagen, wir wollen einen automatischen Informationsaustausch über sämtliche Auslandseinnahmen, die die Leute haben, die dann hier auch entsprechend gemeldet werden. Da haben wir auch Bewegung in dieser Debatte. Und wenn wir das alles haben, dann ist auch die Anzeige nicht mehr so nötig, wie sie bislang noch ist, teilweise um eben auch dranzukommen an die Daten, oder auch mit den Steuer-CDs. Diese ganzen Maßnahmen …
    Meurer: Aber bis das kommt, wollen Sie das Instrument der Selbstanzeige zulassen?
    Henn: Das kommt jetzt und man müsste wirklich schnell handeln, und wenn das nicht vorangeht, dann wäre es auch gut, Druck zu machen, dass man die Selbstanzeige, wenn man so will, weiter abbaut, um dann auch den Druck zu erhöhen, dass parallel die anderen Maßnahmen kommen. Deswegen wäre das dann schon auch gut, die weiter zu verschärfen, da sind wir auf jeden Fall dafür, und auch vor allem aber an der anderen Front weiterzuarbeiten, dass wir die alternativen Maßnahmen bekommen, die die Anzeige dann weitgehend überflüssig machen können, und dann auf jeden Fall auch abzuschaffen, weil sie einfach ungerecht ist.
    Meurer: Gleich drei prominente Steuerfälle in einer Woche – darüber sprach ich mit Markus Henn, dem Koordinator des deutschen Netzwerks Steuergerechtigkeit. Danke und auf Wiederhören, Herr Henn.
    Henn: Danke schön!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.