Aktivisten hatten den Vorwurf schon vor Jahren formuliert: Oury Jalloh sei ermordet worden. Insbesondere eine Initiative mit Unterstützern der Familie äußerte immer wieder den Verdacht, Jalloh sei angezündet worden.
Der Asylbewerber aus Sierra Leone war in das Polizeirevier Dessau eingeliefert worden, weil er in stark alkoholisiertem Zustand Frauen belästigt haben soll. Polizisten brachten ihn in eine Ausnüchterungszelle, er wurde an Händen und Füßen auf einer Matratze gefesselt. Am 7. Januar 2005 wurde der 36-jährige tot in der Zelle aufgefunden - er war verbrannt. So viel war bekannt, unklar aber blieb all die Jahre, wie das Feuer entstanden war.
Die Staatsanwaltschaft Dessau-Roßlau ging lange Zeit davon aus, dass Oury Jalloh den Brand in der Zelle selbst gelegt habe. Den Angaben mehrerer Medien zufolge kommt der leitende Oberstaatsanwalt Bittmann allerdings inzwischen zu einer anderen Einschätzung.
"Fremdeinwirkung wahrscheinlicher"
Bittmann halte es für wahrscheinlich, dass Jalloh bereits vor Ausbruch des Feuers tot oder mindestens handlungsunfähig war und mit Brandbeschleuniger besprüht und angezündet worden sei, berichtet das ARD-Magazin "Monitor" unter Verweis auf Ermittlungsakten, die der Redaktion vorlägen. Er äußere in einem Schreiben vom April 2017 einen begründeten Mordverdacht. Demnach hält Bittmann es für wahrscheinlich, dass Jalloh bereits vor Ausbruch des Feuers mindestens handlungsunfähig oder sogar schon tot war und mit Brandbeschleuniger besprüht und angezündet worden sei. Oury Jalloh sei also mit hoher Wahrscheinlichkeit getötet worden.
Bittmann benennt in dem Brief sogar konkrete Verdächtige aus den Reihen der Dessauer Polizeibeamten, wie neben "Monitor" auch die "Junge Welt" in ihrer Ausgabe vom 13. November berichtet. Das habe Sachsen-Anhalts Generalstaatsanwalt Konrad auf Nachhaken der Abgeordneten der Linkspartei, Quade, im Rechtsausschuss des Magdeburger Landtages am 10. November eingeräumt.
Grundlage für die Wende im Fall Jalloh sind den Berichten zufolge neue Gutachten von Sachverständigen aus den Bereichen Brandschutz, Medizin und Chemie, die sich mit der Frage nach dem Ausbruch des Feuers in der Arrestzelle beschäftigt hatten. Sie kämen zu dem Schluss, dass ein Tod durch Fremdeinwirkung wahrscheinlicher sei als die These einer Selbstanzündung.
Die Experten führten demnach in ihren Stellungnahmen aus, dass sich der Zustand der Zelle und des Leichnams Jallohs nach dem Brand nicht ohne Einsatz geringer Mengen von Brandbeschleuniger wie etwa Leichtbenzin erklären lasse. Auch sonst deute vieles darauf hin, dass der Brand von dritter Hand gelegt worden sei. Die Annahme, Jalloh habe das Feuer selbst gelegt, könne also nicht stichartig sein.
Verfahren von Dessau nach Halle übertragen
Die Generalstaatsanwaltschaft in Naumburg hatte das Ermittlungsverfahren im Sommer von der Staatsanwaltschaft Dessau-Roßlau an die entsprechende Behörde in Halle übertragen. Zur Begründung hatte sie unter anderem auf die hohe dienstliche Belastung der Mitarbeiter in Dessau verwiesen.
Die Staatsanwaltschaft Halle erklärte dann in einer Pressemitteilung vom 12. Oktober 2017, sie habe die Ermittlungen eingestellt. Zur Begründung hieß es, das Verfahren habe keine ausreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte für eine Beteiligung Dritter an der Brandlegung ergeben. Eine weitere Aufklärung sei daher nicht zu erwarten.
Weiter heißt es in der Mitteilung: "Die Auswertung der zahlreichen Gutachten verschiedener Fachrichtungen lässt nur den Schluss zu, dass der konkrete Ausbruch des Brandes, dessen Verlauf und das Verhalten des Oury Jalloh nicht sicher nachgestellt und nicht eindeutig bewertet werden können. (...) Ein Inbrandsetzen des Oury Jalloh unter Verwendung größerer Mengen eines Brandbeschleunigers ist gutachterlich allerdings ausgeschlossen worden. Von besonderer Bedeutung ist auch, dass die beteiligten rechtsmedizinischen Sachverständigen davon ausgehen, dass Oury Jalloh bei Brandausbruch gelebt hat, und seine Handlungsfähigkeit und mithin eine Brandlegung durch ihn selbst nicht ausgeschlossen werden kann."
Oberstaatsanwältin Geyer aus Halle sagte als Reaktion auf die Medienberichte, als man die Entscheidung über die Einstellung des Verfahrens getroffen habe, seien alle Gutachten von Sachverständigen aktenkundig gewesen. Man habe die Akten eingesehen und sei zu einer anderen Bewertung gekommen als die Staatsanwaltschaft in Dessau. So etwas sei nicht ungewöhnlich, betonte Geyer. Die Akten würden nun voraussichtlich noch zur Generalstaatsanwaltschaft gehen, die dann die unterschiedlichen Auffassungen prüfe.
Anwälte der Familie Jalloh legen Beschwerde ein
Die Anwälte der Familie des Opfers haben Beschwerde gegen die Einstellung der Ermittlungen eingelegt. Anwältin Heinecke erklärte gegenüber "Monitor", angesichts der neuen Erkenntnisse werde man Strafanzeige erstatten. Die drohende Einstellung des Verfahrens sei "ein Skandal". Das Verhalten der Staatsanwaltschaft sei "vollständig unverständlich". Heineckes Kollegin Böhler sagte der "Jungen Welt", sie werde die Namen der Tatverdächtigen anfordern. Sie nannte die Darstellung der Staatsanwaltschaft Halle "unwahr".
Die Linke hatte im Landtag kritisiert, dass die Koalition von CDU, SPD und Grünen im Ausschuss ihren Antrag auf Akteneinsicht abgelehnt hatte. Die Linksfraktion plädiert laut dem Bericht nun dafür, eine unabhängige Untersuchungskommission einzurichten.
Der MDR führt eine Chronologie im Fall Oury Jalloh.
(jasi/kis/mw)