Tumultartige Zustände im großen Gerichtssaal des Dessauer Landgerichtes: Mehrere Afrikaner sind außer sich, ballen die Fäuste - ein Polizeikommando rückt an. Es sorgt dafür, dass die Richter den Sitzungssaal unbeschadet verlassen können. Sie hatten soeben die drei angeklagten Polizisten im Fall Jalloh freigesprochen - das war im Sommer 2008. Viele ließ das Urteil fassungslos zurück, darunter Marco Steckel von der Opferberatungstelle gegen rechte Gewalt in Dessau:
"Insofern ist das zwar ein Freispruch für die Angeklagten, aber ein schwarzer Tag für die Polizei, die Justiz und das Land Sachsen-Anhalt insgesamt."
Denn in dem ersten Mammutverfahren im Fall Jalloh hatte die Polizei vor allem gemauert: Es sei verheimlicht, vertuscht und verdrängt worden, an Aufklärung sei nicht zu denken gewesen, bekannte damals der Vorsitzende Richter Manfred Steinhoff. Jahre später gab es noch einen Prozess am Landgericht in Magdeburg; dort wurde ein Polizist wegen fahrlässiger Tötung zu einer Geldstrafe verurteilt, weil er Jalloh nicht schnell genug geholfen hatte. Wie das Feuer in der Zelle Nummer 5 des Dessauer Polizeireviers aber ausbrechen konnte, wurde nicht geklärt. Seitdem zieht die Jalloh-Initiative regelmäßig durch Dessaus Straßen und protestiert wütend gegen die Version vom selbst verursachten Brand in der Polizeizelle.
Fast wäre der Fall in Vergessenheit geraten
Nachdem der Bundesgerichtshof 2014 das Magdeburger Urteil bestätigt hatte, wäre der Fall fast in Vergessenheit geraten - doch die Jalloh-Initiative sammelte Spenden und gab ein neues privat finanziertes Brandgutachten in Auftrag, durchgeführt vom weißrussischen Sachverständigen Maxim Smirnou, der in Irland lebt und dort den Zellenbrand rekonstruierte:
"Für den Beginn des Brandes gab es nicht genug Energie. Erst als wir fünf Liter Benzin darauf geschüttet haben, gab es einen regelrechten Feuersprung. Genauso sah es in der Zelle von Oury Jalloh aus."
Brandbeschleuninger müssen also eingesetzt worden sein, so der Sachvertständige, anders lasse sich eine feuerfeste Matratze nicht derart in Brand stecken. Auch Gutachter aus England und Kanada zweifeln inzwischen die offizielle Selbstverbrennungstheorie an. Darauf reagiert nun die Dessauer Staatsanwaltschaft mit einem eigenen Brand-Gutachten, ein Schweizer Sachverständiger wurde damit beauftragt. Die Untersuchung soll im Institut für Brandforschung im sächsischen Dippoldiswalde durchgeführt werden. Staatsanwalt Olaf Braun:
"Ungereimt ist derzeit, dass wir davon ausgehen, dass Oury Jalloh damals selber die Matratze in Brand gesetzt hat, das wurde ja durch den Sachverständigen Smirnou entsprechend widerlegt, dass es so nicht gewesen sein kann. Und wir wollen nun mit einem weiteren Versuchen schauen, ist es so wie Herr Smirnou sagt oder so wie wir es bisher angenommen haben."
Neues Gutachten kommt völlig unerwartet für Jalloh-Initiative
Für die Jalloh-Initiative kommt das neue Brandgutachten jedoch völlig unerwartet - mitten in der Urlaubszeit, eine Ankündigung mit nur drei Wochen Vorlauf. Die Staatsanwaltschaft halte sich nicht an Absprachen, kritisiert Aktivistin Nadine Said:
"Es wird nicht mitgeteilt, was in diesen Brandversuchen passieren soll. Was das Ziel der Brandversuche ist. Es ist schon außergewöhnlich und auch unüblich, dass die Staatsanwaltschaft Ermittlungen durchführt und die Nebenklage-Vertretung komplett außen vor lässt."
Außerdem zweifelt sie den Nutzen eines neuen Gutachten an. Wichtiger sei doch die Frage, wie sich der an Händen und Beinen gefesselte Jalloh überhaupt angezündet haben soll? Sie hält es für unglaubwürdig, dass beim Durchsuchen Jallohs ein Feuerzeug zunächst übersehen, dann aber Tage später wieder aufgetaucht sein soll. Weiterhin, so Nadine Said, habe das Landeskriminalamt herausgefunden,
"dass an diesem Feuerzeug keine Spuren der Brandreste aus der Zelle 5 zu finden sind, weder auf der Kleidung von Oury Jalloh noch auf der Matratze, auf der er angekettet war. Es ist auch keine DNA auf diesem Feuerzeug."
Bislang aber ist das Feuerzeug noch nicht forensisch untersucht worden. Unzufrieden über die Ermittlungsarbeit sind auch verschiedene Landespolitiker in Sachsen-Anhalt wie etwa die Grünen-Fraktionschefin im Landtag, Cornelia Lüddemann. Ihr Fazit: Gerade bei der Dessauer Polizei laufe einiges schief. Denn auch im aktuellen Fall einer ermordeten jungen Chinesin gebe es etliche Ungereimtheiten. Hier sind die Eltern des Tatverdächtigen ranghohe Polizisten.
"Das sind viele Zufälle, das sind zu viele Zufälle. Ich glaube auch, dass die Strukturen hier zu klein sind. Dass also auch die Kontrolle der einzelnen Reviere nicht stringent genug vonstatten geht. Ich denke, dass wir größere Einheiten schaffen müssen, wo diese enge Zusammenhalt und dieser Corpsgeist - muss man ja fast schon sagen - nicht gelebt werden kann."
Die Grünen-Landespolitikerin befürchtet, dass der Fall Jalloh möglicherweise nie aufgeklärt wird.
"Wir müssen vielleicht uns an den Gedanken gewöhnen, dass wir nie richtig Ruhe in die Sache kriegen, weil wir nie jemanden rechtskräftig verurteilen können. Es sei denn, diejenigen, die dabei gewesen sind, brechen ihr Schweigen."