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Fall Oury Jalloh vor Einstellung
Initiative wirft Behörden "strukturelle Polizeigewalt" vor

Bis heute ist nicht klar, wie es vor fast 14 Jahren dazu kam, dass der Asylbewerber Oury Jalloh aus Sierra Leone in einer Dessauer Polizeizelle verbrannte. Die Ermittlungen sollen nun eingestellt werden - doch eine private Initiative erhebt schwere Vorwürfe gegen Polizei und Justiz.

Von Benjamin Dierks |
    Während der Demonstration zum zehnten Todestag des Asylbewerbers Oury Jalloh in Dessau-Roßlau ein Schild mit der Aufschrift "Oury Jalloh von Polizisten ermordet vom Staat vertuscht" getragen.
    Immer wieder wurde in den vergangenen Jahren an den ungeklärten Tod des Asylbewerbers Oury Jalloh erinnert (dpa / Jens Wolf)
    Die Staatsanwaltschaft in Naumburg will ihre Überprüfung des Falls Oury Jalloh voraussichtlich noch in diesem Herbst abschließen. Eine private Initiative ermittelt dafür umso emsiger weiter – und übt heftige Kritik an Polizei und Staatsanwaltschaft. Die im Januar gegründete Internationale Unabhängige Kommission zur Aufklärung der Wahrheit über den Tod des Oury Jalloh warf den Behörden heute bei einer Pressekonferenz in Berlin vor, dass der im Januar 2005 in einer Polizeizelle in Dessau verbrannte Asylbewerber aus Sierra Leone struktureller Polizeigewalt zum Opfer gefallen sei. Die Aufklärung des Falls sei vereitelt worden.
    "Selbst nach 13 Jahren ist der Tod von Oury Jalloh immer noch nicht aufgeklärt. Und die Familie sowie die Zivilgesellschaft wissen bis dato nicht, wie Oury Jalloh am 7. Januar 2005 in der Gewahrsamszelle Nr. 5 des Polizeireviers Dessau zu Tode gekommen ist."
    Sagte Vanessa Thompson, Soziologin von der Goethe-Universität Frankfurt, die der Kommission angehört. Die hochkarätig besetze Gruppe, der Wissenschaftler, Juristen und Privatpersonen aus Deutschland und aus dem Ausland angehören, hat einige ähnliche Fälle gesammelt, darunter zwei Männer, die bereits vor Oury Jalloh im Zusammenhang mit einem Gewahrsam in derselben Polizeiwache ums Leben gekommen waren.
    "Todesfälle, in welche die Polizei verwickelt ist, bleiben systematisch unaufgedeckt", sagte Vanessa Thompson.
    Auf feuerfester Matratze in Zelle verbrannt
    Der Fall Jalloh hat sich in den mittlerweile fast 14 Jahren seit seinem gewaltsamen Tod im Polizeigewahrsam zu einem undurchschaubaren Justizskandal entwickelt. Jalloh war – an Händen und Füßen gefesselt – auf einer feuerfesten Matratze in der Arrestzelle verbrannt. Die These, dass er sich mithilfe eines Feuerzeugs selbst angezündet habe, wurde erst nach 12 Jahren offiziell in Zweifel gezogen. Der zuständige Oberstaatsanwalt in Dessau änderte nach einem Treffen mit Brandexperten im April 2017 seine Ansicht, äußerte dann gar einen Mordverdacht und benannte Verdächtige. Kurz danach übernahm die Oberstaatsanwaltschaft Halle und stellte die Ermittlungen ein, ohne die Sachverständigen selbst angehört zu haben. Dieses Vorgehen wird derzeit von der Staatsanwaltschaft in Naumburg überprüft. Durch öffentlichen Druck hatte die Landesregierung von Sachsen-Anhalt im April dieses Jahres zwei Juristen ernannt, die als Sonderermittler eingesetzt werden sollen – allerdings erst, wenn die Staatsanwaltschaft Naumburg ihre Überprüfung beendet hat. Darauf will die private Kommission um die Soziologin Vanessa Thompson nicht warten.
    "Für uns als Mitglieder ist eine unabhängige Ermittlung und Aufklärung des Todes von Oury Jalloh dringend notwendig und unumgänglich, denn die letzten Jahre haben gezeigt, dass von einer Aufklärung von rechtsstaatlicher Seite leider nicht auszugehen ist, beziehungsweise es eine unabhängige Instanz dringend benötigt, um den Tod von Oury Jalloh lückenlos aufzuklären und die Wahrheit darüber zu finden, was wirklich passiert ist."
    Der Tod Jallohs in Polizeigewahrsam bekommt zusätzliche Brisanz durch den Tod eines Syrers, der vor einigen Wochen in einer Polizeizelle im nordrhein-westfälischen Kleve ebenfalls verbrannt war. Im Fall Jalloh kritisieren die Mitglieder der privaten Ermittlungskommission unter anderem, dass die Bundesstaatsanwaltschaft den Fall nicht an sich gezogen hat. Dazu habe es ausreichend Anlass gegeben, weil bereits vor Jalloh zwei Männer ums Leben gekommen seien, die in Dessau in Polizeigewahrsam gesessen hatten, sagte der italienische Rechtsanwalt Mario Angelelli, der ebenfalls der unabhängigen internationalen Kommission angehört.
    Staatsanwalschaft: "keine dauerhafte strukturelle Fehlentwicklung"
    Die Bundesstaatsanwaltschaft habe angegeben, es lasse sich aus dem Fall keine dauerhafte strukturelle Fehlentwicklung ableiten. Die sei durch diese Umstände allerdings gegeben, argumentierte Angelelli. Immer wieder seien in der Polizeiwache in Dessau Menschen festgehalten worden – mitunter wie Oury Jalloh alkoholisiert –, ohne dass ein Richter davon in Kenntnis gesetzt worden sei. Die betreffenden Polizisten hätten angegeben, "aus dem Bauch heraus" gehandelt zu haben. Eine Anwältin der Familie Oury Jallohs forderte deshalb, dass neue Kontrollmechanismen eingerichtet werden müssten, wenn Fälle von willkürlicher Polizeigewalt ermittelt werden.