Hirsch sagte, es sei eine Frage des persönlichen Anstandes, das Mandat niederzulegen. Er ist sich sicher : Petra Hinz "wird das bereuen, was sie getan hat." Wegen ihrer falschen Angaben zu Studium und juristischen Staatsexamina werde sie keine Zukunft mehr in der Politik haben.
Sie werde aber auch in der freien Wirtschaft Probleme haben, jemanden zu finden, der sie einstellen wolle. "Die Frau ist Hartz IV, die ist vorbei", sagte der ehemalige Vizepräsident des Bundestags.
Das Interview in voller Länge:
Sarah Zerback: Sie hat nicht ein bisschen geschummelt, sondern ihr Abitur und ein komplettes Jurastudium erfunden. Elf Jahre lang saß Petra Hinz mit diesem falschen Lebenslauf im Bundestag – das hat die Essener Abgeordnete mittlerweile eingeräumt – und hat auch angekündigt, das Mandat zurückgeben zu wollen. Doch passiert ist bislang noch nichts. Heute Abend läuft die 48-Stunden-Frist ab, die der Vorstand der Essener SPD der Abgeordneten gestellt hat, und bis dahin soll sie die Konsequenzen aus dem Skandal ziehen. Über diese Melange habe ich kurz vor der Sendung mit Burkhard Hirsch gesprochen, ehemaliger Vizepräsident des Deutschen Bundestages und früherer Innenminister NRWs von der FDP. Ihn habe ich zunächst gefragt, wie es denn sein kann, dass die Abgeordnete damit elf Jahre durchgekommen ist, dass das niemand kontrolliert hat.
Burkhard Hirsch: Also erst mal, ich habe mit Frau Hinz kein Huhn im Reis, nur in der Sache selber muss man sagen, in meiner Verfassung steht, dass jeder Bürger, der die bürgerlichen Ehrenrechte hat und dessen Wahlrecht nicht vom Verfassungsgericht aberkannt worden ist, dass er kandidieren kann, dass er von den Parteien aufgestellt wird, ohne dass ein polizeiliches Führungszeugnis oder ein Strafregisterauszug vorliegen muss. Es ist Sache der Parteien, sich die Leute anzusehen, die sie aufstellen, und es ist Sache der Wähler, sich die Abgeordneten anzusehen, die sie wählen wollen. Das ist in einer Demokratie so verfassungsgemäß richtig.
Zerback: Aber wie soll denn der Wähler das überprüfen können, wenn selbst der Partei das ja scheinbar nicht aufgefallen ist?
Hirsch: Ja, zunächst mal ist es ja so, dass es nicht für die ganze Innung schädlich ist, sondern für die Partei selber auch. Man sollte ja nur Leute aufstellen, die man wirklich kennt. Und dass das einer Partei wie der guten alten SPD sozusagen durchgerutscht ist, da so was zu machen, das ist schon peinlich genug. Also ich glaube, man muss einfach die Leute kennen, die man dem Wähler präsentiert, und der Wähler muss sich auch sagen, wenn ich einen Abgeordneten wirklich nicht kenne, einen Kandidaten, warum zum Teufel soll ich ihn wählen. Also ich glaube schon, dass jeder die Möglichkeit hat, jemanden zu beurteilen: Ist der in Ordnung, taugt der was, kenne ich den – und sich danach zu entscheiden. Das ist in einer Demokratie so, man kann jemanden, der täuschen will, der wird es überall möglich machen können, welche Folgen auch immer das dann für ihn hat.
"Wir kämen wirklich ins Aschgraue, wenn wir Führungszeugnisse oder Lebensläufe verlangen würden"
Zerback: Aber welche Möglichkeit hat der Wähler, also dass die Partei Zeugnisse überprüfen kann, das muss ja noch nicht mal ein Führungszeugnis sein, das könnte ja auch einfach das Uni-Abschlusszeugnis sein, das leuchtet mir ein, aber wie soll der Bürger das tun?
Hirsch: Aber sagen Sie mir bitte mal, wo kommen wir eigentlich dahin, wenn jemand, der sich bekannt gemacht hat – sonst würde er ja wohl hoffentlich nicht aufgestellt werden –, und wenn wir sagen wollen, jetzt prüfen wir nach, ist seine Dissertation in Ordnung, hat er da eine Fälschung begangen, zu dem Lebenslauf muss ich wie bei einer beruflichen Bewerbung Zeugnisse vorlegen. Wo kommen wir da eigentlich hin, wer entscheidet dann darüber, ob ein Kandidat geeignet ist oder nicht? Wir gehen in einer offenen Demokratie davon aus, dass die Leute, die kandidieren, sich bekannt machen, und dass die Parteien Leute aufstellen, denen sie vertrauen, und dass der Wähler – die Kandidaten treten vor einer Wahl auf, sie machen ihren Wahlkampf, da muss man eben in eine Versammlung gehen oder dahin, wo der Abgeordnete sich ein Bild von ihm persönlich machen. Also ich glaube, wir kämen wirklich ins Aschgraue, wenn wir Führungszeugnisse oder Lebensläufe oder was weiß ich mit Zeugnissen verlangen würden. Das ist zu viel verlangt.
"Hinz muss natürlich ihr Mandat aufgeben"
Zerback: Sie haben jetzt gerade das Vertrauen angesprochen, jetzt muss man doch aber sagen, das kratzt doch an dem Vertrauen, an der Glaubwürdigkeit der Politik, auch vielleicht über diesen Einzelfall hinaus. Wie soll denn dieser Schaden wieder gutgemacht werden?
Hirsch: Es ist außerordentlich ärgerlich, und ich glaube, dass sich alle Parteien da überlegen müssen – ich hab Ihnen ja gesagt, die ganze Innung wird damit geschädigt –, dass man sich überlegen muss, stelle ich Leute einfach auf gut Glauben hin auf oder kümmere ich mich darum, wer ist das, wer kennt sie, wer befürwortet ihre Wahl. Das ist ein parteiinterner Vorgang, wo die Parteien draus lernen müssen. Im Übrigen wollte ich noch eins zu der Frau Hinz sagen: Sie muss natürlich ihr Mandat aufgeben, und zwar sobald wie möglich. Wenn sie zögert, kann sie aber auch Gründe haben, die man akzeptieren könnte, denn man muss ja sehen, dass ihre ganzen Mitarbeiter in dem Moment, wo sie das Mandat niederlegt, sozusagen ins Bergfeuer fallen. Also es kann alle möglichen Gründe geben, aber es kann kein Zweifel sein, dass die Frau ihr Mandat niederlegen muss – nicht weil sie gesetzlich verpflichtet ist, sondern weil es einfach eine Frage des persönlichen Anstandes ist.
Zerback: Bisher kennen wir diese Gründe nur nicht. Die Frau Hinz ist im Moment nicht zu sprechen, hat sich da nicht geäußert, und heute Abend, da läuft ja jetzt ein Ultimatum aus, das die Essener SPD der Petra Hinz gestellt hat. Was passiert denn, wenn sie das verstreichen lässt und jetzt ihr Mandat nicht zurückgibt?
Hirsch: Gesetzlich zwingen kann man sie nach meinem Eindruck nicht, wenn sie nicht eine regelrechte Straftat begangen hat, und das sehe ich nicht, dass sie eine Straftat begangen hat. Aber ich denke, dass sie das Mandat niederlegen wird – wenn nicht jetzt, dann eben morgen oder übermorgen.
Zerback: Unabhängig davon, wie man den Fall jetzt juristisch bewertet, ist das ja auch eine Frage, ja, wenn man will der Moral, der Ethik auch…
Hirsch: Ja.
Zerback: Wie wichtig ist das denn noch heutzutage in der Politik, die Moral, die Ethik?
Hirsch: Also das ist eine, ich will nicht sagen schwierige Frage – man kann sich ja fragen, welche Rolle die Moral und die Ethik in unserer Gesellschaft spielt, ich würde aber nicht fragen - unsere Gesellschaft, sondern bei jedem Einzelnen – dass es Leute gibt, die versagen, die auch den moralischen Appellen, die man haben muss, nicht folgen. Die gibt es ja nicht nur in der Politik, sondern die gibt es ja in allen möglichen Berufen – denken Sie an Firmenskandale, ich will jetzt keine Firma nennen –, aber das gibt es ja überall, dass man sich einen Bonus zahlen lässt, obwohl man seiner Firma geschadet hat. Also mit der Frage wäre ich vorsichtig. Ich finde, das ist eine wirklich individuelle Entscheidung, und ich bin ganz sicher und zögere nicht anzunehmen, dass Frau Hinz in kurzer Zeit das Mandat niederlegen wird, weil man sie einfach sonst als Mensch nicht mehr akzeptieren kann.
"Die wird das sehr bereuen, was sie getan hat"
Zerback: Wie geht’s denn mit Frau Hinz weiter – nehmen wir mal an, sie tritt zurück oder auch nicht, je nachdem, wie das heute Abend ausgeht. Was für eine Zukunft hat denn Frau Hinz in der Politik noch?
Hirsch: Keine. Sie hat mit Sicherheit keine mehr. Sie wird ja entweder aus der SPD ausgeschlossen oder sie verliert doch jeden Anhang, und ich glaube, dass ihr eigentliches Problem, dass sie auch in ihrem Berufsleben, wovon immer sie leben will, dass sie eigentlich niemanden finden wird, der sie wirklich engagiert. Die Frau ist einfach Hartz IV, die ist vorbei. Das wird sie natürlich sehr zum Nachdenken bringen, was sie eigentlich machen soll, denn ich glaube, sie ist Mitte 50, also sie hat das Pensionsalter auch bei Abgeordneten noch nicht erreicht, sie muss jetzt noch ein paar Jahre überbrücken. Das wird für die verdammt schwierig werden, die wird das sehr bereuen, was sie getan hat.
Zerback: Sagt Burkhard Hirsch, früherer Innenminister Nordrhein-Westfalens und auch Vizepräsident des Deutschen Bundestages war er. Besten Dank für das Gespräch!
Hirsch: Bitte schön, Wiederhören!
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