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Fall Wulff
Montag: Staatsanwaltschaft hat sich verrannt

Der Freispruch im Prozess gegen Christian Wulff kam nicht mehr überraschend. So sieht das auch der Grünenpolitiker und Jurist Jerzy Montag. Selten habe er erlebt, dass sich ein Gericht in laufender Hauptverhandlung so eindeutig über den Ausgang äußert wie in diesem Verfahren, sagte Montag im DLF.

Jerzy Montag im Gespräch mit Christine Heuer |
    Christine Heuer: Überraschend ist es nicht, das Urteil aus Hannover. Dort ist Christian Wulff heute vom Vorwurf der Bestechlichkeit freigesprochen worden. Einen Freispruch gab es auch für David Groenewold, das Pendant sozusagen zu Wulff in dem Prozess. Er war ja angeklagt, den zurückgetretenen Bundespräsidenten in seiner Zeit als Ministerpräsident von Niedersachsen bestochen zu haben.
    Am Telefon ist Jerzy Montag, er ist Jurist und Grünenpolitiker. Guten Tag, Herr Montag!
    Jerzy Montag: Einen schönen guten Tag, Frau Heuer!
    Heuer: Sie sind ja selbst Anwalt. Hätten Sie dieses Mandat gern gehabt?
    Montag: Ja, warum nicht? Sehr gerne sogar. Es ist ja so, dass Strafverteidiger keine Taten verteidigen, sondern Menschen. Und jeder hat einen Anspruch auf eine fachkundige, gute Strafverteidigung; ein ehemaliger Bundespräsident allemal.
    Heuer: Und der Prozess, den hätten Sie dann ja auch gewonnen. War das wirklich so absehbar, wie wir es in den letzten Monaten wahrgenommen haben?
    "Von Anfang an absehbar"
    Montag: Ob es von Anfang an absehbar war, weiß ich nicht, weil ich diesen Prozess natürlich als Internes nicht kenne, aber seit einigen Wochen war es allzu deutlich. Ich habe selten erlebt in meiner eigene Praxis, dass ein Richter oder ein Gericht in laufenden Hauptverhandlungen sich so eindeutig über den Ausgang äußert, wie das in diesem Verfahren gewesen ist.
    Heuer: Und wenn die Dinge doch so klar liegen, stellt sich natürlich die Frage, ob dieser ganze Prozess überhaupt nötig gewesen ist.
    Montag: Diese Frage stellt sich allerdings. Ich glaube, man muss zweierlei unterscheiden. Die politischen Ungeschicklichkeiten und auch die Unseriosität, die Herr Wulff an den Tag gelegt hat auf der einen Seite, komische Finanzierung seines Hauses, wahrheitswidrige Angaben in Niedersachsen vor dem niedersächsischen Landtag und vieles andere mehr. Und auf der anderen Seite ein knallharter Vorwurf einer Bestechlichkeit oder einer Vorteilsannahme. Da sind Welten dazwischen, und ich glaube, dass die Staatsanwaltschaft sich bei diesen Ermittlungen oder in diesem Verfahren sehr verrannt hat.
    Politischen Ungeschicklichkeiten und Unseriosität
    Heuer: Das wollte ich Sie gerade fragen. Aber wenn Sie das so sehen, dann blicken wir noch mal zurück. Ohne die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft wäre Christian Wulff nicht zurückgetreten. Deshalb auch die Frage, ob der Rücktritt von heute aus gesehen eigentlich gar nicht nötig gewesen war.
    Montag: Ja, das ist eine sehr schwierige Frage, die man im Nachhinein versucht ist, dann mit leichtem Sinn zu beantworten. Das ist wirklich eine schwere Frage, die Sie mir da stellen.
    Heuer: Wie beantworten Sie sie?
    Montag: Gerne. Ich versuche sie so zu beantworten, dass ich sage: Auch ein Bundespräsident ist in einem demokratischen Rechtsstaat nicht vor Ermittlungen geschützt und sakrosankt. Und ein Bundespräsident, gegen den staatsanwaltliche Ermittlungsverfahren laufen, kann nicht weiter sein Amt ausüben. Also unabhängig davon, ob die Ermittlungen jetzt mit einem Freispruch oder nicht geendet haben – nachdem sie mal aufgenommen worden sind, war es unausweichlich, dass Bundespräsident Wulff zurücktritt. Wir haben ja das aktuellste Beispiel jetzt mit dem ehemaligen Bundesinnenminister und dann Landwirtschaftsminister Friederich, gegen den jetzt auch Ermittlungen aufgenommen worden sind, ich sage mal, die auch höchstwahrscheinlich mit einem Freispruch enden werden. Aber trotzdem hat Herr Friederich, wie ich finde, zu Recht, sein Amt als Bundesminister niedergelegt. Also, das sind zwei verschiedenen Sachen. Wenn gegen einen Politiker in exekutiver Verantwortung staatsanwaltliche Ermittlungen geführt werden, ist er nicht mehr frei, als Politiker zu arbeiten, und ein Bundespräsident mit diesem Verdacht, das wäre nicht gut gegangen.
    Bundespräsident nicht sakrosankt
    Heuer: Na, das war ja klar, aber Herr Montag, ist Christian Wulff ungerecht, auch im juristischen Sinne ungerecht behandelt worden, damals?
    Montag: Das fällt mir gar nicht so einfach zu beantworten, weil ich ja die gesamten Akten, die die Staatsanwaltschaft angeblich viele Zehntausend Seiten zusammengesammelt hat, nicht kenne. Im Nachhinein kann man sagen, ihm ist jetzt Unrecht geschehen, weil er freigesprochen worden ist. Aber das geschieht bei vielen Menschen leider Gottes, auch in einer rechtsstaatlichen Ordnung werden viele Ermittlungen aufgenommen, die dann nicht zu einer Verurteilung führen. Ihm ist eben das passiert, wovon ich aus langjähriger Erfahrung auch meinen Mandanten sage, Beschuldigter kann jeder werden. Keiner soll die Nase allzu hoch tragen und denken, ich bin gegen jegliche Anfeindungen der Staatsanwaltschaft erhaben. Das ist niemand. Jeder kann solche Ermittlungen erleiden müssen, und dann hat man auch mit Nachteilen zu rechnen, und die für den Bundespräsidenten außer Diensten waren eben doch sehr, sehr gewichtig.
    Heuer: Herr Montag, ganz kurz noch. Sie haben die politische Ungeschicklichkeit von Christian Wulff angesprochen, haben Unseriosität ihm vorgeworfen. Sind Sie heute froh, aus politischen, jetzt nicht aus juristischen Gründen – sind Sie heute froh, dass wir einen neuen, einen anderen Bundespräsidenten haben und Christian Wulff nicht mehr im Amt ist?
    Montag: Ja. Ich hab den Bundespräsidenten Gauck schon das letzte Mal gerne gewählt, und dann wieder gerne gewählt, und ich bin froh, dass wir jetzt den Bundespräsidenten haben, der das Land und uns alle vertritt. Er macht das in einer ausgezeichneten Art und Weise. Der Nachfolger ist ein Gewinn für unser Land.
    Heuer: Und Wulff war politisch nicht mehr tragbar im Amt?
    "Politisch in diesem Amt nicht mehr tragbar"
    Montag: Er war politisch in diesem Amt nicht mehr tragbar. Er ist aber jung genug, um eine zweite oder dritte Karriere zu machen. Die muss nicht gerade politisch sein. Die kann auch wirtschaftlich oder beruflich sein. Dafür wünsche ich ihm alles Gute!
    Heuer: Jerzy Montag von den Grünen. Ich wünsche Ihnen auch alles Gute und bedanke mich für das Gespräch!
    Montag: Danke Ihnen! Auf Wiederhören.
    Heuer: Auf Wiederhören.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.