Hans Fallada lebte in wechselvollen, dramatischen oft barbarischen Zeiten. Er erfuhr den Anbruch der Moderne, er wurde Zeuge des Ersten Weltkrieges mit den anschließenden gesellschaftlichen Umwälzungen. Die ersten Versuche, seinen Weg zu machen, standen unter dem Druck von Krisen und Inflationsjahren, darauf folgten Naziherrschaft und Zweiter Weltkrieg. Und kurz danach, 1947, war sein Leben auch schon vorbei. Trotzdem spielten die Auswirkungen der großen historischen Turbulenzen auf seinen Lebenslauf - und damit unterschied er sich von vielen anderen Schriftstellern jener Zeit - nur eine zweitrangige Rolle. Denn mochte die Unruhe draußen in der Welt, die ihm immerhin reichlich Stoff für seine Romane und Erzählungen lieferte, auch noch so groß sein, das Rumoren und Toben in ihm selbst war allemal größer. Bald gewöhnte er sich an, seine inneren Kämpfe mit einem umfassenden Sortiment an Sucht- und Rauschmitteln bis hin zum Morphium auszutragen. Mit den entsprechenden Konsequenzen. Sogar in seinen besten Jahren, als Fallada mit seiner Familie auf einem idyllischen Anwesen inmitten der Mecklenburgischen Seenplatte lebte, war seine Existenz in drei ganz unterschiedliche Sphären zerteilt.
"Er ist Ehemann, Vater und Vorstand eines Kleinbetriebs mit der Verantwortung für Familie und Angestellte. Daneben kämpft er auf Tausenden von Seiten mit den Gestalten seiner Phantasie, erfindet deren Lebenswege und spielt für sie Schicksal. Eine weitere Sphäre und ebenso abgeschlossen vom "wirklichen Leben" ist die Welt der Sanatorien, Kuranstalten und Nervenkliniken, die Fallada in immer kürzeren Abständen aufsuchen muß."
So beschreibt der studierte Germanist Peter Walther die an Gegensätzen reichen Lebenssphären des Schriftstellers. "Hans Fallada. Die Biografie" heißt der Titel seines Buches. Und um es gleich zu sagen: Es ist ein fesselndes biographisches Porträt dieses Mannes, der in der Literatur viel erreichte und in seinem Leben viel zerstörte. Ob allerdings der Gattungstitel "Die Biografie", dessen vorangestellter Artikel den Anspruch auf ultimative Gültigkeit suggeriert, Berechtigung besitzt, darüber ließe sich diskutieren. Schließlich ist die gründliche Biografie der irischen Germanistin Jenny Williams, die 2002 unter dem Titel "Mehr Leben als eins" erstmals auf deutsch erschien, noch in sehr vorteilhafter Erinnerung. Williams hat besonders die kulturhistorischen und literaturpolitischen Hintergründe des Wirkens und der Wirkung von Fallada beleuchtet, ohne dass dabei die persönliche Lebensgeschichte zu kurz gekommen wäre. Da war es sicherlich ein Wagnis, erneut eine Biografie in Angriff zu nehmen. Trotzdem ist es Peter Walther gelungen, etwas andere Akzente zu setzen. Bei ihm ist es vor allem der katastrophenträchtige Untergrund dieser Schriftstellexistenz, der besonders plastisch und mit Nachdruck herausgearbeitet wird. So wird ein fortwährendes und oft schlichtweg beklemmendes Überlebensdrama erkennbar.
Tatsächlich stellte sich die Frage des Überlebens für diesen von psychischen Widersprüchen gebeutelten Mann schon seit Jugend an. Eine Schlüsselszene, die den ersten Höhepunkt einer langen Unglücksgeschichte markiert, ereignete sich bereits 1911. Da hatte sich der 18-jährige Gymnasiast, dessen bürgerlicher Name Rudolf Ditzen lautete, mit dem Schulfreund Hanns Dieter von Necker zu einem Duell im Morgengrauen verabredet, das nichts anderes sein sollte als ein gemeinsamer Selbstmord wegen jugendlichen Weltekels.
Sie schießen erneut. Diesmal trifft Ditzen. Mit einem Schrei fällt von Necker nach hinten. Aber er ist noch am Leben. Schieß noch einmal, fleht er Ditzen an, doch der hat in der Erregung sein Tesching verloren. Er sieht den Revolver von Neckers im Gras liegen und feuert noch einmal aus nächster Nähe auf den Freund. Dann schießt er sich zweimal in die Brust.
Diese Szene setzt Peter Walther als Vorspiel an den Anfang seiner Biografie wie das Wappenbild eines Lebens, dessen Protagonist neben anderen Talenten unbedingt auch die unselige Gabe besaß, sich in verhängnisvolle Obsessionen zu verrennen.
Verfolgt von Konflikten, Krankheiten und Katastrophen
Geboren wurde Rudolf Ditzen, der sich als Schriftsteller Hans Fallada nennen sollte, am 21. Juli 1893 in Greifswald. Sein Vater war ein bedeutender Jurist, die Mutter stammte aus einer verarmten Pastorenfamilie. Doch trotz harmonisch und gesichert anmutender Familienverhältnisse entwickelte sich der kleine Rudolf zu einem Knaben, der sich von Konflikten, Krankheiten und Katastrophen verfolgt sah.
Für seine frühen Jahre zeichnet sich ein Muster ab, in dem sich Rudolf und die Familie einzurichten versuchen: "Ich bin ein tüchtiger Pechvogel gewesen, der jede Treppe hinunterfiel, sich Mühlsteine auf die Finger warf, unter galoppierende Pferde sich legte, immer auf der Schule erwischt wurde, wenn er mal mogelte."
In der Adoleszenz lernte der junge Rudolf dann, dieses Pechvogel-Muster herumzudrehen und daraus das Signum einer besonderen, gegen alle Welt kritischen Außenseiterhaltung zu machen. Mit siebzehn trat er einem literarischen Verein bei, er begann zu dichten, wurde zum stolzen Schmerzsucher, identifizierte sich mit dem Dandy aus Oscar Wildes "Bildnis des Dorian Gray" und kultivierte die Weltverachtung. Über das besondere Einverständnis mit einem Jugendfreund schrieb er später:
"Wir mochten uns gegenseitig gern, hatten auch viel Verwandtes, namentlich die hochmütigen Allüren der Verachtung für andere Sterbliche, die nach unserer Meinung nicht ganz so hoch standen - geistig natürlich - wie wir."
Mit solchen Allüren und Selbstmordideen war Rudolf kein Einzelfall sondern ein Kind seiner Zeit. 1911 erschien Gustav Landauers Schrift "Selbstmord der Jugend", die nach Erklärungen für die sich in jenen Jahren häufenden Selbstmorde unter Gymnasiasten suchte. Nach dem Ersten Weltkrieg folgte die Thematisierung der jugendlichen Zeitprobleme und Generationskonflikte auf der Theaterbühne in Stücken wie Arnolt Bronnens "Vatermord" und Ferdinand Bruckners "Krankheit der Jugend". Für fast alle der darin verhandelten Konflikte gab der junge Rudolf Ditzen ein geradezu idealtypisches Beispiel ab.
Noch vor seinem vierzigsten Lebensjahr hatte er Nervenheilanstalten, Entzugsbehandlungen, Sanatorien und Gefängnisse in dichter Folge kennen gelernt. Die permanente Grenzüberschreitung zwischen bürgerlicher Sphäre und den Anstalten für psychisch Kranke oder Gesetzesbrecher wurde ihm, so will es scheinen, zur Selbstverständlichkeit. Später ging Fallada, wann immer es geboten erschien, in Nervenheilanstalten oder Entzugskliniken wie andere ins Hotel. Das war seine Art, sich im Einklang mit den eigenen Defekten durchs Leben zu bewegen.
Inspirationen in der Psychiatrie
"Psychiatrische Anstalten kennt Ditzen von innen seit er 19 Jahre alt ist. Lebenslang bleibt die Welt der Psychiatrie das Netz, das über dem Abgrund seiner psychischen Labilität gespannt ist. Zugleich bietet diese Welt einen reichen Steinbruch für Falladas erzählerisches Werk."
Wie sehr er dabei in den gleichen Spuren weiter lief, die er in seiner Jugend gebahnt hatte, ist ihm offenbar gegen Ende seines Lebens einmal selber durch den Kopf gegangen:
"Irgend etwas in mir ist nie ganz fertig geworden, irgend etwas fehlt mir, so dass ich kein richtiger Mann bin, nur ein alt gewordener Gymnasiast, wie Erich Kästner mal von mir gesagt hat."
Dazu passt es, dass er sich in seinen erotischen Phantasien gerne als hingebungsvoll zur Geliebten aufblickender Junge sah. Genau das war denn auch der Kosename, mit dem ihn seine Gattin Suse ansprach, wenn sie ihn nicht gar "mein Jungchen" nannte. Mit Suse, einer praktisch veranlagten, starken und warmherzigen Frau aus einer sozialdemokratischen Familie schloss er 1929 die Ehe. Damit begann die wohl glücklichste und konstruktivste Phase in Falladas Leben mit jahrelanger Abstinenz von Alkohol und Drogen. Geschrieben hatte er schon vorher unablässig, doch nun kam auch der Erfolg, der es ihm erlaubte, ganz auf die Existenz als freier Schriftsteller zu setzen.
Sein Erstling, der Pubertätsroman "Der junge Goedeschal" von 1920 kreiste noch ganz um selbst erlittene Jugendkonflikte. Dagegen entfaltete der 1931 veröffentlichte Roman "Bauern, Bonzen und Bomben" einen wesentlich größeren Horizont. Der ging auf die sozialen und politischen Einblicke zurück, die Fallada als Gutsangestellter und Lokalreporter gewonnen hatte. Das war der erste Schritt zum Ruhm.
"Ditzen hat einen anderen Blick bekommen für das, was ihn als Schriftsteller ausmacht und in welchem Verhältnis sein Schreiben zur Wirklichkeit steht."
Schon der nächste Roman "Kleiner Mann - was nun?" brachte dann 1932 den Welterfolg und das Geld, mit dem sich das Ehepaar und sein Sohn Uli in Carwitz auf einem bäuerliches Anwesen am See niederlassen konnte.
Erfolge in der Nazi-Zeit
Die Bosheit der Weltgeschichte allerdings wollte es, dass, kaum war Fallada als Erfolgsschriftsteller etabliert, die Naziherrschaft anbrach. Was nichts anderes hieß, als dass nahezu die gesamte Spanne von Falladas Schriftstellerleben mit dem Dritten Reich zusammenfiel. Das hatte Konsequenzen für seinen Ruf, seine Arbeit, seine Entwicklung. Zu den überraschendsten Folgen gehörte, dass Falladas Autorenfleiß, der zwischen 1933 und 1944 zwanzig Romane hervorbrachte, darunter nicht im mindesten litt. Und dass das ebenso für den finanziellen Erfolg galt, wie sein Biograph Peter Walther vorrechnet:
Ums Geld geht es längst nicht mehr, seine jährlichen Einnahmen aus Buch- und Zeitungsveröffentlichungen, aus Film- und Aufführungsrechten haben sich von 1941 bis 1943 auf hohem Niveau zwischen 61.000 und knapp 75.000 RM eingepegelt. Zur gleichen Zeit verfügt der Präsident des Reichsgerichts über ein festes Jahresgehalt von 24.000 RM. Fallada gehört zu den Spitzenverdienern in Deutschland.
Wie konnte das sein? Fallada war weder Nazi noch Antisemit, beim Aufbruch in eine gloriose arische Zukunft mitzumarschieren, kam ihm nicht in den Sinn. Aber er war brauchbar, zumindest gelegentlich. "Bauern, Bonzen und Bomben", der Roman über die Landvolkbewegung in der Weimarer Republik, wurde von der Goebbels-Zeitschrift "Angriff" gelobt, "Wolf unter Wölfen" mit seiner fulminanten Schilderung der Inflationszeit erhielt von einem Intimus des Propagandaministers begeisterte Empfehlungen. Von anderen Organen des Regimes wurde Fallada jedoch scharf abgelehnt und etwa als "Renommiergoi sämtlicher Juden Berlins" attackiert.
Vom Schreiben besessen
Reich an Widersprüchen waren auch Falladas eigene Haltungen. Zum platten Gesinnungsknecht der Nazis eignete er sich nicht. Dem Verlangen von Goebbels nach einem antisemitischen Roman mochte er nicht nachkommen. Aber für gewisse Kompromisse war er zu haben. Er schrieb mit leidenschaftlicher Hingabe und konnte in erstaunlich kurzer Zeit riesige Textmengen produzieren. Im Hinblick auf seine erzählerischen Impulse bezeichnete er sich einmal als "Menschensammler", das heißt seine Figuren, ihre Beweggründe und Geschichten waren für ihn wichtiger als alle hehren Ziele.
"Die Frage nach der Zweckbindung von Kunst läuft auch deshalb ins Leere, weil das Schreiben bei Fallada Teil seiner Triebstruktur ist: Die Gestalten seiner Phantasie drängen darauf, in die Welt entlassen zu werden; sich von ihnen zu entlasten ist ein notwendiges Ereignis, keines, das nach Sinn oder Unsinn, Zweckhaftigkeit oder Zwecklosigkeit fragt."
Tatsächlich gibt es Anzeichen dafür, dass auch das Schreiben bei Fallada Suchtcharakter hatte. Schreibräuschen konnte er sich sogar dort hingeben, wo andere verstummt wären, in Heilanstalten, Entzugskliniken oder Gefängnissen. Wenn er mit einem Text durch war, litt er wie unter Entzugserscheinungen. Seine Maßstäbe, was literarische Qualität anging, handhabte er allerdings ziemlich flexibel. Dennoch war er nicht bereit, den Nazi-Ideologen die Herrschaft über seine erzählerische Phantasie einzuräumen. Zugleich aber gab es mehrere Projekte, wie den als Filmvorlage verfassten Roman "Der eiserne Gustav", die er auf Anregung des Propagandaministeriums ausführte. Für derlei begrenzte Willfährigkeit bietet Peter Walther folgende Erklärung an:
"Die Ausrichtung an staatlicher Autorität, egal, wer sie repräsentiert, gehört zu den tiefen Prägungen, die Fallada in seiner Kindheit erfahren hat. Dass er sich selbst durchschaut in seinem Verlangen nach "offizieller" Anerkennung, ändert an der Prägung selbst nichts."
Völlig überzeugend erscheint diese schematische Deutung nicht. Und sie will auch nicht so recht zu dem Persönlichkeitsbild passen, das Peter Walther selbst von Fallada zeichnet: nämlich das eines Mannes, der große Übung darin besaß, sich als Grenzgänger zwischen Ordnung und Chaos immer wieder über vorherrschende Verhaltensmaßstäbe hinwegzusetzen. Und darüber hinaus liefert Walther wahrlich genügend Belege dafür, dass feste Grundsätze in moralischen, politischen oder ästhetischen Fragen ohnehin nie zu Falladas Stärken gehörten.
Täuschung der Zensur?
Tatsächlich gibt es einige fatale Äußerungen, die den Eindruck vermitteln, Fallada hätte sich schließlich doch noch die Weltsicht der Nazis zu eigen gemacht. 1943 erklärte er sich bereit, auf mehreren wochenlangen Reisen die Lager des Reichs-Arbeitsdienstes vor allem in Frankreich zu besuchen, um darüber ein persönliches Tagebuch zu verfassen. In dieser Situation schrieb er mehrere private Briefe in einem Tenor, der von all seinen anderen Äußerungen eklatant abwich. Wie völlig besoffen vom deutschen Geist deklamierte er auf einmal reinste Propagandaparolen. Seinen Sohn Uli ließ er wissen:
Wir haben große Aufgaben zu erledigen, wir werden eines Tages die Herren Europas sein, vielleicht auch die der ganzen Welt. Lass Dich nicht irritieren durch das Geschwätz von Leuten, die nichts wissen. In zwei oder drei Monaten beginnt ein ganz anderer Krieg, wir müssen nur Zeit gewinnen. Dann wird England am Boden liegen, und sogar Amerika werden wir mit unseren neuen Waffen erreichen und zerschmettern!
Wohlgemerkt: Öffentlich sagte er dergleichen nicht, die Publikation eines Reisetagebuches kam nicht zustande. Was war das also? Dazu gibt es zwei Thesen. Jenny Williams vertrat in ihrer Biografie die Interpretation, solche Briefe seien zur Täuschung der Zensur geschrieben worden. Peter Walther dagegen behauptet kategorisch:
"Nein, es gibt keinen Grund, anzunehmen, dass er anders denkt als die allermeisten Deutschen zu dieser Zeit, egal, wie nah oder fern sie der NS-Ideologie stehen: Dieser Krieg darf nicht verloren werden."
Andererseits gibt es diverse Einschätzungen, die sehr diskussionsbedürftig sind. Das gilt auch für den Umgang mit den Quellen, den Zeugnissen von Zeitgenossen und den Selbstzeugnissen Falladas. Jenny Williams betonte, dass in Falladas Schriften alles Fiktion sei, einschließlich seiner autobiografischen Darstellungen. Das 1944 im Gefängnis entstandene Erinnerungs- und Rechtfertigungsbuch "In meinem fremden Land" ist dafür ein vielsagendes Beispiel. Um diese Problematik weiß auch Peter Walther.
"Das Adressieren taktischer Wahrheiten, das Spiel in unterschiedlichen Rollen sind dem Schriftsteller früh zur Gewohnheit geworden."
Eindringliche Erzählung statt kritischer Ermittlung von Tatsachen
Trotzdem überrascht Walther mit der Entscheidung:
"Dennoch wurde im vorliegenden Buch vielfach auf diese Quellen zurückgegriffen, weniger um Fakten zu bezeugen, als um ein lebendiges Bild des Schriftstellers in seinen alltäglichen Bezügen zu vermitteln."
Mit anderen Worten: Das Ziel einer eindringlichen Erzählung wird über die kritische Ermittlung von Tatsachen gestellt. Unter dem Gesichtspunkt biografischer Verlässlichkeit ist das ein dubioser Ansatz. Wer diese Unschärferelation aber im Blick behält, kann auch diese Lebensbeschreibung mit Gewinn lesen. Die bahnbrechende Biografie über Hans Fallada hat Peter Walther zwar nicht geschrieben, die gab es vorher schon. Aber ein reich facettiertes Persönlichkeitsbild dieses in seiner Tragik gefangenen Erfolgsschriftstellers ist ihm durchaus gelungen.
Peter Walther: "Hans Fallada. Die Biografie"
Aufbau Verlag, Berlin 2017. 527 Seiten, 25 Euro.
Aufbau Verlag, Berlin 2017. 527 Seiten, 25 Euro.