Angst geht um im Peloton der Tour de France. Es nicht so sehr die Angst vor Corona. Die jungen Männer, die an dieser mehr als 3.400 Kilometer langen Rundfahrt teilnehmen, gehören schließlich nicht zu den Bevölkerungsgruppen, die statistisch die schwereren Krankheitsverläufe aushalten müssen. Sie befinden sich auch in einer kontaktarmen Blase, sind abgeschottet von den Fans am Straßenrand und von der normalen Bevölkerung.
Sorge macht ihnen aber das Risiko, einen falsch positiven Test abzugeben. Denn dann droht ihnen aus Sicherheitsgründen der Ausschluss von der Tour de France. Und bei einem zweiten positiven Fall droht gar dem ganzen Rennstall der Ausschluss.
Degenkolb: Mit Risiko falsch-positiver Tests müssen wir leben
Es ist eine verzwickte Situation, ein Abwägen zwischen Gesundheitsrisiken und sportlichen und ökonomischen Einbußen. "Das Risiko ist immer mit dabei. Am Ende ist das aber die einzige Möglichkeit, diese Veranstaltung auf den Beinen zu halten. Deshalb müssen wir das dann auch einfach über uns ergehen lassen und aufs Beste hoffen", meinte lakonisch Radprofi John Degenkolb vor dem Start der 1. Etappe.
Wenige Stunden später war er schon aus dem Rennen. Nicht wegen Corona, sondern wegen Stürzen. Er hatte sich auf der ersten Etappe so sehr die Knie verletzt, dass jeder Tritt starke Schmerzen auslöste und er das Zeitlimit um etwa zwei Minuten verpasste.
Zwei Tests vor dem Start der Tour de France
Erfahrungen mit positiven COVID-Tests hatte er zuvor in seinem Rennstall aber auch machen müssen: "Ich glaube, dass alles soweit ganz gut und sauber geklärt wurde. Wir haben dort einen positiven Test im Betreuerstab gehabt. Alle, die mit dem Betreuer in Kontakt gekommen sind, sind nach Hause gefahren und durch neue Leute ausgetauscht wurden. Die natürlich auch wieder getestet werden müssen mit der Sechs- und Drei-Tage-Regel."
Diese Regel besagt, dass alle, die zu einem Tour-de-France-Team gehören, sechs Tage und drei Tage vor dem Start PCR-Tests machen. Sind die Tests negativ, gehören die Personen zur Hygiene-Blase der Tour. Wer hingegen positiv ist, wird ausgeschlossen.
Kein Ersatz für Fahrer während der Tour
So war das auch im Falle Lotto Soudal. Danach wurden neue Tests durchgeführt. "Alle, die mit der entsprechenden Person in Kontakt waren, die waren alle negativ, und mussten auch leider nach Hause."
Passiert dies während der Tour, kann, zumindest bei den Fahrern, kein Ersatz mehr kommen. Und hat ein Rennstall zwei positive Tests, muss er die Tour komplett verlassen.
Dagegen haben die Teams protestiert. Denn auch in anderen Rennställen gab es falsch-positive Tests. Bei Israel Start-Up Nation und Bora hansgrohe betraf dies jeweils einen Radprofi, der dann nicht zu Tourvorbereitungsrennen zugelassen wurde, bei AG2R sogar deren zwei.
Beim deutschen Rennstall Bora hansgrohe war es nach Auskunft von Teamchef Ralph Denk ungefähr der 400. Test, der das falsch positive Ergebnis brachte. Damit läge in diesem Spezialfall die Genauigkeit bei 99,75 Prozent. Das ist wesentlich besser als es im April eine Ringstudie in Laboren in 34 Ländern herausfand. Dort lag die Genauigkeit zwischen 97,8 und 98,6 Prozent. Das heißt also, in zwei von 100 Fällen musste man damals mit einem falsch positiven Ergebnis rechnen.
Qualität der Tests hat sich inzwischen verbessert
Im Laufe der Pandemie hat sich die Qualität der Tests aber verbessert. Grund ist, dass viele Tests mittlerweile das Virus in zwei Regionen seines Erbmaterials analysieren.
Falsch positive Fälle können dennoch auftreten. Und deshalb hat Veranstalter A.S.O. zum Grand Depart die Regeln auch noch einmal überarbeitet. Es gibt jetzt einen Folgetest, der ein positives Ergebnis überprüfen soll.
Rennstallchef Ralph Denk: "Es fühlt sich deutlich besser an. Auch Dank an UCI und A.S.O., dass sie da mit den französischen Behörden einen bestmöglichen Kompromiss erarbeitet haben."
Für den Nachtest braucht es Zeit
Komplette Entwarnung kann aber noch nicht gegeben werden. Der Nachtest kann nur ausgeführt werden, wenn die Zeit dafür auch da ist. Bei einem positiven Resultat, das 40 Minuten vor Rennbeginn bekannt wird, sei ein Nachtest einfach zeitlich nicht realistisch, teilte ein A.S.O.-Sprecher dem Deutschlandfunk mit.
Damit muss auch Ralph Denk leben. "Also das heißt, wenn jemand positiv ist, versucht man einen zweiten Test so schnell wie möglich an den Start zu kriegen. Aber man ist ja zeitlich unter Druck für die nächste Etappe, und wenn die Zeit reicht, dann wird es Nachtestung geben. Wenn nicht, dann ist er, glaube ich, raus. Aber das ist schon mal besser als nichts."
Nachbesserung auch bei Ausschluss von Rennteams
Abgemildert hat Tour-Veranstalter A.S.O. in Absprache mit dem Weltradsport-Verband UCI auch die Ausschlussregel. Nur bei zwei positiven Tests binnen sieben Tagen wird ein Rennstall ausgeschlossen. Verteilen sich die positiven Fälle über einen längeren Zeitraum, darf das Team weiter im Wettkampf bleiben.
Ob die Tour wie geplant bis Paris gehen wird, weiß gegenwärtig niemand. Das UCI-Reglement beschreibt unter Artikel 2.2.029 immerhin, unter welchen Umständen ein Rennen abgebrochen werden kann. Ab wieviel Renntagen eine Rundfahrt aber als Grand Tour zählt, ist nirgendwo festgeschrieben. Eine der vielen Ungewissheiten in Zeiten der Pandemie.