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Familie in der globalisierten Wirtschaft

In dem neuen Buch von den Soziologen Elisabeth Beck-Gernsheim und Ulrich Beck setzen sich die Autoren erneut mit der Risikogesellschaft auseinander. Diesmal steht im Mittelpunkt ihrer Betrachtung die Familie und Liebe in Zeiten der Globalisierung.

Von Hans Martin Schönherr-Mann |
    Die Zeiten, als die Münchner noch weitgehend unter sich heirateten, sind lange vorbei, auch jene, als sich Preußen oder noch schlimmer die Franken in den Münchner Ehebetten einnisteten. Jetzt sind es Amerikaner und Weißrussinnen oder Philippinas und Österreicher. Wenn beispielsweise eine Passauerin einen Afrikaner heiratet, wird aus ihrer alteingesessenen niederbayerischen Familie eine Weltfamilie, selbst wenn diese das neue Familienmitglied ablehnt. Denn Weltfamilie, der zentrale Begriff ihres Buches, erläutert Elisabeth Beck-Gernsheim folgendermaßen:

    "Mit dem Begriff Weltfamilien ist ja nicht gemeint, dass diese Personen, die in diesen Weltfamilien leben, dass sie weltoffen sind, und ansonsten hohe bildungsbürgerliche Ambitionen haben, sondern heißt, dass sie mit der Welt in Kontakt kommen über ihre Familie über ihre Paarbeziehung, ihre Kinder, ihre Eltern oder andere."

    Auf solche internationalen Ehen beschränkt sich der Begriff Weltfamilie indes nicht. Denn nicht nur der Heiratsmarkt ist bunt und global geworden. Die Migrationsbewegungen lenken ganze Familien in fremde Länder oder zerreißen sie, wenn einzelne Mitglieder sich in fernen Ländern verdingen. Daher entstehen Weltfamilien durch die Arbeitsmigration. Beck-Gernsheim:

    "Bei den Hausarbeitsmigrantinnen, das sind ja häufig Frauen, die auch von anderen Kontinenten kommen und ihre Kinder im Herkunftsland zurücklassen. Also die Philippina, die zum Beispiel in Israel alte Menschen pflegt. Aber ihre eigenen Kinder und ihre eigenen Eltern sind noch auf den Philippinen."

    Denken die meisten bei der Arbeitsmigration zunächst an die früheren türkischen Gastarbeiter, deren Frauen zumeist später nachzogen, so wählt Elisabeth Beck-Gernsheim wahrscheinlich nicht durch Zufall das Beispiel einer Arbeitsmigrantin. Nicht nur dass sich in der Zwischenzeit auch viele Frauen auf der Suche nach Arbeit in ferne Länder begeben. Frauen sind auch in einem stärkeren Maße als Männer die Gewinner dieser Entwicklung hin zu diversen Formen der Weltfamilie, jedenfalls wenn ihre Wanderwege in die westliche Welt führen. So bemerkt Beck-Gernsheim:

    "Deswegen können Frauen durch Migration häufig gewinnen, wenn sie in den Westen kommen und da Zugang zu Scheidung bekommen, Zugang zu Verhütungsmitteln, Zugang zu Berufsmöglichkeiten. Das sind alles Chancen, die sie in ihrem Heimatland nicht haben."

    Das gilt auch für andere Formen von Weltfamilien, die aus ihren Heimatländern ob brutaler politischer Verhältnisse oder aus Armutsgründen in die westliche Welt geflohen sind. Doch dann entsteht häufig ein überraschender Konflikt. Beck-Gernsheim:

    "Wenn dann diese Diktatur nicht mehr herrscht oder die Armut nicht mehr so groß ist im Herkunftsland, wollen die Ehemänner typischerweise wieder zurück und die Frauen sagen, ne, da will ich nicht wieder hin, weil sie dann in die alten Abhängigkeiten, in die alten Kontrollmöglichkeiten zum Beispiel der Schwiegereltern eingebaut werden, untergeordnet werden, und das wollen sie nicht wieder, dahin bloß nicht zurück."

    Dabei scheinen die Konflikte in den Weltfamilien überhaupt nahe zu liegen. Gerade in Familien, in denen die Beteiligten aus unterschiedlichen Ländern stammen und womöglich unterschiedlichen Kulturen angehören, stoßen die gegenseitigen Ansprüche und Verhaltensweisen immer wieder auf Unverständnis. Das ergibt durchaus gewisse Risiken, so Beck-Gernsheim:

    "Die kulturellen Differenzen können zu einem Scheitern führen, aber umgekehrt die Beziehung auch lebendig machen, anregend. Es kommt immer wieder was Neues und immer wieder etwas Überraschendes, mit dem Sie nicht gerechnet haben und damit aus dem Trott der Normalfamilie raus, die nach 10 oder 15 Jahren vor sich hin dümpelt in den Gewohnheiten."

    Geduld und Toleranz ist aber auch in einem anderen Fall von Weltfamilie vonnöten, der heute beinahe schon zum Alltag vieler Nicht-Weltfamilien geworden ist, wenn der Beruf oder die Schule der Kinder dazu zwingt, dass die Ehepartner in weit entfernten Orten leben. Um Weltfamilien handelt es sich, wenn diese Entfernung über Ländergrenzen oder gar über Kontinente hinweg reicht. Beck-Gernsheim ist trotzdem vorsichtig optimistisch:

    "Es kann der Tod der Beziehung sein, aber es muss es nicht. Aber wenn sie tatsächlich weit voneinander entfernt sind, dann müssen sie ihre eigenen Formen finden, um immer wieder das Verbindende herzustellen. Also es muss zum Beispiel feste Rituale geben, morgens und abends telefonieren oder regelmäßig skypen, jeden Morgen, der kleine in Cambridge, der mit seinem Großvater in Athen jeden Morgen eine halbe Stunde skypt. Oder ein Freundespaar von uns hatte die Regel, die hatten eine transatlantische Beziehung – USA und Deutschland – und die Regel war, wir werden nicht länger als 18 Tage getrennt sein. Entweder reist der eine in die USA oder die andere nach Deutschland, aber nicht länger als 18 Tage und sie haben es eingehalten. Sie sind noch ein Paar."

    Man könnte meinen, dass sich dieser neue Familientypus der Weltfamilie der globalisierten Wirtschaft, den weltumspannenden Reisemöglichkeiten und den Kommunikationstechnologien verdankt. Doch wahrscheinlich wären dann die Zahlen zu unbedeutend, um Beachtung zu finden. Beck-Gernsheim macht dagegen das globale Wohlstandsgefälle bzw. die globale soziale Ungleichheit dafür verantwortlich:

    "Wir haben ja verschiedene Beispiele, die wir ausführlich in dem Buch behandelt, das ist zum einen die Heiratsmigrantin, die zum Beispiel aus Osteuropa – um das Klischee aufzugreifen – in den Westen möchte und da die Heirat als Einlassticket in die wohlhabenden Regionen ansieht. Das ist die Heiratsmigration. Da ist ganz klar dahinter das globale Wohlstandsgefälle. Dann ebenso bei der Haushaltsmigrantin, die ihre Kinder in den Philippinen zurücklässt und dann in den reichen Ländern Kochen, Waschen, Putzen übernimmt: auch das Wohlstandsgefälle."

    Zum Thema Weltfamilie zählen Elisabeth Beck-Gernsheim und Ulrich Beck auch noch ein anderes Phänomen, nämlich den Kinderwunschtourismus. Darüber muss man sich zunächst wundern. Warum sollten dabei Weltfamilien entstehen? Die Lage zeichnet die Soziologin zunächst folgendermaßen:

    "Da gibt es ja Frauen, Frauen und Männer je nachdem, die in andere Länder fahren und dort Behandlungen auf sich nehmen, die zum Beispiel bei uns in Deutschland nicht erlaubt sind, um ihren Kinderwunsch zu erfüllen über Reproduktionsmedizin. Und da werden ja häufig auch Menschen anderer Länder eingesetzt, zunehmend indische Frauen, die neun Monate das Kind für einen Westler austragen oder eine Westlerin oder ein westliches Paar. Das ist auch wieder das Wohlstandsgefälle. Wenn man diese neun Monate in den USA das Kind austragen lässt, dann ist das viel teurer, weil die Löhne in den USA viel höher sind. In Deutschland geht es gar nicht, weil es verboten ist hierzulande."

    Aber wieso liegt hier ein Problem der Weltfamilie vor? Wenn sich deutsche Eltern beispielsweise mit einem eigenen Ei und fremdem4 Sperma eines deutschen Spenders aus Kostengründen nach Ungarn begeben, um sich dort die künstliche Befruchtung angedeihen zu lassen, kann man doch schwerlich von Weltfamilie sprechen. Dann wären jene Familien, die im Urlaub ihre Kinder in fernen Ländern zeugen, auch Weltfamilien. Wenn eine indische Leihmutter die Schwangerschaft durchsteht, könnten die biologischen Eltern doch Deutsche bleiben. Wenn sich das Kind später über seinen Geburtsort in Delhi wundert, erzählt man ihm, es sei eine Frühgeburt gewesen. Doch dass man das Kind über seine wahren Eltern im unklaren lassen darf, dem widerspricht Beck-Gernsheim entschieden:

    "Es gibt an dem Punkt zwei Interessen, die nicht unbedingt deckungsgleich sind, die Interessen der potentiellen Eltern, der Erwachsenen, die sich ein Kind wünschen, und die Interessen der Kinder, die wissen möchten sehr häufig, woher sie kommen, die möchten ihren Platz in der Geschichte sozusagen haben. Woher habe ich eigentlich diese komischen Ohren, diese abstehenden Ohren oder diese Sommersprossen oder meine Begabung für Musik, war mein Vater so musikalisch oder mein Großvater. Sie wollen etwas Handfestes. Sie wollen nicht wissen, meine Mutter war spanische Eizelle und mein Vater war dänisches Sperma. Das ist kein Vater, das ist keine Mutter. Sie wollen eine Person haben mit der sie etwas verbinden können. Und ich meine, dieses Interesse muss man ernst nehmen. Da steht dann die Generationengerechtigkeit an und unter diesem Gesichtspunkt würde ich dafür plädieren, dass anonyme Spenden dieser Art nicht mehr zugelassen sind."

    Wenn die Kinder ein Recht haben, ihre biologischen Eltern oder ihre Leihmutter kennen zu lernen, dann könnte das zu interessanten Verwicklungen in der Familienstruktur führen. Allerdings ist das Verfahren der künstlichen Befruchtung heute noch sehr teuer und bietet nur niedrige Erfolgsaussichten. Sollte das sicherer und billiger werden, sollte die Leihmutterschaft zu einer Alltäglichkeit avancieren – vor einem halben Jahrhundert wurden zum Beispiel uneheliche Kinder und Mütter noch massiv diskriminiert – dann könnte es zu folgendem Szenario kommen, das Elisabeth Beck-Gernsheim skizziert:

    "Wobei ich mir gerade vorstelle, wenn das wirklich passieren würde, wenn umgekehrte die Scheidungsquote nicht gerade zurückgeht, was wir nicht gerade erwarten können, dann könnte ein Kind ja eine Unzahl von Eltern haben, bestehend aus dem Samenspender, aus der Eizellenspenderin, aus der Austragemutter z.B. in Indien, dann die sozialen Eltern, die es aufziehen, die lassen sich dann scheiden, heiraten dann jeweils wieder einen neuen Partner und so geht die Kette weiter. Also dann hat sich Elternschaft wirklich zerlegt in ein ganzes Puzzle von ich glaube wir haben jetzt sieben Personen."

    Für Hegel ist die Familie die kleinste Zelle des Staates. Doch dass sich die Weltfamilie zur Grundlage der Weltgesellschaft mausern könnte, das bezweifelt die Soziologin. In der Tat spielen Familien politisch eher dubiose Rollen – man denke an die diversen Clans, die Kennedys, die Bushs, die Assads. Gerade die Mafia stützt sich auf Familienstrukturen. Aristoteles wollte denn auch den Staat nicht auf die Familie, sondern auf die Freundschaft gründen, die heute dann wohl Weltfreundschaft heißen müsste. Wäre das eine Alternative zur Weltfamilie, in der sich die alte Kleinfamilienstruktur nur mühsam erhält? Wahrscheinlich doch nicht!

    Ulrich Beck, Elisabeth Beck-Gernsheim: "Fernliebe. Lebensformen im globalen Zeitalter", Suhrkamp, Berlin 2011, gebunden, 280 Seiten, 19,90 Euro.