"Wir haben in Deutschland per anno stabil seit etwa zehn Jahren 130.000 Kinder, die von der Scheidung der Eltern betroffen sind. Und hinzu kommt eine unbekannte Zahl von Kindern, wo sich die Eltern trennen, wo es entweder keinen Trauschein gab oder wo es einen gibt und die Eltern sich trennen, aber verheiratet bleiben."
Das sagte Stefan Rücker kürzlich in einem Interview mit Radio Bremen. Der Psychologe arbeitet derzeit im Auftrag des Bundesfamilienministeriums an einer Studie, in der untersucht wird, welche Auswirkungen die Folgen von Trennungen für das Kindeswohl haben. Dazu wurden 100 Familien beziehungsweise Elternteile und 1.200 Kinder befragt.
Gibt es in einer Beziehung gemeinsame Kinder, stellt sich nach der Trennung die Frage, wer, wann und in welchem Umfang die Betreuung übernimmt.
"Und an dieser Frage entzünden sich häufig massive Konflikte, die Kinder nicht nur belasten, sondern bisweilen auch krankmachen können. Das heißt, wir sehen Kinder, die unter dieser Situation manchmal auch seelischen Schaden erleiden", so Rücker.
Bisher bleibt in den allermeisten Fällen das Kind bei einem Elternteil – in der Regel der Mutter – und besucht den anderen Elternteil in regelmäßigen Abständen. Als Residenzmodell wird das unter Juristen bezeichnet. In den letzten Jahren hat aber auch das so genannte Wechselmodell an Bedeutung gewonnen. Dabei lebt das Kind zu etwa gleichen Anteilen bei beiden Elternteilen.
FDP hält das Prinzip "Einer betreut, einer bezahlt" für überholt
In dieser Woche diskutiert der Deutsche Bundestag über das Wechselmodell. Die FDP-Fraktion will, dass eine 50:50-Betreuung durch die Eltern als Regelfall in das Gesetz geschrieben wird. Können sich Eltern nicht einigen, soll das vom Gericht angeordnet werden. Selbstverständlich aber nur dann, wenn es dem Kindeswohl im konkreten Fall nicht entgegensteht. Die Fraktion fordert deshalb von der Bundesregierung, sie solle einen Gesetzentwurf vorlegen, der die notwendigen Anpassungen – beispielsweise im Unterhaltsrecht, aber auch im Steuer- und Sozialrecht – vornimmt.
Der Abgeordnete Stephan Thomae von der FDP meint, dass sich das Prinzip "Einer betreut, einer bezahlt" überholt habe: "In der Zwischenzeit haben sich die Rollenverständnisse geändert. Väter wollen mehr an der Erziehung und Betreuung der Kinder teilhaben, Mütter wollen mehr die Hände freihaben für ihre eigene berufliche Laufbahn. Deswegen ist es jetzt mal an der Zeit, dieses klassisch gewachsene Residenzmodell einer Revision zu unterziehen."
Die Fraktion Die Linke hat ebenfalls einen Antrag in das Parlament eingebracht. Allerdings mit einem etwas anderen Ansatz. Katrin Werner ist die familienpolitische Sprecherin der Linksfraktion:
"Wir wollen weg von einer gerichtlichen Entscheidung per Zwang. Wir wollen, dass vorher Beratung gestärkt wird, professioneller Ausbau von Jugendämtern. Wir wollen Schulungen der Richterinnen und Richter, der Mitarbeiter. Wir wollen Mediatoren einsetzen. Und wollen also praktisch von dem Konflikt weg, wollen die Emotionen rausnehmen. Denn es gibt viele Wechselmodelle in Deutschland, wo die Eltern es freiwillig machen. Und jede Freiwilligkeit stellt das Kindeswohl in den Mittelpunkt und das ist genau der Ansatz, den wir haben."
Eine Mehrheit wird dabei vermutlich weder der Antrag der FDP noch der der Linken finden, da beide Fraktionen der Opposition angehören. Stephan Thomae hofft jedoch, dass insgesamt eine parlamentarische Debatte angestoßen wird. Denn:
"Es ist irgendwann auf mal eine gesetzgeberische Grundentscheidung erforderlich: 'Wie verstehen wir denn die Betreuungsanteile der Eltern in einer modernen Familie der heutigen Zeit in unserer Gesellschaft?'"
Der Koalitionsvertrag bestärkt den Oppositionspolitiker in seiner Hoffnung: Dort heißt es, dass im Umgangs- und Unterhaltsrecht künftig stärker berücksichtigt werden soll, dass zunehmend beide Elternteile intensiv in die Erziehungsverantwortung für ihre Kinder eingebunden bleiben wollen. Dass die Debatte notwendig ist, weiß auch Christiane Abel aus ihrer Erfahrung als Familienrichterin:
"Die Diskussion über das Wechselmodell hat bei den Gerichten seit 2015 stark zugenommen. Allerdings ist es nach wie vor nicht der Regelfall, sondern es sind Einzelfälle, der von einem Elternteil ins Spiel gebracht wird. Es gibt Fälle, in denen praktizieren die Eltern bereits das Wechselmodell und streiten sich dann beispielsweise über den Unterhalt. Und in manchen, ganz wenigen Fällen ist es sogar so, dass das Wechselmodell vonseiten des Gerichtes, des Jugendamtes oder von einem Verfahrensbeistand ins Spiel gebracht wird, weil es tatsächlich in der Familienkonstellation für das Kind das Beste wäre."
Leben zwischen zwei Haushalten
Jens ist Vater einer jetzt neunjährigen Tochter. Auch in seinem Fall hat das Familiengericht die Entscheidung für ein Wechselmodell getroffen. Seine Tochter verbringt jede zweite Woche bei ihm.
"Wenn sie nach der Schule dann hierherkommt – ich sag immer, die Anpassungszeit zwischen dem einen und dem anderen Haushalt, die ist ungefähr 0,1 Millisekunden. Sie kommt einfach her, sie fühlt sich wohl, sie hat ihre Sachen hier, sie weiß, wo alles ist. Das heißt, sie kommt nicht zu Besuch, sie lebt hier auch. Das ist auch ihr zu Hause. Und so nennt sie es selber auch."
Grundsätzlich scheint das Wechselmodell für Jens und seine Tochter zu funktionieren. Die Praxis weicht jedoch in einem grundlegenden Punkt von dem ab, was Gerichte vor Augen haben, wenn sie ein Wechselmodell festlegen: Zwischen Jens und der Mutter seines Kindes herrscht weitgehend Funkstille. Eine Kommunikation zwischen den beiden findet, so sagt es jedenfalls Jens, faktisch nicht statt. Ingeborg Rakete-Dombek ist Familienrechtsanwältin in Berlin:
"Das Wechselmodell hat bestimmte Voraussetzungen, nach meinem Verständnis. Nämlich, dass die Eltern sehr gut und sehr viel miteinander über die Belange der Kinder miteinander reden können. Also: Das Kind braucht ein Medikament. Das stellt sich in der einen Woche, in der das Kind beim Vater ist, heraus, der geht zum Kinderarzt - dann muss der mit der Mutter darüber reden und muss ihr das auch übergeben."
Denn ganz oben bei jeder Entscheidung über ein Betreuungsmodell steht immer das Wohl des Kindes.