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Familien-Pflegezeit
"Gesetzentwurf geht nicht weit genug"

Eine Neuregelung der Familienpflegezeit sei längst überfällig gewesen, sagte Elisabeth Scharfenberg, pflegepolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, im DLF. Dennoch gehe der neue Gesetzentwurf nicht weit genug. Arbeitsplätze müssten insgesamt familienfreundlicher werden. Dabei dürfe man nicht nur die Kinder im Blick haben,

Elisabeth Scharfenberg im Gespräch mit Bettina Klein |
    Ein Mann begleitet am 07.05.2014 einen älteren Herren in einem Rollstuhl um den Malchower See in Berlin.
    Ab Januar soll es - gesetzlich geregelt - mehr Zeit für die Pflege von Familienmitgliedern geben. (picture alliance / dpa / Christoph Schmidt)
    sagte Elisabeth Scharfenberg, pflegepolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, im DLF.

    Das Interview in voller Länge:
    Bettina Klein: Wer pflegebedürftige Angehörige hat, kennt das Problem. Berufstätigkeit mit Betreuung zu verbinden, das ist manchmal nicht ganz einfach, manchmal ein Riesenproblem. Die Bundesregierung hat angesichts steigender Zahlen älterer Menschen das Problem erkannt und gestern eine Pflege-Familienzeit beschlossen, einen Rechtsanspruch auf befristete Teilzeit oder Freistellung, die sogar anteilweise finanziert werden kann. Naturgemäß, möchte man sagen, regt sich Widerspruch. Wirtschaftsverbände beklagen nun Bürokratie und das Risiko fehlender Mitarbeiter. - Elisabeth Scharfenberg ist pflegepolitische Sprecherin der Grünen. Mit ihr sprach gestern Abend meine Kollegin Silvia Engels und fragte, ob sie die Sorge der Wirtschaft teilt.
    Elisabeth Scharfenberg: Ich glaube, das sind etwas vorschnelle und überzogene Aussagen, die da stattfinden. Es musste da eine Regelung geben. Eine zehntägige Auszeit ist, denke ich mal, das Mindeste.
    Wenn eine Familie in eine plötzliche Pflegesituation kommt, dann muss man sich sortieren. Dann muss man gucken, wie geht man damit um.
    Es war auch lang überfällig, dass das mit einer Lohnersatzleistung hinterlegt wird. Dass das aus der Pflegeversicherung jetzt gezahlt wird, das belastet die Arbeitgeber nicht mal. Und ich glaube, die Arbeitgeber müssten sich auch darüber im Klaren sein: Wenn sie einen Mitarbeiter haben, der eine ganz problematische Situation zuhause hat, weil ein plötzlicher Pflegefall eingetreten ist, der wird mit Gedanken mehr zuhause als an seinem Arbeitsplatz sein. Dann macht es mehr Sinn, sich wirklich konkret um die Situation zuhause zu kümmern und dann entspannt zurückzukommen, weil alles geregelt ist.
    Silvia Engels: Kennen Sie denn Schätzungen, wie viele Arbeitnehmer pro Jahr diese Möglichkeit in Anspruch nehmen werden?
    Scharfenberg: Das kann ich Ihnen überhaupt nicht sagen. Wir wissen nur von der Familien-Pflegezeit, die die ehemalige Familienministerin Schröder eingeführt hat - das war diese Teilzeitregelung, die man machen konnte -, das waren 134 Menschen in ganz Deutschland. Ich gehe aber davon aus, dass diese zehntägige Auszeit, dass die wesentlich mehr genommen wird.
    Wir brauchen familienfreundliche Arbeitsplätze
    Engels: Der Chef der Unions-Mittelstandsvereinigung, Linnemann, verlangt nun, dass der gesamte Koalitionsvertrag auf seine Mittelstandstauglichkeit überprüft wird, und dabei ist möglicherweise auch dieser Gesetzentwurf gemeint. Droht denn für Unternehmen mit zehn oder 15 Mitarbeitern, eben kleine Betriebe, oder den Mittelstand
    Überforderung, wenn eine oder mehrere Kräfte durch Pflegetage zehn Tage fehlen?
    Scharfenberg: Bei den zehn Tagen sehe ich wirklich überhaupt keine Problematik. Ich führe ja selbst ein Bundestagsbüro und habe jetzt demnächst die vierte Elternzeit in meinem Büro, und das funktioniert letztendlich. Man muss sich darauf einlassen und man kann nicht das eine wollen und das andere aber lassen.
    Wenn ich familienfreundlich agieren möchte, dann brauche ich familienfreundliche Arbeitsplätze, und das hat nicht mehr nur die Qualität, dass wir auf die Kinder schauen, sondern wir müssen mittlerweile auch auf die Pflegebedürftigkeit schauen. Und ich denke, es ist einfach notwendig, solche Regelungen zu machen.
    Engels: Dazu steht im Gesetzesentwurf aber auch ein Rechtsanspruch auf sechs Monate Pflegezeit, also auf eine komplette Auszeit vom Job, wenn auch unbezahlt. Ist das denn noch für kleine Betriebe zu leisten?
    Scharfenberg: Der Rechtsanspruch besteht ja nur für Betriebe, die mehr als 15 Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter haben. Kleinere Betriebe werden da überhaupt nicht mit einem Rechtsanspruch in Haft genommen. Da liegt es am Chef oder an der Chefin, das zu genehmigen oder eben nicht. Das ist was, was wir beispielsweise auch kritisieren, dass das eine Ungleichbehandlung ist für Menschen, die in kleineren Betrieben arbeiten, weil die haben ja genau solche Probleme in der Familie mit Pflege eventuell wie Menschen, die in einem großen Betrieb arbeiten.
    Engels: Das heißt, aus Grünen-Sicht ist dieser Gesetzentwurf so, wie er sein sollte?
    Gesetzentwurf geht nicht weit genug
    Scharfenberg: Er geht eigentlich nicht weit genug letztendlich. Wir haben schon immer gefordert, dass auch kleinere Betriebe mit involviert sein müssen, denn es kann nicht davon abhängen, welche Größe mein Betrieb hat, in dem ich arbeite, wie letztendlich meine Familienausgestaltung zuhause ist, gerade in einem Notfall.
    Engels: Auf der anderen Seite ist ja gerade durch die schwächer werdenden Wirtschaftszahlen in der Debatte, ob Unternehmen durch zu viel Belastungen gestraft sind. Kann die Pflege ein solches Problem werden?
    Scharfenberg: Ich sehe das nicht so. Die Pflege ist ein Problem, mit dem wir uns auseinandersetzen müssen, und da müssen wir Lösungen finden. In dem Maße, in dem wir auch sehr viel Pflege zuhause haben, müssen wir Lösungen für die Menschen finden, die auch noch im arbeitsfähigen Alter sind. Die Betriebe und die Arbeitgeber, die sind ja durch diese neue Gesetzgebung oder durch diese Weiterentwicklung des Familien-Pflegezeit-Gesetzes entlastet worden, denn jetzt müssen sich ja die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter darum kümmern, dass diese Lohnersatzleistung bei den sechs Monaten oder bis zu 24 Monaten über ein Darlehen eventuell abgedeckt wird.
    Klein: Elisabeth Scharfenberg, die pflegepolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, zum neu beschlossenen Pflege-Familienzeit-Gesetz.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.