"Sie war ja damals zu dem Zeitpunkt zwei Jahre erst und ich hatte nicht viel Zeit, es ihr zu sagen. Ja, ich hab ihr immer wieder gesagt, dass Mama wiederkommt, dass es ihr momentan nicht gut geht und dass sie irgendwann wiederkommt."
So erinnert sich eine Mutter, die 2018 für mehrere Monate ins Gefängnis musste. Erst war sie im geschlossenen, später im offenen Vollzug, wo sie ihre Tochter außerhalb der Justizvollzugsanstalt sehen konnte. Den Grund für ihre Haft will sie im Radio nicht nennen.
Hinter Gittern war der Kontakt zwischen der Mutter und ihrem Kleinkind stark eingeschränkt. Handys sind in vielen Bundesländern verboten – so auch bei der inhaftierten Frau. Sie konnte nur über ein stationäres Telefon in der Anstalt telefonieren. Das kostete mehrere Hundert Euro im Monat – Geld, das die wenigsten Gefangenen aufbringen können.
Eingeschränkte Besuchszeiten
Was bleibt, ist der Besuch. In vielen Gefängnissen liegt die Besuchszeit im geschlossenen Vollzug zwischen einer und vier Stunden – pro Monat. Der Abschied vom eigenen Kind, das berichten dem Deutschlandfunk auch andere Inhaftierte, ist schwer.
"Na, es fängt dann schon so eine halbe Stunde vorher an zu kribbeln. Ich habe mir dann auch immer eine Uhr geben lassen, dass ich nicht so ganz Knall auf Fall sie wieder abgeben muss. Aber es ist dann schon - wenn man dann so weiß, boah, jetzt musst du sie wieder weggeben so für eine Woche - das krampft schon ganz schön arg im Herz."
Die sogenannte COPING-Studie hat vor rund zehn Jahren in vier europäischen Ländern - darunter Deutschland – und mit Mitteln der EU untersucht, wie viele Kinder mindestens einen Elternteil im Gefängnis haben. Das Ergebnis: Zum Stichtag waren allein in der Bundesrepublik rund 100.000 Kinder betroffen, bei gut 64.000 Gefangenen. Europaweit waren rund eine Million Kinder betroffen.
Verunsicherte Kinder
Hilde Kugler arbeitet seit Jahrzehnten mit Angehörigen von Inhaftierten beim Nürnberger Verein "Treffpunkt". Für die Studie hat sie Interviews mit betroffenen Kindern und deren Eltern geführt. Und die Auswirkungen der Situation untersucht.
"Kinder sind durch die Inhaftierung ihrer Eltern natürlich erstmal massiv verunsichert. Und ganz häufig ist direkt zu beobachten, dass Kinder Entwicklungsschritte, die sie schon erreicht haben – alleine einschlafen, sauber sein und so weiter – dass sie die wieder verlieren."
Hinzu kommt die Scham. Hilde Kugler:
"Dann ist es auch so, dass Mütter berichten, dass plötzlich die Kinder nicht mehr zum Spielen eingeladen werden. Zum Kindergeburtstag werden sie nicht eingeladen. Man wendet sich ab, an der Garderobe wird man nicht mehr gegrüßt. Also da gibt es einen Haufen an stigmatisierenden Verhaltensweisen."
Expertin: Zu wenig Angebot für Kinder von Inhaftierten
Ältere Kinder und Jugendliche haben laut der Studie unter anderem ein erhöhtes Risiko, Essstörungen zu entwickeln, drogenabhängig oder selbst straffällig zu werden. Kugler hat in den vergangenen Jahren ein Netzwerk aus Unterstützungsangeboten für Betroffene aufgebaut. Dazu gehören Familienfreizeiten für Kinder außerhalb des Gefängnisses, aber auch Vater-Kind-Gruppen hinter Gittern, bei denen unter professioneller Anleitung deren Verbindung gefördert werden soll.
Kugler geht davon aus, dass es in vielen deutschen Gefängnissen keine ausreichenden Angebote für die Kinder von Inhaftierten gibt:
"Es ist nicht nur eine Bewilligung für den Gefangenen, dass er sein Kind sehen darf. Sondern es ist das Recht des Kindes, und da muss man sich entsprechend umorientieren und muss auch als Vollzug die Familie fördern und den Kontakt."
Kinder haben ein Recht auf Umgang mit ihren Eltern – auch, wenn diese in Haft sitzen. Und das schon, seit Bundesregierung und Bundesländer die Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen im Jahr 1992 angenommen haben.
Bund und Länder in der Pflicht
Claudia Kittel leitet die "Monitoringstelle UN-Kinderrechtskonvention" beim Deutschen Institut für Menschenrechte. Das heißt, sie und ihre Kolleginnen prüfen, ob und wie Deutschland seinen Verpflichtungen gegenüber Kindern nachkommt. Für den Justizvollzug fällt das Urteil alles andere als befriedigend aus:
"Wenn ein Kind Pech hat, dann gibt es in einigen JVAs bei uns noch Besuchsräumlichkeiten; das ist, wie man das vielleicht aus den Fernsehkrimis kennt, so ein etwas kahler, unschöner Raum mit kleinen Tischen und zwei Stühlen und in ganz wenigen Einrichtungen auch noch mit Trennscheibe versehen."
Offiziell verstießen die Bundesregierung und die Bundesländer mit den Regeln im Justizvollzug zwar nicht gegen die UN-Kinderrechtskonvention, sagt Kittel. Aber sie erschwerten es Kindern massiv, ihr Recht auf Umgang mit den Eltern wahrzunehmen.
"Von der gesetzlichen Grundlage gilt die UN-Kinderrechtskonvention jetzt schon, aber sie wird gerne übergangen. Und viele Menschen, auch Richterinnen und Richter, haben noch nie von der Kinderrechtskonvention gehört."
Manche Bundesländer gehen voran
Dabei müsste die Perspektive von Kindern schon bei Gerichtsentscheidungen Gehör finden. Also bevor Väter oder Mütter inhaftiert und so von ihren Kindern getrennt werden. Der Europarat hat 2018 Empfehlungen herausgegeben, die die Justizminister der Bundesländer im November vergangenen Jahres übernommen haben. Demnach soll im Interesse der Kinder unter anderem geprüft werden, ob es im Einzelfall nicht eine Alternative zur Haft gebe.
Die Umsetzung aller Empfehlungen sei allein aus Personalgründen nicht zu leisten, heißt es bereits aus Bayern. Doch immerhin haben sich die Bundesländer bereits auf den Weg gemacht. So gibt es in Nordrhein-Westfalen Sonderbesuchszeiten für Familien. Und in manchen Gefängnissen haben Gefangene die Möglichkeit, im Besuchsraum mit einer Sofortkamera ein Familienbild zu machen.
Bei der ehemals inhaftierten Mutter gab es diese Möglichkeiten nicht. An Sicherheitscheck, Zeitdruck, den schweren Abschied – daran habe sich zumindest ihre kleine Tochter nicht gewöhnen können.
"Sie kannte ja dann auch schon die Personen am Einlass, sag ich einfach mal. Und da gab es dann auch schon ein, zwei, wo es total locker ging. Aber es gab auch welche, wo es gar nicht so locker ging. Also es war jetzt nicht, dass ich irgendwie sagen kann, dass irgendwie ne Routine gekommen ist, nein, nein. Auf keinen Fall."