Archiv

Familiennachzug aus dem Libanon
Langes Warten - banges Warten

Für Geflüchtete mit subsidiärem Schutzstatus ist der Familiennachzug nach Deutschland ausgesetzt. Wer hingegen Asylstatus hat, kann einen Antrag stellen, um Ehepartner oder minderjährige Kinder nachzuholen. Doch die Mühlen der Bürokratie mahlen langsam und knirschen gewaltig. Ein Besuch in einer Warteschlange in Beirut.

Von Anne Françoise Weber |
    Syrer vor der deutschen Botschaft in Beirut
    Manche durch Flucht zerrissene Familie wartet hier Monate oder Jahre auf einen Bescheid (AFP / Joseph Eid)
    Eine Seitenstraße im Beiruter Vorort Rabieh. Menschen warten vor einem Gebäude der deutschen Botschaft – fast alles Syrer, die zur Visabeantragung kommen. Auch Alaa Tarab steht hier, zusammen mit ihrer ungefähr sechsjährigen Tochter. Die zierliche junge Frau hat Tränen in den Augen, als sie erzählt:
    "Vor sechs Monaten hatte ich das Interview zu meinem Antrag auf Familiennachzug. Mein Mann und mein kleiner Sohn sind seit drei Jahren in Deutschland. Jetzt, nach sechs Monaten, hat mir die Botschaft eine Email geschickt, dass einige Papiere verloren gegangen sind und sie sie noch einmal brauchen. Gestern kam die E-Mail, heute bin ich gekommen, um die Papiere abzugeben."
    Alaa Tarabs Mann war allein mit dem kleinen Sohn nach Deutschland geflüchtet. Inzwischen hat er eine Aufenthaltsgenehmigung für drei Jahre und arbeitet in Magdeburg im Autohandel. Die Familie stammt aus Aleppo und ist gleich zu Kriegsbeginn in den Libanon geflohen. Vor anderthalb Jahren konnte Alaa einen Antrag auf Familienzusammenführung stellen. Auf einen Termin bei der Botschaft musste sie fast ein Jahr warten, dann endlich durfte sie vorsprechen. Damals bekam sie die Auskunft, in ein bis sechs Monaten käme der Bescheid. Jetzt, wo sie die Papiere noch einmal bringen muss, hat sie den Eindruck, das Warten nehme nie ein Ende:
    "Gott gebe, dass es gut ausgeht. Ich möchte meinen Sohn wiedersehen. Er spricht jetzt gut deutsch."
    Die Mutter bekommt ein Visum, der Sohn nicht
    Unter den Wartenden ist auch Abdulhamid Hamidi. Der fröhlich wirkende junge Mann, der im Sommer eine Ausbildung als Kfz-Mechaniker beginnt, ist eigens aus Karlsruhe gekommen, um den Familiennachzug seiner Frau Khitam zu beschleunigen. In ihrem Antrag fehlte noch die Heiratsurkunde:
    "Der Polizist hat mir gesagt, um zehn Uhr darf ich mein Papier abgeben. Sie haben mich angerufen und gesagt: Wir brauchen das Papier. Wenn Sie Zeit haben, kommen Sie vorbei. Heute bin ich da."
    Abdulhamids Frau lebt noch in Syrien, aber weil dort die deutsche Botschaft geschlossen ist, haben sich die beiden im Libanon getroffen. Das Interview zum Visumsantrag hat Khitam bei einem Büro der Internationalen Organisation für Migration gemacht, die die Botschaft seit Sommer 2016 bei der Bearbeitung der zahlreichen Anträge unterstützt.
    Auch Nadia Nasr hat dort ihren Antrag gestellt. Nadia Nasr sitzt vor einer kleinen Bäckerei ein paar hundert Meter von der Botschaft entfernt. Hier, wo eine gewundene Straße hinunter zur Küste führt, kommen viele Syrer vor oder nach ihrem Termin vorbei und holen sich Manoushe, mit Käse oder Kräutern belegte Teigfladen, die ein Angestellter drinnen mit einem großen Holzschieber aus dem Gasofen holt.
    Nadias hochgewachsener Sohn Ahmad bringt ihr einen Teigfladen und stellt sich dann neben die Mutter. Die hat gerade ein Visum für Deutschland in ihren Pass bekommen. Freuen kann sie sich trotzdem nicht:
    "Ich habe der Frau in der Botschaft gesagt, mir geht es gar nicht um mein Visum, sondern um das meines Sohnes Ahmad. Ich kann überall leben. Da hat sie mir gesagt, er sei abgelehnt. Als ich angefangen habe zu weinen, sagte sie: Nein, nein, die Unterlagen sind noch in Deutschland und werden bearbeitet. In Deutschland ist mein anderer Sohn zur Ausländerbehörde gegangen, dort hieß es, Ahmads Akte sei mit Zustimmung zurück zur Botschaft gekommen. Wem soll ich glauben?"
    Der andere Sohn schickt ein Video aus Deutschland
    Mit ihrem Visum muss Nadia Nasr innerhalb eines Monats die Reise antreten, aber sie will ihren 22-jährigen Sohn Ahmad nicht allein zurücklassen. Als Palästinenser kam die Familie im Palästinenserlager Beddawi unter. Nicht nur die schlechten Wohnbedingungen – ein kleines Zimmer für die vierköpfige Familie in einem baufälligen Haus – machen das Leben schwer:
    "Wir dürfen nicht aus dem Lager raus. Wir haben nicht das Recht zu arbeiten, überhaupt keine Rechte. Ich wünsche mir so, dass der deutsche Staat den jungen Palästinensern hilft. Sie dürfen nicht verloren gehen."
    Nadia zeigt auf ihrem Handy ein Video, das ihr anderer Sohn aus Deutschland geschickt hat – Ausflugsfahrt mit der Caritas, für die er ein wenig gearbeitet hat. Stumm schaut Ahmad auf das Video seines jüngeren Bruders, der es nach Deutschland geschafft hat. Er weiß nicht, wie es weitergehen soll, falls sein Antrag auf Familiennachzug wirklich abgelehnt wird. Nach Syrien kann er nicht zurück, denn er würde mit seinen 22 Jahren sofort in die Armee eingezogen. Einer seiner Brüder wird dort vermisst. Bliebe nur, ohne Arbeit und ohne Familie weiter im libanesischen Palästinenserlager zu leben.
    Am Tisch neben Nadia Nasr sitzt eine stark geschminkte junge Frau mit ihrem Vater, auf dem Schoß ein Kleinkind. Seit sage und schreibe drei Jahren wartet die Syrerin darauf, zu ihrem Mann nach Deutschland reisen zu können – er hat seine kleine Tochter noch nie gesehen.