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Familiennachzug
Wenn das Nachholen der Kinder zum Wettlauf gegen die Zeit wird

Als die Eltern im Juni 2019 nach Deutschland einreisten, dachten sie, dass ihre minderjährigen Kinder schnell aus Syrien nachkommen könnten. Doch die drei harren noch immer dort aus und schon bald laufen ihre Pässe ab: Und ohne Pässe keine Einreise. Über eine Familie, die im deutschen Asylsystem feststeckt.

Von Ann-Kathrin Jeske |
Flüchtlinge mit Koffern und Plastiktüten in Friedland, Niedersachsen.
Viele Familien glauben, dass es mit dem Nachzug der Kinder ganz schnell klappt, wenn die Eltern in Deutschland sind. Ein Trugschluss. (dpa)
Eine kleine Dreizimmerwohnung in Köln-Porz. Ordentlich aufgereiht stehen die drei Paar Schuhe der Familie Kurdi neben der Eingangstür: Lederschuhe von Vater Hozan, Schlappen von Mutter Rosa, Turnschuhe von Sohn Mazlum. Ihre echten Namen möchte die Familie nicht nennen. Seit gut einem Jahr wohnen die Kurdis zu dritt im Rheinland. Und dennoch: Drei Paar Schuhe fehlen. Mazlum Kurdis jüngere Geschwister leben noch immer in Syrien.
"Ich dachte, ich kann einen Familiennachzug machen, meine Eltern, meine Brüder, meine Geschwister, alle zusammenbringen, aber das geht nicht."
Mit jedem Tag, der verstreicht, glaubt Mazlum Kurdi ein bisschen weniger daran, seine Geschwister bald wiederzusehen. Seit Juni 2019 haben die Kurdis Antrag um Antrag gestellt, bis die deutschen Behörden dem Familiennachzug zustimmten. Nun fehlen nur noch die Visa. Doch für Familie Kurdi ist der Familiennachzug zu einem Wettlauf gegen die Zeit geworden. Rosa Kurdi, eine Frau mit hellen, freundlichen Augen und tiefen Augenringen, macht sich Sorgen. Ihre Nichte Dilan Ciwan übersetzt:
"Ich hoffe, dass jemand uns helfen kann, denn wenn die Pässe ablaufen, kann das niemand verlängern in Syrien."
Schikanen bei der Passerneuerung
Vor allem für den 16-jährigen Said kann das bedeuten, dass er in Syrien bleiben muss. Denn das Assad-Regime erneuert die Pässe von Jugendlichen, die bald volljährig werden, häufig absichtlich nicht: Heranwachsende sollen nicht aus Syrien fliehen, sondern für Syrien kämpfen. Said Kurdi droht vom Militär eingezogen zu werden. Für seinen in Deutschland lebenden Bruder ist das schwer. Mazlum Kurdi redet nicht gern darüber, wie es für ihn ist, dem Regime entkommen zu sein, während sein Bruder vielleicht bald kämpfen muss.
"Das ist schwer, ich glaub man kann das nicht so gut erzählen, ich glaub, wenn man erzählt, kommt das falsch an. Das ist alles für mich schwer, ja. Man weiß, es gibt einen Bruder, egal ob klein oder groß..." erzählt der 19-Jährige. Fast auf den Tag genau vor fünf Jahren ist er nach Deutschland gekommen. Das weiß er noch ganz genau, am 10. Oktober 2015. Seine Cousine Dilan Ciwan erinnert sich:
"Ja, 2015 wir sind zusammen hier nach Deutschland gekommen. Er war noch minderjährig und er war mit meiner Familie: Er, meine Eltern, mein Bruder und ich. Wir waren zusammen. Er war bei uns fast vier Jahre ohne seine Eltern. Dann letztes Jahr im Juni durften die Eltern nach Deutschland kommen, aber ohne Kinder."
Denn der Familiennachzug funktioniert in Deutschland zweistufig: Ein minderjähriger Flüchtling darf zwar seine Eltern nachholen. Die Geschwister aber können erst dann nachziehen, wenn mindestens ein Elternteil in Deutschland lebt.
Flüchtlinge auf der griechischen Insel Lesbos: Ein Vater beobachtet seine Kinder, die auf der Straße schlafen.
"Hier werden Flüchtlinge als Geiseln gehalten"
Seit dem Brand im Auffanglager Moria wird in Europa diskutiert, wie Flüchtlingen zu helfen ist. Die Politik der griechischen Regierung kritisierte der Politikwissenschaftler J. Olaf Kleist im Dlf als "hoch problematisch". Deren zynische Haltung treffe "alle in den Grundfesten Europas".
Reporterin: "Wie oft reden Sie miteinander?"
"Die ganze Zeit. Jeden Tag, jede Stunde."
Etwas schüchtern blickt die 12-jährige Evin durch die Kamera in das deutsche Wohnzimmer. Sie sitzt auf bunt-gemusterten Teppichen, auch in einem Wohnzimmer, aber in Syrien. Ihre Brüder, der 15-jährige Azad und der 16-jährige Said, huschen kurz durch das Bild. Seit die Eltern im Juni vergangenen Jahres nach Deutschland gekommen sind, leben die Kinder in ihrem kurdischen Heimatort nahe der türkischen Grenze bei einer Tante. Wie geht es Evin damit, getrennt von ihren Eltern zu leben?
"Nicht so gut." Reporterin: "Warum?" "Meine Tante ist nicht so reich, sie hat kein Geld und die Brüder sollen arbeiten, damit sie ein wenig Geld verdienen."
Aus dem bunten Wohnzimmer läuft Evin mit dem Smartphone nach draußen: Die Sonne scheint auf die niedrig gebauten Steinhäuser der leeren Dorfstraße. Durch das Smartphone zeigt sie den kleinen, rechteckigen Vorgarten ihrer Tante. Etwas Gemüse und Getreide wächst hier, nicht genug, um alle satt zu kriegen. Um Geld dazu zu verdienen, arbeiten die Brüder manchmal als Tagelöhner auf Baustellen. Doch in den vergangenen Monaten hat das nur noch selten geklappt.
"Sie sitzt einfach Zuhause, zur Zeit gibt es keine Schule…ah, wegen Corona." Reporterin: "Seit wann gibt es keine Schule?" Nichte: "Seit sieben Monaten."
Zweistufige Einreise führt meist dazu, dass Familien lange getrennt leben
Im deutschen Wohnzimmer presst Rosa Kurdi die Lippen aufeinander und hält sich die Hand vor den Mund. Die Mutter macht sich Vorwürfe, wenn die 12-jährige Evin vor dem Schlafengehen anruft und weint.
"Ja, ich bin traurig, ich kann nicht schlafen. Gestern hat sie angerufen und geweint und gesagt: Warum seid ihr weg und wir sind hiergeblieben?"
Die Nichte Dilan Ciwan erinnert sich daran, wie es 2019 dazu kam, dass die Eltern die Kinder in Syrien zurückließen. Die schon in Deutschland lebenden Familienmitglieder hätten die Eltern damals davon überzeugt:
"Sie waren in Erbil in Kurdistan, sie haben ein Interview gemacht, danach haben sie die Ablehnung für die drei Kinder bekommen und nur für die Elternteile Visa gekriegt. Zuerst haben sie gesagt, dann gehen wir nicht. Unsere Kinder bleiben hier alleine, das ist ein bisschen schwierig. Aber wir haben gesagt ‚Kommt‘."
Denn die Familie dachte, dass es mit dem Nachzug der Kinder ganz schnell klappt, wenn die Eltern in Deutschland sind. Ein Trugschluss. Die zweistufige Einreise – dass also die Geschwister erst nachziehen dürfen, wenn die Eltern da sind – führt fast immer dazu, dass die Familien lange getrennt leben. Meistens zieht deshalb erst ein Elternteil zu dem Minderjährigen nach Deutschland, während das andere Elternteil mit den übrigen Kindern im Herkunftsland bleibt. Weil die Kurdis davon ausgingen, dass die Kinder rasch kommen könnten, gingen beide Eltern und die Kinder blieben bei der Tante in Syrien. Bei ihrer Asylberaterin von der Caritas wollen die Kurdis an diesem Nachmittag nachfragen, warum es so lange dauert.
Zwei Mädchen erhalten am 07.09.2015 vor dem Hauptbahnhof in München von Münchner Bürgern Geschenke, bevor sie in einen Bus steigen, der sie in eine Aufnahmeeinrichtung bringen soll. Foto:  |
Geflüchtete in Bayern - Viel geschafft, aber die Politik setzt weiter Hürden
Fünf Jahre nach "Wir schaffen das" hat jeder dritte Geflüchtete in Bayern einen Job. Viele Freiwillige sind nach wie vor in der Flüchtlingshilfe aktiv. Zur "bayerischen Notwehr", mit der Ex-CSU-Chef Seehofer damals drohte, kam es nicht. Trotzdem erschweren zum Teil harte Regelungen die Integration.
Susanne Rabe-Rahman führt in eine alte Sakristei neben der Caritas-Beratungsstelle in Köln-Kalk, ein großer Raum mit viel Platz auch in Pandemiezeiten. Sie leitet die Asylberatung für Flüchtlinge und betreut den Fall der Familie Kurdi.
"Am 25. August hab ich die Botschaft zuletzt angeschrieben, ich hab jetzt noch keine Nachricht, ich kann die Botschaft ja nochmal anschreiben und um dringende Klärung bitten."
Familie Kurdi steckt fest im deutschen Asylsystem. So fühlt es sich für sie an.
Susanne Rabe-Rahman kann die Ungeduld vieler Eltern verstehen. Seit über 30 Jahren betreut sie Fälle wie den der Kurdis. Auf die Frage, ‚Was können wir tun?‘, kann die Asylberaterin ihnen häufig nur eine Antwort geben: Warten.
"Also in der Regel dauert es mit der Familienzusammenführung zwei Jahre", so die Erfahrung von Rabe-Rahman. Seit Beginn der Corona-Pandemie zeichnet sich allerdings ab: Die Wartezeiten werden sich verlängern.
Zwischen dem 17. März und Anfang Juli dieses Jahres kam der Familiennachzug wegen Covid-19 komplett zum Erliegen – europaweit. Wie viele Familien genau davon betroffen waren, lässt sich nicht beziffern. Von den 480 Familienangehörigen, denen das Auswärtige Amt noch im März ein gültiges Visum ausstellte, dürften aber viele nicht eingereist sein. Für den stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der Union im Bundestag, Thorsten Frei, war die gemeinsame Entscheidung der Staats- und Regierungschefinnen und -chefs trotzdem unumgänglich.
COVID-19: Familiennachzug zumindest theoretisch wieder angelaufen
"Angesichts der Herausforderungen der Covid-19-Pandemie war das aus meiner Sicht absolut nachvollziehbar und richtig. Und: Man muss das natürlich auch realistisch sehen. Sie brauchen für all das eine konsularische Bearbeitung und Behandlung bei einer der 173 Visastellen, die wir weltweit haben und dort war faktisch diese Arbeit nicht möglich."
Im Juli ist der Familiennachzug zumindest theoretisch wieder angelaufen. Reibungslos aber klappt es noch nicht. Denn die Visa all jener, die im Frühjahr nicht einreisen konnten, sind in der Zwischenzeit abgelaufen. Nun prüft das Amt jeden Antrag in einem vereinfachten Verfahren aufs Neue. Das erklärt die Bundesregierung in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Grünen. Für die Familien kann das bedeuten, dass sie noch einmal zur Botschaft fahren müssen, um Dokumente vorzulegen. Syrische Familien müssen dann beispielsweise noch einmal den Weg in den Irak antreten, weil es in Syrien keine deutsche Botschaft mehr gibt. Die flüchtlingspolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion Luise Amtsberg kritisiert:
"Das ist natürlich ein großes Problem, dass viele Menschen ohnehin weite Wege zurücklegen müssen, um die Botschaft in Anspruch zu nehmen. Das ist häufig verbunden mit nicht ganz ungefährlichen Wegen. Insofern ist es wirklich wichtig, dass die Behörden sich in die Situation der Geflüchteten hineinversetzen und so großzügig wie möglich handeln."
Das Auswärtige Amt lehnt eine Interviewanfrage des Deutschlandfunks zu dem Thema ab und beantwortet Fragen nur schriftlich. Grundsätzlich sei die sogenannte Neuvisierung auch ohne persönliche Vorsprache möglich, Unterlagen könnten sogar digital vorgelegt werden, heißt es. Allerdings: Es komme auf den Einzelfall an.
Amin Al Magrebi spricht auf einer Kundgebung anlässlich der Innenministerkonferenz in Kiel
Wie der Krieg in der Heimat das Leben im Exil belastet
Seit Ausbruch des Kriegs in Syrien vor fast zehn Jahren haben viele Menschen dieses Land verlassen. Knapp 800.000 Syrer leben nun in Deutschland. Doch der Konflikt in ihrer Heimat belastet sie immer noch – und vergiftet das Zusammenleben im Exil in Deutschland.
Eine Bilanz, wie schnell oder schleppend der Familiennachzug seit Juli wieder angelaufen ist, lässt sich noch nicht ziehen. Das Auswärtige Amt machte bis Redaktionsschluss keine Angaben dazu, wie viele Visa es seit Juli ausgestellt hat. Was das Auswärtige Amt hingegen mitteilt: Viele Visastellen arbeiten weiterhin nur eingeschränkt oder im Notbetrieb. Die Bearbeitungskapazitäten seien teilweise erheblich reduziert. Der Herbst dürfte zudem dafür sorgen, dass sich die Lage eher wieder verschlechtert. Auch das Generalkonsulat im irakischen Erbil, das für den Fall von Familie Kurdi zuständig ist, arbeitet dem Auswärtigen Amt zufolge stark eingeschränkt.
"Bei der Familie ist die Sache eigentlich insoweit klar, als die Botschaft gesagt hat, dass sie das Visum erteilen können und der Pass vorgelegt werden soll. Der Pass ist jetzt auch vorgelegt worden und es ist nicht ganz klar, ob es da jetzt noch irgendwelche Kommunikationsprobleme gab, gibt, wie auch immer und die Familie hat ja den Stress, dass die Pässe der Kinder dieses Jahr auslaufen."
Seit Ende August wartet Familie Kurdi eigentlich nur noch darauf, dass die Visa ausgestellt werden. Mit jedem Monat, der weiter verloren geht, muss die Familie fürchten, dass vor allem der 16-jährige Said nicht nach Deutschland kommen kann. Die Botschaften, sagt Susanne Rabe-Rahman, arbeiteten einerseits langsam, weil sie häufig unterbesetzt seien.
"Das zweite ist, dass das Thema Familienzusammenführung immer auch ein bisschen politisch behandelt wird. Also: Hat man ein Interesse, dass es schneller geht oder hat man dieses Interesse eher nicht, weil man Leuten den Anreiz nehmen will nach Deutschland zu kommen."
Streitthema der Großen Koalition
Politisch war der Familiennachzug lange eines der Streitthemen in der Großen Koalition. Vor allem die Union fürchtete nach dem großen Zuzug von Flüchtlingen im Jahr 2015, dass noch einmal hunderttausende Menschen nach Deutschland kommen könnten – dieses Mal legal, über den Weg des Familiennachzugs. Zwei Jahre lang, zwischen März 2016 und August 2018, hatte die Große Koalition ihn für sogenannte subsidiär Schutzberechtigte ganz gestoppt. Darunter fallen Menschen, denen im Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Zum Beispiel die Todesstrafe, Folter oder Krieg. Ein Status, den viele Syrer haben.
"Wer jedoch Angehörige nachholt, dessen Aufenthalt verfestigt sich. Freiwillige Ausreisen oder Rückführungen werden damit, auch das gehört zur Wahrheit, deutlich erschwert. Zugleich sehen wir die Not mancher Familien. Wir sehen auch, dass das Zusammenleben von Familien manchen Problemen vom gesellschaftlichen Abrutsch vorbeugt, das ist wahr", erklärte der damalige Bundesinnenminister Thomas de Maizière in einer Bundestagsdebatte im Januar 2018 die Position der Union. In den Koalitionsverhandlungen mit der SPD setzte die Union damals durch, den Rechtsanspruch auf Familiennachzug dieser Gruppe abzuschaffen und den Nachzug auf 1000 Familienangehörige pro Monat zu begrenzen.
Der Rechtswissenschaftler Constantin Hruschka forscht am Max-Planck Institut in München dazu, wie sich das deutsche Asyl- und Migrationsrecht seit 2015 verändert hat. Meist ging es dabei um eine Verschärfung – auch beim Familiennachzug. Er erklärt, welche Folgen die Entscheidungen in der Praxis haben:
"Nach unserer Beobachtung führt die Gesamtidee, dass das Migrationsrecht restriktiver gehandhabt werden muss dazu, dass bei Behördenentscheidungen tendenziell stärker negativ entschieden wird und das führt dazu, dass viele Personen erst vor Gericht Recht bekommen. Das verzögert einerseits die Verfahren und andererseits führt es dazu, dass die Rechtsstellung sehr viel später erlangt wird."
Der syrischen Machthaber Baschar al-Assad
Assads tödliche Machtgier
Am 17. Juli 2000 trat Baschar al-Assad sein Amt als Präsident Syriens an. 20 Jahre später liegt das Land in Trümmern. Jeder zweite Syrer ist auf der Flucht, Hunderttausende verloren ihr Leben. Einen Plan für den Wiederaufbau gibt es nicht – und Assad kann seine Macht weiter ausbauen.
So ähnlich war es auch im Fall von Familie Kurdi. Vor Gericht ging ihr Fall zwar nicht. Ihr Anspruch auf Familiennachzug der Kinder aufgrund einer Härtefallregelung wurde ihnen allerdings erst im zweiten Anlauf zugestanden, nachdem Susanne Rabe-Rahman gegen die erste Entscheidung demonstrierte – also so etwas wie einen Widerspruch einlegte. Für die Familie Kurdi waren das wieder sechs verlorene Monate.
In der Dreizimmerwohnung in Köln-Porz von Familie Kurdi ist Mittagessenszeit. Es riecht nach gebratenem Hackfleisch. Die Mutter Rosa Kurdi breitet eine große Plastikdecke auf dem Boden aus und stellt viele kleine und große Schüsseln darauf: Kartoffeln und Aubergine, Brot und Salat. Die Eltern Kurdi kommen gerade vom Integrationskurs.
Reporterin: "Mit einem Lehrer oder einer Lehrerin?" "Mit einem Lehrer, der ist Türke und kann auch ein bisschen kurdisch", übersetzt die Nichte. Rosa und Hozan Kurdi machen in ihrem Deutschkurs nur langsam Fortschritte. Dass die Kurdis in Syrien als Bauern gearbeitet und nicht Lesen und Schreiben gelernt haben, macht es nicht leichter.
"Ich bin nach Deutschland gekommen für die Kinder. Damit sie zur Schule gehen, Ausbildung machen, vielleicht studieren. Weil es in Syrien keine Zukunft gibt."
Rechtsgrundlage für Geschwisternachzug könnte Abhilfe schaffen
Stattdessen sind nun die Eltern in Deutschland und die Kinder, bis auf den Ältesten Mazlum Kurdi, noch immer in Syrien. Das Paradoxe an Fällen wie dem der Familie Kurdi ist: In vielen Fällen gelingt die Familienzusammenführung am Ende doch. Dazwischen aber liegen häufig Jahre der Trennung. Eine Rechtsgrundlage für den Geschwisternachzug könnte Abhilfe schaffen. Sie würde ermöglichen, dass minderjährige Flüchtlinge gleichzeitig mit ihren Eltern auch minderjährige Geschwister nachholen könnten. Der CDU-Abgeordnete Thorsten Frei aber hält das für keine gute Idee:
"Der Gedanke, der letztlich hinter diesen Regelungen steckt im Aufenthaltsrecht ist der, dass wir es unbedingt vermeiden möchten, dass Eltern Kinder auf die gefährliche Reise nach Deutschland, nach Europa schicken, auf dass sie dann Ankerpersonen für die eigene Migration und die gesamte Migration der Familie wird. Und deswegen muss man glaube ich sehr aufpassen, dass man mit einer gut gemeinten Regelung nicht zu einer Verschlechterung der Situation von Kindern und Minderjährigen führt."
Ob es den sogenannten Pull-Faktor tatsächlich gibt, eine liberalere Migrationspolitik also mehr Migration nach sich zieht, ist wissenschaftlich höchst umstritten. Denn die Gründe, wegen derer Menschen ihre Heimat verlassen, sind häufig so komplex, dass es schwierig ist, sie in einer statistischen Berechnung verlässlich zu erfassen. Die Grünen-Abgeordnete Luise Amtsberg führt ein pragmatisches Argument für den Geschwisternachzug an. Auch nach aktueller Rechtslage würden Geschwister bereits jetzt schon nachziehen, nur eben erst nach häufig jahrelanger Trennung.
"Wenn es am Ende dazu führt, dass Familien zusammenkommen, dann ist das schön. Wenn aber der Weg dahin eine Trennung auf mehrere Jahre bedeutet, dann ist das die falsche Politik. Verzögern führt nicht dazu, dass man am Ende weniger Menschen hier hat, sondern nur dazu, dass man es den Menschen schwerer macht."
Fürs Erste wird sich an der Gesetzeslage allerdings nichts ändern. Eine entsprechende Bundesratsinitiative vom September des rot-rot-grün regierten Berlins will die Union nicht unterstützen, erklärt Thorsten Frei. Für Familie Kurdi käme jede Gesetzesänderung ohnehin zu spät: Seit fünf Jahren lebt die Familie inzwischen nicht mehr gemeinsam an einem Ort. Sie hofft, dass das Wiedersehen in diesem Jahr noch gelingt.